Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Grundprinzipien und Ziele des Sozialstaats
1.1. Implikationen im Grundgesetz
1.2. Ziele und Aufgaben des Sozialgesetzbuches I
1.3. Allgemeine Sozialstaatsziele
2. Arbeitsmarktpolitischer Diskurs
2.1. Allgemeine Arbeitsmarktpolitik
2.2. Nachfrageorientierte Arbeitsmarktpolitik
2.3. Angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik.
2.4. Der „dritte Weg“: Die aktivierende Arbeitsmarktpolitik
3. Beschäftigungskrise und Aktivierung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
3.1. Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt zwischen 1990 und 2005
3.2. Neuausrichtung der sozialdemokratischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
3.3. Die Agenda 2010
3.3.1. Hartz-I und Hartz-II
3.3.2. Hartz III
3.3.3. Hartz IV
3.4. Evaluation der Agenda-Politik
3.4.1. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
3.4.2. Die Auswirkungen auf die Sozialordnung
3.4.3. Frühzeitige Nachbesserung oder Abschaffung unwirksamer Instrumente
Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsteil
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
Seit der Wiedervereinigung 1990 stieg die Zahl der Arbeitslosen kontinuierlich an, bis zu ihrem Höhepunkt 2005, als fast fünf Millionen Menschen von Arbeitslosigkeit in Deutschland betroffen waren. Die damaligen Regierungen standen vor der Aufgabe dieses Problem zu lösen. Denn die Massenarbeitslosigkeit hatte nicht nur Folgen für jene Arbeitslose, sondern auch für die Tragfähigkeit der Sozialsysteme und für die gesamtwirtschaftliche Stabilität Deutschlands. Die zweite rot-grüne Regierung von 2002 bis 2015 unter Kanzler Schröder wollte mit der Agenda 2010 den Reformstau des Sozialstaats aufbrechen und die Arbeitslosigkeit in Deutschland drastisch verringern. Man sprach damals von einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik und einer Aktivierung des Sozialstaats. Ziel war es, den Arbeitsmarktakteuren – allen voran die Arbeitslosen und Arbeitnehmer – mehr Eigenverantwortung zu übertragen. Damit vollzog sich Anfang der 2000er Jahre eine Abkehr von der traditionellen sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialpolitik und baute die deutsche Sozialordnung um.
Doch wie wurde das Konzept des aktivierenden Sozialstaats in Deutschland durchgesetzt? Inwieweit hat die Aktivierung des Sozialstaats es geschafft die Arbeitslosigkeit zu verringern und für welchen Preis? Diese Fragen werden in der vorliegenden Hausarbeit erörtert. Dabei werden im ersten Schritt die Grundprinzipien und Ziele des deutschen Sozialstaats erläutert und die Aufgaben und Grenzen der Arbeits- und Sozialpolitik aufgezeigt (Kapitel 1). Im zweiten Schritt werden einige arbeitsmarktpolitische Instrumente dargestellt und die verschiedenen Ansätze zur Gestaltung von Arbeitsmarktpolitik vorgestellt (Kapitel 2). In Kapitel 3 wird zuerst der Hintergrund und die Vorgeschichte zur Agenda 2010 erörtert und anschließend die Agenda selbst sowie ihre Folgen auf die deutsche Arbeitsmarkt- und Sozialordnung beschreiben.
Dabei wird es hauptsächlich um die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen zwischen 2002 und 2005 gehen und nur in der Peripherie um deren Vor- und Nachläufer. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit sämtlichen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen, die im Zuge der Aktivierung stattfanden, würden den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen. Auch die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zwischen 1990 und 2017 werden aus diesem Grund nur grob beschrieben.
1. Grundprinzipien und Ziele des Sozialstaats
Um in das Thema einzusteigen, inwieweit es der Sozialstaat vermag, die Arbeitslosigkeit durch Aktivierung zu verringern oder vorzubeugen, bedarf es zuvor der Erläuterung welche Grundprinzipien und Ziele der Sozialstaat dabei verfolgt. Auch trägt diese Erläuterung zur Klärung der Frage bei, inwiefern der aktivierende Sozialstaat diesen Grundprinzipien und Zielen Rechnung trägt. Im folgenden Kapitel werden daher sozial- und arbeitsrelevante Implikationen des Grundgesetzes erörtert (Kap. 1.1), eine kurze Einführung in das Sozialgesetzbuch I (Kap. 1.2) gegeben, sowie allgemein ableitbare Sozialstaatsziele erläutert (Kap. 1.3).
1.1 Implikationen im Grundgesetz
Der wohl grundlegendste Artikel zur Definierung der Bundesrepublik als Sozialstaat ist Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Bundeszentrale für politische Bildung, 2011, S. 22). Jedoch sagt dieser Artikel nicht viel über die materiellen Sozialrechte der Bürger aus. Daher sorgte er bereits in der frühen Bundesrepublik für Kontroversen unter Staatsrechtlern (Neumann/Schaper, 2008, S. 47). Ein weiterer wichtiger staatsorganisatorischer Artikel mit ähnlicher Aussagekraft ist der Art. 28 Abs. 1, der das Sozialstaatsprinzip unterstreicht (Neumann/Schaper, 2008, S. 47).
Abseits des staatsorganisatorischen Aufbaus der Bundesrepublik, stehen im Grundgesetz in den Grundrechten (Art. 1 bis 19) einige Sozialrechte. Diese seien nach Auffassung von Neumann und Schaper die folgenden Artikel (Neumann/Schaper, 2008, S. 48): Art. 9 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1-2 und Art. 12 Abs. 1, wobei an dieser Stelle die Erwähnung des zweiten Absatzes ebenfalls sinnvoll wäre, der nicht von Neumann und Schaper einbezogen wurde: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht“ (Bundeszentrale für politische Bildung, 2011, S. 16).
Ein weiterer wichtiger Grundrechtsartikel ist Art. 1 Abs. 1 des GG, der den Staat für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde verantwortlich macht (Bundeszentrale für politische Bildung, 2011, S. 13). Inwiefern dieser eine wichtige Rolle einnimmt, wird in Kapitel 3.4.2 und im Fazit noch geklärt.
Dagegen nicht im Grundgesetz aufgenommene Sozialrechte, so schreiben Neumann und Schaper weiter, seien etwa das Recht auf Sozialhilfe, das Recht auf Mitbestimmung am Arbeitsplatz, das Streikrecht oder das Recht auf Arbeit. Diese wurden nur zum Teil in einigen Länderverfassungen aufgenommen, finden sich in internationalen Vereinbarungen (Neumann/Schaper, 2008, S. 49-50) oder den Sozialgesetzbüchern wieder (Neumann/Schaper, 2008, S. 48).
1.2 Ziele und Aufgaben des Sozialgesetzbuches I
1976 wurde das erste Sozialgesetzbuch (SGB I) verfasst, in dem die bedeutendsten Sozialleistungsrechte zusammengefasst wurden. Es ist der sogenannte ‚Allgemeine Teil‘. Der sogenannte ‚Besondere Teil‘ besteht aus den konkreten Sozialrechten und ist aufgeteilt in den Sozialgesetzbüchern II-XII (Neumann/Schaper, 2008, S. 48). § 1 Abs. 1 des SGB I beschreibt die Aufgaben und Ziele des Sozialgesetzbuches:
„Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.“
(Voelzke/Schlegel, 2012, S. 1)
Neumann und Schaper haben diesen sowie die §§ 2 bis 10 des SGB I hervorgehoben, weil sie grundlegend für die Sozialordnung der Bundesrepublik sind. In den §§ 2 bis 10 werden die sozialen Rechte, der Anspruch auf soziale Sicherung, Entschädigung und Förderung beschrieben. Ihre Konkretisierung findet sich allerdings in den sie betreffenden SGBs. Die §§ 13 bis 15 helfen dem Einzelnen bei der Durchsetzung des Rechtsanspruchs. Dort werden alle Leistungsträger verpflichtet aufzuklären, zu beraten und Auskunft zu geben (Neumann/Schaper, 2008, S. 49).
1.3 Allgemeine Sozialstaatsziele
Neumann und Schaper leiten aus den deutschen Verfassungsnormen und den von Deutschland ratifizierten internationalen Verträgen (etwa der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der europäischen Sozialcharta oder internationalen Arbeitsübereinkommen) zwei übergeordnete Sozialstaatsziele ab: Das Sicherungs- und das Verteilungsziel (Neumann/Schaper, 2008, S. 47-50).
Angesichts abnehmender Versorgungszusammenhänge durch die Transformation von Institutionen wie der Familie, wächst die strukturelle Abhängigkeit in modernen Gesellschaften. Diese wachsende strukturelle Abhängigkeit soll durch das Sicherungsziel – in Form von sozialen Sicherungssystemen – abgefedert werden (Neumann/Schaper, 2008, S. 50).
Das Verteilungsziel orientiert sich dagegen an soziale Gerechtigkeitsvorstellungen und beinhält wiederum die Teilziele Chancengleichheit und materielle Teilhabe für jedes Gesellschaftsmitglied gemessen an dem gesellschaftlichen Wohlstand (Neumann/Schaper, 2008, S. 50).
2. Arbeitsmarktpolitischer Diskurs
Die Bedeutung des Arbeitsmarktes und damit auch der Arbeitsmarktpolitik für einen modernen marktwirtschaftlichen Sozialstaat wie Deutschland unterstreicht Frank Pilz (Pilz, 2009, S. 153). Demnach kann die Zunahme von Arbeitslosigkeit eine Abwärtsspirale in der Beschäftigungsentwicklung verursachen. Das liegt daran, dass die Beschäftigungsquote und die Lohnnebenkosten interdependent sind. Die Lohnnebenkosten sind wiederum von der Höhe der Sozialbeiträge abhängig: Bei abnehmender Beschäftigung wird z.B. die Arbeitslosenversicherung zunehmend belastet und muss ihr Defizit durch steigende Beiträge ausgleichen, welche wiederum die Lohnnebenkosten erhöhen. Das Gleiche gilt für die übrigen Zweige der Sozialversicherung, die stark von den Einkommen der Beschäftigten abhängen. Unternehmen, deren steigende Lohnnebenkosten gegen deren Marktaustrittsschwelle tangieren, verlassen i.d.R. den Markt und setzen dadurch mehr Arbeitskräfte frei. (Pilz, 2009, S. 153)
Daher hat die Arbeitsmarktpolitik einen besonderen Stellenwert für die soziale und wirtschaftliche Stabilität eines Sozialstaats. Dieses Kapitel dient der Kontextualisierung für die in Kapitel 3 noch zu behandelnde Umsetzung der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik und den damit verbunden Fragen, welche Ansätze bereits in der Vergangenheit verfolgt wurden und welche gescheitert sind.
Im Folgenden werden daher die Grundzüge der Arbeitsmarktpolitik vorgestellt (Kap. 2.1), der Diskurs zwischen Befürwortern der nachfrageorientierten (Kap. 2.2) und denen der angebotsorientierten Arbeitsmarktpolitik (Kap. 2.3) beschrieben. Darauf folgt die Durchsetzung des sogenannten „dritten Weges“ – der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik – im Zuge der ersten rot-grünen-Koalition von 1998 bis 2002 (Kap. 2.4).
2.1 Allgemeine Arbeitsmarktpolitik
Die (allgemeine) Arbeitsmarktpolitik, so schreibt Pilz, „[…] umfasst alle staatlichen und sozialpartnerschaftlichen Aktivitäten, institutionellen Regelungen und Aufwendungen, die […]“ (Pilz, 2009, S. 172) passiv und aktiv in die Arbeitsvermittlung (‚Matching‘) einbezogen sind. Die passive Arbeitsmarktpolitik besteht aus mehreren Transferleistungen, die an arbeitslosgemeldete Personen gezahlt werden. Die Arbeitslosenversicherung ist der Hauptakteur. Die „Wesentliche[n] Gestaltungsfaktoren der Arbeitslosenversicherung sind die Bemessungsbasis, der Leistungssatz, die Besteuerung, die Dauer der Leistungsgewährung und die Anspruchsbedingungen für den Bezug von Arbeitslosenunterstützung“ (Pilz, 2009, S. 172-173).
Dagegen besteht die Hauptaufgabe der aktiven Arbeitsmarktpolitik darin, zwischen Nachfrage und Angebot von (verschiedenen) Arbeit(-squalifikationen) zu vermitteln, um einem sogenannten ‚Mismatch‘ vorzubeugen. Ein Mismatch tritt eben dann auf, wenn die Nachfrage und das Angebot an Arbeit(-squalifikationen) nicht kompatibel sind, oder aufgrund schlechter Vermittlungsqualität nicht zusammentreffen. Dieses Mismatch-Problem tritt vermehrt auf unter geringqualifizierten Personen, Jugendlichen und körperlich und/oder geistig Beeinträchtigten. Die aktive Arbeitsmarktpolitik umschließt dabei mehrere unterschiedliche Instrumente: Da wären neben der „Beratung, Betreuung und Vermittlung von Arbeitslosen“ (Pilz, 2009, S. 174) die beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen (die auch für Arbeitnehmer angeboten werden), Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen sowie die „(Lohn- )Subventionierung von Arbeitsplätzen zur Eingliederung in reguläre Beschäftigung durch Leistungen an Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ (Pilz, 2009, S. 174).
2.2 Nachfrageorientierte Arbeitsmarktpolitik
Im Folgenden werden die Schwerpunkte und Ansätze der nachfrageorientierten Arbeitsmarktpolitik erörtert. Die nachfrageorientierte Arbeitsmarktpolitik entstammt dem keynesianischen Konzept der antizyklischen Globalsteuerung.
Pilz schreibt, dass die Vertreter einer nachfrageorientierten Arbeitsmarktpolitik daran festhalten, der Staat könne durch finanzpolitische Instrumente die Beschäftigungsentwicklung in ihrer Struktur und Größenordnung beeinflussen. Die dazu hauptsächlich verwendeten Instrumente sind die Staatsausgaben, die Steuereinnahmen und die Staatsverschuldung. Dabei muss der globalsteuernde Staat in einer Marktwirtschaft aus ordnungspolitischen Gründen darauf achten, innerhalb festgesetzter Grenzen zu intervenieren, um keine einseitigen Wettbewerbsvorteile oder -Nachteile für bestimmte Marktakteure zu schaffen. Bei der Anhebung des Beschäftigungsniveaus setzen die Vertreter der nachfrageorientierten Arbeitsmarktpolitik v.a. auf Staatsausgaben, statt auf Steuersenkungen, da die Staatsausgaben einen direkten Einfluss haben. Dabei wird zwischen konsumtiven und investiven Staatsausgaben unterschieden. Konsumtive Ausgaben sind beispielsweise Sozialtransfers, die einen eher schwachen Einfluss auf das Beschäftigungsniveau haben und vielmehr aus anderen politischen Gründen getätigt werden. Denen gegenüber stehen investive Ausgaben, wie etwa der Infrastrukturausbau, der einen ganz unmittelbaren Einfluss auf das Beschäftigungsniveau und seiner -Struktur hat. Darüber hinaus haben investive Ausgaben wegen ihrer weiterreichenden Einkommens-, Investitions- und Beschäftigungsimpulse einen sogenannten Multiplikatoreffekt. (Pilz, 2009, S. 171).
Die Anhänger der nachfrageorientierten Arbeitsmarktpolitik fordern, so schreibt Pilz, in konjunkturell schlechten Zeiten, einen rascheren Ausbau der Infrastruktur. Sie vermuten, dass ein solcher Ausbau in Kombination mit einer abgestimmten Lohn- und Geldpolitik, sowie ein Transfer von Beschäftigten in eine effizientere Beschäftigungsstruktur, maximale Beschäftigungseffekte zur Folge hätte. Sie erwarten darüber hinaus, dass neben den quantitativen Effekten auf die Beschäftigung und das Wachstum auch qualitative Auswirkungen hinzutreten. So z.B. ein ökologisch nachhaltigeres und höherwertigeres Angebot an Waren und Dienstleitungen, höherer Technologie und einem verstärkten Wettbewerb. Für die Umsetzung dieser genannten Interventionen sind die Verfechter nachfrageorientierter Arbeitsmarktpolitik bereit, die Staatsschulden zu erhöhen. Ihrer Auffassung nach würde ein frühzeitiger und nachhaltiger Ausbau der Infrastruktur dafür sorgen, dass Zukunftsinvestitionen sich mittelfristig auch für den Staatshaushalt auszahlen würden. (Pilz, 2009, S. 172)
Neumann und Schaper erklären, dass bis in die 1970er Jahre die deutsche Wirtschaftspolitik wie auch die vieler westlicher Staaten vom Keynesianismus geprägt war (Neumann/Schaper, 2008, S. 131). Jedoch es vermochte die keynesianische Wirtschaftspolitik nicht, die ab den 1970ern (v.a. ab der Ölkrise von 1973/74) zunehmende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das Stabilitätsgesetz von 1967 und das Arbeitsförderungsgesetz von 1969 verloren mit der Zeit ihre Wirkung und waren den neuen Herausforderungen nicht gewachsen. Das keynesianische Modell der nachfrageorientierten Konjunkturpolitik geriet weltweit durch angebotsorientierte bzw. neoklassische Theoretiker in die Kritik. Jedoch argumentieren Keynesianischer, dass ohne die weitangelegten staatlichen Konjunkturprogramme Anfang der 1970er Jahre die Arbeitslosenzahl Ende der 1970er weit über eine Million in der BRD angestiegen wäre. Allerdings räumen selbstkritische Keynesianer ein, dass es noch auszubessernde Konzepte in der Globalsteuerung gab. Zum Beispiel eine besser abgestimmte Fiskal- und Geldpolitik. Jedoch sei dies wegen der zu vorsichtig betriebenen Geldpolitik der Deutschen Bundesbank nicht möglich gewesen. Des Weiteren sahen sie im deutschen Föderalismus zeitliche Barrieren für eine gemeinsam abgestimmte Globalsteuerung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Das Hauptproblem in vielen damals keynesianisch geprägten Volkswirtschaften war jedoch die Lohn-Preis-Spirale. Sie ergab sich aus der Vollbeschäftigung, die durch die Globalsteuerung begünstigt wurde. Die Vollbeschäftigung sorgte ihrerseits für anschwellende Inflationsraten (In den USA und im Vereinigten Königreich sogar im zweistelligen Bereich). Das auszuhandelnde Dilemma des sogenannten Phillipskurven-Zielkonflikts war also: Entweder Vollbeschäftigung oder Bekämpfung der Inflation (Neumann/Schaper, 2008, S. 130- 131).
2.3 Angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik
Im Folgenden werden nun die Schwerpunkte und Ansätze der angebotsorientierten Arbeitsmarktpolitik erörtert. Die angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik folgt dem klassischen bzw. dem neoklassischen Wirtschaftskonzept.
Besondere Bedeutung für angebotsorientierte Arbeitsmarktstrategien hat nach Pilz die Höhe der Lohnstückkosten (Verhältnis von Arbeitsproduktivität zum Lohnsatz) und der prozentuale Anstieg der Löhne, sowie die Zunahme der Arbeitsproduktivität. Angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitiker sehen also für die Erreichung einer höheren Beschäftigungsquote lediglich die Notwendigkeit, den Anstieg der Lohnstückkosten unterhalb des Anstiegs der Produktivität zu halten. Sollte der Anstieg beider etwa gleichhoch sein, so würde das an der Beschäftigungszahl kaum etwas ändern. Die zusätzlich erwirtschaftete Wohlfahrt würde lediglich zwischen Arbeitnehmern und -gebern aufgeteilt. Für den Fall, dass die Löhne über die Zunahme der Arbeitsproduktivität hinauswachsen, entstehen Opportunitätskosten für die Unternehmer, was wiederum ihre Investitionskapazitäten schwächt. Damit ginge ein potenzieller Beschäftigungsanstieg verloren (Pilz, 2009, S. 167-168). Zudem fordern Befürworter der angebotsorientierten Arbeitsmarktpolitik, dass die Tarifverträge dahingehend flexibilisiert werden, dass die Betriebe auch Löhne nach Leistung und Erfolgsbeteiligung der einzelnen Arbeitnehmer zahlen können. Damit würde etwa deren individuelle Arbeitsproduktivität gesteigert und der Wettbewerb unter ihnen angefacht werden. Diese Forderungen bzgl. der Flexibilisierung der Tarifverträge richten sich jedoch nicht an den Gesetzgeber, sondern an die Tarifparteien selbst (Pilz, 2009, S. 170).
Neumann und Schaper erläutern wie folgt die Ablösung der keynesianischen Vorherrschaft durch die (neo-)liberale. Nach der zweiten Ölkrise von 1979/80 wurde die nachfrageorientierte Arbeitsmarktpolitik des Keynesianismus durch die angebotsorientierte Neoklassik in der sogenannten ‚neoliberalen Wende‘ abgelöst (Neumann/Schaper, 2008, S. 131). Im Vereinigten Königreich und in den USA nahm die neoliberale Wende aber weitaus größere Ausmaße an, als in der BRD. Dabei zu beachten ist, dass in der BRD eine Mischung aus Neoklassik und Keynesianismus weiter fortbestand. Zur bisherigen keynesianischen Globalsteuerung kam lediglich der neoklassische Ansatz hinzu, staatliche Eingriffe in die Marktgeschicke abzubauen (Neumann/Schaper, 2008, S. 133-134).
Die neoliberale Wende hatte zur Konsequenz, dass die Staatsausgaben v.a. im Bereich der Konjunkturpolitik rückläufig wurden. Das Ziel war, dadurch die Staatsschulden abzubauen. Die Staatsausgaben wurden auf die wirtschaftspolitisch relevanten Aufgaben, wie etwa dem Infrastrukturausbau beschränkt. Darüber hinaus hatte die neoliberale Wende zur Folge, dass der Staatshaushalt durch Abbau der Bürokratie einerseits entlastet wurde und andererseits durch den Rückbau der Regulierungen am Arbeitsmarkt und den Steuersenkungen an Einnahmen verlor. Die Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt bedeutete auch, dass die Löhne in den weniger produktiven Arbeitsverhältnissen, sanken (Neumann/Schaper, 2008, S. 131- 132).
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