Indirekte Sprache in Bewertungssituationen. Feedbackrunden in der Ausbildung


Hausarbeit, 2018

50 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsstand

3. Konversationsanalyse und GAT2 Basistranskript

4. Analyse
4.1 Setting
4.2 Höflichkeit
4.3 Ironie / Lachen
4.4 Schmunzeln / lachend reden
4.5 Nachträgliches Schönreden
4.6 Versuche der direkten Sprache

5. Theoretische Einbettung

6. Selbstreflexion

7. Fazit

8. Literaturangaben

9. Anhang

1. Einleitung

Ständig geben wir Bewertungen ab. Gefiel mir das Restaurant? Wie war dieser Film? Wie war die Party? Es fällt auf, dass wir tendenziell eine andere Sprache verwenden, abhängig davon, ob mit dem Veranstalter der Party oder mit dem besten Freund auf dem nach Hause Weg über die Party gesprochen wird. Dieser Sachverhalt verkompliziert sich, wenn der Veranstalter der Party besonders nett und die Party schlecht gewesen ist. Wir scheinen, routinierte kommunikative Lösungen für solche unterschiedlichen Bewertungssituationen zu besitzen. Während meines Praktikums in einem Unternehmen, das unter anderem erlebnispädagogische Programme anbietet, ist mir besonders aufgefallen, dass dem Thema Feedbackkultur viel Beachtung geschenkt wird. Als Praktikanten und 450-€-Jobber wurden wir während einer kurzen Ausbildung auch geschult, bestimmte Feedbackregeln zu verwenden, sobald wir eine andere Person bewerten. Als Soziologe hat mich während des Praktikums sehr interessiert, wie die neuen Mitglieder des Unternehmens in diese Feedbackkultur hineinsozialisiert werden. Während der kurzen Ausbildung wurden einzelne Inhalte der späteren Arbeit geübt und zu den Übungen wurde gegenseitig Feedback gegeben. Eine solche Feedbackrunde nach einer Übung, habe ich aufgezeichnet, transkribiert und im Nachhinein analysiert. Es fiel sehr stark auf, dass alle Teilnehmer der Ausbildung weitgehend indirekte Sprache wählten, um sich gegenseitig zu bewerten. Das Phänomen der indirekten Sprache werde ich mir in dieser Hausarbeit genauer anschauen und herausarbeiten, wieso indirekte Sprache für das Bewerten anderer verwendet wird. Die Konversationsanalyse eignet sich hervorragend für diese Fragestellung, weil mit ihr die kommunikativen Lösungen, die die Akteure hervorbringen, genau herausgearbeitet werden können. Meine beiden Erklärungsversuche lassen sich in die beiden Ebenen „Auswirkungen des Settings auf die Akteure“ und „Auswirkungen von Bewertungssituationen allgemein auf die Akteure“ aufteilen. Ich werde während der Analyse beide Erklärebenen parallel verwenden, weil diese gemeinsam die Situation der Akteure beeinflussen und nicht getrennt voneinander auftreten. Anschließend werde ich meine Erkenntnisse theoretisch einbetten und den Begriff der indirekten Sprache soziologisch verorten. In einem abschließenden Fazit werden alle Erkenntnisse zusammengefasst und ich werde einen Ausblick für die soziologische Forschung zum Begriff der indirekten Sprache geben.

2. Forschungsstand

Die Vokabel indirekte Sprache lässt sich in der Forschungsliteratur nicht durchgehend unter den gleichen Suchbegriffen finden. Es lassen sich vielmehr Fälle finden, in denen indirekte Sprache Anwendung findet und indirekte Sprache analysiert wird. Der Fall der gescheiterten Informalität bei Siemens (Vgl. Bergmann 2014) ist eine der Fallstudien, in der nicht vorrangig der Sprachgebrauch von Korruption analysiert wird, jedoch teilweise darauf Bezug genommen wird wie auf der Basis von Zeitungsartikeln innerbetriebliche Kommunikation über Bestechungspraktiken bei Siemens ausgesehen haben könnten. Darüber hinaus lässt sich indirekte Sprache in anderen Begriffen finden. Ein Beispiel dafür ist der Begriff Takt von Goffman. Takt wird als Mechanismus des Publikums einer Darstellung beschrieben, der zum Gelingen einer Darstellung eines Schauspiels entscheidend beträgt (Vgl. Goffman 2003: 212). Damit ist gemeint, dass zum Beispiel Unsicherheit eines Schauspiels strategisch klug ignoriert werden kann. Goffman beschreibt zwei Strategien die ein taktvolles Entgegenkommen ermöglichen. Zum einen muss der Darsteller, empfänglich für Hinweise des Publikums sein und diese auch annehmen, um flexible auf seine eigene Darstellung reagieren zu können und zum anderen muss der Darsteller, wenn er Tatsachen verschleiert darstellen will, muss er dies in Übereinstimmung mit den Regeln der Etikette tun (Vgl. Goffman 2003: 212 f.). Damit ist beschrieben, dass der Darsteller während der Darstellung ein inakzeptables Schauspiel ändern kann und sich nach einer inakzeptablen Darstellung noch zumindest retten kann. Dieser Begriff hat insofern mit indirekter Sprache zu tun, dass Takt nicht mit offensichtlichen Hinweisen zu inakzeptablen Darstellungen operiert, sondern das Schauspiel gerade dadurch rettet, dass verschleierte Hinweise zwischen Darsteller und Publikum ausgetauscht werden. Anzumerken ist, dass der Fokus bei Goffman in der Darstellung liegt und nicht in der indirekten Sprache an und für sich.

Der Sprachphilosoph Paul Grice (1975) hat sich mit Implikationen von Sprache („conversational implicatures“) im Unterschied zur wörtlichen Bedeutung beschäftigt. Grice argumentiert, dass wir uns während eines Gesprächs kooperativ verhalten und nennt dies das Kooperationsprinzip. Konversationen sind demnach nicht unverbundene Bemerkungen, sondern Folgen Maximen, die für die Sprecher rational sind. Grice unterscheidet vier solcher Maximen: 1. Mach deinen Beitrag so informativ wie nötig und mache deinen Beitrag nicht informativer als erforderlich (Quantity) 2. Sage nichts, was du für falsch hältst und sage nichts wofür du keine adäquaten Informationen besitzt (Quality) 3. Dein Beitrag soll relevant sein (Relation) 4. Vermeide Unklarheit, Mehrdeutigkeit, Weitläufigkeit und sei geordnet (Manner). Implikationen entstehen nach Grice, wenn von mindestens einer dieser Maximen abgewichen wird. Die Implikation muss es außerdem erlauben, dass sie verstanden wird (Vgl. Grice 1975). Es muss quasi deutlich werden, wieso absichtlich lange gesprochen wird, Beiträge ohne adäquate Informationen gemacht werden, ein irrelevanter Beitrag gemacht wird und wieso Mehrdeutigkeit verwendet wird.

Am Ende meiner Analyse werde ich in der theoretischen Einbettung einen weiteren Vorschlag machen, wie indirekte Sprache theoretisch zu verorten sei.

3. Konversationsanalyse und GAT2 Basistranskript

Die ethnomethodologische Konversationsanalyse eignet sich für die Bearbeitung meiner Fragestellung, weil sie in diesem Fall die Sprechakte der Auszubildenden als eine Lösung für kommunikative Probleme betrachtet. Die herausgearbeiteten Probleme können wiederum Hypothesen beziehungsweise Erkenntnisse über die Situation, in denen sich die Auszubildenden befinden, ermöglichen

Die Konversationsanalyse entstand aus der Tradition der Ethnomethodologie und in ihr vereinen sich die Entdeckungsschritte und das analytische Verfahren des Phänomens, auf dessen Identifizierung und Erkundung sie gerichtet sind (Vgl. Bergmann 1988a: 5). Die Audiosequenz steht demnach im Vordergrund und die Konversations- analysepasst sich dem zu analysierenden Gegenstand an. Vorgefertigte Regeln würden in der Tradition der Ethnomethodologie die Erkenntnisse verzerren. Daher kommt die ethnomethodologische Konversationsanalyse ohne solche Regeln aus. „Das, was die Kompetenz eines Konversationsanalytikers ausmacht, ist freilich nicht die perfekte Beherrschung vorgegebener Methoden, sondern ein hoher Grad an Sensibilität für Interaktionsvorgänge, ein Beobachtungsvermögen für Details und für Strukturen, ein Blick für den Einzelfall und für generelle Organisationsprinzipien, ein Gehör für Bedeutungsnuancen und eine Fähigkeit, über Differenzen hinwegzuhören“ (Bergmann 1988a: 7). Zwar wird die Kernkompetenz eines Konversationsanalytikers als ein hoher Grad an Sensibilität für Interaktionsvorgänge beschrieben, trotzdem folgt die Konversationsanalyse grundlegenden Annahmen und Maximen (Vgl. Bergmann 1988a: 27). Die für diese Arbeit relevanten Maxime lauten „Order at all points“ (1), Einfache Beobachtung (2), Wiederkehrende Muster (3), Kompetenz als Mittel und Thema der Analyse (4) und Sequenzielle Organisation (5).

(1) Die Konversationsanalyse ist von einer Ordnungsprämisse geleitet, die besagt, dass kein in einem Interaktionstranskript auftauchendes Textelement a priori als Zufallsprodukt und damit als mögliches Untersuchungsobjekt abgetan wird (Vgl. Bergmann 1988a: 27). Alles, was in der Audiosequenz auftaucht, hat somit eine Bedeutung. (2) „Konversationsanalytische Studien gehen in der Regel von ‚einfachen‘ Beobachtungen aus. Diese Beobachtungen sind ‚einfach‘ in dem Sinne, dass jedes kompetente Mitglied einer Gesellschaft sie machen kann, als keine besonderen Vorkenntnisse hierfür erforderlich sind“ (Bergmann 1988a: 30). Vorkenntnisse sind für die Audiosequenz einer Ausbildungssituation nicht notwendig, weil jedes kompetente Mitglied einer Gesellschaft eine Vorstellung davon besitzt, wie eine solche Situation grob aussieht. Einzelheiten beziehungsweise spezielle Charakteristika zu dieser bestimmten Ausbildungssituation müssen dennoch erarbeitet werden. (3) Bei der Konversationsanalyse ist es wichtig zu überprüfen, ob die identifizierten Details sich wiederholen (Vgl. Bergmann 1988a: 32). Erst sich wiederholende Muster geben Auskunft über ein Phänomen und sollten näher untersucht werden. Sich wiederholende Sprechakte können somit Aufschluss über sich wiederholende kommunikative Probleme geben. Ich werde in meiner Analyse chronologisch vorgehen, das heißt zunächst ab dem Anfang einzelne Muster, die zur Beantwortung meiner Forschungsfrage passen, suchen und beschreiben. Anschließend werde ich Transkriptionspassage aus der Analyse auslassen, die nicht zur Beantwortung der Forschungsfrage passen. (4) Der konversationsanalytische Forscher ist auch ein kompetentes Mitglied der Gesellschaft. Ihm geht es darum, zu explizieren, wie er durch seine Kompetenzen zu seiner intuitiven Analyse gelangt (Vgl. Bergmann 1988a: 39). Da die Konversationsanalyse intuitiv verläuft, wird es wichtig sein, zu explizieren, wie bestimmte Erkenntnisse zustande gekommen sind. Es könnte an dieser Stelle zum Beispiel gefragt werden, was die Ausbildungssituation zu einer Ausbildungssituation macht, damit jedes kompetente Mitglied der Gesellschaft die Situation auch so empfindet. (5) „Eine Äußerung kann sequentielle Implikationen haben, insofern sie für den (oder die) nachfolgenden turn(s) festlegt von welchem Sprecher, mittels welcher Aktivität, über welchen Äußerungstypus u.a. er realisiert werden soll“ (Bergmann 1988b: 14). Beispielsweise lässt sich ein „mir geht’s gut“ besser verstehen, wenn die sequentielle Implikation des vorherigen Sprechakts „wie geht’s dir?“ in die Analyse einbezogen wird. Dadurch geht auch hervor, dass bestimmte Sprechakte die nachfolgenden „turns“ mitstrukturieren.

Die im Transkript auftauchenden Personen wurden über die Aufnahme, Nutzung der Audio-Datei und der Anonymisierung aufgeklärt. Außerdem wurde betont, dass die Aufnahme im Rahmen einer Praktikumshausarbeit anzufertigen war. Des Weiteren wurden für die Transkription die Regeln des GAT2 Basistranskripts verwendet. Dieses eignet sich für meine Fragestellung, weil Dehnung beziehungsweise Längung von Worten und Akzentuierung ab dieser Transkriptionsform enthalten sind. Dehnungen und Akzentuierungen können im Transkript als Anzeichen von indirekter Sprache angesehen werden.

4. Analyse

4.1 Setting

Die in diesem Kapitel vorgestellte Audiosequenz ist im Rahmen einer erlebnispädagogischen Ausbildung eines Anbieters für Erlebnispädagogik entstanden. „Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten” (Heckmair/Michl 2008: 115). Die Aufgaben während meines Praktikums waren unter anderem die Anleitung erlebnispädagogischer Herausforderungen. Diese wurden vor der Audiosequenz geübt und sind Teil der erlebnispädagogischen Ausbildung. Der Feldzugang erwies sich als sehr leicht. Nachdem ich die Ausbildungsleiter und die Gruppe gefragt habe, ob ich eine Aufnahme für eine Praktikumsarbeit machen dürfte, wurde es mir einstimmig erlaubt.

Der Audiosequenz geht das Vormachen beziehungsweise Üben einer Begrüßung (von IL 1 vorgestellt), der Regeln für den gemeinsamen Tag 2 (von JO vorgestellt) und die Anleitung eines Warmups 3 (von AT vorgestellt) vor den anderen Teilnehmern voraus. 4 Die Personen, die etwas vorstellen sollen, wurden am letzten Ausbildungstag von den Ausbildungsleitern bestimmt. Daran anschließend sollten die Vorstellungen der drei Teilnehmer evaluiert werden. Es ist für das Setting wichtig anzumerken, dass alle acht in der Audiosequenz auftauchenden Personen in einem Kreis mit dem Gesicht zum „Kreisinneren“ gewandt standen. Das Aufnahmegerät (Smartphone) wurde mittig im Kreis und sichtbar für alle gehalten. Die Aufnahme fand im Freien zwischen einigen Bäumen statt. 5 Die Atmung der Akteure wurde aufgrund dieses Settings selten aufgezeichnet.

Außerdem kannten sich einige Teilnehmer seit zwei Wochenenden (2x Freitag, Samstag, Sonntag) und einige kannten sich zusätzlich aus der vorherigen Ausbildung zum Retter im Kletterpark (insgesamt drei Wochenenden). Die erlebnispädagogische Ausbildung schloss an die vorherige Retterausbildung mit einem freien Wochenende zwischen den unterschiedlichen Ausbildungen an. Somit kannten sich einige Teilnehmer bereits über fünf Wochenenden und einige, die nur die erlebnispädagogische Ausbildung mitmachten, über zwei Wochenenden. Die längste Zeit, die Teilnehmer vor dem Eintritt in die Arbeit mit Kunden miteinander verbringen konnten, war sieben Wochenenden und die kürzeste vier Wochenenden. Die Teilnehmer befanden sich im dritten Wochenende der erlebnispädagogischen Ausbildung. Sie hatten somit das aktuelle Wochenende vor sich und ein weiteres mit einer anschließenden Prüfung.

Darüber hinaus existierten unterschiedliche Arbeitsverträge zwischen den Teilnehmern. Einige der Teilnehmer der erlebnispädagogischen Ausbildung waren mit einem Praktikantenvertrag ausgestattet und andere mit einem Honorarvertrag. Die Praktikanten mussten je nach gesetzlichen Feiertagen zwischen 57 und 60 Arbeitstagen absolvieren. Bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber war ein Praktikant über die AGBs des Arbeitsvertrages verpflichtet, ca. 1000€ Strafe zu bezahlen. 6 Die Praktikanten waren alle Studenten. Dieses Setting macht es wahrscheinlicher, dass die Praktikanten die vollen 57 bis 60 Tage absolvieren und gemeinsam die Praktikumszeit verbringen, weil 1000€ Strafe für einen durchschnittlichen Studenten eine hohe Summe sind. Die Honorarkräfte mussten nach der Ausbildung zehn Einsatztage absolvieren. Danach war es ihnen freigestellt, weiter bei dem Unternehmen beschäftigt zu bleiben.

Die Häufigkeit des späteren Wiedersehens der Ausbildungsteilnehmer hängt auch von den Einsatztagen und -orten ab. Es existierte ein Online-Tool, in dem die Mitarbeiter ihre Tage „freigeben“ können, das heißt sie geben potentielle Arbeitstage frei, an denen die Unternehmensleitung Arbeitstage vergeben kann. Da verschiedene Arbeitsorte existieren, können zwei Personen am gleichen Tag arbeiten, aber nicht am gleichen Einsatzort sein. Es ist somit nicht sicher, wie oft wer mit wem gemeinsame Arbeitstage verbringt beziehungsweise wer wen wie oft wiedersieht. Die Einsatztage in der Erlebnispädagogik wurden durch zwei Personen abgedeckt. Die Einsatztage im Kletterpark wurden durch vier bis maximal sechs Mitarbeiter abgedeckt. 7 Durch die kleinen Gruppen an den Einsatztagen war es möglich, dass ein Mitarbeiter jeden Tag mit anderen Kollegen zusammenarbeitet. Die Situation wurde außerdem im Vorfeld als Feedbackrunde, das heißt als Bewertungssituation, gerahmt. 8 Die Teilnehmer, die etwas präsentiert haben, wussten, dass sie anschließend bewertet werden würden beziehungsweise, dass zum Ende der Präsentation eine Bewertungsphase folgen würde. Außerdem existierten vorher präsentierte Feedbackregeln für solche Situationen (siehe Abbildung 1).

Des Weiteren übernachteten vier bis sechs Teilnehmer der Ausbildung jedes Wochenende in einer nahegelegenen WG (ca. 10 km entfernt). Von den Personen, aus der hier vorgestellten Aufnahme, waren zwei dauerhafte Benutzer der WG. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Wissen über die Benutzer der WG in der Gruppe existiert hat. Somit besteht für die Personen, die an den Übungen und Feedbackrunden teilgenommen haben, potenziell die Gefahr, dass über sie in einer kleineren Gruppe getratscht wird.

4.2 Höflichkeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1

In den folgenden Kapiteln werde ich die von mir registrierten Muster vorstellen und erste Vorschläge für eine Analyse liefern. Das hier präsentierte Transkript wurde nach Kriterien des GAT2 Basistranskripts transkribiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten9 10

Es fällt auf, dass die Einleitung der Evaluationsrunde durch die Ausbildungsleiterin 11 sehr kurz ausfällt. Zwei der drei Personen, die etwas vorgestellt haben, werden von ihr gebeten, zu beginnen. Womit begonnen werden soll, wird jedoch nicht versprachlicht. Es scheint bereits eine Routine für Vorstellungen und darauffolgendem Feedback zu existieren, die nicht mehr versprachlicht werden muss. Es findet anschließend ein kurzer Aushandlungsprozess darüber statt, wer beginnen soll („willst du starten?“). Dieser wird sehr schnell gelöst („äh ja“). Es entsteht kein Konkurrenzkampf darüber, wer beginnen soll. Die Verantwortung zu beginnen, wird von JO höflich an IL delegiert und dieser stimmt zu. Dies wird vor allem an der 2.0 Sekunden Pause zwischen den Wortbeiträgen von JO und IL deutlich. 12 Es scheint für die Teilnehmer wichtig zu sein, über Höflichkeitsroutinen Distanz zu bewahren und nicht unmittelbar „zur Tat zu schreiten“.

Die Bewertungssituation ist demnach durch erste „Berührungsängste“ geprägt. Dies liegt sehr wahrscheinlich daran, dass die Teilnehmer sich noch nicht lange kennen.

4.3 Ironie / Lachen

In diesem Kapitel werde ich einige Beispiele für die Musterverwendung von Ironie und Lachen genauer betrachten. Die getrennte Analyse beider Muster war nicht möglich, weil sie oft gemeinsam auftraten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In dieser Sequenz beginnt IL eine Bewertung seiner Vorstellung und geht darauf ein, wie er auf die Gruppe gewirkt hat(„ich war sehr präsent in der Runde“). Die Bewertung wirkt durch das Adverb und Adjektiv „sehr präsent“ sachlich und durch den Bezug zur Gruppe spezifisch. Die Bewertung seiner eigenen Vorstellung während der Ausbildung scheint bestimmten Zwängen der Wortwahl zu unterliegen. IL hätte sich auch dazu entscheiden können, eine allgemeine Aussage wie „Ich fand meine Begrüßung gut“ zu wählen. ILs Wortwahl markiert die Direktheit der Sprache.

Anschließend wird er von AN unterbrochen und korrigiert („ich hatte das Gefühl, dass“). Es scheint eine vorgefertigte Formulierung für die Bewertung eigener Darstellungsleistungen zu geben, auf die die Ausbildungsleiterin hinweisen muss. Zum einen wird das Perfekt eingeführt („ich hatte“) und zum anderen wird das Verb „sein“ durch „das Gefühl haben“ ersetzt. Da das Adverb und Adjektiv „sehr präsent“ und der Bezug zur Gruppe „in der Runde“ von der Ausbildungsleiterin nicht verändert wurde, scheint nur eine vorgefertigte Formulierung für den Hauptsatz wichtig zu sein. Es könnte mit dieser Formulierung im Hauptsatz auf die Subjektivität des darauffolgenden Satzes verwiesen werden. IL nimmt diese Formulierung mit einer eigenen Modifikation von der Ausbildungsleiterin auf. Es könnte sich um ein Frotzeln handeln, weil IL beide Formulierungen in seinen Wortbeitrag aufnimmt („ich hatte das Gefühl (…) ich hab‘s nicht nur gedacht tatsächlich“). Man könnte hier von ironischem Frotzeln ausgehen, weil IL sich nicht auf eine Mitteilung festlegt. Zum einen liegt in seiner Aussage die Mitteilung „unterbrich mich nicht, meine Formulierung ist gut genug“ und zum anderen „danke für die Verbesserung, ich werde sie verwenden“13. Außerdem wird die letzte Silbe des Wortes „Gefühl“ von IL betont, was die These, dass IL bei seiner Bewertung mit Ironie arbeitet, bestärkt. IL betont mit seiner Silbenbetonung, dass er sich auf die Formulierung von AN bezieht. Als Grund für die Verwendung von Ironie könnte die marginale Korrektur der Ausbildungsleiterin angenommen werden. IL markiert mit seinem zweiten Wortbeitrag, dass er die Regeln beachtet und sie gleichzeitig nicht vollständig ernst nimmt. Diese Form der Sprache besitzt den besonderen Vorteil, dass IL die Regeln kritisieren kann und gleichzeitig regelkonform handelt. IL kann sich bei einer Rückfrage zu seinem Wortbeitrag auf das Einhalten von Regeln oder auf seine Kritik an den Regeln beziehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten14

Zunächst bewertet IL sich in diesem Abschnitt selbst („ich hab mich auch an alles erinnert, die Warmups noch ganz am Ende eingebracht“). Danach macht IL eine Nebenbemerkung („da war jemand auf Toilette“), die zunächst einem anderen Muster als die vorherigen Bewertungen folgt. Es fällt auf, dass IL beim Sprechen anfängt, Wörter sehr schnell aneinanderzureihen. Durch das schnelle Sprechen von IL wird deutlich, dass die Bewertungssituation der Akteure, die etwas vorgestellt haben, verlassen wird. IL markiert durch die Schnelligkeit, dass als nächstes etwas Neues kommt beziehungsweise, dass sein Satz als eine Nebenbemerkung zu verstehen ist. Anschließend bewertet er den Gang zur Toilette („das war ganz gut“). IL operiert an dieser Stelle mit Ironie, weil die bloße Information, dass es „ganz gut“ war, dass jemand auf Toilette war, zunächst irritiert. 15 IL scheint mit dieser Aussage etwas anderes aussagen zu wollen, als wörtlich genommen werden kann. 16 Diese These wird dadurch gestärkt, dass IL „ganz gut“ lachend sagt und die beiden Wörter betont. Damit verweist IL auf einen Sinn „zwischen den Zeilen“. Darauf folgt ein lachendes Ausatmen von IL. Es scheint eine gewisse Anspannung beim Sprechen über diese Situation des Gangs zur Toilette zu herrschen, die IL mit dem Lachen zu reduzieren versucht. Dies könnte daran liegen, dass IL weiß, dass er mit Erwartungen an die Bewertungssituation bricht oder dass das Aussprechen dieses Sachverhalts besonders wichtig ist und während der Übungssituation nicht versprachlicht werden konnte. Umgangssprachlich wird mit direkter Sprache der pinke Elefant im Raum benannt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein weiteres Beispiel für Ironie und Lachen findet sich in diesem Abschnitt. MA bewertet JO mit „dass du mit der Struktur noch n bisschen zu kämpfen hattest“.. MA scheint etwas ganz anderes aussagen zu wollen, als in seinem Wortbeitrag zu sehen ist, weil es schwer vorstellbar ist, dass ein Mensch wortwörtlich mit Strukturen kämpft – die Struktur von JO war während der Übung schlecht. Diese Information scheint jedoch so schwer kommunizierbar zu sein beziehungsweise besteht eine Schwierigkeit bei der Bewertung von JO nicht taktlos zu erscheinen oder JO zu verletzen, dass MA versucht, mit Ironie das Gleiche auf eine indirekte Art zu sagen. JO lacht anschließend beim Ausatmen und signalisiert damit, dass er die Mitteilung verstanden hat. Gleichzeitig wurde ihm nicht „auf den Schlips“ getreten und beide können weiterhin ein freundschaftliches oder kollegiales Verhältnis aufrechterhalten. Anschließend beginnt MA eine weitere Bewertung und schmunzelt dabei. Es scheint, dass JO MAs Mitteilung verstanden hat und dass MA verstanden hat, dass JO seine Mitteilung verstanden hat. Reziprokes Lachen beziehungsweise Schmunzeln ist in diesem Fall ein Zeichen für gemeinsames Verständnis.

MA konnte in dieser Bewertungssituation JO ein negatives Feedback geben und trotzdem haben beide über das Feedback gelacht beziehungsweise geschmunzelt. Eine ironisch formulierte Bewertung scheint ein Problem zu bearbeiten, dass während Bewertungen entstehen kann. Ein negatives oder schlechtes Feedback kann bei der bewerteten Person zu einer unerwünschten Reaktion wie Ärger, Missmut oder Beleidigt-sein, führen. Dies kann zur Folge haben, dass das Aufrechterhalten einer sozialen Beziehung erschwert wird. Bewertungen in dieser Form fanden sich sehr häufig in dem Transkript.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten17

Ein weiteres Beispiel für indirekte Sprache zeigt sich in HAs Bewertung. Dies wird vor allem an der Formulierung „vielleicht noch ein bisschen“ deutlich. Auch hier fällt es einem Akteur schwer, die Bewertung, dass JO unsicher beim Vortragen war, direkt zu kommunizieren. Dieses Muster wiederholt sich direkt im Anschluss („du hattest schon eine Struktur drin, öhm, du warst dir dessen auch irgendwie bewusst“; „aber ich habe auch gemerkt, dass du vielleicht zwischendurch ein bisschen überlegt hast“; „und diese Unsicherheit kam dann auch so ein bisschen in die Gruppe“). Die Information, dass JO unsicher war, wird reproduziert und HA behält die indirekte Form mit Wörtern, die eine Aussage abschwächen, wie „vielleicht“, „irgendwie“ oder „ein bisschen“, bei. Unter dem Gesichtspunkt von Vagheit sind diese Wortkonstruktionen jedoch sehr funktional für die Sprecherin, weil sie sich während des Sprechens nicht auf einen der beiden Mitteilungen (positive oder negative Bewertung) festlegen muss und ihr dies nachträglich weiterhin möglich ist. Darin könnte ein Vorteil von indirekter Sprache liegen.

[...]


1 Die Namen der Ausbildungsteilnehmer wurden anonymisiert. Alle weiteren Informationen zum Transkript befinden sich im Anhang.

2 Bei den Regeln geht es um Sicherheitshinweise (z.B. „Safety first“) und den Aufbau von Erwartungssicherheiten an das erlebnispädagogische Programm (z.B. „Herausforderung nach Wahl“).

3 Kurze Einheit zwischen den Erlebnispädagogischen Herausforderungen, um sich aufzulockern und wieder warm zu werden.

4 Wichtig ist anzumerken, dass die Reihenfolge (Begrüßung, Regeln, Warmup) dem Ablauf eines erlebnispädagogischen Programms mit Kunden nachempfunden ist.

5 Das Gelände grenzt direkt an das Wohnhaus des Geschäftsführers an und wird im normalen Betrieb für erlebnispädagogische Programme genutzt.

6 Diese Anreizstruktur als Lösung des organisationssoziologischen Motivationsproblems in diesem Unternehmen bietet weiteren, für den Autor nicht ungefährlichen, Stoff für eine Hausarbeit.

7 Die Praktikanten konnten in beiden Bereichen, das heißt Erlebnispädagogik und Kletterpark, arbeiten und mit prinzipiell allen Mitarbeitern gemeinsame Einsatztage haben.

8 Dies geht nicht aus den hier präsentierten Daten hervor. Diese Information entstand aus der Tatsache, dass ich Teilnehmer der Ausbildung und gleichzeitig soziologischer Beobachter war.

9 Mit „euch beiden“ sind die Personen gemeint, die die ersten beiden Teile (Begrüßung und Regeln) vor der Gruppe vorgestellt haben.

10 Damit ist das Aufnahmegerät gemeint.

11 AN ist eine der beiden AusbildungsleiterInnen.

12 In der 2.0 Sekunden Pause könnten IL und JO auch durch nonverbale Kommunikation, wie Anblicken, ausgehandelt haben, wer anfängt.

13 Oder „der Unterschied zu meiner Formulierung ist sehr gering“ und „ich beachte die formalen Regeln dieser Bewertungssituation und nehme die Formulierung von dir auf“.

14 Gemeint ist MA.

15 Der Inhalt der Aussage lässt sich aufgrund des fehlenden Kontexts nicht rekonstruieren.

16 Unter Ironie wird im deutschen Sprachgebrauch eine „spöttisch-kritische Geisteshaltung, die sich in der fingierten Annahme eines der wirklichen Meinung des Autors entgegengesetzten oder wesentlich von dieser abweichenden Standpunktes äußert, was jedoch zu erkennen gegeben wird“ (Klappenbach/Steinitz 1969), verstanden.

17 Damit ist JO gemeint.

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Indirekte Sprache in Bewertungssituationen. Feedbackrunden in der Ausbildung
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
2,0
Jahr
2018
Seiten
50
Katalognummer
V494458
ISBN (eBook)
9783346039446
ISBN (Buch)
9783346039453
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konversationsanalyse, qualitativ, qualitative sozialforschung, empirisch, Goffman, Luhmann, indirekte Kommunikation
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Indirekte Sprache in Bewertungssituationen. Feedbackrunden in der Ausbildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494458

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