Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Unzuverlässiges Erzählen im Film
2.2 Abgrenzung der Begriffe: Plot Point und (Final-) Plot Twist
2.3 Bestimmung eines Protagonisten und Antagonisten
3 Die unzuverlässigen Erzählstile von Fincher und Nolan
3.1 David Fincher
3.1.1 Ausweglosigkeit der Protagonisten
3.1.2 Informationsexzess
3.2 Das unzuverlässige Erzählen bei Nolan
3.2.1 Ambivalenz der Protagonisten und Antagonisten
3.2.2 Informationsdefizit
4 Fazit
Filmografie
Bibliografie
1 Einleitung
Wer kennt nicht dieses trügerische Gefühl: Man beginnt einen vermeintlich alltäglichen Film anzuschauen, welcher mit den Genreerwartungen des jeweiligen Zuschauers übereinzustimmen scheint. Doch dann geschieht es. Das Unerwartete. Eine Wendung, die die Umdeutung der bisherigen gesehenen Ereignisse erfordert. Dies ist eine der vielen Varianten des unzuverlässigen Erzählens, welches in der folgenden Arbeit in Bezug auf die Filme David Finchers und Christopher Nolans analysiert wird. Das Thema des unzuverlässigen Erzählens ist keine Erfindung des Medium Films, sondern wurde Mitte des 20. Jahrhunderts in der Literatur geprägt. Die erstmalige Definition des Begriffs erfolgte durch Wayne Booth in The Rhetoric of Fiction Anfang der 60er Jahre (vgl. Booth 1962: 158f). Aus der Literatur wurde dieser Erzählstil analog auf den Film übertragen. Das unzuverlässige Erzählen erlangte in den letzten 25 Jahren im US-amerikanischen und westeuropäischen Film immensen Wachstum und kann daher nicht nur als eine Modeerscheinung gesehen werden, weswegen dies sowohl für Laien als auch für Filmwissenschaftler einen besonderen Stellenwert einnimmt (vgl. Leiendecker 2015: 12-13 und Kaul/Palmier 2016: 140 und Palmier 2014: 198). Eine regelrechte Begriffsvielfalt ist bezüglich des unzuverlässigen Erzählens im Film seit geraumer Zeit vorhanden. Begriffe wie Mind-Bender, Postmodernes Erzählen, Puzzle Films, Falsche Fährten, Kino der Lüge, Plot Twist u.v.m. werden oftmals als Synonym oder Äquivalenz gesehen, da es an einer exakten wissenschaftlichen Begriffstrennung mangelt (vgl. ebd.: 41-54, Strank 2015: 31-67 und Liptay, Fabienne/Wolf, Yvonne (Hg.) 2005). Daher verwende ich einige Autoren für ein theoretisches Grundgerüst, welches ich für meine Analyse bezüglich des unzuverlässigen Erzählens bei David Fincher und Christopher Nolan heranziehe. Finchers Karriere als Regisseur von Spielfilmen erstreckt sich auf 10 Filme. Zu den Bekanntesten zählen Alien³, Se7en, Fight Club, The Curious Case of Benjamin Button und The Social Network.Ein Zitat am Filmende Zodiacs scheint gerade prädestiniert zu sein, um Finchers Wirkern zu verdeutlichen ,, How sure are you? I´m pretty sure. […] I am very sure thats´s the man who shot me! “ (Zodiac, Fincher, 2007). Diese Antwort liefert das einzig überlebende Opfer bei einer fotografischen Gegenüberstellung des potentiellen Serienmörders. Dieses Zitat kann man auf die Filme Finchers übertragen. Er, ein Meister der Täuschung, der mit den Erwartungshaltungen der Zuschauer spielt, lässt somit einen Spielraum gegenüber der Zuverlässigkeit, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Diegese, zu. Folglich führt die Komplexität dazu, dass seine Filme mehrmals angeschaut werden, da er dem Zuschauer relevante Informationen zwar relativ früh im Film offenbart, diese aber durch eine Informationsflut bei erstmaliger Betrachtung unbemerkt bleiben können (vgl. Schnelle 2002: 21-22). Im Gegensatz dazu steht Christopher Nolan. Er hat als Regisseur bisher 9 Spielfilme veröffentlicht und kann zudem als Autorenfilmer bezeichnet werden. Diese üben mehr Einfluss auf die Herstellung, Produktion und Umsetzung am eigenen Werk aus (vgl. Brombach 2014: 12-18). Christopher Nolan ist nicht nur als Regisseur seiner Filme tätig, sondern hinzukommend als Drehbuchautor und Produzent. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Memento, The Dark Knight, Inception und Interstellar. Er scheint in seinen Filmen entgegengesetzt zu David Fincher zu operieren, indem er in seinen Bildern ein Informationsdefizit an den Tag legt. Ein passendes Zitat dazu aus Memento:
,, Memory can change the shape of a room, it can change the color of a car. And memories can be distorted. They’re just an interpretation, they’re not a record, and they’re irrelevant if you have the facts.“ (Memento, Nolan, 2000).
Diese sogenannten Fakten sind die Eckpfeiler der Wahrheit und doch können sie, wie in Memento ausführlich beschrieben wird, inkorrekt sein. Diese Prämisse kann bei Nolan lauten, dass es durch die Ambivalenz der Fakten im Laufe des Films zu einer Umdeutung dieser kommen kann (vgl. McGowan 2012: 3). Die folgende Abschlussarbeit beginnt mit einer theoretischen Vorüberlegung, in dem das unzuverlässige Erzählen im Film erläutert wird. In diesem Theorieteil behandelt das nächste Kapitel eine Abgrenzung der Begriffe: Plot Point, Plot Twist und Final Plot Twist. Beendet werden die theoretischen Vorbetrachtungen mit der Bestimmung des Protagonisten und Antagonisten innerhalb der Figurenkonstellation. Darauf aufbauend folgt die Analyse des unzuverlässigen Erzählens sowohl bei Fincher als auch bei Nolan, wobei bei Fincher insbesondere die Ausweglosigkeit thematisiert wird. Dabei geht es vorrangig um die Machtverhältnisse und Entscheidungsgewalt der Hauptfiguren. In meinem zweiten Unterkapitel untersuche ich bei Fincher die Rolle des Informationsexzesses. Demgegenüber werde ich bei Nolan im ersten Kapitel die Ambivalenz der Protagonisten untersuchen. Das letzte Kapitel der Analyse widme ich dem Informationsdefizit bei Nolan und beschäftige mich u.a. mit der unzuverlässigen Parallelmontage. Abschließend werden meine Ergebnisse in einem Fazit erläutert. Das Ziel der folgenden Arbeit ist der Vergleich der unzuverlässigen Erzählstile anhand beider Regisseure. Noch zu nennen ist, dass ich auf den Seiten 5-12 und 18-20 Abschnitte aus meiner letzten Hausarbeit verwende und ergänze. Ferner setze ich die Filme Finchers und Nolans voraus.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Unzuverlässiges Erzählen im Film
In diesem Kapitel wird der Begriff des unzuverlässigen Erzählens in der Filmwissenschaft erläutert. Dieser wird nicht über eine historische Erläuterung nähergebracht, sondern durch eine Konkretisierung des Begriffs, welcher in der folgenden Analyse als theoretisches Konzept verwendet wird.
Ein Film folgt einem Muster und vereinfacht dadurch die Narration für den Rezipienten. Außerdem kann dieser mit einer Erwartungshaltung an die jeweiligen Filme herangehen. Das Sehverhalten des Zuschauers wird demnach durch das bisherige Wissen über Genre, Regisseure, Filmepoche, etc. gesteuert. , ,Die Glaubwürdigkeit einer Erzählung ist in entscheidendem Maße abhängig von den Gesetzten, die das Genre diktiert “ (Liptay 2005: 316). Eine Unterteilung von Filmen in Genres haben den Vorteil einer Konkretisierung jedes einzelnen Films und schaffen zugleich eine diskursive Plattform (vgl. Kuhn/ Scheidgen,/ Valeska 2013: 1-2). Ein Filmgenre ist historisch wandelbar und kann sich durch ein oder mehrere erfolgreiche filmische Prototypen neu etablieren (vgl. ebd.: 3). Als umfassende Definition ist laut Tudor folgendes anzusehen:
,, Das Genre […] sind stereotypische Formen des Erzählens, Darstellens und/oder Gestaltens, sie beinhalten wiederkehrende Handlungsmotive, eine bestimmte Dramaturgie […]. Jenseits all dieser werkspezifischen Merkmale haben Genres aber auch eine historische, eine mediale und eine kulturelle […] Dimension; sie stellen ,,Systeme kultureller Konventionen“ dar (Tudor [1974] 1997: 92 Kuhn).
Folglich können sich Filmemacher an den Konventionen des Genres und der Erwartungshaltung des Rezipienten orientieren, diese aber auch manipulieren, indem ,, (un-) bewusst falsche Fährten “ gelegt werden, welche als Folge eine Täuschung der Zuschauer mit sich bringen können, was als unzuverlässige Erzählform angesehen wird bzw. angesehen werden kann (vgl. Lahde 2002: 149; 178.179 und Fuxjäger 2007: 13-18). Doch genauso ist der Zuschauer von einer bestimmten Erwartung an die jeweiligen Werke des Regisseurs geprägt. Wer sich in der Erstrezeption einen Film Quentin Tarantinos anschaut und zugleich mehrere Werke seines Œuvres kennt, wird sich an seiner unkonventionellen Filmästhetik (u.a. Genremischung, Erwartungsbrüche, Gewalt und Komik) nicht verwundern, sondern diese erwarten (vgl. Bienk 2008: 16-20; Kaul/Palmier 2016:13-23). Die falsche Fährte ist somit eine Verbindung zum unzuverlässigen Erzählstil, aber noch keine hinreichende Definition.
Grundsätzlich wird von zwei unterschiedlichen Arten des unzuverlässigen Erzählens gesprochen: Einerseits ist der Wissensvorsprung einer Figur gegenüber dem Rezipienten zu nennen. Hierfür kann auch Genettes Ausdruck der ,, externen Fokalisierun g“ verwendet werden. Demgegenüber steht der identische Wissensstand beider Instanzen, welchen man mit Genettes Begriff der ,, internen Fokalisierung “ gleichsetzen kann (vgl. Genette 2010: 121ff.). Beide Varianten unterliegen der Wissenshierarchie, welche Branigan mit den Begriffen ,, Suspense “, ,, Mystery “ und ,, Surprise “ erläutert. Jedoch ist dies in Bezug auf die Unzuverlässigkeit Branigans ,, Suspense “ irrelevant, da in diesem Fall der Zuschauer einen Wissensvorsprung gegenüber der Figur-(en) besitzt.
Der Wissensstand des Zuschauers beruht auf Erfahrungswerten und Zuordnungen in gewisse Schemata. So kann beispielsweise im Horrorfilm bedrohliche Musik als solche erkannt und zugleich zugeordnet werden. Des Weiteren verfügt der Rezipient stets über ein (Mehr-)Wissen als das jeweilige Filmbild, da die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen darüber hinaus gehen. Das Gesehene kann verstanden, zusammengesetzt und perspektivisch gedeutet werden. Dieser Selektionsprozess vollzieht sich dementsprechend dynamisch im Film: Umwandlung endlicher Optionen in die plausibelste Möglichkeit bis das Filmende erreicht ist, welches durch das ständige Lösen von Problemen (verschiedene Charaktere, Handlungen etc.) einen zufriedenen Zuschauer hervorbringt (Branigan 1992: 72-74 und Bordwell 1992: 5-22). Branigan folgert daraus, dass es sich in einer Erzählung um eine korrekte Anwendung von Wissen handelt:
,, Naration is the overall regulation and distribution of knowledge which determines how and when the spectator acquires knowledge, that is, how the spectator is able to know what he or she come to know in a narrative “ ( Branigan 1992: 75).
In Branigans ,, Surprise “ äußert sich der Wissensvorsprung dadurch, dass die bisherigen Vorkommnisse einer Erzählung sich als unwahr herausstellen, weil die Kenntnis aller Ereignisse entweder dem Zuschauer vorenthalten oder verspätet nachgeliefert worden ist. Durch diesen Umstand kann die Frage aufkommen, was denn ,, tatsächlich in der Erzählung passiert ist “ und was infolgedessen einen ,, wirklichen Wahrheitsanspruch “ hervorbringt (vgl. Koebner 2005: 21 und Branigan 1992: 74-75). In diesem Fall des unzuverlässigen Erzählens erkennt der Erzähler/die Figur nicht, dass er/sie sich irrt, träumt oder Ähnliches (ebd.). Im Gegensatz dazu steht Branigans ,, Mystery “. Hier hat die Figur den identischen Wissensstand wie der Rezipient (vgl. Schlickers 2015: 53-55 und Branigan 1992: 72-76). In diesem Fall deutet der Erzähler/die Figur die Dinge, die ihm/ihr widerfahren, falsch, was zu einer Fehleinschätzung seinerseits in der objektiven Welt führt, da seine Meinung sich als nicht vollständig, unwahr oder inkorrekt äußert. Der Erzähler/die Figur kann beispielsweise ein Kind, ein Schelm oder ein Wahnsinniger sein, der eine naive Perspektive besitzt, in der er die Vorkommnisse in der Gesellschaft nie ganz begreift. Dadurch fehlt ihm das Einfühlungsvermögen, um ,, alltägliche Dinge “ korrekt einzuschätzen (ebd.). Was diese beiden Arten des unzuverlässigen Erzählens eint, ist eine notwendige Abgrenzung gegenüber einem ,, unglaubwürdigen Erzähler“ oder „unglaubwürdigen Figuren“. In diesem Fall wird sich der Zuschauer der Unglaubwürdigkeit bewusst, ordnet zugleich die nachfolgenden Erzählungen ein und kann gleichzeitig Schilderungen oder Handlungen als unglaubwürdig kennzeichnen (vgl. Kaul/Palmier 2016: 140 und Koebner 2005: 21-23).
Des Weiteren ist für die Unzuverlässigkeit das ,, Temporäre bzw. Kurzfristige “ in Bezug auf die Erwartungshaltung des Rezipienten von Bedeutung. Folglich bedeutet dies, dass der Zuschauer eine Konkretisierung von Figuren und Handlungsmotiven im Laufe des Films vornimmt, in der dieser zwischen einer Zuverlässigkeit und einer Unzuverlässigkeit der Erzählung, in einem unzuverlässigen Film, vermeintlich bestimmen kann (vgl. ebd.: 21-22). Daher muss dem Zuschauer die Möglichkeit gegeben werden, ,, das Unzuverlässige als unzuverlässig “ zu erkennen bzw. ,, eine konträre Deutung als die Zuverlässigere “ zu entschlüsseln (ebd.: 22). Daraus kann als Definition für die Unzuverlässigkeit ,, eine kurzfristige Irreführung des Publikums “ abgeleitet werden. Die Irreführung kann dann erzeugt werden, wenn längerfristig eine andere bzw. plausiblere und dementsprechend zuverlässigere Sichtweise des Dargestellten vorliegt. Dadurch kann es zu einer Enttäuschung beim Rezipienten führen, weil dieser sich täuschen ließ und zugleich falsch urteilte. Ferner erweist sich die zuvor aufgebaute Identifikation mit der Figur als fälschliche Annahme (ebd.). Die Unzuverlässigkeit ist somit eine Interaktion zwischen dem jeweiligen Film an sich und der Erwartungshaltung des Zuschauers. Darüber hinaus teilt Thomas Koebner das unzuverlässige Erzählen in ,, vier Eigenarten “ ein. Hier nennt er als erstes ,, Die Suggestion von Kontinuität “. Dies bedeutet, dass Brüche im Erzählstil geduldet werden, wenn ,, mehrere Leerstellen im Nachhinein ausgefüllt werden “ bzw. die ,, Entwicklung der Figur “ hervorgehoben wird (vgl. ebd.: 23). Als Zweites nennt er den ,, Zuordnungszwang “. Hier versucht der Rezipient stets Motive zuzuordnen, was in ,, blinden Motiven “ gipfeln kann, da das Publikum die Motive unter Umständen falsch zuweist und deswegen ein Unterschied zu der Intention des Künstlers vorliegen kann. Außerdem ist eine Differenzierung zwischen der geschlossenen und offenen Erzählform zu tätigen. In der geschlossenen Erzählform findet ,, eine große Kohärenz der Dinge “ statt. Im Gegensatz dazu werden in einer offenen Erzählwelt nicht alle Fragen beantwortet (vgl. ebd.: 23-24). Als dritte Eigenart nennt er ,, die relative Stabilität der Charaktere “, welche die potentielle Veränderung der Figuren im Laufe eines Films mit sich bringt (vgl. ebd.: 24). Zuletzt erwähnt er ,, den begrenzten Spielraum “, welcher in der Erzählung einen Erwartungshorizont absteckt (vgl. ebd.). Wenn es daher zu einem Bruch in der Erzählung kommt, kann dies mit einer Unzuverlässigkeit gleichgesetzt werden. Die wichtigste Komponente sei hier, dass der Erzähler diese ,, Wendung ins Verrückte “ in einer Art und Weise platziert, dass das Publikum weiterhin an der Erzählung interessiert ist und somit die Wendung ins Verrückte in den Erwartungshorizont integriert (vgl. ebd.: 24-25). Die szenische Umsetzung der Unzuverlässigkeit im Film kann, muss aber nicht, auf der Bild- oder Tonebene hergestellt werden oder in Kombination der beiden durch die Montage erfolgen. Beispiele für eine Umsetzung einer unzuverlässigen Erzählung sind der vorgetäuschte Tod, die unzuverlässige Rückblende, auch Lying Flashback genannt, die irreführende Voice-Over Rahmung oder eine vorgetäuschte Parallelmontage (vgl. Leiendecker 2015: 74-91 u. 111-128 u. 149-154; Kaul/Palmier 2016: 83). Eine unzuverlässige Erzählung kann sich einerseits nur über einzelne Szenen oder Sequenzen erstrecken, andererseits die gezeigte Narration des gesamten Films bei einem Final Plot Twist verändern (vgl. Schlickers 2015:56).
,, Darüber hinaus ist das unzuverlässige Erzählen weder in der Literatur noch im Film an eine extradiegetische Erzählinstanz gebunden, sondern kann auch durch eine intra- oder hypodiegetische Erzählerfigur erfolgen […]. “ (ebd.: 53).
Zudem bildet „ das unentscheidbare Erzählen “ eine wichtige Abgrenzung in Bezug auf das unzuverlässige Erzählen. Im Gegensatz zu den beschriebenen klassischen unzuverlässigen Erzählungen wird nicht auf die Irreführung des Zuschauers bestanden, sondern auf eine ,, Destabilisierung der Diegese “. In diesem Fall sind die hervorgebrachten Welten instabil und gelten gleichzeitig als ambivalent. Dies hat zur Folge, dass der Zuschauer die widersprüchliche Welt nicht zweifelsfrei einordnen kann. Das unentscheidbare Erzählen wird in vier Kategorien unterteilt: ,, Logisch ambivalente Filmerzählung “, ,, logisch widersprüchlich “, ,, unentscheidbare-repetitive “ und ,,unentscheidbar-metaleptisch. “ (vgl. Kaul/Palmier: 2016: 146-152 und Palmier: 2014: 230-258). In der folgenden Analyse wird nur die Erzählung als ,, logisch ambivalent “ Verwendung finden, da die anderen Subkategorien in Bezug auf Fincher und Nolan keine Analyse zu der jeweiligen Definition zulassen. Ferner werden Berührungspunkte zu den potentiellen Signalen der falschen Fährte und des unzuverlässigen Erzählens hergestellt. In der Analyse wird sich auf Helbig und Fuxjägers benannten Merkmale bezogen, welche ich auf ,, Persönlichkeit des Erzählers “, ,, Aussagen des Erzählers “, ,, Unterbrechung der visuellen Authentizität “ , ,Subliminale Bilder “, ,, Intratextuelle Täuschung“, ,,falsche Vermutungen vs. Falsche Überzeugungen“, ,,getäuschte Fokalisierungsperspektive“ und die ,, elliptische Montage“ einschränke (vgl. Helbig: 2005: 136-144 und Fuxjäger 2007:15-33).
2.2 Abgrenzung der Begriffe: Plot Point und (Final-) Plot Twist
Der Begriff des Plot Twists ist zwar in der Alltagssprache angekommen, doch unterliegt er oftmals keiner exakten Definition und umfasst daher einen entweder größeren oder geringeren Bereich als der eigentliche Begriff selbst. Dies ist dem Umstand zuzuweisen, dass es bis dato noch keine exakten wissenschaftlichen Definitionen gibt (vgl. Strank 2015: 31). Nichtsdestotrotz versuche ich eine geeignete und plausible Unterscheidung der Begriffe Plot Point, Plot Twist und Final Plot Twist für die nachfolgende Analyse zu liefern.
Von den drei Begriffen wurde der Plot Point von S. Field in dem Drehbuchratgeber Screenplay: The Foundations of Screenwriting im Jahr 1979 zuerst eingeführt. Der Plot Point hat laut ihm eine bestimmte Funktion: […] „ any incident episode or event that hooks into the action and spins it around in another direction “ (Field 2005: 143). Es geschieht somit irgendein Ereignis oder Vorfall, welches die Geschichte in eine andere Richtung lenkt. Die neuen Informationen können eine unverwertbare Veränderung der bisherigen Geschichte erreichen (vgl. Strank 2015: 30). Syd Field spricht von 15-20 Plot Points pro Film. Demgegenüber ist laut mehreren Drehbuchratgebern und Filmwissenschaftlern in der Drei-Akt-Struktur im populären Film von zwei elementaren Plot Points die Rede. Diese sind zwar sehr schwierig exakt zu bestimmen, aber als Position für den ersten Plot Point definiert man das Ende des ersten Akts und der zweite Plot Point kann als Ende des zweiten und zugleich als Beginn des letzten Akts bestimmt werden (vgl. Eder 1999: 101-109).
Demgegenüber weist der Plot Twist viele Parallelen auf. Dieser kann als Verstärkung eines Plot Points gesehen werden. Der Unterschied liegt darin, dass beim Plot Twist die Konsequenz der Handlung deutlich größer ist. Der Plot Point bringt die Geschichte etwas voran, der Plot Twist dagegen entspricht einem ,, essentiellen Wendepunkt der Geschichte “. Dieser kann, im Gegensatz zum Plot Point, einen Film komplett in eine andere Richtung lenken, wie beispielsweise ein Genrewechsel oder Ähnliches (ebd.). Daher ist der Plot Twist noch stärker an die Erwartungshaltungen des Rezipienten gebunden, da diese bei einem gelungenen Wendepunkt enttäuscht, zerstört oder fundamental verändert werden. Des Weiteren bedarf ein Plot Twist einer Übereinstimmung von Überraschung und Plausibilität. Dementsprechend kann daher dieser von dem Begriff der Pointe, wie in der Komik üblich, abgegrenzt werden, welcher sich unter anderem durch ,, Logik des Absurden “ innerhalb der Diegese auszeichnen kann (vgl. Strank 2015: 32-33).
,, Ein Plot Twist kann somit als ein narratives Ereignis isoliert werden, das die bisherige Regelhaftigkeit der Diegese unterläuft. Wenn er unerwartbar und zugleich plausibel ist, kann er gelingen. Die Diegese muss für einen Plot Twist eine gewisse Stabilität aufweisen, da ein Film, in dem alles möglich ist, keine großen Überraschungen ermöglicht “ (ebd.).
Als bekanntes Beispiel für einen Plot Twist kann Roberto Rodriguez´ From Dusk Till Dawn aus dem Jahr 1996 genannt werden. Die Besonderheit liegt darin, dass der Film ungefähr bei der Hälfte einen Genrewechsel vollzieht und somit die Erwartungen des Zuschauers zerstört werden. Der Film wird vom Gangster-/ Roadmovie zum Vampirhorror-/ bzw. Splatterfilm (vgl. Kuhn/ Scheidgen,/ Valeska 2013: 122-124, 135, 193-204, 273-278). Eine weitere bekannte Wendung ist in A Beautiful of Mind von Ron Howard zu finden. Der Unterschied liegt hierbei nicht in einem Genrewechsel, welcher den ,, Status der Diegese “ verändert, sondern die Hauptfigur entpuppt sich als psychisch verwirrt. Daher verändert sich in diesem Fall nicht die Diegese, sondern das Wissen über die Figurenkonstellation, insbesondere das Wissen über den Protagonisten, welcher verschiedene Figuren imaginiert (vgl. Strank 2015: 31).
Zusätzlich wird der Begriff des Plot Twists, sollte die überraschende Wendung gegen (kurz vor) Ende eines Films geschehen, spezifisch als Final Plot Twist bzw. Twist in the End bezeichnet. Diese finale ,, Verdrehung “ ist notwendig für ein überraschendes Filmende, auch Surprise Ending genannt, welches die bisherige Handlung der Geschichte und derer Informationen beispielsweise revidiert und/oder verändert (vgl. ebd.: 31-35). Hierfür kann der bekannte Film The Sixth Sense von M. Night Shyamalan erwähnt werden, in welcher sich die Hauptfigur, gespielt von Bruce Willis, am Ende des Films als Geist entpuppt und dadurch den Angriff an seiner Person am Anfang der Geschichte nicht, wie im Film bis dahin suggeriert, überlebte (vgl. Hartmann 2005: 157-158).
Zusammenfassend lässt sich konsternieren, dass der Plot Twist ein vielschichtiger Begriff ist und in der folgenden Analyse in Bezug auf das unzuverlässige Erzählen beider Regisseure eine besondere Stellung einnimmt.
2.3 Bestimmung eines Protagonisten und Antagonisten
Eine geeignete Definition für die Figurenkonstellation ist laut Jens Eder eine Verallgemeinerung des Figurengeflechts über den gesamten Film hinweg. Sie repräsentiert sich im Überblick des gesamten Beziehungssystems. Im Verlauf der Rezeption entwickeln sich sowohl die Beziehungen der Figuren als auch die mentalen Modelle der Zuschauer prozesshaft (vgl. Eder 2008: 464-465). Des Weiteren lässt sich zwischen zwei oder mehr Figuren eine ,, szenische Distanz“ feststellen, welche besagt in welchen Sequenzen die jeweiligen Figuren ,, nicht“ gemeinsam auftreten. Folglich ist zwischen ,,konkomitanten, alternativen“ und „szenisch dominanten“ Figuren zu unterscheiden. Konkomitante Figuren zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer zusammen auftreten, wie beispielsweise Laurel und Hardy. Alternative Figuren treten hingegen nie gemeinsam, sondern abwechselnd auf. Als Beispiel hierfür kann die Konstellation zwischen Marla Singer, dem namenlosen Erzähler und Tyler Durden in Fight Club genannt werden, welche ich in der folgenden Analyse genauer darlegen werde. Szenisch dominante Figuren sind andererseits mit vielen anderen Charakteren zu sehen. Hier kann man als Referenz Bruce Wayne bzw. Batman in den Filmen Nolans nennen (vgl. ebd.: 466).
Ich untersuche in meiner folgenden Analyse keine komplette Figurenkonstellation, sondern beschränke mich auf das Verhältnis zwischen der Konfliktkonstellation des Protagonisten und Antagonisten vs. die Konstellation von zwei parallelen Protagonisten, in Bezug auf die Ausweglosigkeit der Protagonisten bei Fincher und der Ambivalenz derer bei Nolan.
Ein Protagonist soll laut Eder ,, im Mittelpunkt des Interesses stehen und die Handlung perspektiveren “ (ebd.: 470). Außerdem […] ,, verfolgt er das zentrale Ziel innerhalb des Films und ist der wesentliche Motor in der Kausalkette der Handlung “ (ebd.). Des Weiteren muss der Protagonist, im Gegensatz zu einem Helden, einer nicht positiv moralischen Bewertung unterliegen. Ferner sind Helden, Protagonisten bzw. Hauptfiguren im Zentrum der ,,Aufmerksamkeitshierarchie“. Dennoch zeichnet sich ein Held durch ,, überdurchschnittliche Fähigkeiten und Tugenden aus“, was keine notwendige Bedingung für Hauptfiguren bzw. Protagnisten ist (vgl. ebd.: 470-471). Durch den Mittelpunkt des Interesses ist der Protagonist zudem prädestiniert für die Funktion einer Hauptfigur und steht dadurch unter einer stärkeren Fokussierung der Zuschauer als beispielsweise Nebenfiguren (vgl. ebd.: 647). Zusätzlich können Hauptfiguren keine Protagonisten, sondern Antagonisten wie die Figur des John Does in Se7en und Colonel Kurtz in Apocalypse Now sein (vgl. ebd.:468-469). In Mainstreamfilmen kommt Eder zu folgender Definition eines Protagonisten:
,,Protagonisten wird meist viel Aufmerksamkeit geschenkt; sie werden ausführlich dargestellt und sollen individualisiert, mehrdimensional, realistisch und komplex erscheinen. Ihre Merkmale sind – zumindest am Filmende und mit der Ausnahme von Underdogs, Anti- oder Durchschnittshelden – insgesamt positiv: Sie sind attraktiv, stark, intelligent. […] Die Zuschauer sollen ihre Perspektive übernehmen, sich ihnen nahe fühlen […] und empathisieren.“ (Eder: 2008: 508).
Es können zudem mehrere Protagonisten in einem Film auftauchen. Für meine folgende Analyse ist die Frage nach ,, zwei parallelen Protagonisten “, die ,, gleichen oder verschiedenen Zielen nachgehen “, von Bedeutung. Infolgedessen haben ,,beide Figuren oft stark divergierende Charakterzüge “ oder sind geographisch an „ unterschiedlichen Orten anzutreffen “ (vgl. ebd.: 496-497). In diesem parallelen Typ sind beide Figuren sowohl positiv wie auch negativ konnotiert, sind ambivalent veranlagt und teilen sich möglicherweise die Antagonisten-Position (vgl. ebd.). Ein Antagonist ist der Gegenspieler bzw. die Gegenkraft des Protagonisten. Beide Figuren tragen somit einen Konflikt aus und treiben die Handlung voran. Typische Eigenschaften eines Gegenpols im postmodernen Kino können Intellektualität, Machtbesessenheit, Egoismus und eine hierarchische Struktur gegenüber einem oder mehreren Handlangern, sogenannte ,, Antagonisten-Helfer “, sein. Diese sollen, im Gegensatz zum Protagonisten, negative Gefühle wie Abscheu, Groll und Abneigung beim Zuschauer hervorbringen (vgl. ebd.: 508). Sie können, genauso wie Protagonisten, innerhalb der Diegese ihren typischen Handlungsrollen nachgehen und außerhalb der Handlung zum Beispiel als Erzähler fungieren. Somit haben Protagonisten und Antagonisten ähnlich dramaturgische Funktionen (vgl. ebd.: 498 und 506). Ein Antagonist muss aber nicht zwangsläufig eine eigene Figur sein, denn der Protagonist selbst kann beispielsweise beide Figuren ausfüllen, indem ein ,, innerer Konflikt“ sich durch eine Persönlichkeitsstörung oder Ähnliches äußert (vgl. ebd.). Daher ist es notwendig auf Ähnlichkeiten und Kontraste zu schauen, da ,, die Figur in einer Konstellation sich aus der Differenz “ zu den anderen definiert und sich zudem dynamische Figurenmodelle als intendiert (bewusste Täuschung der Figurenkonstellation durch den Filmverlauf, wie beispielsweise der frühe Tod der vermeintlichen Hauptfigur in Scream) oder nichtintendiert (fehlerhafter Rezeptionsprozess des Zuschauers) herausstellen kann (vgl. ebd.: 472-473).
3 Die unzuverlässigen Erzählstile von Fincher und Nolan
3.1 David Fincher
3.1.1 Ausweglosigkeit der Protagonisten
In David Finchers Filmen widerfährt den Protagonisten oftmals das Grauen, obwohl sie damit überhaupt nicht rechnen. Doch diesem finsteren Schicksal können sie sich entweder entsagen oder beugen. So ist beispielsweise in Alien³ Ellen Ripley, gespielt von Sigourney Weaver, wie in den ersten zwei Filmen der Alien-Reihe, die Protagonistin. Als der Prototyp einer Einzelkämpferin vollzieht sich in diesem dritten Teil eine Veränderung ihrer Persönlichkeit. Dieser Prozess endet, als die personifizierte Widerstandskämpferin feststellen muss, dass sie in sich einen Teil einer außerirdischen Lebensform beherbergt, was schlussendlich im Selbstmord ihrerseits und gleichzeitig im Mord des ungeborenen Embryos mündet (vgl. Schnelle 2002: 20-23). Anders verhält es sich in The Curious Case of Benjamin Button.Hier ist die Ausweglosigkeit des Protagonisten Benjamin Buttons im Prozess des Altwerdens zu finden, da er als physischer Greis geboren wurde. Anstatt körperlich älter zu werden, wird dieser mit zunehmenden Alter immer jünger, was ihn letztendlich als Säugling sterben lässt. Hier verlässt der Protagonist seine vor kurzem gegründete Familie, da er sich der Ausweglosigkeit seines Lebens bewusst ist. Anstatt seinem Kind beim Erwachsenwerden zuzusehen, flieht er auf eine Weltreise, damit seine Frau einen normalen Vater und Ehemann finden kann. Die beiden genannten Beispiele sollen die Ausweglosigkeit der Protagonisten bei Fincher verdeutlichen. Des Weiteren kann diese Ausweglosigkeit in anderen Fincher-Filmen auch darüber hinaus auf das unzuverlässige Erzählen bezogen werden. Hierfür werden im folgenden Kapitel die Filme Se7en, The Game, Fight Club und Gone Girl behandelt.
In Finchers Se7en geht es um ein ungleiches Ermittlerduo: Der junge und unerfahrene Detective David Mills steht dem in die Jahre gekommenen Somerset gegenüber. Beide eint die Polizeimarke und das Ziel Gutes zu tun. Im Laufe des Films setzen sich die beiden Ermittler gezwungenermaßen mit den sieben Todsünden auseinander. Der Antagonist, dessen Identität am Anfang noch ungewiss ist, verübt pro Tag einen Mord. Die jeweiligen Morde werden durch eine entsprechende Todsünde repräsentiert und gekennzeichnet. Der unerfahrene Mills ist ein Draufgänger und am Anfang seiner Polizeikariere. Er sieht Straftäter als Aussätzige und schreibt ihnen Attribute wie den Wahnsinn zu. Somerset hingegen steht kurz vor dem Ende seiner Polizeikarriere und hat sich damit abgefunden, dass das Gute in der Welt nicht immer obsiegen kann, weswegen dieser sich auch den vorzeitigen Ruhestand wünscht. Widerwillig arbeitet er an diesem, seinem letzten Fall, mit Mills weiter, da ihm im Gegensatz zu allen anderen bewusst ist, dass es sich hierbei nicht um einen einfachen Mord bzw. Mörder handelt. Somerset und der Antagonist haben eine sehr ähnliche, negative Weltanschauung. Jedoch statt wie Somerset aufgeben zu wollen, möchte der Antagonist die jeweiligen Sünden den Menschen präsentieren. Als die zwei parallelen Protagonisten den Antagonisten aufspüren können, geschieht etwas Seltsames. Auf der Flucht gelingt es dem Antagonisten, namentlich wird er als John Doe später eingeführt, mühelos den beiden zu entwischen. Schlimmer noch: Er verschont das Leben des jungen Mills, welcher geschlagen schien. Hier entsteht somit ein erster Twist in der Handlung, da der bis dahin perfide Bösewicht an dem jungen Polizisten keinen Mord verübt und somit eine gewisse Menschlichkeit in ihm suggeriert wird. Das Ermittlerduo erlebt kurz darauf eine weitere Wendung. Der Mörder, gespielt von Kevin Spacey, welcher nicht im Vorspann genannt worden ist, stellt sich aus freien Stücken der Polizei, obwohl er erst fünf Morde begangen hat und dementsprechend noch zwei weitere Morde folgen lässt oder diese zumindest dem Ermittlerduo noch gesteht. Der Verzicht einer Nennung Kevin Spaceys im Vorspann, wird durch eine doppelte Auflistung im Abspann kompensiert, aber der Verzicht im Vorspann trägt dem unzuverlässigen Erzählen bei, da der Rezipient einem Wissensrückstand unterliegt und im Moment seines Auftritts überrascht wird. Anstatt aber wie in einem gängigen Thriller vor Gericht oder im Gefängnis zu landen, gelingt es John Doe durch einen korrupten Anwalt zu einer Gegenüberstellung mit den beiden Ermittlern zu erreichen, in welcher das komplexe Beziehungsgeflecht der drei Hauptfiguren zum Tragen kommt. John Doe lässt sich von Somerset und Mills an einen bestimmten Ort in der Wüste fahren, um die letzten zwei Morde offenzulegen. Anstatt zwei Leichen finden die beiden nur vollkommene Leere, welche durch das Auftreten eines Postboten gestört wird. Als Somerset den Kurier abpasst, stellt sich das Unvorstellbare heraus: John Doe hat für seine Umsetzung der letzten beiden Morde bzw. Todsünden den Protagonisten Mills auserkoren und infolgedessen wird der vorherige Verzicht des Mordes an Mills sinnstiftend. In dem Karton des Kuriers ist der Kopf von Mills Frau zu finden. John Doe gesteht Mills seine personifizierte Sünde, den Neid, ein. Folglich soll die Vergeltung, die letzte Todsünde, durch Mills selbst durchgeführt werden. Somerset versucht dieses Szenario zu unterbinden, indem er gewissenhaft auf Mills einredet. Nachdem Doe die Schwangerschaft von Mills Frau verkündet, gab es jedoch für Mills kein Halten mehr und der Plan Does, den Mord an seiner Person durch Mills umzusetzen, gelingt gleichzeitig. John Does eigentlicher Plan war somit die Todsünden den Menschen vor Augen zu führen und gleichzeitig aus dieser abtrünnigen Welt durch sein Ableben zu entfliehen. Auf diesen Plan jedoch fallen beide Ermittler aus unterschiedlichen Gründen herein. Bei Mills ist es die jugendliche Arroganz. Somerset fällt hingegen seiner latenten Neugier zum Opfer. Deswegen müssen sich beide dem ausweglosen und ausgeklügelten Spiel Does beugen. Des Weiteren ist für das unzuverlässige Erzählen der Wissensstand des Rezipienten von Bedeutung, da dieser den identischen Wissensstand wie Somerset und Mills besitzt. Der Zuschauer wird somit durch die fehlerhaften Annahmen der Ermittler ebenso getäuscht und muss sich eingestehen, dass Se7en kein klassischer Thriller ist. Die beiden Ermittler werden durch einen wahnhaften Antagonisten am Ende des Films manipuliert und besiegt (vgl. ebd.: 23-28).
[...]