Die Suche nach einer Möglichkeit, Wolfsegg ertragen zu können - Thomas Bernhards Auslöschung - Ein Zerfall im Horizont klassisch-philosophischer Schuldvorstellungen


Diplomarbeit, 2001

111 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

ERSTER TEIL: SCHULD - EIN HISTORISCH-SYSTEMATISCHER ÜBERBLICK
1. Begriffsklärung
2. Typologien von Schuld in ihrer historischen Entwicklung
2.1. Der magische Schuldbegriff
2.2. Der mythische Schuldbegriff
2.2.1. Exkurs: Mythische Schuldbegründung in der griechischen Tragödie
2.2.2. Platon und Aristoteles
2.3. Der rationale Schuldbegriff
3. Die Sicht des Menschen im Kontext der Typologien von Schuld
4. Systematische Konzeptionen von Schuld
4.1. Augustinus
4.2. Kant
4.3. Existenzphilosophie
4.3.1. Kierkegaard
4.3.2. Jaspers
4.3.3. Heidegger
4.3.4. Sartre

ZWEITER TEIL: SCHULD IN ”WOLFSEGG”
1. Hinführung
2. Vom ”Ursprung alles Bösen” - ”Wolfsegg” im Spiegel von historisch-
systematischen Schuldtypologien
3. ”Die Meinigen abschaffen” - Muraus Schuldgefühle
4. Schuldbefreiung
4.1. Martin Buber - ”Existentialschuld” und ”personhaft gewordenes Gewissen”
4.2. Arthur Schopenhauer - ”Verneinung des Willens zum Leben”
5. Schuld und Erinnerung
5.1. Das vergessene Massengrab
5.2. Der ”Italiener” - ein Gast als erfolgloser Therapeut
5.3. Die ”Selbstauslöschung”

SCHLUSSWORT

SIGLENVERZEICHNIS

VERWENDETE LITERATUR
a) Primärliteratur
b) Sekundärliteratur
c) Zeitungen und Zeitschriften

LEBENSLAUF

Die Größe des Menschen
ist darin groß, daß er sich
als elend erkennt.
PASCAL

EINLEITUNG

Ein prunkvolles Schloß mit schönen Nebengebäuden, unter denen eine Orangerie und eine sogenannte Kindervilla als besonders gelungene Gebäude zusätzlich noch herausragen. An jedem Detail dieses Bauwerks bemerkt man die große Behutsamkeit und den unglaublichen Kunstverstand, mit dem jede Kleinigkeit angefertigt wurde, so daß man hier ohne zu übertreiben von einem steinernen Zeugen einer glanzvollen Epoche sprechen kann. Dies zeigt sich gleich beim Eintritt ins Hauptgebäude: hier müßte wohl auch ein weitgereister Besucher lange nachdenken, ob er wohl jemals ein schöneres Vorhaus zu Gesicht bekommen hat, daß trotz aller Kunstfertigkeit die absolute Strenge herrschaftlicher Größe ausstrahlt. Auch die sonstigen Gebäude wirken in ihrer vornehmen Pracht ehrfurchtgebietend auf den Betrachter. Zum Schloß gehören ferner noch ein riesiger Grundbesitz, Wälder, Ländereien und Jagden; zudem bietet es dem Besucher einen der schönsten Aussichtspunkte des Landes, und wird andererseits durch einen dichten Hochwald vor den neugierigen Blicken derer, die es nicht sehen sollen, geschützt.

Der Eigentümer dieser beschriebenen Anlage müßte sich doch eigentlich sehr glücklich schätzen. Daß dies nicht a priori gegeben sein muß, zeigt die Geschichte des Franz-Josef Murau, der durch einen tragischen Unglücksfall unvermutet zum Alleinerben dieser riesigen Besitzung wird. Er empfindet dieses Erbe aber weniger als Glücksfall, denn als Anlaß zu Angst und Sorge, ja sogar als Bedrohung. Denn Wolfsegg, so der Name dieses Schlosses steht nicht nur für die oben beschriebene Pracht, sondern auch für etwas, das Murau seinen ”Her-kunftskomplex” (AL 201) nennt. Gemeint ist damit seine leidvolle Kindheit und Jugend in eben diesem Prunkbau, geprägt einer geistfeindlichen familiären Umgebung, die im Nationalsozialismus ihr einziges Ideal neben dem Katholizismus sah, und kein Verständnis für ihren kunstsinnigen Nachkommen entwickelte. Murau wäre wohl daran zerbrochen, hätten nicht die - allzu seltenen - Besuche seines geliebten Onkels Georg, sowie der Rückzug in eine der fünf Wolfsegger Bibliotheken - eigentlich sind es ja sechs - zeitweilige Fluchten aus dem tristen Alltag ermöglicht.

Wenn Murau über Wolfsegg spricht, so geschieht dies fast ausnahmslos in anklagender Form, wobei das Verhalten seiner Familie während der NS-Zeit ein bevorzugtes Ziel seiner Angriffe sind. Seine Eltern haben in dieser dunklen Epoche große Schuld auf sich geladen, und auch nach dem Krieg keine Einsicht oder Reue gezeigt, sondern hohe NS-Würdenträger in seiner geliebten Kindervilla versteckt, und damit dem Zugriff der Justiz entzogen. Murau wird nicht müde, dieses verbrecherische Verhalten der Seinigen zu geißeln und anzuprangern, da ihm dieses düstere Geheimnis von Wolfsegg seit Jahrzehnten keine Ruhe läßt. Es hat den Anschein, daß er nur in sicherer Entfernung von Wolfsegg, in Rom, in einer Gesellschaft von Geistesmenschen ein einigermaßen ruhiges Leben führen kann. Das Begräbnis von Eltern und Bruder zwingt ihn jedoch nach Wolfsegg, in die Hölle zurückzukehren und sich mit der Wolfsegger Schuld auseinander zu setzen. Er ist nun fest entschlossen, seine Rückkehr für einen Befreiungsschlag zu nützen. Die bösen Geister der Vergangenheit sollen gebannt und die Geschichte von Wolfsegg zu ihrem Ende gebracht werden. Das geeignete Mittel dafür glaubt er nun endlich gefunden zu haben. Er wird eine Schrift über Wolfsegg verfassen, in der die Schuldigen benannt und damit ”ausgelöscht” werden sollen; gleichzeitig will er mit dieser Schrift an alle Opfer des NS-Regimes erinnern, und so dem Schweigen unseres Volkes entgegentreten.

In dieser Arbeit soll nun untersucht werden, wie diese Wolfsegger Schuld im Kontext eines klassich-philosphischen Schuldbegriffs zu sehen ist, und inwieweit Murau mit seinen Bemühungen, sich von seinem Herkunftskomplex zu lösen, erfolgreich bleibt. Dazu wird im ersten Teil dieser Arbeit der Begriff Schuld genauer eingegrenzt, und untersucht, auf welche Traditionen dieser Terminus zurückblicken kann. Es wird also gleichsam eine Genealogie unseres neuzeitlichen Schuldverständnisses dargestellt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung von Schuldvorstellungen, die sich in der klassischen abendländischen Philosophie herausgebildet haben. Es wird dabei sowohl der historische Prozeß dargestellt, als auch eine Auswahl von Denkern herangezogen werden, die ihr Schuldverständnis in einer systematischen Ausarbeitung vorgelegt haben.

Der geschichtliche Überblick beginnt im archaischen Zeitalter, für das die Dichtungen des persischen Propheten Zarathustra, sowie Homer und Hesiod prägend sind. Hier wurde auf Schuld noch vornehmlich mit Scham reagiert, und Böses als von den Göttern erwirkt angesehen. In der nächsten Stufe, dem mythischen Schuldbegriff wird dem Menschen allmählich mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei seinem Lebensvollzug eingeräumt, auch wenn das Wirken der Götter weiterhin bestimmend bleibt. Die Tradierung erfolgte vornehmlich durch die attischen Tra-gödiendichter. Nach der Hochblüte der griechischen Tragödie übernimmt nach und nach die Philosophie die Aufgabe, den Menschen Orientierungen bei der Bewältigung ihres Lebens zu bieten. Dies mündet schließlich in einem rationalen Begriff von Schuld, der für die Neuzeit bestimmend wird. Die Autonomie des Menschen ist nun der bestimmende Faktor jedweder Begründung von Moral.

Bei der Darstellung der systematischen Schuldkonzepte wurde eine Vorgangsweise gewählt, in der ein direkter inhaltlicher Anknüpfungspunkt zum vorher behandelten Denker gegeben ist. Dies gilt insbesondere auch für den Beginn des Kapitels, wo mit Augustinus ein Denker behandelt wird, der den Abschied von antiken Schuldvorstellungen einleitet und mit seiner Erbsündenlehre eine Theorie entwirft, die für das ganze Mittelalter vorherrschend sein wird. Kant, dessen Schuldansatz im Anschluß an Augustinus behandelt wird, hat implizit auf den Schuldbegriff von Augustinus Bezug genommen, in dem er dessen ”peccatum originale” aufgreift, allerdings nur, um es zu verwerfen, wenngleich er mit seiner Annahme von einem ”peccatum originarium” zumindest eine terminologische Nähe zu Augustinus wieder herstellt.

Den Abschluß des ersten Teiles dieser Arbeit bildet das Schuldverständnis der Existenzphilosophie. Freiheit, eigene Wahl des Lebensvollzugs durch das Individuum, sowie Verantwortung für die zwangsläufig daraus resultierende Schuld sind zentrale Elemente jeder Philosophie der Existenz; es ist daher legitim von einem gemeinsamen Ansatz der Schuldfrage zu sprechen. Kierkegaard hat anfangs noch sehr viele Gemeinsamkeiten mit der Moraltheorie Kants, entwickelt aber schließlich eine zweite Ethik, die zur Gänze in der Religiosität wurzelt. In der Existenzphilosphie des zwanzigsten Jahrhunderts wird das Hauptaugenmerk auf Jaspers, Heidegger und Sartre gelegt. Jaspers, der sich als einziger der genannten in der direkten Nachfolge Kierkegaards begreift, ist für die Leitgedanken dieser Arbeit besonders ergiebig, da er sich speziell mit der deutschen Schuldfrage nach dem Ende des NS-Regimes beschäftigt hat. Seine diesbezüglichen Überlegungen können analog wohl auch für die österreichische Gesellschaft gelten. Für Heidegger ist das menschliche Sein zugleich auch ein Schuldig-Sein, weshalb der menschliche Existenzvollzug ohne Schuld für ihn nicht mehr denkbar ist. Sartre steht am Ende des ersten Teil dieser Arbeit, und er bildet auch inhaltlich gewissermaßen den Endpunkt von Schuldvorstellungen. Er greift den Schuldansatz Heideggers auf und modifiziert ihn dahingehend, daß er jeden Gedanken von Schuld bei der Existenzverwirklichung überhaupt ablehnt. Damit käme, streng genommen, jede Rede über menschliche Schuld an ihr Ende.

Im zweiten Teil wird der Frage nachgegangen, welche der dargestellten Schuldvorstellungen auf die Protagonisten der ”Auslöschung” Anwendung finden könnte, wobei das Hauptaugenmerk auf Murau selbst gerichtet ist. Es erfolgt also kein geschichteter Aufbau der einzelnen Schuldbegriffe, in dem die letzte Stufe gleichsam als die Quintessenz einer ”Wolfsegger” Schuld anzusehen wäre. Die umfassende Auswahl der vorgestellten Schuldverständnisse dient hier vielmehr der Aufgabe, neben einem möglichst genauen Überblick über diese Thematik, eine etwaige Zuordnung, oder aber auch deren Absage von schuldhaftem Verhalten der Familie Murau zu bieten. Es wird sich auch zeigen, daß bestimmte Schuldvorstellungen wenig bis gar keine Relevanz für die ”Wolfsegger” Gesellschaft besitzen, während andere wieder sehr gut geeignet erscheinen, deren Verhalten zu erklären. In diesem zweiten Teil wird auch der Versuch unternommen, mögliche Wege einer Schuldbefreiung zu zeigen. Dazu wird auf die Theorien zweier Philosophen rekurriert, die im ersten Teil keine Erwähnung gefunden haben: Arthur Schopenhauer und Martin Buber. Während sich eine Auseinandersetzung mit der Philosophie Schopenhauers im Zusammenhang mit Thomas Bernhard naturgemäß anbietet, ist die Auseinandersetzung mit Buber v. a. durch seine Überlegungen zur Wiedergutmachung von Schuld begründet. Dabei zeigt sich, daß die Heranziehung dieser beiden Lehren für die Eltern Muraus durchaus erfolgversprechend erscheinen, aber für ihn selbst ein eher unbestimmtes Resultat mit vielen Fragezeichen diagnostiziert werden muß.

Deshalb ist hier noch auf das letzte Kapitel dieser Arbeit, Schuld und Erinnerung besonders hinzuweisen. Dieser Abschnitt kann als der Dreh- und Angelpunkt des zweiten Teiles angesehen werden; unter dem Aspekt der Suche nach einer ”Mög-lichkeit, Wolfsegg ertragen zu können” (AL 112) muß dieses Kapitel sogar als der Schlüsseltext der gesamten Arbeit begriffen werden, denn hier wird ein einleuchtender Grund für die Leiden Muraus präsentiert. Mittels einer psychoanalytischen Interpretation soll das Agieren Muraus nochmals beleuchtet werden.

Ausgangspunkt dieses Deutungsversuchs ist die These, daß seine stereotypen Anschuldigungen gegen Wolfsegg die Folge traumatischer Kindheitsereignisse sind, die er verdrängen mußte und an die er sich nun nicht mehr erinnern kann. Wenn aber kein ungetrübter Blick auf die eigene Vergangenheit möglich ist, kann es auch keine Aufarbeitung und keine Befreiung von ihr geben. Für Murau bedeutet dies, daß er gezwungen ist, sein düsteres Geheimnis weiter mit sich herumzutragen; es hat jedoch den Anschein, daß er dem immer weniger gewachsen ist. Tatsächlich deuten viele Anzeichen darauf hin, daß die von Murau gewünschte Auslöschung von Wolfsegg auch seine Selbstauslöschung nach sich ziehen wird.

ERSTER TEIL SCHULD - EIN HISTORISCH-SYSTEMATISCHER ÜBERBLICK

1. Begriffsklärung

Bei der Ausarbeitung eines philosophischen Schuldbegriffes wird sowohl auf die historische Entwicklung Bezug genommen, als auch ein systematischer Zugang erarbeitet. Dabei wird die Herstellung eines kohärenten Bildes angestrebt. Beginnend mit der allmählichen Entwicklung von frühen, archaischen Schuldvorstellungen bis hin zur Neuzeit, mit ihren Bemühungen um eine gänzlich rationale Begründung von moralischen und gesetzlichen Normen. Im Zentrum stehen dabei die Fragen: Was ist Schuld? Wie reagieren menschliche Gesellschaften auf Schuld? Was bedeutet Schuld für die persönliche Ebene des Menschen, wie hat er daran Anteil?

Im herkömmlichen Sprachgebrauch wird das Wort ”Schuld” vornehmlich in zwei Bedeutungsformen verwendet; es drückt ebenso ”das Geschuldete (das Gesollte, bis hin zur Geldschuld) wie das Verschuldete (das Verursachte, bis hin zur Verfehlung) aus.”[1] Andere Interpreten sprechen davon, daß sich dieser Terminus auf ”drei Sinnmomente hin differenzieren” lasse: Schuld als das ”Gesollte, das debitum”, Schuld als die ”Tat”, als vom ”Täter” begangene ”Verfehlung”, die ihm ”als solche zugelastet wird”, und schließlich ”Schuld als das böse Resultat dieses Tuns (...) als die Verschuldenswirklichkeit”.[2] Dem gegenüber weist Nietzsche darauf hin, daß der Begriff direkt aus dem ”Obligationenrecht” stammt. Damit wird ihre ”Herkunft aus dem sehr materiellen Begriff ‚Schulden‘” abgeleitet und das ursprünglich rein monetär begründete Verhältnis Gläubiger – Schuldner auf die Moral übertragen. Sie soll ”das Gefühl der Schuld im Schuldigen aufwecken” und an die ”Unlösbarkeit der Schuld”[3] gemahnen.

Nietzsches Verweis auf den materiellen Ursprung von Schuld, den er in diesem Kontext ausschließlich kritisch reflektiert und zu einer Attacke gegen das Christentum nützt, hat aber durchaus seine Entsprechung in den ältesten Zeugnissen von menschlichen Übertretungen und in der Mythologie: hier wurde der Makel als objektives Ereignis gesehen und die Befleckung rein ”materiell” gedacht, wobei eine Berührung mit ihr unter allen Umständen vermieden werden mußte.[4] Darüber hinausgehend scheint es jedoch im Zusammenhang mit dieser Arbeit nicht sinnvoll, die Mehrdeutigkeit von Schuld tiefgehender zu erörtern. In Folge wird ausschließlich Schuld im Sinne von Verschuldung und Verfehlung näher untersucht werden. Hinzugefügt sei lediglich noch der Umstand, daß etymologisch der Terminus ”Pflicht” auf den selben Wortstamm wie ”Schuld” zurückzuführen ist. In der altmittelhochdeutschen Sprache bedeutet ”skolan” das Sollen, und ”skalis-nan” die Pflicht.[5] Dies zeigt einmal mehr den engen Zusammenhang von Pflicht und Schuld, der anscheinend schon frühe Gesellschaftsformen prägte.

In diesem Abschnitt soll nun in historischer Abfolge untersucht werden, welche Schuldtypologien menschliche Sozietäten ihren moralischen und gesetzlichen Normen zu Grunde legten. In einem nächsten Schritt werden die Auswirkungen, die sich daraus für den Einzelnen als Mitglied der jeweiligen Gemeinschaft ergeben, dargestellt.

2. Typologien von Schuld in ihrer historischen Entwicklung

Mit Blick auf die Philosophiegeschichte, in der sich allmählich ein handlungsbezogener Schuldbegriff[6] herausgebildet hat, lassen sich dabei drei Arten der philosophischen Schuldbegründung unterscheiden: der magische, der mythische und der rationale Schuldbegriff[7]. Für diese Begriffsbestimmung wurde bei der Ethnologie und Psychologie Anleihe genommen, die auf ein magisches, mythisches und rationales Bewußtseinsstadium rekurrieren. Es soll hier aufgezeigt werden, welche Bedeutung der jeweiligen Schuldbegründung für die Gesellschaft innewohnt und wo deren inhärente Grenzen liegen.

Für die frühesten Zeugnisse von menschlichen Verfehlungen ist aber eine Einschränkung zu machen: in Anbetracht der Tatsache, daß die Mythen vom Sündenfall, von der Verbannung, vom Chaos und von der gottgewirkten Verblendung ”nicht in ihrem Rohzustand in die Philosophie eingehen können”, ergibt sich die Notwendigkeit, diese in die Logik ihrer eigenen Welt zurück zu versetzen. Resultat ist eine ”Bekenntnissprache”, in der Schuld und Übel, sowie ”Befleckung, Sünde und Schuldigsein”, jedoch nur indirekt und bildlich abgehandelt wird. Deshalb ist eine Hermeneutik erforderlich, um eine Symbolauslegung anzustellen. Die Eigentümlichkeit dieser Bekenntnissprache, die als eines der größten Rätsel des menschlichen Selbstbewußtseins erscheint, lassen den Schluß zu, daß der Mensch ”zu seiner eigenen Tiefe nur auf dem königlichen Weg der Analogie” gelangen kann. Der Übergang ”von der Unschuld zur Schuld” kann also nicht empirisch beschrieben werden, sondern bedarf einer Mythenauslegung.[8] Diese Problematik muß in Kauf genommen werden, um zu einem abgerundeten Bild der Schuldvorstellungen vom archaischen Zeitalter bis hin zur Neuzeit zu gelangen. Vorweg kann aber schon gesagt werden, daß die Anwendung der hermeneutischen Methode keineswegs allein auf die Bekenntnisse der Frühzeit begrenzt bleibt. Wie noch zu zeigen sein wird, steht am Ende dieser Schuldgedanken mit Sartre ein Denker, dessen implizite Auffassung von Schuld ebenfalls nur noch durch eine Interpretation zugänglich gemacht werden kann.

Es ist weiters der Umstand zu bedenken, daß eine strikte Abgrenzung nicht immer gegeben ist; einerseits ist der Übergang vom ”mythischen Stadium zur Rationalität als fließend anzusehen”[9], und andererseits eine Abgrenzung vom magischen Bewußtseinsstand zum Mythos abhängig von den jeweiligen angenommenen Parametern ist. Trotzdem erscheint diese vorgenommene Unterscheidung sinnvoll, da damit die unterschiedlichen Reaktionen der menschlichen Gesellschaften in verschiedenen Phasen der Geschichte kenntlich gemacht werden können.

2.1. Der magische Schuldbegriff

Der magische Schuldbegriff nimmt Bezug auf das Stadium archaischer Lebensformen. In seiner idealen Ausformung ist Schuld in einen ”magischen Regelkreis”[10] eingebettet. Die Schuldentstehung erfolgt durch Magie, insofern der Mensch als Opfer dämonischer Einflüsse schuldig wird, und sie wirkt als Instrument der Magie, weil der Mensch mittels Schuldeingeständnis die Götter zu besänftigen vermag. Prägend für diese Zeit sind u.a. die Dichtungen von Homer und Hesiod. Schuld wird hier durch Übertretung von kultischen Geboten, durch Verletzung der aus Dämonenfurcht errichteten Tabus thematisiert. Dies wird als Störung der von den Göttern gesetzten Ordnung angesehen. Solch frevelhaftes Handeln wird – rituell – sanktioniert, wobei nur die faktische Übertretung als solche entscheidend ist, unabhängig davon, ob dieser Frevel absichtlich oder unabsichtlich begangen wurde. Entscheidend ist hier auch der Umstand, daß der Tabuverletzer die Schuld auf sich nimmt und zu Buße und Sühne bereit ist, um die Götter wieder gnädig zu stimmen. Um den Verursacher des Unglücks auszumachen, vollzieht sich innerhalb einer vom Unglück betroffenen Gruppe so etwas wie eine Gewissenserforschung, weshalb Hertz davon ausgeht, daß bereits in diesem Stadium ”fast alle Elemente, die ein subjektives Schuldbewußtsein kennzeichnen”[11], vorhanden sind. Es wäre aber verfehlt, auf der Stufe des magischen Bewußtseins schon von einer moralischen oder Sündenschuld zu sprechen. In dieser Phase figuriert Schuld noch als bloße Tathandlung; es wird keine Unterscheidung getroffen, ob sittliches Fehlverhalten oder bloßes Nichtwissen dafür verantwortlich sind.

Vorherrschend ist die Auffassung von Schuld als ”Makel”, der den Mensch von außen mit Flecken beschmutzt. Diese ”Befleckung” wurde als ein ”objektives Geschehnis betrachtet”, es galt unter allen Umständen zu vermeiden, damit in Berührung zu kommen. Es existierte ein ”Makelverzeichnis”, in dem genau die Ge- und Verbote aufgelistet waren. In diesem Zusammenhang verwundert es, daß Handlungen, die in unserem heutigen Verständnis als ethisch neutral aufzufassen sind - hier ist v. a. die Sexualität zu nennen - sehr wohl als befleckend galten, während Diebstahl, Lüge, ja sogar Menschenmord unter bestimmten Umständen keine Befleckung nach sich zogen. Die Reaktion der Menschen auf eine Befleckung war ein Gefühl der Furcht, denn es folgte unausweichlich, die mit dem Makel einher gehende Rache.

”Die unbezwingliche Bindung der Rache an die Befleckung ist früher als jede Institution, als jede Intention, als jede Verordnung; so elementar ist diese Bindung, daß sie selbst der Vorstellung eines rächenden Gottes vorausliegt.”[12]

Ricoeur schreibt in diesem Zusammenhang von einer ”apriorischen Synthese des rächenden Zornes”und verweist auf Anaximander, der, als er die Weltordnung ausdrücken wollte, dies in der Sprache der Vergeltung tat:

”Anfang und Ursprung der seienden Dinge ist das Apeiron. Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie leisten einander Buße und Sühne für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung.”[13]

Wir können hier also von Rache als einer Naturnotwendigkeit der Befleckung ausgehen und dieser Automatismus im Strafvollzug trug mit dazu bei, daß sich das Band zwischen menschlicher Untat und von den Göttern gesandtem Unglück verfestigte. Als Folge der Rache ist das Leiden anzusehen, es ist der Preis für die durch den Tabubruch verletzte Ordnung. In der Welt der Befleckung existierte die Trennung von Ethik und Physik noch nicht, ”die ganze Naturordnung wurde in die ethische Ordnung hineingenommen”. Deshalb sieht Ricoeur auch die Zweideutigkeit des Wortes ”Übel” als eine ”begründete Zweideutigkeit”: auf das Übel-tun folgt das Übel-erleiden: die Strafe, die aus der Befleckung ”hervorspringt”. Das daraus sich ergebende Leiden ist mit ”ethischen Bedeutungen” aufgeladen, während umgekehrt sich das körperliche Leiden mit der Ethik vermengt. Der Versuch, die Strafe und das damit verbundene Leiden als Folge der Tabuverletzung zu begreifen, ist als der erste Ansatz einer rationalen Schuldbegründung anzusehen. Der Mensch leidet, ist krank, hat Mißerfolg, weil er gesündigt hat. Eine Erklärung, die auch gut mit der Frömmigkeit zu vereinbaren war, denn der Mensch litt, weil er Böses getan hatte, und nicht, weil ein böser Gott die Menschheit bestrafen wollte.

Doch schließlich mußte dieser erste Rationalisierungsversuch des Schuldgedankens preisgegeben werden. Den Stein des Anstoßes lieferte die Gestalt des ”leidenden Gerechten”, ein ”exemplarisches Bild des ungerecht Leidenden”, an ihm zerschellte die Idee, das Unheil vernünftig begründen zu können. Mit der Absage an dieses Erklärungsmodell begann eine Entwicklung, die vom Übel als Makel wegführen sollte und schließlich in die Deutung von Übel als Schuld münden sollte. Böses tun und Böses erleiden konnten nun nicht mehr kausal gesehen werden, das Leiden wurde zum ”unerklärbaren Ärgernis”.

Ungeachtet dieser Krise des ersten Rationalisierungsversuchs von Unheil und Leiden, war aber das Hauptbestreben weiterhin darauf gerichtet, nicht in die Nähe der Unreinheit zu gelangen. Es gab genau festgelegte Praktiken zur Fernhaltung oder Beschwörung des Makels. War es aber dann doch zur Befleckung gekommen, dann konnte durch Reinigungsriten der persönliche Wert des Schuldigen durch eine gerechte Strafe wieder hergestellt werden. Diese Strafe sollte den Makel wieder wegnehmen und in diesem Kontext erhält das Leiden seine Sinnhaftigkeit. Es ist der Preis für die verletzte Ordnung, den die Rache als Genugtuung fordert. An ein solches Leiden war die Erwartungshaltung nach einem ”Wiederaufrichten der Ordnung” geknüpft. Denn die Furcht vor dem Leiden war keine nur passive Furcht, sondern beinhaltete im allgemeinen die Forderung nach einer gerechten Strafe. Durch sie soll die Gewissensfurcht sublimiert werden und schließlich ganz aus dem Leben verschwinden.[14]

Vor dem Übergang zum mythischen Schuldgedanken ist hier nochmals an unsere eingangs gemachte Einschränkung zur Unterscheidung der Schuldbegriffe zu erinnern. Es bleibt festzuhalten, daß gewisse magische Praktiken und magische Tabuvorstellungen bis in die Jetztzeit erhalten geblieben sind. So ist die Einstellung mancher Menschen, die von der strikten Einhaltung von Normen und Geboten eine Garantie für leibliches und seelisches Wohl erwarten, durchaus mit dem Verhalten von primitiven Stämmen zu vergleichen, die mittels Errichtung strenger Tabus den Zorn der Götter zu besänftigen erhoffen, um damit Übel von ihrem Leben abzuwenden. Jene Erwartungshaltung, die noch aus dem magischen Bewußtseinsstand herrührt, ist auch dann zu erkennen, wenn Betroffene darüber klagen, daß ihnen ein Unglück zugestoßen ist, obwohl sie alle moralischen und gesetzlichen Normen eingehalten haben.

2.2. Der mythische Schuldbegriff

Im mythischen Schuldbegriff wird das Individuum sich zunehmend seiner selbst bewußt, und die existentiell bedrohlichen Herausforderungen werden als etwas Eigenes erfahren. Während der Mensch in den frühen homerischen Epen auf schlechte Taten mit Scham reagierte und sich dadurch in seinem Handeln eingeschränkt fühlte, wächst aus dieser Schamkultur ein Bewußtsein, das schon viele Merkmale unseres heutigen Schuldverständnisses erkennen läßt. In den Dichtungen von Aischylos, Sophokles und Euripides sind schon die ersten Ansätze einer - wenngleich noch weitgehend passiven - Eigenverantwortlichkeit erkennbar. Zunächst bleibt aber noch das vorherrschende Gefühl eines hilflosen Ausgeliefertseins an die Götter bestimmend.

”Ein von den Göttern her gesandtes subjektiv unverschuldetes Geschick, ein Verhängnis, trifft einen Menschen und stürzt ihn ins Unglück. Der Verblendete lädt Schuld auf sich, aber diese Schuld ist ganz und gar objektiv, ein nicht gewolltes, ja nicht einmal bewußtes Verfehlen objektiven Ordnungen gegenüber.”[15]

Dodds hat diese Entwicklung des Schuldgedankens mit der Formel, ”Von der Schamkultur zur Schuldkultur”[16] zusammengefaßt. Schuld wird damit erstmals mit der conditio humana in Verbindung gebracht, als schicksalhaftes, schuldloses schuldig werden des Menschen. Hier wird ein typisches Charakteristikum des Mythos erkennbar. Im magischen Zeitalter ist Schuld noch reine Übertretungsschuld und somit Tatschuld; in der mythischen Phase wird sie als existentielle Schuld zu einer Seinsschuld, deren Ursprung aber im Dunkeln liegt.

Anselm Hertz nennt als Beispiel für diese Schuld qua Determinismus den babylonischen Mythos, in dem das Ideogramm für Schicksal zugleich auch Schuld bedeutet. Schuld wird als Folge eines schicksalsbestimmten Sündenfalles angesehen, das menschliche Dasein und die Sünde sind also untrennbar verbunden. In gewisser Weise gilt dies auch für den Sündenfall von Adam und Eva im Paradies aus dem Buch Genesis, wo die Verführung durch die Schlange als ein Verweis auf einen kosmischen Sündenfall gedeutet werden kann.[17] Der Ursprung des mythischen Schuldgedankens liegt also in der Transzendenz. Diese Sichtweise verweist auf eine

”tieferliegende Erfahrung, die der ‘Sünde’, die alle Menschen umschlingt und die wirkliche Situation des Menschen vor Gott bezeichnet, ob der Mensch es weiß oder nicht. Von dieser Sünde berichtet der Sündenfallmythos, wie sie in die Welt gekommen sei”[18].

Auf dieser Stufe gibt es noch keine von der Interpretation des Mythos unabhängige Ethik oder Gesetzgebung. Dieser Umstand wird vor allem in der Strafe deutlich, als Folge von Übertretungen der jeweiligen Gebote. Neben innerweltlichen Strafandrohnungen, die bis zur Todesstrafe reichen, gibt es noch die transzendenten Straferwartungen. In den meisten Mythen waltet hier die Vorstellung eines göttlichen Gerichts, dem sich die Menschen nach ihrem Tod unausweichlich zu stellen haben. Auf diese Weise wurde eine größere Effizienz bei Einhaltung der Gebote erzielt, denn es war vielleicht möglich der irdischen Gerechtigkeit zu entgehen, nicht jedoch dem Gericht der Gottheit. Entwickelt wurde dieser Gedanke bereits im dritten vorchristlichen Jahrtausend in Ägypten, von wo es in die verschiedenen Religionen des Orients gelangte, um schließlich durch Hesiod auch ins griechische Denken Einzug zu halten.

Trotz dieser Seinsschuld ist der Mensch aber angehalten, sich gemäß der kosmischen oder göttlichen Ordnung, die auch das Leben der menschlichen Gemeinschaft normiert, zu verhalten. Es wäre verfehlt, aus dieser existentiellen Schuld eine Unfähigkeit des Menschen zur Erfüllung der Gebote abzuleiten. Es fällt auf, daß diese allgemeine Schuld und die jeweilige individuelle Schuld nicht aufeinander referenzieren. Für den Mythos gilt grosso modo die Vorstellung, daß existentielle Schuld und subjektive Verfehlung des Menschen neben einander bestehen und erst in der göttlichen Unendlichkeit aufeinander treffen.

Die Vorstellung, daß alle menschlichen Gesetze aus der göttlichen oder kosmischen Ordnung abgeleitet sind, hat aber noch eine andere Konsequenz. Eine Ethik, die den Menschen als konstitutiv auf Gott angelegt begreift und die Gültigkeit ihrer Gesetze in der Transzendenz legitimiert, darf eigentlich keine Bereiche des Daseins als rein innerweltlich ausklammern. Jeder Verstoß gegen die menschliche Seinsordnung hat also unweigerlich auch einen Bruch mit der transzendent begründeten Seinsordnung zur Folge. Eine Normverletzung, die nur das irdische Leben beeinträchtigt, aber keine Auswirkungen auf das jenseitige Leben hätte, ist damit, streng genommen, nicht denkbar. Somit klärt sich auch das nur scheinbare Paradoxon auf, daß sehr wohl rationale Schuldbegründung - als Beispiel sei hier die Vorwerfbarkeit von Schuld genannt - innerhalb des Mythos möglich ist. Es bleibt diese Schuldbegründung eine mythische Schuldbegründung, solange sie als Teil eines nicht rational begründeten Normensystems anzusehen ist.

Kommen wir nochmals auf die attische Tragödie und ihre bedeutendsten Vertreter, Aischylos, Sophokles und Euripides zurück. Jörg Dittmer[19] hat ihre Dramen untersucht und ihre enorme Bedeutung für das Leben in der Polis und den Glauben an eine kosmische Ordnung festgestellt; sie boten den Bürgern Athens Orientierung in vielerlei Hinsicht. Diese Orientierung war dringend geboten, da es in der ”attischen Demokratie des 5. Jahrhunderts keine festen Institutionen, keinen Behördenapparat, keine öffentlichen Schulen usw.”[20] gab. Im Unterschied zu den alten Hochkulturen von Athen gab es auch keinen Monarchen oder Hohepriester, der dem Einzelnen seinen Platz in der Gemeinschaft zuwies, sodaß es also zu einem Mangel dessen kam, was Max Weber das ”nomologische Wissen” genannt hat. Dieser Begriff wird wie folgt erklärt:

”Es ist jenes Allgemeine, Übergeordnete, Normative, auf das wir unser Denken, Handeln und Erleben zu beziehen pflegen, in das dieses Denken, Handeln, Erleben einzuordnen sein muß, damit die Dinge ‘stimmen’. Es ist ein Wissen, auch wenn es nicht in allem bewußt ist, in ihm wird uns klar oder fühlen wir doch wenigstens, was richtig ist und was falsch, was in Ordnung ist und was Anlaß zu Sorge und Angst sein sollte. (...) In ihm kann manches in Widerspruch zueinander stehen, es pflegt nicht systematisch, nicht einmal geschlossen zu sein, (...) in ihm gründen sich unser Verstehen wie unser Urteilen.”[21]

Erst durch solch ein Wissen bekommen die Dinge ihren Sinn, sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft, und dieses nomologische Wissen wurde im ”Athen des 5. Jahrhunderts ganz entscheidend von der attischen Tragödie geprägt.”[22] Es galt deshalb die Teilnahme an den Aufführungen der Tragödien während des Dyonisos-Festes nicht als ”ein Vergnügen des Privatmannes”, sondern als ”öffentlich bedeutsame Tätigkeit des Bürgers für seine Polis”, denn die Inhalte und Lehren der Tragödien den aufmerksamen Polis-Mitgliedern näher zu bringen, wurde als ”die Arbeit eines Gemeinwesens an seiner geistigen Infrastruktur”[23] angesehen.

Diese Arbeit konnte u. a. auch deswegen gelingen, da die Stoffe für die Dramen nicht beliebig gewählt wurden, sondern immer dem Mythos entstammten, und somit in ihren Grundzügen bekannt waren. Die Tragödiendichter konnten also bei den Zusehern ein gewisses Basiswissen voraussetzen und durch eine spezielle Variation eines bekannten Topos Denkanstöße liefern und aktuelle Bezüge herstellen, die jedoch tief im Mythos verwurzelt waren. Die Bürger Athens wurden dadurch zu einer differenzierten Betrachtungsweise ihrer Lebensumstände angeregt, ihre Urteilsbildung wurde ”in einer Art mentalem Training”[24] geschult. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit ist eine nähere Untersuchung dieser Gattung lohnenswert, ”zumal das immer wiederkehrende Thema von Scheitern und Schuld im Handeln”[25] exemplarisch abgehandelt wird; es lassen sich dadurch sehr viele Merkmale einer mythischen Schuldbegründung erkennen, und auch wie diese sich allmählich wandelt.

2.2.1. Exkurs: Mythische Schuldbegründung in der griechischen Tragödie

In den Schauspielen von Aischylos werden immer wieder die boshaften Gottheiten thematisiert, durch deren Bestimmung ”der Mensch - trotz heroischen Widerstands - in die Schuld getrieben wird.”[26] Das menschliche Handeln birgt stets die Gefahr, daß die selbe Tat einerseits Pflicht und Notwendigkeit bedeutet, doch andererseits verstrickt sich der Mensch damit auch in schwerste Schuld. Dieses schuldig werden geschieht oftmals durch ”menschliche Verblendung oder Frevelmut”, doch immer wirkt im Hintergrund eine allmächtige Gottheit. Der Mensch muß leiden, aber er kann und soll durch dieses Leiden lernen und erkennen, daß die von den Göttern eingerichtete Ordnung eine gerechte Welt ermöglicht. Unerforschlich ist das Wirken der Götter, die einerseits über Unschuldige schweres Unheil senden und andererseits, wie in den ”Eumeniden” ihre Macht zu Gunsten des Muttermords angeklagten Orest verwenden. Für Aischylos, der den Sieg der Athener über die Perser (an diesem Feldzug nahm er auch, antiken Überlieferungen zufolge, selbst teil) als von den Göttern herbeigeführt ansah, steht die unfehlbare Weisheit der Götter, aller Widersprüchlichkeiten zum Trotz, fest. Sie führen die Bosheit der Menschen durch Leiden zum Guten, weswegen ihnen jede menschliche Ehrfurcht gebührt.

Im krassen Gegensatz dazu steht das dramatische Werk von Euripides, dem jüngsten der drei genannten Tragödiendichter. Seine harte Kritik an den religiösen Riten und kultischen Gebräuchen seiner Zeit, zielen jedoch nicht auf eine Vernichtung der Religion, sondern nur auf bestimmte Ausformungen. Diese will er hinterfragen und dadurch reinigen. Es finden sich auch in seinem Werk durchaus Stellen, in denen eine neue Religiosität verkündet wird, doch seine Götter regieren die Welt nicht mit einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit, manchmal herrscht auch der ”blinde Zufall” vor. Diese neue Theologie stieß deshalb beim Volk von Athen auf breite Ablehnung, Aristophanes verspottete die überirdische Macht als ”Privatgötter”.

Euripides gilt als der erfolgloseste der drei großen Tragiker, da seine Dramen keine festen theologischen Antworten bieten konnten und damit auch keinen Beitrag zur Lösung der Polisprobleme leisteten. Trotzdem ist sein Rang als Tragödiendichter unbestritten, er warf einen genauen, wenig idealisierenden Blick auf die Menschen, wie das Urteil von Aristoteles nahelegt: ”Sophokles stellt die Menschen dar, wie sie sein sollen, Euripides so, wie sie sind.”[27] Zudem weisen seine Stücke weit in die Zukunft, da sich in ihnen bereits die beginnende Ablösung des Individuums von der religiösen Gemeinschaft ankündigt. Für die Entwicklung der Vorstellung von menschlicher Schuld sind seine Dramen auch insofern von besonderer Bedeutung, da in ihnen die ”Möglichkeit schuldhaften Handelns wider besseres Wissen”[28] besonders hervorgehoben wird.

In diesem griechischen Dreigestirn hatte Sophokles eine Mittelposition inne, sowohl was sein Leben, als auch sein Denken anging. Bei ihm erscheint der Mensch zuweilen als Spielball der Götter, doch wirken diese meist im Hintergrund und sind deshalb ”nicht im Sinne einer aschyleischen Theodizee sittlich gerechtfertigt.”[29] Sophokles zeigt besonders anschaulich das Leiden auch des Gerechten und des Unschuldigen (”König Ödipus”). Er ist davon überzeugt, daß die durch einen Tabubruch verletzte Seinsordnung durch das Wirken der Gottheit wieder hergestellt werden kann, wenn die Menschen ihren Fügungen folgen und ihr Los annehmen. Die Einbindung des Menschen in die göttlichen und menschlichen Rechtsnormen ist für ihn eine unabdingbare Notwendigkeit. Im Mittelpunkt seiner Tragödien steht aber nicht in erster Linie die Rechtfertigung jedes göttlichen Handelns wie bei Aischylos, sondern die Art wie der Mensch mit seinem Schicksal umgeht. In der sehr langen Schaffensperiode Sophokles’, man spricht von fünfundsechzig Jahren (!), läßt sich außerdem eine allmähliche Änderung seiner Schuldauffassung feststellen. Anschaulich zeigt dies die Sage des König Ödipus, der gerade dadurch schuldig wird, weil er der ihm geweissagten Schuld entgehen will. Sie steht in der attischen Tragödie exemplarisch für diesen Schuldtypus.

Sophokles hat aber den Ödipus-Stoff noch einmal, kurz vor seinem Tod, bearbeitet. Sein ”Ödipus auf Kolonos” setzt ein, als Ödipus nach Jahren in der Verbannung nach Athen zurückkehren will, und im geheiligten Hain von Kolonos sich mit seiner Tochter Antigone, die den Geblendeten führt, Rast macht. Ein Koloneer naht und macht sie auf ihren Tabubruch aufmerksam, sie sind angehalten, sofort diesen geheiligten Ort verlassen. Inzwischen haben sich mehrere Bürger eingefunden und sie erkennen, wer dieser blinde Bettler wirklich ist. Aus Angst vor Befleckung wollen sie ihm den Zutritt zu ihrer Stadt verwehren. Ödipus verweist jedoch auf seine subjektive Unschuld, und ist zudem überzeugt, daß die Götter, bedingt durch sein langes Leiden und seiner Bereitschaft, sein Schicksal zu akzeptieren, ihm nun verziehen hätten. Der herbeigeholte Theseus weiß um die lange Leidensgeschichte von Ödipus und erkennt gewisse Parallelen zu seinem Leben. Er bietet ihm deshalb seinen Schutz an und ist bereit, ihn in der Stadt aufzunehmen. Doch dieser ahnt, da er schon mehrere Zeichen von Zeus erhalten hat, daß die Stunde seiner ”Entrückung und Heroisierung”[30] gekommen ist. Er bittet deshalb Theseus, ihn in den Hain der Eumeniden zu begleiten, an jenen Ort, wo ihn Zeus zu sich nehmen wird. So geschieht es auch; ein Bote überbringt später die Nachricht, daß Ödipus von einem Götterboten weggeholt worden sei und fortan als Schutzgeist über das Wohl von Athen wachen werde.

Anhand dieser beiden Stücke, König Ödipus und Ödipus auf Kolonos läßt sich gut die Entwicklung zeigen, die das Sophokleische Schuldverständnis durchgemacht hat. Im König Ödipus wurde die Betonung auf die objektive Schuld gelegt, die subjektiv guten Absichten und das Nichtwissen des Helden spielten eine untergeordnete Rolle, er muß seinen Leidensweg antreten. Nun, bei Ödipus auf Kolonos, kann dieser sich auf seine subjektive Unschuld berufen, die Theseus auch anerkennt und mit ihm auch die Koloneer, die schließlich ihre Furcht vor dem Makel überwinden. Auch der Tabubruch, die Entweihung des geheiligten Ortes, hat nicht mehr, wie noch im König Ödipus, die ”Rache des Makels”[31] zur Folge. Die Götter blicken nun wohlgefällig auf Ödipus, nachdem er die Sinnhaftigkeit seines Leidens erkannt hat, und sein Schicksal annimmt.

Hier zeigt sich also immer noch das Wirken der Götter, aber wichtiger ist nun schon das menschliche Handeln in einer bestimmten Situation. Das ”hilflose Ausgeliefertsein an die Götter” ist überwunden, das menschliche Tun gewinnt zunehmend an Bedeutung. Ödipus auf Kolonos ist als ein exemplarisches Beispiel dafür anzusehen, wie durch das Leiden des mit Schuld Beladenen, ein Wiederaufrichten der Ordnung gelingt. Obwohl er subjektiv unschuldig war, trägt er seine Strafe und wird dafür von den Göttern belohnt. Durch seine von Zeus herbeigeführte Entrückung und Heroisierung im Hain der Eumeniden, steigt er zum Schutzgeist von Athen auf und wacht über das Wohl der Stadt. Dieses Stück erfüllte die von Aristoteles für jede gelungene Tragödie erhobene Forderung nach einer ”Karthasis”[32], ihre Botschaft wurde von den Athenern verstanden und ließ sie trotz der eben erlittenen Niederlage im peleponesischen Krieg wieder zuversichtlicher in die Zukunft blicken.

2.2.2. Platon und Aristoteles

Nur wenige Jahre nach dem Tod von Sophokles, gründete Platon in der Nähe des Hains der Eumeniden seine Akademie. Diese räumliche Nähe zu Sophokles hat ihre Entsprechung auch in einer inhaltlichen Nähe, respektive Weiterentwicklung. Denn mit dem Wirken Platons übernimmt nun die Philosophie von der Tragödie die Aufgabe, Erklärungsmodelle für die kosmologische und weltliche Ordnung zu liefern und den Bürgern Athens Orientierungen im Leben zu bieten. Nachdem der Glaube an eine überirdische Determination des Menschen bereits durch Euripides stark in Zweifel gezogen worden war, wird er nun durch Platon vollends aufgebrochen. Schuld oder Nichtschuld liegt nun schon zur Gänze im Bereich des menschlichen Handelns. Das heißt nicht, daß Platon die Existenz der Götter anzweifelt, im Gegenteil, er setzt dem Homo-Mensura-Satz des Protagoras[33] in bewußter Antithese den Satz, ”Der Gott ist das Maß aller Dinge”[34] entgegen. Seine Philosophie ist durchdrungen von der Idee der Unsterblichkeit der Seele und von der Bemühung um ”Angleichung an Gott”[35]. Aber für ihn gilt, daß der Mensch eine grundsätzliche Wahlmöglichkeit hat, wodurch dieser auch für seine Taten verantwortlich gemacht werden kann:

”Euch wird nicht ein Schutzdämon erwählt. (...) Die Tugend hat keinen Herrn über sich. Jeder wird sie um so mehr gewinnen oder verlieren, je mehr er sie in Ehren hält oder gering schätzt. Die Schuld liegt an dem der gewählt hat; die Gottheit hat damit nichts zu tun.”[36] (Hervorhebung J.P.).

Platon formuliert hier ”eine erste säkulare und bereits modern anmutende Bestimmung von Schuld”[37], er bricht mit der mythischen Vorstellung von der göttlichen Kausalität der Schuld und bestimmt die freie Wahl der Seele als deren Ursache. Die menschliche Unwissenheit ist dabei keine Entschuldigung für entstandene Schuld, denn für Platon resultiert diese aus der ”willenlosen und daher schuldhaften Vernachlässigung der Wahrheit”, und führt in weiterer Folge zur ”menschlichen Ungerechtigkeit” (”adikia”).[38]

Aristoteles greift diesen Gedanken Platons auf und baut ihn zu einer Handlungstheorie[39] aus. Für den ”Augenblick des Vollzugs” der menschlichen Handlungen

”besteht die Freiheit der Wahl. (...) Denn das Prinzip, das die dienenden Glieder des Leibes bei solchem Handeln bewegt, ist im Menschen, und immer da, wo das bewegende Prinzip im Menschen liegt, steht es auch in der Macht des Menschen zu handeln oder nicht zu handeln.”[40]

Dies bedeutet in weiterer Folge, daß ”von allem, wovon der Mensch Ursprung und worüber er Herr ist”, er auch die ”Ursache” ist, und ”wovon er Ursache ist, das hängt von ihm ab.”[41] Aristoteles legt also in seiner Argumentation den Schwerpunkt auf den handelnden Menschen, der teleologisch orientiert ist, das richtig gewählte Ziel (”amartia”) aber auch verfehlen kann.[42] Wie Platon leugnet auch Aristoteles nicht die Existenz einer Gottheit, doch sein Gottesbild geht von einem ”unbewegten Beweger” aus, der in die ”theoria”, das reine geistige Schauen seiner selbst, versunken ist, weshalb er an den weltlichen Vorgängen desinteressiert ist. Gott greift in den Weltlauf nicht ein und er ist von ihr aus nicht zu beeinflussen. Die Vorstellung, daß die Götter menschliche Schuld bestrafen, oder den Menschen sogar in die Schuld treiben, läßt sich mit dem aristotelischen Gottesverständnis nicht in Einklang bringen. Der Mensch allein ist für seine Handlungen, also auch für seine Schuld oder Unschuld, verantwortlich. Zwar scheint Aristoteles einige Schuldausschließungsgründe anzuerkennen wenn er ausführt, daß schuldhaftes Handeln nur für die solche Taten in Frage kommt, die man ”in der Macht hat”, aber auch hier gilt, daß ”man ein solcher geworden ist, ist man selber schuld, indem man sich gehen läßt.”[43] Die ”fehlerhaften Beschaffenheiten der Seele, der ‚habitus‘ des Menschen sind freiwillig”[44] und können nicht von der individuellen Verantwortung entbinden. Er sollte deshalb trachten, sein Leben nach der ”Sittlichkeit” auszurichten, dann kann er die ”eudaimonia”, die Glückseligkeit erreichen, die das Endziel allen menschlichen Strebens sein sollte.

”Denn bei keiner menschlichen Leistung ist so viel ruhige Beständigkeit gewährleistet wie bei den Betätigungen sittlicher Trefflichkeit (...), denn in ihnen erfüllt der Glückselige ganz besonders tief und unablässig den Sinn des Lebens.”[45]

2.3. Der rationale Schuldbegriff

Mit den beiden letztgenannten Denkern wird der Übergang zum rationalen Schuldbegriff eingeleitet, der für das neuzeitliche Denken prägend wird. Nun wird die Entmythologisierung durch ein durch logisches Denken gewonnenes Wissen eingeleitet, mit dem Ziel, die Rationalität als alleiniges Prinzip zu installieren. Es wird eine Ordnungsstruktur angenommen, die das gesamte Sein umfaßt, und in der alles einheitlich und durchgängig logisch geordnet und auch erkennbar ist. Dieses Rationalitätsprinzip muß auch in sich selbst als rational angesetzt werden, weshalb eine rationale Schuldbegründung eine Normsetzung erfordert, die durch logisches Denken nachvollzogen werden kann. Ein rationaler Schuldbegriff müßte also in seiner idealen Ausformung eine Begründung von Schuld leisten können, die zur Gänze der menschlichen Vernunft zugänglich ist. Gewöhnlich wird für eine Schuldbegründung qua menschlicher Vernunft der Begriff von der Autonomie des Menschen vorausgesetzt, um damit eine kausale Fremdbestimmung des Menschen für die Art der Schuldbegründung – etwa durch Gott – zu überwinden. Wie Anselm Hertz ausführt, ist ”Autonomie”[46] aber ein polyvalenter Begriff und bedarf deshalb einer näheren Auslegung.

Autonomie im Sinne Kants etwa würde bedeuten, daß der Mensch, respektive der ”gute Wille” des Menschen als ”das allgemeine Vernunftssubjekt” zur ”reine(n) rechtlich-gesetzgebende(n) Vernunft” erklärt wird, denn:

”Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein GUTER WILLE.”[47]

Durch diesen guten Willen, als das Subjekt des moralischen Gesetzes, fühlt der Mensch sich, aus ”Achtung vor dem Gesetz”, in seinem Handeln gebunden. Gleichwohl kann trotzdem von der Freiheit des Menschen ausgegangen werden, denn, ”wer einem Gesetz, das er sich selbst gegeben hat, gehorcht, ist frei.”[48]

Man kann aber auch dann von Autonomie sprechen, wenn man, wie schon erwähnt, eine kausale Fremdbestimmung durch Gott ablehnt, aber ”an der Idee einer sittlichen Fremdbestimmung festhält.” Der Mensch ist dann

”den Gesetzen der Schöpfungsordnung unterworfen, die ihn aber im Bereich seiner Geistnatur nicht kausal, sondern moralisch binden. Die Freiheit des Menschen zur Selbstbestimmung ist Freiheit zur Verwirklichung des eigenen Wesens nach Maßgabe des objektiv vorgegebenen und transzendent begründeten Sittengesetzes, das er sich (...) im Gewissen zu eigen machen kann.”[49]

Eine solcherart gedachte Autonomie des Menschen wäre dann auf eine Ordnung des Seins ausgerichtet, die in der Transzendenz verwurzelt ist. Dagegen läßt sich aber der Einwand erheben, daß dies nur als eine abgeleitete oder partielle Freiheit bezeichnet werden kann, denn Selbstverwirklichung ist nur im Rahmen dieses Sittengesetzes möglich. Zudem wäre diese Definition nicht als eine rein rationale Schuldbegründung anzusehen, denn ”Transzendenz” ist einer rationalen Erklärung nicht zugänglich, sie hat also, der funktionalen Autonomie zum Trotz, noch Teile einer mythischen Schuldbegründung in sich.

Mit der Kantschen Autonomie-Auffassung würde man zu einem Schuldbegriff gelangen, der sowohl in seiner Funktion, als auch in seiner Begründung, Rationalität für sich beanspruchen könnte. Doch auch diese Ausformung der Begründung hat ihre Tücken. Denn, wie Kant selbst einräumt, bleibt sein Postulat der allgemeinen Vernunftsperson als Subjekt des moralischen Gesetzes unklar. Weder das konkrete Individuum, noch die Masse der Menschen, können als empirisches Faktum angesetzt werden, da dies eine Heteronomie ”nach den Maßstäben des Jedermann gelebten Lebens”[50] zur Folge hätte. Die Autonomie der Vernunftsperson ist also eine ”reine Idee”, dies würde auch für die Schuld gelten, sie wäre dann ”reine” Schuld, somit bloße Idee von Schuld. Es stellt sich also die Frage, ob es überhaupt Schuld geben kann, die in ihrer Begründung nicht auf den Mythos rekurriert und mehr ist als bloße ”Idee” von Schuld.

Eine mögliche Antwort wäre der Verweis auf jene Schuldvorstellung, die von der Faktizität von Schuld ausgeht. Schuldig ist derjenige, der gegen eine Norm der Moral oder des Rechts verstößt. Damit ist Schuld nichts anderes, als ”die Zurechnung einer Handlung zu einer bestimmten Person als ihren Urheber”[51], wenn diese Handlung gegen eine Rechtsnorm verstößt und damit ein vom Gesetzgeber nicht gewünschtes Ergebnis zur Folge hat. Dem Urheber dieser Tat wird dann der Normverstoß angelastet, jedoch nur dann, wenn die ”Zurechnungsfähigkeit des Urhebers”[52] gegeben ist. Diese rein rechtliche Schuldvorstellung geht also von einer verantwortlichen Urheberschaft, als Gegensatz zu einer nur physischen Urheberschaft aus; dafür werden u. a. folgende Gründe genannt:

[...]


[1] Metzler Philosophie Lexikon, S. 526.

[2] Honnefelder, Philosophie der Schuld, S. 32f.

[3] Nietzsche, Zur Genealogie der Moral II, S. 211ff.

[4] Vgl.: Abschnitt 2.1. Ricoeur und 2.2.1. Exkurs

[5] Vgl.: Kluge, F., Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 19. Auflage, Berlin, 1963, S. 683, zit. nach: Honnefelder, Philosophie der Schuld, S. 31, Anmerkung 3.

[6] Vgl. hiezu: Köpcke-Duttler, Schuld, S. 1442ff.

[7] Hertz, Schuldbegründung, S. 16ff.

[8] Vgl.: Ricoeur, Phänomenologie I, S. 7ff.

[9] Hertz, Schuldbegründung, S. 17.

[10] Hertz, Schuldbegründung, s. 19.

[11] Hertz, Schuldbegründung, S. 18.

[12] Ricoeur, Phänomenologie II, S. 35.

[13] Anaximander, Fragmente, (Diels-Kranz 12,1), zit. nach: Schabert/Clemens, Schuld, S. 10.

[14] Ricoeur, Phänomenologie II, S. 35ff.

[15] Schulz, W., Wandlungen der Begriffe ”Schuld” und ”Verantwortung”, in: Jahrbuch für Psychologie, Psychotherapie und medizinische Anthropologie, 16. Jg., zit. nach Sandkühler, Europ. Enzyklopädie, S. 201.

[16] Dodds, Eric R., Die Griechen und das Irrationale, Darmstadt, 1970, zitiert nach Dittmer.

[17] Vgl. Hertz, Schuldbegründung, S. 22ff.

[18] Ricoeur, Phänomenologie II, S. 14.

[19] Dittmer, Oidipus auf Kolonoss, S. 19ff.

[20] Dittmer, Oidipus auf Kolonoss, S. 27.

[21] Chr. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt, 1986, S. 43f., zit. nach Dittmer.

[22] Dittmer, Oidipus auf Kolonos, S. 28.

[23] Chr. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt, 1986, S. 52, zit. nach Dittmer.

[24] Dittmer, Oidipus auf Kolonos, S. 29.

[25] Dittmer, Oidipus auf Kolonos, S. 28.

[26] Splett, Jörg, Schuld, S.1280.

[27] Aristoteles, Poetik, 1460b, S. 32ff., vgl. auch Poetik, 1453a, S. 41, wo Aristoteles auf den Rang von Euripides verweist, der als der”tragischste unter den Dichtern” (gemeint ist im Hinblick auf die Wirkungsaffekte jeder guten Tragödie ”Jammer” und ”Schaudern”) gelten kann, aber sogleich die Kritik hinzufügt, daß er gewisse ”andere(n) Dinge nicht richtig handhabt”.

[28] Glei, R., Schuld, S.1443.

[29] Dittmer, Oidipus auf Kolonos, S. 33.

[30] Dittmer, Oidipus auf Kolonos, S. 41.

[31] Ricoeur, Phänomenologie II, S. 39.

[32] Aristoteles, Poetik, 1449b, S. 19.

[33] Protagoras, ”Der Mensch ist das Maß aller Dinge, des Seienden für sein Sein, des Nichtseienden für sein Nichtsein.”, zit. nach dtv-Atlas zur Philosophie, S. 35. An diesem Satz von Protagoras läßt sich sehr gut zeigen, daß es auch schon in der ”Welt der Befleckung” (Ricoeur) Versuche gab, das allmächtige Wirken der Götter in Frage zu stellen.

[34] Platon, Die Gesetze, S.357.

[35] Dittmer, Oidipus auf Kolonos, S. 50.

[36] Platon, Der Staat, S. 597.

[37] Sandkühler, Europäische Enzyklopädie, S. 201.

[38] Platon, Gesetze, 860d.

[39] Diese wird v. a. im Buch III, S. 54-86, der Nikomachischen Ethik entfaltet.

[40] Aristoteles, Nikomachische Ethik III, 1110a, S. 54f.

[41] Köpcke-Duttler, Schuld, S.1466f.

[42] Aristoteles, Nikomachische Ethik, III, 7, 1113a, S. 66ff.

[43] Aristoteles, Nikomachische Ethik, III, 7, 1114a, S. 67.

[44] Köpcke-Duttler, Schuld, S. 1466.

[45] Aristoteles, Nikomachische Ethik, I, 11, 1100b, S. 25.

[46] Vgl. Hertz, Schuldbegründung, S. 26f.

[47] Kant, Grundlegung, S. 28.

[48] Skirbekk/Gilje, Geschichte der Philosophie II, S. 533. Wie Skirbekk/Gilje weiter ausführen, greift Kant hier einen zentralen Gedanken der Rousseauschen Philosophie auf.

[49] Hertz, Schuldbegründung, S. 26.

[50] Hertz, Schuldbegründung, S. 27. Auch Gesine Schwan beleuchtet diese Problematik im Zusammenhang mit der Bemühung, ein für alle verbindliches ”ethisches Minimum” zu begründen, muß aber ebenfalls einräumen, daß der ”Durchschnittsmensch” immer ein ”Konstrukt” bleiben wird. Vgl.: Schwan, Politik und Schuld, S. 29ff.

[51] E. Metzger, Strafrecht, 3. Auflage 1949, S.251, zit.. nach Hertz.

[52] Ricoeur, Phänomenologie II, S. 126.

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Die Suche nach einer Möglichkeit, Wolfsegg ertragen zu können - Thomas Bernhards Auslöschung - Ein Zerfall im Horizont klassisch-philosophischer Schuldvorstellungen
Hochschule
Universität Wien  (Philosophie)
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
111
Katalognummer
V4913
ISBN (eBook)
9783638129961
Dateigröße
1207 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schuld, NS-Schuld, Thomas Bernhard, klassisch-philosophische Schuldbegriffe
Arbeit zitieren
Josef Pfeifer (Autor:in), 2001, Die Suche nach einer Möglichkeit, Wolfsegg ertragen zu können - Thomas Bernhards Auslöschung - Ein Zerfall im Horizont klassisch-philosophischer Schuldvorstellungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4913

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