Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen zu den Rückstellungen
2.1 Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
2.2 Innenverpflichtungen
2.3 Außenverpflichtungen
3 Handelsrechtliche Kriterien zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten
3.1 Zwecke der Handelsbilanz
3.2 Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
3.3 Ansatzkriterien dem Grunde nach
3.4 Ansatzkriterien der Höhe nach
4 Steuerrechtliche Kriterien zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten
4.1 Zwecke der Steuerbilanz
4.2 Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz
4.2.1 Materielle Maßgeblichkeit
4.2.2 Formelle und umgekehrte Maßgeblichkeit
4.3 Steuerrechtliche Sonderregelungen
4.4 Ansatzkriterien für Rückstellungen der Höhe nach
5 Handelsrechtliche und Steuerrechtliche Ansatzkriterien bei Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Gegenstand dieser wissenschaftlichen Arbeit sind die Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Zentraler Ausgangspunkt sind die Divergenzen zwischen den handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften. Dazu gehört die Problematik der rechtlichen Entstehung und wirtschaftlichen Verursachung, welche im Verlauf der Arbeit bearbeitet wird.
Einführend erfolgt eine Beschreibung des Begriffes Rückstellungen und der unterschiedlichen Rückstellungsarten. Mit Blick auf den Sachverhalt werden in diesem Abschnitt einige Grundlagen beschrieben. Im weiteren Verlauf werden die handelsrechtlichen Kriterien und Zwecke einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten erläutert. Ein Hauptaugenmerk wird auf die „Ansatzkriterien dem Grunde nach“ gelegt, da diese den Schwerpunkt der Arbeit repräsentieren. Dabei geht es primär um die rechtliche Entstehung und wirtschaftliche Verursachung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Anschließend werden die steuerrechtlichen Kriterien und Zwecke explizit geschildert, angeführt von der Maßgeblichkeit, welche die Prämisse zur Rückstellungsbildung in der Steuerbilanz darstellt. Für die „Ansatzkriterien dem Grunde nach“ existieren dazu steuerrechtliche Sondervorschriften.
Der Fokus der wissenschaftlichen Arbeit bildet die nachfolgende steuerrechtliche und handelsrechtliche Bewertung des Ansatzes von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Im Verlaufe der Zeit sorgte diese Thematik im Bundesfinanzhof für zahlreichen Gesprächsstoff. Kontrastierte Urteile, die sich widersprechen und verschiedene Instanzen des Bundesfinanzhofes, die zu keiner Einigung bezüglich rechtlicher Entstehung und wirtschaftlicher Verursachung gelangen. Diese Unstimmigkeiten werden im Verlauf der Arbeit akzentuiert und ersichtlich analysiert.
Resultat der nachfolgenden Ausarbeitung ist ein weiterhin herrschender Dissens für die rechtliche Entstehung und wirtschaftliche Verursachung im Prozess der Rückstellungsbildung. Eine einvernehmliche Problembewältigung dieser Thematik ist in Sicht, da sich der Bundesfinanzhof sukzessive Richtung erfolgreicher Lösung des Problems nähert.
Die wissenschaftliche Arbeit wird mit einem kritischen Fazit geschlossen und abgerundet.
2 Grundlagen zu den Rückstellungen
Rückstellungen sind in der heutigen Zeit ein sehr probates Mittel für Unternehmen. Sobald diese eine Verbindlichkeit aufzuweisen haben, welche nach ihrem Bestehen oder der Höhe nach ungewiss ist, muss eine Rückstellung gebildet werden. In diesem Kapitel wird einleitend das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz erläutert. In diesem gab es einige hinreichende Änderungen in Bezug auf Rückstellungen. Daraufhin werden die verschiedenen Arten von Rückstellungen beschrieben und abschließend wird auf Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten eingegangen, welche den Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit darstellen.
Eine Rückstellung ist eine zukünftige Ausgabe des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, welche der Höhe nach ungewiss und am betreffenden Bilanzstichtag noch unbekannt ist. Somit muss die exakte Höhe der Rückstellung genau geschätzt und berechnet werden.1 Prinzipiell rechnet man mit der Inanspruchnahme der Rückstellung. Aus diesem Grund sind sie für die Erfolgsermittlung und Periodenabgrenzung eines Unternehmens unerlässlich. Rückstellungen werden in der Handelsbilanz und Steuerbilanz auf der Passivseite der Bilanz abgebildet.2
Aufgrund des Gebotes der Vollständigkeit der Bilanz sowie des handelsrechtlich maßgeblichen Vorsichtsprinzips müssen auf der Passivseite der Bilanz zwingend bisher nicht realisierten Vermögensminderungen ausgewiesen werden. Mithilfe des Ansatzes für Rückstellungen kommt es zu einer periodengerechten Zuordnung des Aufwands.3 Bei einer Bildung von Rückstellungen müssen von vornherein bestimmte Bedingungen explizit überprüft werden. Existieren im Handelsrecht gewisse Gebote bezüglich einer Rückstellung, bleiben diese ebenfalls für das Steuerrecht bestehen. Allerdings nur unter der Annahme, dass das Steuerrecht diesen Punkten nicht widerspricht.4 Bilanzrechtlich und Steuerrechtlich lassen sich Rückstellungen und Verbindlichkeiten unter dem Oberbegriff „Schulden“ zusammenfassen.5
2.1 Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
Am 28. Mai 2009 wurde im Bundesgesetzblatt6 das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) veröffentlicht. Dieses stellte eine bedeutsame Reform in der Geschichte des deutschen Bilanzrechts dar. Das BilMoG wurde als klassisches Artikelgesetz herausgebracht und sorgte vor allem im Handelsrecht und Steuerrecht für erhebliche Veränderungen.7
Die angestrebten Hauptziele waren die Eigenständigkeit, Kostengünstigkeit und das einfachere Regelwerk für das reformierte HGB. Weitere Ziele des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes bestanden aus der Kostensenkung für die Unternehmen und einer Internationalisierung der nationalen Abschlüsse. Hierdurch konnte die Aussagekraft des HGB Abschlusses enorm gesteigert werden. Das Unternehmen wurde international wettbewerbsfähiger und sparte sich somit eine teure Umstellung auf die IFRS-Rechnungslegung.8 Zudem sollte eine HGB-Modernisierung erreicht werden. Dies geschah, indem man einige Wahlrechte im HGB bereinigt hatte, welche nicht mehr den derzeitigen Vorstellungen entsprachen. Die Grundfunktionen der Steuerbemessungsfunktion und Ausschüttungsbemessung blieben erhalten.9
Zu den wesentlichen Neuerungen vom BilMoG zählt die Aufhebung der umgekehrten Maßgeblichkeit. Diese, stets als Fremdkörper wirkende Regelung, konnte abgeschafft werden.10 Die Folge war, dass die widrigen Wahlrechte für die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, die bisher in die Handelsbilanz mit eingeflossen waren, fortan keine Rolle mehr spielten. Aufgrund dieser Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit kam es zu einer Stärkung des Vorsichtsprinzips, was eines der Hauptziele des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes darstellte.11 Die materielle Maßgeblichkeit vom Handelsrecht für das Steuerrecht blieb bestehen. Allerdings könnten, aufgrund des Wegfalls der umgekehrten Maßgeblichkeit, nun prägnante Unterschiede zwischen der Bewertung nach Handelsbilanz und Steuerbilanz auftreten.12
Das Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes führte zu erheblichen Änderungen bei der Bilanzierung von Rückstellungen (Art. 66 Abs. 3 Satz 1 EGHGB). Hierbei kam es zu einer Aufhebung zweier Wahlrechte für Aufwandsrückstellungen. Einerseits wurde §249 Abs. 1 Satz 3 HGB a.F. gestrichen, nach diesem durfte eine Rückstellung für eine unterlassene Instandhaltung gebildet werden, wenn man diese innerhalb eines Geschäftsjahres nachgeholt hatte. Andererseits wurde §249 Abs. 2 HGB a.F. aufgehoben. Der Inhalt bestand darin, dass man Rückstellungen ihrer Eigenart nach genau umschriebener, dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnende Aufwendung bildete, die am Abschlussstichtag wahrscheinlich oder sicher war, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt war.13 Durch diese in der Vergangenheit mögliche Passivierung kam es zu einer irreführenden Darstellungsweise der Ertragslage, da die Zuweisung der Aufwendungen nicht periodengerecht stattfand.14
Die handelsrechtliche Rechnungslegung näherte sich, durch die Änderung im BilMoG, weiter an die IFRS-Rechnungslegung an, denn nach dieser sind sämtliche Innenverpflichtungsrückstellungen unzulässig.15 Zudem verbesserten sich die Voraussetzungen für die Eigenkapital- und Fremdkapitalbeschaffung, da sich die Eigenkapitalbasis des Unternehmens ausdehnt. Diese beiden Vorschriften hatten vor dem BilMoG zu einem Ausweis von Aufwandsrückstellungen geführt, welche den Charakter einer Rücklage besaßen. Durch den Wegfall dieser beiden Absätze verbessert sich seither die Vermögenslage eines Unternehmens.16 Allerdings haben diese Änderungen keinerlei Auswirkungen auf die Steuerbilanz, denn die beiden handelsrechtlichen Wahlrechte bedeuteten ohnehin ein Passivierungsverbot in der Steuerbilanz. Somit nähert sich die Handelsbilanz der Steuerbilanz an.17
Für Rückstellungen existierte zudem erstmals ein generelles Abzinsungsgebot für langfristige Rückstellungen die eine Restlaufzeit von mehr als einem Jahr besitzen. Die Abzinsung erfolgt mithilfe des durchschnittlichen Marktzinssatzes der letzten sieben Geschäftsjahre (§253 Abs. 2 Satz 4 HGB n.F.). Dieser wird von der Deutschen Bank monatlich ermittelt und bekannt gegeben.18
2.2 Innenverpflichtungen
Nach §249 HGB gibt es fünf unterschiedliche Arten von Rückstellungen, die sich in Innen- und Außenverpflichtung unterscheiden lassen. Eine Innenverpflichtung ist eine Rückstellung ohne eine Verpflichtung gegenüber einer dritten Person. Sie basieren auf einer Selbstverpflichtung des entsprechenden Unternehmens zur Verwirklichung spezifischer Maßnahmen in der Zukunft.19
Rückstellungen für Abraumbeseitigung
Hierzu gehören gemäß §249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HGB die Rückstellungen für eine im Folgejahr nachgeholte Abraumbeseitigung. Dabei muss innerhalb von 12 Monaten eine Beseitigung von Erd- oder Gesteinsmassen, die bei dem Abbau von Bodenschätzen im vorigen Geschäftsjahres angefallen sind, nachgeholt werden.20
Rückstellungen für eine unterlassene Instandhaltung
Eine Rückstellung für eine unterlassene Instandhaltung, mit einer Nachholzeit innerhalb von 3 Monaten des Folgejahres, setzt §249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HGB fest.21 Dadurch hat der entsprechende Kaufmann die Instandhaltungsarbeiten auf das neue Jahr verschoben. Gründe liegen im Ausnutzen von Absatzchancen oder dem Überbrücken finanzieller Probleme.22 Möchte man Rückstellungen für sonstige Aufwendungen oder für eine unterlassene Instandhaltung bei Nachholung innerhalb von vier bis zwölf Monaten bilden, dann besteht ein striktes Passivierungsverbot.23
2.3 Außenverpflichtungen
Eine Außenverpflichtung ist eine Rückstellung für ungewisse Verpflichtungen gegenüber einer dritten Person.24
Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
Nach §249 Abs. 1 Satz 1 HGB existieren Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften, welche auch als Drohverlustrückstellungen bezeichnet werden. Sie sind ein Teil des Imparitätsgrundsatzes und in der Handelsbilanz herrscht eine Passivierungspflicht nach Erfüllung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen.25 Ein solches schwebendendes Geschäft existiert, wenn eine zweiseitige vertragliche Beziehung besteht, bei der die Sach- oder Dienstleistung noch aussteht.26 Zudem ist der Zeitliche Umfang des schwebenden Geschäftes zu beachten. Der Beginn des schwebenden Geschäftes beginnt grundsätzlich mit dem Abschluss des Vertrages und endet mit der Erfüllung der Hauptleistungspflicht.27
Das Realisationsprinzip bestimmt die jeweilige Zuordnung aus Aufwendungen und Erträgen aus den vorigen schwebenden Geschäften zum Zeitpunkt der Realisation. Dieser ist in der Regel der Zeitpunkt der Leistungsüberbringung, da ab diesem Zeitpunkt der zufällige Untergang der Ware auf den Konsumenten übertragen wird.28 Letztlich müssen Rückstellungen wegen des Imparitätsprinzips, welches sich aus dem Vorsichtsprinzip ableitet, zu erwartenden, absehbaren und drohenden Verlusten in der Periode der Verursachung am Bilanzstichtag zwingend gebildet werden. Grundsätzlich ist eine Bilanzierung einer Rückstellung aus schwebenden Geschäften nicht zulässig. Sie sind jedoch irrelevant, solange sie ausgeglichen sind. Wenn es zu Nachteilen aus Sicht des Bilanzierenden kommt, kann aufgrund des Imparitätsprinzips, eine Passivierungspflicht die Folge sein.29
Kulanzrückstellungen
Eine weitere Art der Außenverpflichtung ist die Kulanzrückstellung (§249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HGB). Alternativ wird diese auch als Rückstellung einer Gewährleistung ohne rechtliche Verpflichtung bezeichnet. Bei dieser Rückstellungsart liegen weder gesetzliche, noch vertragliche Verpflichtungen vor. Allerdings kann sich der betreffende Unternehmer dieser Verpflichtung aus moralischen, sittlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr entziehen. Ein Grund hierfür kann die Pflege der Kundschaft sein.30
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten
Gemäß §249 Abs. 1 Satz 1 HGB existieren Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Es besteht eine Passivierungspflicht und es muss bis einschließlich des Bilanzierungstages zwingend eine Verpflichtung gegenüber einer dritten Person entstanden sein.31 Es sind zwischen zwei Arten von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu unterscheiden. Einerseits die bürgerlich-rechtliche Verpflichtung, beispielsweise eine künftige Pensionsleistung, Prozesskosten oder Garantieverpflichtungen, andererseits existieren die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, beispielsweise die Nachzahlung einer betrieblichen Steuer oder die Aufwendung für die Erstellung eines Jahresabschlusses.32
Allerdings müssen einige Kriterien für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeit erfüllt werden. Hierzu zählen das Bestehen einer Außenverpflichtung sowie einer Wahrscheinlichkeitserfordernis für die Rückstellung, das Auftreten einer wirtschaftlichen Verursachung oder rechtlichen Entstehung, die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme, die betriebliche Veranlassung und zusätzlich darf es sich nicht um eine aktivierungspflichtige Aufwendung handeln oder ein Passivierungsverbot herrschen.33
Zudem setzt die Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten voraus, dass sowohl das Entstehen, als auch die Inanspruchnahme für den Steuerpflichtigen als wahrscheinlich anzusehen ist. Für einen gewissenhaften und sorgfältigen Kaufmann müssen somit mehr Gründe für die Inanspruchnahme sprechen, als dagegen.34 Zudem stellt sich die Frage der Abzinsung nach §253 Abs. 2 HGB. Dabei ist es für die Rückstellungsbildung unerheblich, ob es sich um eine Sach- oder Geldleistungsverpflichtung handelt oder diese bereits einen Zinsanteil enthält.35
Die Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten stellen den Schwerpunkt der Arbeit dar. Im weiteren Verlauf wird auf die handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Kriterien für den Ansatz einer Rückstellung eingegangen. Zwischen der Handelsbilanz und Steuerbilanz herrschen einige Unklarheiten bezüglich Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Primär herrschen bei der wirtschaftlichen Verursachung oder rechtlichen Entstehung von Rückstellungen enorme Probleme, die im weiteren Verlauf der wissenschaftlichen Arbeit erläutert und analysiert werden.
3 Handelsrechtliche Kriterien zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten
Sowohl im Handelsrecht als auch im Steuerrecht existieren gewisse Kriterien im Zuge einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten. In diesem Kapitel werden die handelsrechtlichen Kriterien der Rückstellungsbildung behandelt. Nachdem auf die Grundlagen und Zwecke der Handelsbilanz eingegangen werden, kommt es zur Erläuterung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Diese stellen die Grundlagen der Bilanzierung im Handelsrecht dar. Daraufhin werden die „Ansatzkriterien dem Grund nach“ und die „Ansatzkriterien der Höhe nach“ behandelt. Hierbei wird der Schwerpunkt auf ersteres gelegt, da diesbezüglich eklatante Unstimmigkeiten im Handelsrecht und Steuerrecht auftreten.
3.1 Zwecke der Handelsbilanz
Die Kaufmannseigenschaft ist ein zentrales Kriterium zur Bildung von handelsrechtlichen Rückstellungen. Eine Rückstellung ist für Kaufleute vorbehalten, die eine freiwillige Bilanzierung bevorzugen oder die Verpflichtung besitzen, eine Bilanz aufzustellen (§242 Abs. 1 HGB).36 Laut Gesetz gibt es keine einheitliche und exakte Definition für Rückstellungen im Handelsrecht. Allerdings bestimmt §249 HGB, ob der Ansatz einer Rückstellung ausdrücklich vorgenommen werden muss, oder ob eine Wahlrechtmöglichkeit besteht. Somit muss man sich zwingend an die gesetzlichen Passivierungsgebote halten, da sonst ein fehlerhafter Jahresabschluss entsteht.37
Bis zum BilMoG bestand die Möglichkeit eine Einheitsbilanz aus Handels- und Steuerbilanz zu erstellen. Danach musste jeder Bilanzierungspflichtige, nach handelsrechtlichen Auslegungen, anstelle der Einheitsbilanz, eine Handelsbilanz bilden. Die einzige Ausnahme besteht in der Bilanzierungsfreiheit (§241a HGB), auch wenn der Kaufmann die Bilanz aus Steuerungszwecken erstellt. Nach Erstellung der Handelsbilanz kann man durch eine Überleitungsrechnung den Gewinn berechnen, der bei der Besteuerung unterstellt wird. Eine Steuerbilanz darf aufgestellt werden, es besteht aber keine Pflicht dazu.38 Das Vorsichtsprinzip ist die zentrale Herangehensweise im Handelsrecht. Daher ist man verpflichtet, vorhersehbare Risiken zwingend zu berücksichtigen.39
In der Realität gibt es dutzende Einzelfälle, die selbst mit einer umfassenden Rechtsvorschrift nicht komplett erfasst und geregelt werden können. Aufgrund dessen agiert der Gesetzgeber mit unbestimmten Rechts- und Gesetzesvorschriften. Es wird dafür gesorgt, dass eine Erläuterung allgemeiner Sachverhalte und Richtlinien für die Allgemeinheit besteht.40 In Bezug auf eine einheitliche Besteuerung oder Informationsübermittlung und der Bedeutung der Rechtssicherheit ist in den handelsrechtlichen Regelungen klar definiert, wer Buchungspflichtig ist. Gemäß §238 Abs. 1 HGB hat jeder Kaufmann die Pflicht Bücher zu führen und anhand der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung die Lage des Unternehmens erkenntlich zu machen. Ein Kaufmann bezeichnet eine Person, die ein Handelsgewerbe unterhält.41 Als Handelsgewerbe wird jeglicher Gewerbebetrieb definiert, der im Handelsregister eingetragen ist. Eine Ausnahme besteht, wenn das Unternehmen keinen kaufmännischen Geschäftsbetrieb benötigt (§1 Abs. 2 HGB). Somit gelten für Kaufmänner vorbehaltlos sämtliche Regeln des Handelsgesetzbuches, insbesondere §§238-263 HGB zur Führung von Handelsbüchern.
Eines der elementaren Zielsetzungen im Handelsrecht ist der Gläubigerschutz. Der Kaufmann muss dafür Sorge tragen, dass seine Gläubiger einen authentischen Einblick in die Vermögens- Finanz und Ertragslage erhalten. Die Aufgabe des Gläubigerschutzes besteht darin, dass mithilfe der Bewertungsvorschriften keine zu positive Unternehmenslage dargestellt wird. Durch das BilMoG wurde die Informationsfunktion der Handelsbilanz weiter bekräftigt. Somit besteht die Zielsetzung aus dem Informationszweck und der Ausschüttungsbemessungsgrundlage.42
Die fundamentalen Regeln im Handelsrecht werden nicht bis ins kleinste Detail erläutert, weshalb die handelsrechtlichen Normen konkretisiert werden müssen. Dies geschieht anhand der Jahresabschlusszwecke der Handelsbilanz. Da diese nicht explizit in dieser beschrieben werden, muss das HGB auf die Zwecke des Gesetzgebers untersucht werden. Dabei sind die Normauslegung einerseits und die Zweckermittlung andererseits gegenseitig voneinander abhängig.43
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht existieren Bilanztheorien, die auf die Ziele des handelsrechtlichen Jahresabschlusses einen erheblichen Einfluss nehmen. Das gilt insbesondere für die statische und dynamische Bilanzauffassung. Bei der statischen Bilanzauffassung geht es primär um eine gesamte Abbildung der Verpflichtung für ein Unternehmen. Der Ausweis für die Verpflichtungsrückstellung ist dann geboten, wenn am Abschlussstichtag bereits eine Verpflichtung gegenüber einer dritten Person auftritt oder gemäß dem Vorsichtsprinzip (§249 Abs. 1 Satz 4 HGB) von der Verpflichtung ausgegangen werden muss.44 Dagegen besitzt die dynamische Bilanzauffassung in der Vergleichbarkeit der Unternehmenserfolge eine prioritäre Sichtweise. In der Bilanz stellen Rückstellungen die Bedeutung eines Verrechnungspostens dar. Es soll eine Passivierung des gegenwärtigen Aufwands stattfinden, obwohl es ungewiss ist, ob es jemals zu dieser Ausgabe kommen wird.45 Deshalb ist die dynamische Bilanzauffassung weiter gefasst als die statische Bilanzauffassung. Denn in dieser sind nicht nur die Verbindlichkeitsrückstellungen enthalten, sondern zusätzlich die Periodisierung von stoßweise anfallenden Ausgaben. Allerdings hat die dynamische Bilanzauffassung durch das BilMoG stark an Bedeutung verloren, was vor allem durch den Wegfall der Aufwandsrückstellungen zu erklären ist.46
Die kaufmännische Buchführung ist die Grundvoraussetzung für eine Jahresabschlusserstellung. Hierbei muss man einige Zweckmäßigkeiten untersuchen, damit man die Ziele der handelsrechtlichen Buchführung und des Jahresabschlusses ermitteln kann. Dafür müssen der Wortlaut und Wortsinn, der Bedeutungszusammenhang und die Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Vorschrift untersucht werden. Zusätzlich müssen die Gesetzesmaterialien, die Ansichten des Gesetzgebers und die betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkte analysiert werden. Als letztes Untersuchungsmerkmal muss die gesetzliche Vorschrift verfassungskonform sein. Diese Zwecksysteme im Handelsrecht gelten uneingeschränkt für sämtliche Unternehmen, unbeeinflusst von der Rechtsform oder der Zugehörigkeit der Branche.47 Folglich werden die Zwecke der Buchführung und des Jahresabschlusses primär aus den Normen des Handelsgesetzbuches ermittelt, die für sämtliche Kaufleute gelten (§§238-263 HGB). Die drei handelsrechtlichen Jahresabschlusszwecke bestehen aus der Dokumentation, der Rechenschaft und der Kapitalerhaltung. Die Dokumentation beinhaltet die Buchführungspflicht, eine verständliche Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle für einen Dritten und eine explizite Auskunft der wirtschaftlichen Lage. Die Rechenschaft ist das Offenlegen der Geschäftstätigkeiten, damit sich ein unbekannter Dritter einen Überblick über das Vermögen und die erreichten Erfolge verschaffen kann.48 Bei der Kapitalerhaltung wird der Periodenerfolg ermittelt, auch wenn dieser bereits restlos entnommen wurde.49
3.2 Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
In Deutschland fordert der Gesetzgeber für den Kaufmann eine eindeutige Beachtung von Rechnungslegungsnormen. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) bilden die allgemeinen handelsrechtlichen Grundlagen der Bilanzierung. Diese müssen beispielsweise nach §§238 Abs. 1, 243 Abs. 1, 264 Abs. 2 HGB und §5 Abs. 1 EStG, sowohl bei einer Erstellung eines Jahresabschlusses, als auch bei der Buchführung unbedingt eingehalten werden.50 Jedoch bietet das Gesetz keine eindeutige Definition für die GoB, weshalb sich gewisse Spielräume bei der Bilanzierung ergeben. Nichtkaufleute und Nichtbuchungspflichtige müssen sich nicht an diese Vorschriften halten.51
Durch das Bilanzrichtliniengesetz vom 19.12.1985 wurden für das HGB fundamentale Grundsätze für die GoB verabschiedet.52 Diese Grundsätze bestehen aus folgenden Punkten:
Nach dem Grundsatz der Einzelbewertung müssen Schulden oder Vermögensgegenstände zwingend einzeln bewertet werden (§252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Daraus ergibt sich durch die Aufsummierung der einzelnen Vermögensgegenstände ein Gesamtwert für das Unternehmen.53
In §252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist das sogenannte „Going-Concern-Prinzip“ festgesetzt. Bei diesem muss man, bei der Bewertung eines Unternehmens, von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausgehen.54 Lediglich wenn rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten der Unternehmensfortführung im Weg stehen und man von einer Zerschlagung des Unternehmens rechnen muss, kann man mit keiner Unternehmensfortführung rechnen.55
Die nächsten beiden Grundsätze ergeben sich aus dem Imparitätsprinzip (§252 Abs. 1 Nr. 4 HGB und §253 Abs. 1-4 HGB). Diese dienen dem Gläubigerschutz, welcher dafür sorgt, dass man das Vorsichtsprinzip einhält und sämtliche Verluste und Risiken, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, berücksichtigt.56 Das Realisationsprinzip sagt aus, dass Gewinne erst dann berücksichtigt werden, sobald sie am Abschlussstichtag realisiert wurden. Sind diese Gewinne noch nicht ausgewiesen, dann dürfen sie folglich auch nicht berücksichtigt werden.57
Der Grundsatz der Bilanzwahrheit gibt die objektive Wahrheit der tatsächlichen Vermögenslage des Unternehmens an.58 Zu den GoB gehören die Richtigkeit, Vollständigkeit und das Belegprinzip (§§238 Abs. 1 Satz 3, 238 Abs. 2, 239 Abs. 1 Satz 1, 239 Abs. 2 und 239 Abs. 4 HGB). Die Richtigkeit erfordert die korrekte Buchung aller Geschäftsvorfälle. Bei der Vollständigkeit muss die Buchführung korrekt vorgenommen werden und das Belegprinzip besagt, dass keine Buchung ohne einen Beleg durchgeführt werden darf.59
Ein weiterer Punkt besteht aus dem Saldierungsverbot gemäß §246 Abs. 2 Satz 1 HGB. Dieses ist ein Ausfluss des Vollständigkeitsprinzips. Nach diesem Prinzip sind Aktivposten und Passivposten, Aufwendungen und Erträge, sowie Grundstücksrechte und Grundstückslasten strikt zu trennen.60
Zusätzlich muss der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit gegeben sein (§§ 238 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 2, 247 Abs. 1 HGB). Das bedeutet, dass sich ein unabhängiger Dritter innerhalb einer adäquaten Zeit einen Überblick über das Unternehmen verschaffen kann.61 Der Grundsatz der Periodenabgrenzung nach §252 Abs. 1 Nr. 5 HGB sagt aus, dass Erträge und Aufwendungen in einem Geschäftsjahr unabhängig des Zeitpunkts der Zahlung zwingend im Jahresabschluss erfasst werden müssen.62
Nach der Bilanzidentität gemäß §252 Abs. 1 Nr. 1 HGB müssen Wertansätze des Anlage- und Umlaufvermögens in der Eröffnungsbilanz mit denen der Schlussbilanz des Vorjahres übereinstimmen. Zudem muss die Stetigkeit der Bewertungsmethoden eingehalten werden (§246 Abs. 3 HGB). Der Grund hierfür liegt in den Ansatzmethoden, die im neuen Jahr identisch mit jenen des vorangegangenen Jahres sein müssen.63
Der letzte Grundsatz für die GoB impliziert das Maßgeblichkeitsprinzip nach §5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Hierdurch müssen alle Wertansätze für die Handelsbilanz in die Steuerbilanz umgesetzt werden, außer die Steuerbilanz widerspricht aufgrund steuerrechtlicher Sondervorschriften.64
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1 Vgl. Thomsen (2012), S. 280.
2 Vgl. Baetge et al. (2014), S. 181.
3 Vgl. Kirchhof et al. (2016), §5 Rn. D1.
4 Vgl. Thomsen (2012), S. 255.
5 Vgl. Bitz et al. (2014), S. 168.
6 Vgl. BGBl. I 2009, S. 1102.
7 Vgl. Krengel (2014), S. 107.
8 Vgl. Weber-Grellet (2016), Rn. 12.
9 Vgl. Krengel (2014), S. 109-110.
10 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 130.
11 Vgl. Krengel (2014), S. 128-130.
12 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 130.
13 Vgl. Theile (2009), S. 60.
14 Vgl. Reg-E – 16/10067 – S. 50-51.
15 Vgl. Theile (2009), S. 60-61.
16 Vgl. Reg-E – 16/10067 – S. 51.
17 Vgl. Theile (2009), S. 63.
18 Vgl. Avella et al. (2010), S. 62-63.
19 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 60.
20 Vgl. Federmann (2010), S. 382.
21 Vgl. Bitz et al. (2014), S. 171.
22 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 62-63.
23 Vgl. Coenenberg et al. (2016), S. 451-452.
24 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 60.
25 Vgl. Wirtz/Gersbacher (2015), S. 73
26 Vgl. Bitz et al. (2014), S. 176-177.
27 Vgl. Förschle et al. (2014), §249 Rn. 55-56.
28 Vgl. Weber-Grellet (2016), Rn. 54.
29 Vgl. Förschle et al. (2014), §249 Rn. 58.
30 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 62.
31 Vgl. Förschle et al. (2014), §249 Rn. 26.
32 Vgl. Grefe (2014), S. 107.
33 Vgl. Förschle et al. (2014), §249 Rn. 24.
34 Vgl. BFH-Urteil vom 1.8.1984 – I R 88/80 – BStBl. II 1984, S. 44.
35 Vgl. Grefe (2014), S. 111.
36 Vgl. Pfeiffer (2015), S. 7.
37 Vgl. Kirchhof et al. (2016), §5 Rn. D2.
38 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 116.
39 Vgl. Petersen et al. (2011), S. 3.
40 Vgl. Baetge et al. (2014), S. 99.
41 Vgl. Wöhe/Kußmaul (2012), S. 21.
42 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 123-124.
43 Vgl. Baetge et al. (2014), S. 99.
44 Vgl. Bertram et al. (2013), §249, Rn. 7.
45 Vgl. Kirchhof et al. (2016), §5 Rn. D4.
46 Vgl. Bertram et al. (2013), §249, Rn. 8.
47 Vgl. Baetge et al. (2014), S. 100.
48 Vgl. Baetge et al. (2014), S. 100-101.
49 Vgl. Leffson (1987), S. 92.
50 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 21.
51 Vgl. Krengel (2014), S. 15-16.
52 Vgl. BGBl. I 1985, S. 2355.
53 Vgl. Wöhe/Kußmaul (2012), S. 60.
54 Vgl. Coenenberg et al. (2016), S. 47.
55 Vgl. Kirchhof et al. (2016), §5 Rn. B74-B75.
56 Vgl. Bieg et al. (2012), S. 38.
57 Vgl. Wöhe/Kußmaul (2012), S. 62.
58 Vgl. Kirchhof et al. (2016), §5 Rn. B60.
59 Vgl. Bieg (2013), S. 222-223.
60 Vgl. Coenenberg et al. (2016), S. 48.
61 Vgl. Wehrheim/Renz (2011), S. 22.
62 Vgl. Bieg et al. (2012), S. 48.
63 Vgl. Leffson (1987), S. 225-226.
64 Vgl. Wöhe/Kußmaul (2012), S. 65.