In dieser Arbeit soll es um die Männlichkeitsentwürfe in Franz Kafkas Roman "Der Verschollene" gehen, mit dem Fokus auf die Leitfrage, wie und aus welchen Gründen Männlichkeit im Roman "Der Verschollene" konstruiert wird. Der Roman entstand in mehreren Etappen Anfang des 20. Jahrhunderts. Deshalb wird der erste Teil dieser Ausarbeitung die Konstruktion von Männlichkeit im 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende thematisieren, wobei insbesondere die sog. Dekadenz oder auch Krise der Männlichkeit von entscheidender Bedeutung ist.
Da Franz Kafka nicht nur ein Literaturschaffender, sondern auch ein Mensch war, der in einer Familie aufgewachsen ist, die sein Leben und auch sein Schreiben beeinflusst haben, wird im zweiten Teil dieser Arbeit der Brief an den Vater als biographisches Zeugnis und in Bezug auf Männlichkeitsentwürfe analysiert, so dass die Leitfrage auch im biographischen Kontext betrachtet werden kann. Im dritten und letzten Schritt wird dann "Der Verschollene" unter dem Aspekt der Männlichkeitsentwürfe untersucht, mit dem Ziel den Roman in einem neuen Kontext einzuordnen und zu interpretieren.
Die Rolle der Geschlechter ist bis heute ein gesellschaftlich relevantes Thema, weshalb es auch in der Literatur und Literaturwissenschaft in Erscheinung tritt. Die Debatte, ob Frauen und Männer in unserer Gesellschaft gleichberechtigt sind, scheint bis auf Weiteres nicht abgeschlossen. Besonders deutlich wurde die Aktualität dieses Themas, als die Einführung eines dritten Geschlechts bekannt gegeben wurde. Dies führte zu einer Diskussion über die Frage, wie Geschlechtlichkeit überhaupt zu definieren sei. Seit den 1990er Jahren ist das Thema auch zu einem wissenschaftlichen Gegenstand in Form der sog. Gender Studies geworden.
Aus den Gender Studies resultiert die Annahme, dass Geschlecht über die biologische Determinante hinausgehe und eine soziale Konstruktion sei. Bei dieser Konstruktion von Geschlecht sind die Literatur und die Literaturwissenschaft auf zweierlei Art beteiligt. Einerseits entwerfen Autoren in ihren Werken gesellschaftliche Welten, in denen bestimmte Geschlechterverhältnisse vorherrschen. Andererseits werden durch die Interpretation und Rezeption des Werks seitens der Literaturwissenschaft Geschlechterrollen konstruiert.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Theoretischer Hintergrund
- 2.1 Geschlechterforschung
- 2.2 Definitionen
- 2.3 Die Entstehung und Bedeutung der modernen Männlichkeit
- 2.3.1 Das Bürgertum und die moderne Männlichkeit
- 2.3.2 Der männliche Stereotyp
- 2.3.3 Der ,,unmännliche\" Stereotyp
- 2.4 Die Krise der Männlichkeit
- 2.5 Otto Weiningers Geschlecht und Charakter
- 3. Männlichkeitsentwürfe im Brief an den Vater
- 3.1 Methodisches Vorgehen und Stand der Forschung
- 3.2 Die Männlichkeit des Vaters
- 3.3 Krankheit und Judentum
- 3.3 Frauen
- 3.4 Sexualität
- 4 Analyse des Romans Der Verschollene
- 4.1 Stand der Forschung
- 4.2 Methodik Vorgehensweise
- 4.3 Männliche Figuren
- 4.3.1 Der Heizer
- 4.3.2 Der Onkel
- 4.3.3 Herr Pollunder
- 4.3.4 Herr Green
- 4.3.5 Robinson und Delamarche
- 4.4 Weibliche Figuren
- 4.4.1 Johanna Brummer
- 4.4.2 Klara Pollunder
- 4.4.3 Grete Mitzelbach
- 4.4.4 Therese
- 4.4.5 Brunelda
- 4.5 Symbole und Metaphern
- 4.6 Erzählverhalten
- 4.7 Zusammenfassung
- 4.8 Interpretation im Kontext der Männlichkeitsentwürfe um 1900
- 4.9 Interpretation im biographischen Kontext
- 5. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit den Männlichkeitsentwürfen in Franz Kafkas Roman „Der Verschollene“. Die Arbeit untersucht, wie und aus welchen Gründen Männlichkeit im Roman konstruiert wird. Die Untersuchung betrachtet dabei sowohl den literarischen Kontext, insbesondere die Debatte um die Krise der Männlichkeit um 1900, als auch den biographischen Kontext, indem der Brief an den Vater analysiert wird.
- Die Konstruktion von Männlichkeit im 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende
- Die Krise der Männlichkeit im Kontext des Bürgertums
- Die Darstellung von Männlichkeitsentwürfen in Franz Kafkas Roman „Der Verschollene“
- Die Interpretation des Romans im Kontext der Debatte um Männlichkeit
- Die Analyse des Briefes an den Vater als biographisches Zeugnis von Männlichkeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor und erläutert die Relevanz der Geschlechterfrage in der Literatur. Sie skizziert die Forschungsfrage, welche die Konstruktion von Männlichkeit im Roman „Der Verschollene“ untersucht. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich dem theoretischen Hintergrund. Er definiert die Begriffe „Geschlecht“ und „Gender“ und beleuchtet die Entstehung der modernen Männlichkeit im Kontext des Bürgertums. Dieses Kapitel untersucht auch die Krise der Männlichkeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie die psychologische Perspektive auf Geschlechtlichkeit in Otto Weiningers Werk.
Im dritten Kapitel wird der Brief an den Vater als biographisches Zeugnis von Männlichkeit analysiert. Es werden die Männlichkeitsentwürfe des Vaters, die Rolle der Krankheit und des Judentums sowie die Bedeutung von Frauen und Sexualität im Brief untersucht. Der vierte Teil der Arbeit befasst sich mit der Analyse des Romans „Der Verschollene“. Es werden die männlichen und weiblichen Figuren analysiert sowie Symbole und Metaphern im Roman untersucht. Der Roman wird im Kontext der Männlichkeitsentwürfe um 1900 interpretiert, wobei auch der biographische Kontext berücksichtigt wird.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Männlichkeitsentwürfe, Gender Studies, Franz Kafka, „Der Verschollene“, Brief an den Vater, Krise der Männlichkeit, Bürgertum, Geschlechterrollen, Literaturanalyse, biographischer Kontext, psychologische Perspektive. Sie untersucht die Konstruktionen von Männlichkeit in der Literatur und im Kontext des frühen 20. Jahrhunderts.
- Arbeit zitieren
- Lena Soettke (Autor:in), 2019, Männlichkeitsentwürfe in "Der Verschollene". Wie konstruiert Kafka Männlichkeit im Roman?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494422