Als Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung mit den Wechselbeziehungen im lyrischen Werk von Anna Achmatova und Osip Mandel’štam sind die unterschiedlichsten thematischen Schwerpunkte denkbar. Es erscheint beispielsweise möglich und sinnvoll über die Umsetzung Achmatovas und Mandel’štams akmeistischer Konzepte oder über die Verarbeitung ihrer Schicksale im lyrischen Schaffen zu sprechen. Man könnte auch versuchen, die Ähnlichkeiten zweier sehr unterschiedlicher poetischer Systeme herauszustellen. Im Zentrum dieser Arbeit sollen aber einige für die beiden Dichter grundlegende Ideen und Konzepte stehen, welche ihr gesamtes Schaffen prägten. Von besonderem Interesse ist dabei das Dialogkonzept jedes der Beiden, welches sie in ihrer Lyrik umsetzten, sowie das lyrische Gespräch, das die beiden jahrzehntelang miteinander führten.
Am 25 August 1923 schreibt Mandel’štam in einem Brief an Achmatova:Знайте, что я обладаю способностью вести воображаемую беседу только с двумя людьми: с Николаем Степановичем и с Вами. Беседа с Колей не прервалась и никогда не прервется.
Ein ähnliches ununterbrochenes Gespräch entwickelt sich in den Gedichten Achmatovas, beginnend mit ihrer frühen Liebeslyrik und setzt sich bis zu den letzten Versionen von Poėma bez geroja fort. Mandel’štam verwandelt sich in ihrem poetischen System in die symbolische Figur eines Dichters. Auf eine ähnliche Weise wird auch die Gestalt Achmatovas in seine Dichtung integriert, nur erscheint sie dort viel früher und wird stärker stilisiert.
Vor diesem Hintergrund werden die Gemeinsamkeiten in der Lyrik der beiden Dichter sowie ihre gegenseitige Beeinflussung anhand ausgewählter Beispielwerke eingehend betrachtet. Allerdings bleiben die Unterschiedlichkeit ihrer poetischen Systeme sowie die Differenz der formalen Konzepte ihrer Werke bei meiner Aussagebildung vorwiegend unberücksichtigt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Intertextualität und die akmeistische Poesieauffassung
- Wort, Stimme, Dialog
- Твое чудесное произношенье (Mandel'štam) – eine Interpretation
- Dichtergespräch oder Liebesdialog?
- Как у облака на краю (Achmatova) – eine Interpretation
- Wort, Stimme, Dialog - Zusammenfassung der Ergebnisse
- Terrorzeit und Dichterschicksal
- Leben und Werk – Verschmelzung der Grenzen
- Bilanz: Terrorzeit und Dichterschicksal
- Zeit und das akmeistische Dichtergespräch
- Abschließende Betrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern das lyrische Werk von Anna Achmatova und Osip Mandel'štam durch einen gegenseitigen, intensiven Dialog geprägt ist. Dabei wird untersucht, welche Ideen und Konzepte ihre beiden poetischen Systeme miteinander verbinden und wie sich diese im lyrischen Gespräch widerspiegeln.
- Intertextualität und die akmeistische Poesieauffassung
- Das Konzept von Wort, Stimme und Dialog in der Lyrik Achmatovas und Mandel'štams
- Die Auswirkungen der Terrorzeit auf das Leben und Werk der beiden Dichter
- Die Rolle der Zeit im akmeistischen Dichtergespräch
- Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den poetischen Systemen von Achmatova und Mandel'štam
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor und erläutert die zentralen Fragestellungen. Dabei wird die Bedeutung des lyrischen Dialogs zwischen Achmatova und Mandel'štam im Kontext ihrer biografischen und poetischen Nähe hervorgehoben. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Akmeismus als einer stark metapoetisch ausgerichteten Literaturrichtung. Der akmeistische Intertextualitätsbegriff, der auf einer spezifischen Kulturphilosophie und einer Betonung des Gedächtnisses im schöpferischen Prozess beruht, wird im Detail dargestellt. Das zweite Kapitel analysiert das Konzept von Wort, Stimme und Dialog in der Lyrik von Achmatova und Mandel'štam. Es werden ausgewählte Gedichte beider Dichter analysiert, um die verschiedenen Facetten ihres lyrischen Dialogs aufzuzeigen. Das dritte Kapitel widmet sich der Terrorzeit und ihrer Auswirkungen auf das Leben und Werk der beiden Dichter. Hierbei werden die Verbindungen zwischen Biographie und Werk sowie die Herausforderungen und Chancen, die sich für die Dichter aus der politischen Situation ergaben, beleuchtet. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Einfluss der Zeit auf das akmeistische Dichtergespräch. Es werden die spezifischen Zeiterfahrungen von Achmatova und Mandel'štam, die in ihrer Lyrik zum Ausdruck kommen, untersucht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Schlüsselbegriffen Intertextualität, akmeistische Poesieauffassung, Wort, Stimme, Dialog, Terrorzeit, Dichterschicksal, Zeit, lyrisches Gespräch, Anna Achmatova, Osip Mandel'štam.
- Arbeit zitieren
- Anna Perlina (Autor:in), 2004, Das lyrische Gespräch zwischen Anna Achmatova und Osip Mandel’štam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49542