Städtische Atmosphären und die Relevanz in der Planungspraxis


Essay, 2017

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


1. Einführung

Ohne den Begriff der städtischen Atmosphären zunächst genauer definieren zu wollen, stellen sich nach eigenen Erfahrungen im Zuge von Städtereisen Fragen wie beispielsweise ‚Wie gefiel dir das Flair in der Innenstadt?’, ‚Hatte Ort X ein bestimmtes Ambiente’ oder ‚Erschien dir die Atmosphäre so, wie du sie dir vorgestellt hast?’ Während der Beantwortung solcher Fragen wird bereits die für den Atmosphärenbegriff bekannte Nähe zur Subjektivität deutlich, denn jede Person antwortet infolge eigener Erfahrungen divers. Dabei werden positiv konnotierte Begriffe wie historisch, hip, cool beziehungsweise negativ anmutende Begriffe wie stressig, laut, schmutzig oder hektisch erwähnt, die allesamt nahelegen, dass persönliche Ansichten im Zuge der Beanspruchung aller Sinne sowie durch verschiedene Sichtweisen und Perspektiven unterschiedlich ausfallen. HEIBACH (2014: 283) beschreibt demzufolge das Erleben der Stadt als „inhärent multisensorisch“. Individuelle Einschätzungen und Erfahrungen städtischer Atmosphären sind unter anderem nach HASSE (2014: 204ff.) von Gefühlen und Situationen geprägt.

In vorliegender Arbeit stellt sich speziell die Frage, wie das theoretische Konzept der städtischen Atmosphären im praktisch-planerischen Umfeld angewendet wird. Die zum Teil sehr unterschiedlichen Definitionsversuche unterschiedlicher Sozialwissenschaftler wie Böhme, Hasse oder Kazig legen nahe, dass das Konzept nicht ganz leicht zu greifen ist. DÖRFLER und MANNS (2013: 29), deren Ansatz den Kern der Arbeit bilden soll, sehen in diesem Zusammenhang städtische Atmosphären als eine „sozio-räumliche Subjekt-Objekt- Relation“. HASSE (2014: 209f.) spricht im Bereich der Atmosphären von „Halbdingen“ und „Synästhesien“. Diese zugegebenermaßen zwar wissenschaftlich hochwertigen, jedoch für den ‚Allerweltsmenschen’ und Professionellen ohne philosophisches Faible nicht ganz einfach zu verstehende Ausdrucksweise offenbart bereits erste Missstände für die praktische Anwendbarkeit.

Es wird die These angestellt, dass das Konzept der städtischen Atmosphäre vor allem auch in Hinblick auf die Zukunft immer weniger bis keine Anwendung in der Planungspraxis erhält. Die Technisierung der Lebenswelt der Menschen, mangelnde finanzielle Mittel der Kommunen und steigende Bevölkerungszahlen in den Großstädten rücken schon gegenwärtig andere Prioritäten in das Zentrum der Planung. So werden beispielsweise Smart Cities wie am Beispiel des Stadtbauprojekts Masdar City gezeigt werden soll, nicht primär errichtet um gelungene städtische Atmosphären unter verschiedenen Milieus zu schaffen, sondern um ökologische und ökonomische Gesichtspunkte wie Ressourcenschonung, Refinanzierung und digitale Vernetzung aller relevanter Komponenten in den Vordergrund zu rücken.

Im Folgenden wird das Konzept zunächst unter der Berücksichtigung der Sichtweisen unterschiedlicher Autoren diskutiert. Anschließend steht die Abhandlung mit der eben verfassten These inklusive des genannten Beispiels im Zentrum des Interesses um schließlich im Fazit die Argumentation zusammenzufassen und einen Ausblick zu geben.

2. Die Konzeption der städtischen Atmosphären

Unter einigen Wissenschaftlern, darunter auch HEIBACH (2014: 263) wird festgestellt, dass das Phänomen der Atmosphären in der Wissenschaft bis heute nur marginal behandelt wird. Einer der Hauptgründe dafür ist eine nicht zwingend vorhandene Abgrenzbarkeit und Eindeutigkeit. Vor allem aufgrund ihrer Omnipräsenz im alltäglichen Leben sollten sie nach eigener Ansicht jedoch Teil der wissenschaftlichen Diskussion sein, denn wie in einer späteren Stelle der Arbeit noch verdeutlicht wird, sind sie auch im Zuge der planerischen Praxis nicht unerheblich.

Einer der Hauptinteressenspunkte, der sich im Bereich der Theorie städtischer Atmosphären niederschlägt, ist die Frage ob sich Atmosphären eher auf der Ebene des Subjekts darstellen oder stark von objektiver Seite geprägt sind beziehungsweise inwiefern eine Verbindung zwischen beiden Seiten besteht. Folgt man zunächst BÖHME (1991), einem der Pioniere des Atmosphären-Konzepts, so stammt der Begriff Atmosphäre vom griechischen Wort Aisthesis was so viel bedeutet wie sinnlich emotionale Erfahrung. Hierbei wird deutlich, das zunächst das Subjekt im Vordergrund steht, denn emotionale Erfahrungen sind zu aller erst kognitive, zum Teil auch unterbewusst ablaufende Prozesse im menschlichen Leib. HASSE (2002: 23) beschreibt die Atmosphäre in Anlehnung an Schmitz als „Halbding“ oder in eigenen Worten als „immaterielles Sonderding“. Atmosphären erscheinen auch nach HAUSKELLER (1995: 6) weder als Dinge noch als reine Sinnesqualitäten oder etwas gegenständlich Fassbares. BÖHME (1991) stellt fest, dass das Erfahren von Atmosphären auf Umgebungsqualitäten und dem damit verbundenen Empfinden und Wahrnehmen auf Seite des Individuums beruhen (DÖRFLER & MANNS 2013: 9f.). Sie hängen von der Präsenz unterschiedlicher Bauwerke, Artefakte oder Personen ab und können gleichermaßen in der Natur, in Räumen oder in bestimmten Interaktionen auftreten. TELLENBACH (1968: 47) benennt Atmosphären als das „Mehr, das über das reale Faktische hinaus liegt, das wir aber ineins damit spüren“. Die sinnliche Erscheinung bestimmter Orte beeinflusst nach KAZIG und WEICHHART (2009: 121) die Motorik und Aufmerksamkeit und infolgedessen die Handlungsfähigkeit des Subjekts. Dabei gilt allerdings zu betonen, dass dies vom Hintergrund des Individuums abhängt, also ob er beispielsweise Tourist, Passant oder Flaneur ist (ESCHER 2008: 164). Gewissermaßen kann insgesamt von einer Verbindung zwischen Subjekt und Objekt, einer gemeinsamen nichtmateriellen Wirklichkeit gesprochen werden.

DÖRFLER und MANNS (2013: 9) folgen dieser Meinung und sind wie Böhme der Ansicht, dass von einer Relationalität zwischen Subjekt und Objekt oder anders gesagt eine „Subjekt- Objekt-Emanenz“ ausgegangen werden kann. Als Beispiel für eine Subjekt-Objekt-Relation soll eine mediterane Atmosphäre herangezogen werden. Hierbei sind zum einen spezifische Subjekte (meist aus bestimmten Milieus), die eine solche Atmosphäre überhaupt thematisieren und zum anderen auf Objektseite, Merkmale wie warmes sonniges Wetter, die Nähe zu einem Ufer, italienische Cafés und legere-chic gekleidete Personen notwendig. Das Objekt, nimmt dabei stoffliche Eigenschaften an, die mit den Sinnen des menschlichen Körpers und damit atmosphärisch wahrgenommen werden (DÖRFLER & MANNS 2013: 8).

3. Die Vereinbarkeit der Theorie mit der Praxis

Die Ansicht von DÖRFLER und MANNS (2013: 29), wonach städtische Atmosphären als milieugebundene, sozio-räumliche Subjekt-Objekt-Relationen verstanden werden können, kann soweit größtenteils nachvollzogen werden. Auch deren Aussage, dass keine soziale Situation ohne einen atmosphärischen Kontext (z.B. Emotionen, Ortsbindung, normative Raumordnungen) bestehen, ist in diesem Kapitel wichtig, da sie die ständige Präsenz von Atmosphären und somit deren Relevanz betont (DÖRFLER & MANNS 2013: 3). HASSE (2002: 23) vertritt die These, dass die Lebensqualität in Städten zu einem erheblichen Maß von Atmosphären abhängen. Allerdings muss ihm in seiner Behauptung, die Frage der Herstellbarkeit städtischer Atmosphären sei eine zentrale in Architektur und Stadtplanung (HASSE 2002: 28) widersprochen werden.

Eines der Hauptprobleme, dass sich für die Praxisanwendung der Atmosphären-Ansatzes ergibt, ist die Nähe zur Subjektivität, denn durch diese Eigenschaft ist keine für alle zufriedenstellende Lebensumwelt zu gewährleisten. Findet der konservative Pensionär einen Street-Food-Markt möglicherweise zu unkonventionell, da er hier nicht seinen reservierten Tisch inklusive höflicher Bedienung bekommen wird, ist der alternative Mittzwanziger aufgrund der Erfahrung, zum Teil ausgefallene Essensvariationen auf Bierbankgarnitur in geselliger Runde einzuverleiben, sehr angetan. Wenn der Atmosphärenbegriff bereits von Seiten der Sozialwissenschaft und Philosophie mannigfaltig und wenig analyt isch gebraucht wird, wie sollen dann hauptsächlich technisch ausgebildete Architekten und Stadtplaner das „unaustreibbare Etwas, das als persönliche Imagination unsere lebensweltlichen Orte beseelt “ (DÖRFLER & MANNS 2013: 1) zur Schaffung atmosphärisch hochwertiger Lebensräume beitragen? An dieser Stelle kann noch ein Schritt weitergegangen und die Meinung vertreten werden, dass dies von Anfang an nicht zu den Zielen der Planer gehörte, denn greifbarere Dinge, wie kostengünstiges Material, möglichst platzsparender, funktionaler Wohnraum und Einheitlichkeit der Bauweise standen und stehen im Vordergrund. Wie sind ansonsten Plattenbau-Landschaften in Berlin-Marzahn oder der sehr modern anmutende Erlanger Stadtteil Röthelheimpark zu erklären?

Ähnlich unüberlegt wird häufig bei der Sanierung von Gebäuden vorgegangen. Anstatt alte Bausubstanz zu restaurieren und einzig das Material zu erneuern, werden mit historischer Bedeutung versehene Gebäude zum Teil durch gänzlich neue ersetzt, womit sich in einigen Fällen der Charakter und die Atmosphäre eines Straßenzugs deutlich verändert. Auch hier werden zum Teil ökonomische Rechenmodelle herangezogen, die dem kompletten Abriss und Neubau niedrigere Kosten zuschreiben als der bloßen Sanierung. Warum sind denn antike Städte wie Rom und Athen in Bezug auf den Tourismus so beliebt? Hier wurden und werden historische Stätten, wie das Kolosseum oder die Akropolis soweit es geht erhalten. D ie Verantwortlichen der Städte sind sich den Errungenschaften aus früherer Zeit, die ohne Weiteres eine bestimmte Atmosphäre vermitteln, bewusst.

Diese Beispiele zeigen bereits, dass Atmosphären neben der Tatsache, dass sie an körperlich anwesende Subjekte gebunden sind gleichzeitig von materiellen Dingen, die infolge ihrer jeweiligen Objekteigenschaften bestimmte Erfahrungen überhaupt erst ermöglichen beeinflusst werden. Somit haben Planer in der Praxis eine hohe Verantwortung infolge ihrer Vorstellungen, wie unsere bauliche Umwelt aussehen soll. Folgendes Beispiel soll zeigen, auf welchen Grundsätzen das Planen einer aus dem Nichts entstehenden Stadt gegenwärtig beruht.

4. Fallbeispiel: Masdar City

Die wenige Kilometer östlich von Abu Dhabi in der Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate gelegene Smart City-Initiative Masdar City soll ein als Modell-Ökostadt des 21. Jahrhunderts geplantes Stadtbauprojekt darstellen (FROST 2015; JAEKEL 2015: 34). In der vom britischen Architekten Norman Foster entworfenen, etwa 7 km2 großen Planstadt sollen nach Vorstellungen der Planer zwischen 40.000 und 50.000 Menschen leben. Des Weiteren ist fester Bestandteil der Planungen, dass in Masdar City ansässige Firmen und Institutionen Arbeitsplätze für über 50.000 Menschen bereitstellen sollen (JAEKEL 2015: 34; NADER 2009: 3952).

Im Jahr 2006 wurde die 22 Mrd. US-$ teure Planstadt mit dem Ziel gegründet, die erste abfallfreie, autofreie, kohlenstoffdioxidfreie und damit nachhaltigste Stadt der Welt zu werden, die konkrete Umsetzung begann jedoch erst zwei Jahre später. Der Zeitpunkt der Fertigstellung, des zur Regierung Abu Dhabis gehörenden Unternehmen Masdar (Tochterunternehmen der Mubadala Development Company), wurde jedoch unter anderem infolge der Weltwirtschaftskrise, von 2018 auf 2025 verlegt. Zudem musste ein Teil der visionären Grundgedanken in deren Ausmaß eingeschränkt werden. Dementsprechend sollte Masdar City beispielsweise anstelle von ‚kohledioxidfrei’ auf ‚kohledioxidreduziert’ herabgestuft werden (JAEKEL 2015: 34; Masdar 2010: 2; NADER 2009: 3954).

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Details

Titel
Städtische Atmosphären und die Relevanz in der Planungspraxis
Hochschule
Universität Bayreuth  (Geographisches Institut)
Veranstaltung
Hauptseminar: New Approaches in Human Geography
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V495492
ISBN (eBook)
9783668997714
ISBN (Buch)
9783668997721
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Atmosphären, Stadtplanung, Sozialgeographie, Architektur
Arbeit zitieren
Andreas Ditzig (Autor:in), 2017, Städtische Atmosphären und die Relevanz in der Planungspraxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/495492

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