Die Etablierung neosozialer Regierungstechniken und ihre Auswirkungen für die Gesellschaft


Hausarbeit, 2014

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Foucaults Gouvernementatitätsstudien zum Neoliberalismus
2.1 Ordoliberalismus und amerikanischer Neoliberalismus
2.2 Humankapitaltheorie

3. Die Gouvernementalität des Neosozialen

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Etablierung des Humankapitals als Denk- und Analysesystem ist in der Gesellschaft immer weiter vorangeschritten. Zwischen Anleitungen zur Selbstoptimierung einerseits und politischen Forderungen zur Eigenverantwortung andererseits entwickelte sich eine neoliberale Denkstruktur, die Auswirkungen in allen Gesellschafsbereichen nach sich zieht. Wie ich in meiner Arbeit ausführen werde, ist diese Neoliberalität das Fundament der heutigen "Neosozialität". Diese unterstützt eine Abgrenzung einerseits und die Entwicklung völlig neuer Förderungs- und Forderungsansprüche andererseits. So werden neuste politische Entwicklungen wie die Gründung der Alternative für Deutschland (AfD), die Forderung nach Einwanderungsbegrenzungen von Rumänen und Ungarn und die Entwicklungen in der Schweiz als Ergebnisse neosozialer Denkstrukturen gewertet.

Ziel dieser Arbeit ist es, mit Foucaults Analysen zur Gouvernementalität des Neoliberalismus und Lessenichs Theoriemodell des Neosozialen, sozialpolitische Entwicklungen und deren Auswirkungen für die Gesellschaft zu untersuchen.

Die sozialwissenschaftliche Bedeutsamkeit dieses Themas leitet sich dabei zum Einen aus den genannten politischen Abgrenzungsentwicklungen und zum Anderen aus der Etablierung neuer gesellschaftlicher Ansprüche sowie dem Umgang mit diesen ab.

Im ersten Kapitel sollen zunächst Foucaults Gouvernementalitätsstudien dazu dienen, das neoliberale System zu erklären, welches die Bedingung für die Analyse des Neosozialen darstellt. Hierbei wird nach einer kurzen Abgrenzung zwischen dem Ordoliberalismus und dem amerikanischen Neoliberalismus insbesondere die Humankapitaltheorie näher erläutert. Anschließend folgt die Darstellung von Stephan Lessenichs Theorie des Neosozialen und deren Entstehung sowie politischen und gesellschaftlichen Umsetzung. Darauf aufbauend, wird sich im nächsten Kapitel mit weiteren Ausprägungen bzw. Abwandlungen und den Folgen des Neosozialen auseinandergesetzt. Dies erfolgt mit Hilfe exemplarischer Beispiele und einer kurzen Analyse des TV-Duells zur Bundestagswahl 2013. All dies mündet in einem Fazit, welches die Erkenntnisse kurz bündelt.

Anspruch dieser Arbeit ist es dabei nicht, die Gesamtheit der Auswirkungen darzulegen, sondern ausschließlich das Theoriekonzept des Neosozialen weiterzuführen und in andere Bereiche zu integrieren, um mögliche Denkanstöße zu zukünftigen Untersuchungen zu geben.

2. Foucaults Gouvernementalitätsstudien zum Neoliberalismus

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, baut Lessenichs Theorie des Neosozialen auf den Erkenntnissen Michel Foucaults auf, welche er in den Gouvernementalititässtudien dargelegt hat. Folglich soll in diesem Kapitel ein Überblick über Foucaults Ausführungen zum Neoliberalismus und der Humankapitaltheorie gegeben werden, da dessen Vermittlung elementare Voraussetzungen für das Verständnis des Neosozialen sind.

2.1 Ordoliberalismus und amerikanischer Neoliberalismus

Spätestens nach Foucaults Analysen zur Gouvernementalität ist klar, dass sich der Begriff der Regierung nicht mehr auf ein Praxisfeld oder auf eine exklusiv politische Bedeutung reduzieren lässt. Vielmehr umfasst der Begriff neben Techniken der Fremdführung auch alle Formen der Selbstführung, die durch Kontrolle, Leitung und Lenkung von Kollektiven oder Individuen entstehen (vgl. Lemke 2001: 110). Folglich lässt sich auch der Begriff des Neoliberalismus, als Form des Regierens, nicht auf eine Ausprägung begrenzen, die sich beispielsweise in der Privatisierung von staatlichen Aufgaben kennzeichnet. Vielmehr wird deutlich, dass sich die neoliberalen Regierungstechniken auch auf die Verhaltensweisen und Denkstrukturen der Menschen ausgewirkt und schließlich verselbständigt haben. Dabei muss jedoch zwischen zwei Ausprägungen des Neoliberalismus unterschieden werden, und zwar zum Einen dem der Ordoliberalen, welcher seinen Ursprung in der sogenannten Freiburger Schule hatte und zum Anderen dem des US-amerikanischen Neoliberalismus der Chicagoer Schule. Denn neben all ihren Gemeinsamkeiten, welche vor allem in der Ablehnung und oppositionellen Haltung gegenüber der keynesianischen Politik zum Ausdruck kommen, bestehen auch deutliche Differenzen zwischen den beiden Schulen (vgl. Foucault 2006: 300).

So waren die Ordoliberalen um Röpke, Rüstow, Böhm und Eucken fest davon überzeugt, dass es sich beim Markt und der Konkurrenz um etwas radikal Antinaturalistisches handelt und es daher der politischen Intervention bzw. einer gegenseitigen Voraussetzung von Staat und Marktwirtschaft bedarf, um ein Funktionieren überhaupt erst zu ermöglichen (vgl. Lemke 1999: 103). So ist weiter zwar eine politisch-institutionelle Strategie ähnlich eines Rahmens notwendig, um negative soziale Phänomene wie die Monopolisierung zu verhindern, gleichzeitig sollen aber alle gesellschaftlichen Kräfte und institutionellen Formen bekämpft werden, welche den freien Markt inklusive seiner möglichen antisozialen Folgen behindern (vgl. ebd.: 106). Ausgerichtet nach diesen Prinzipien gestalteten die Ordoliberalen 1945 maßgeblich die "Soziale Marktwirtschaft" der Bundesrepublik Deutschlands mit.

Der US-amerikanische Neoliberalismus wurde hingegen von der Chicagoer Schule geprägt, welche im Staatsinterventionismus vor allem eine Gefährdung der individuellen Rechte und freien Märkte sah. Aber insbesondere in Sachen Gesellschaftspolitik unterschieden sich die Ordoliberalen und die Chicagoer Schule deutlich. So sahen die Ordoliberalen immer eine strikte Differenz zwischen Ökonomie einerseits und Sozialem andererseits. Die Chicagoer Schule hingegen wollte diese Differenz immer weiter auflösen und erstrebten stattdessen "eine Neudefinition des Sozialen als eine Form des Ökonomischen" (Lemke 1999: 108). Sie versuchten daher das Analyseschemata des rational-ökonomischen Handelns immer weiter in alle gesellschaftlichen Bereiche zu integrieren. Dies zeigt sich gut in einem Zitat Hayeks, in dem er fordert: "Was wir brauchen ist ein Liberalismus als lebendiger Gedanke". (Hayek 1960 zit. n. Foucault 2006: 305). In diesem Zusammenhang verweist Foucault zudem auf die amerikanische Historie und sieht unter anderem darin eine Erklärung für die Differenz der beiden Neoliberalismusformen (vgl. Foucault 2006: 304).1 Auf welche Art und Weise jedoch die Ausweitung und Universalisierung des ökonomischen Gedankens umgesetzt werden konnte, zeigt sich besonders gut in der Humankapitaltheorie, welche im nächsten Kapitel näher beschrieben werden soll.

2.2 Humankapitaltheorie

Besonders deutlich wird die amerikanisch-neoliberale Denkstruktur und Analysetechnik in der Humankapitaltheorie, in welcher Individuen als Träger von Kompetenzen und Fähigkeiten etc. angesehen werden. Diese Fähigkeiten und Kompetenzen können in der Folge akkumuliert und gegebenenfalls als Mittel zur Einkommensgenerierung verwendet werden. Dabei gibt es einerseits angeborene Elemente des Humankapitals, wie beispielsweise die Gene und andererseits angeeignete Elemente des Humankapitals, wie beispielsweise Sprachkompetenzen und Bildungsabschlüsse (vgl. Foucault 2006: 315 ff.). Investitionsmöglichkeiten bestehen jedoch durch die Weitergabe an seine Nachkömmlinge in beiden Elementgruppen. So kann zum Beispiel durch eine gezielte Partnersuche, welche gute Gene oder ein hohes Einkommen des Partners voraussetzt, eine Investition in das Humankapital der Nachkommen getätigt werden (vgl. ebd.: 317 ff.). Der Mensch wird in diesem Sinne als Homo Oeconomicus verstanden, als Unternehmer seiner selbst, " der für sich sein eigenes Kapital ist, sein eigener Produzent, seine eigene Einkommensquelle" (Foucault 2006: 314).

In diesem Sinne können alle einst von Pierre Bourdieu genannten Kapitalformen als Elemente des Humankapitals gerechnet werden. Das bedeutet, dass beispielsweise Investitionen in kulturelles, soziales oder symbolisches Kapital getätigt werden können. Es kann somit jedwede Handlung als eine Investition in Humankapital angesehen werden, selbst die Zuneigung und das Interesse der Eltern zu ihrem Kind. Durch diese Analyse- bzw. Denkstruktur kommt es zu einer Rationalisierung in allen Gesellschaftsbereichen und einer Universalisierung der Marktmechanismen (vgl. Bröckling 2002: 7).2

Dabei sehen die Humankapitaltheoretiker ihre Analysen in einem rein deskriptiven Licht. Sie sagen, dass sie den Menschen nicht vorgeben wollen wie sie ihr individuelles und soziales Leben ökonomisch gestalten sollen und hegen auch keinen normativen Anspruch. Vielmehr sagen sie, dass der Mensch ohnehin ein Rational-Choice Akteur ist, der in jeder Situation zwischen mindestens zwei Alternativen wählt, die es auf Kosten und Nutzen abzuwägen gilt und dass der Mensch dies auch schon immer tat (vgl. Bröckling 2003: 17). Durch diese Perspektive wird der Mensch jedoch gleichzeitig zu dem Marktsubjekt, durch welches er beschrieben wird, wie Bröckling im Folgenden näher erläutert: "In dieser disziplinären Perspektivierung steckt jedoch zugleich eine praktische Disziplinierung: Wenn es kein Verhalten gibt, daß sich nicht in Kosten-Nutzen- Kalkülen beschreiben ließe, dann haben die Menschen gar keine andere Wahl, als in all ihren Handlungen Wahlentscheidungen zu treffen. Der ökonomische Ansatz adressiert sie immer schon als jene nutzenmaximierenden Marktsubjekte, sichzu denen sie erst gemacht werden und selbst machen sollen." (Bröckling 2003: 18).

In dem theoretischen Modell steckt daher mehr als eine rein deskriptive Erklärung. So wird ein Handlungstypus dargestellt, der wirtschaftlichen Erfolg verspricht und darüberhinaus noch anthropologisch begründet ist. Es wird somit ein Lebensführungsprogamm und Subjektivierungsmodell angeboten, an dem es sich zumindest implizit bestmöglich zu orientieren gilt (vgl. Bröckling 2002: 14).

Die implizite Forderung zum unternehmerischen Selbst zu werden, findet daher nicht im Namen einer zentralen Autorität bzw. eines Souveräns statt, welches gezielt gestürzt werden könnte, sondern sie ist eingebettet in einer Vielzahl an unterschiedlichsten Programmen des Regierens und Sich-Selbst-Regierens (vgl. Bröckling 2002: 8 ff.).3

[...]


1 Der Liberalismus Amerikas ist stattdessen eine ganze Seins- und Denkweise. (...) Er ist außerdem eine Denkmethode, ein ökonomisches und soziologisches Analyseraster." (Foucault 2006: 304)

2 Diese Analysestruktur schließt im übrigen auch die Kriminalität mit ein. Individuen, die ein Verbrechen begehen, wird somit kein psychologisches Defizit oder ähnliches unterstellt wie es noch beim Homo criminalis der Fall war. Ihre Handlungen werden stattdessen als rationale Entscheidung bewertet, in der sie sich dem Risiko der Kosten und Nutzen bewusst sind (vgl. Foucault 2006: 346 ff.)

3 Anleitungen, wie man sein Leben am besten managet und zum Unternehmer seiner Selbst wird, findet man daher auch nicht in den Texten der Humankapitaltheoretiker wie von Mises oder Schumpeter, sondern "vielmehr in populären Ratgebern wie Selbstmanagement. Machen Sie aus sich die ICH AG oder Soloing. Die Macht des Glaubens an sich selbst." (Bröckling 2002:8)

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Etablierung neosozialer Regierungstechniken und ihre Auswirkungen für die Gesellschaft
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V490081
ISBN (eBook)
9783668971752
ISBN (Buch)
9783668971769
Sprache
Deutsch
Schlagworte
etablierung, regierungstechniken, auswirkungen, gesellschaft
Arbeit zitieren
Daniel Burghardt (Autor:in), 2014, Die Etablierung neosozialer Regierungstechniken und ihre Auswirkungen für die Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/490081

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