In einer sich immer schneller verändernden Informationslandschaft müssen Kommunikations-Strategien neu überdacht werden. Dies gilt insbesondere für das Marketing und für das Schaffen von Marken-Images im Speziellen. In einer Medienlandschaft, die immer stärker auch von „Weblogs“, „Podcasts“ und ähnlichen individuellen und dezentralen Kanälen mitbestimmt wird, wird es immer schwieriger, zentrale Kommunikations-Strategien zu planen und zu realisieren.
Das Konzept des „Open Source Branding“ nutzt diese neuen Voraussetzungen, um ein Marken-Image zu formen, das in dieser Informationslandschaft bestehen kann. Mittels Einsatz neuer Technologien werden die Konsumenten in die Lage versetzt, das Image der Marke „USED Clothing“ selbst mitzugestalten. Die Benutzer können beliebige Informationen virtuell auf Kleidungsstücke schreiben und Sie an andere Benutzer weitergeben. So entsteht zu jedem Kleidungsstück eine virtuelle Bibliothek und die Geschichte des Kleidungsstücks kann visualisiert werden. Ermöglicht wird dies durch das Aufbringen von RFID-Transponder auf die Kleidungsstücke und einer dazugehörigen Web-Applikation. Das Konzept wurde beim Prix Ars Electronica 2005 eingereicht und gewann den ersten Preis in der Kategorie [the next idea]. Die Realisierung erfolgte im Sommer 2005 gemeinsam mit dem Ars Electronica FutureLab. USED Clothing wurde im Rahmen des Ars Electronica Festivals 2005 in Linz präsentiert und wird seitdem an mehreren Stationen weltweit weiterbetrieben.
Inhaltsverzeichnis
1 Theoretischer Hintergrund
1.1 Aktuelle Trends in der Informationslandschaft
1.2 Lösungskonzept: „Open Source Branding“
1.3 USED Clothing als Prototyp
2 Eingereichtes Konzept
2.1 Zusammenfassung
2.2 Ideenfindung und Philosophie
2.3 Realisierung
2.3.1 Geeignete Kleidungsstücke
2.3.2 Verkaufs- bzw. Tauschniederlassungen
2.3.3 Funktionalität des Web-Portals
2.4 Technische Umsetzung
2.5 Finanzierung
2.6 Prototyping
2.6.1 Ziel
2.6.2 Notwendige Ressourcen
3 Ergänzungen zum Konzept
3.1 Vergleich mit ähnlichen Konzepten
3.1.1 Prada Flagship Store
3.1.2 United People
3.1.3 Unterschiede
3.2 Bedeutung des Interaktions-Designs
3.3 Bedeutung des Kontext-Basierenden Designs
3.4 Geeignete Marketing-Tools
3.4.1 Cause-Related Marketing (CRM)
3.4.2 Virus-Marketing
4 Kritik
5 Realisierung: Software
5.1 Vorgehensmodell
5.2 Problemanalyse und Spezifikation
5.2.1 Organisatorische Struktur
5.2.1.1 Allgemeines
5.2.1.2 Zeitrahmen
5.2.1.3 Budgetrahmen
5.2.1.4 Personelle Ressourcen
5.2.2 Technische Infrastruktur
5.2.3 Verbindung zu anderen Teilen
5.2.4 Aufgabenanalyse
5.2.4.1 Leistungsumfang der Applikation
5.2.4.1.1 Ursprünglicher Leistungsumfang laut Konzept
5.2.4.1.2 Tatsächlicher festgelegter Leistungsumfang
5.2.4.1.2.1 Einlesen von neuen Kleidungsstücken in das System
5.2.4.1.2.2 Eingabe und Ablegen von Einträgen zu Kleidungsstücken
5.2.4.1.2.3 Ausgabe aller Einträge zu einem Kleidungsstück
5.2.4.1.2.4 Erfassen und Editieren von „privaten“ Einträgen
5.2.4.1.2.5 Anonyme Identifikation der Benutzer
5.2.4.2 Funktionaler Ablauf
5.2.4.2.1 Neues Kleidungsstück
5.2.4.2.2 Außerhalb des Shops
5.2.4.2.3 Kleidungsstück wird ausgeborgt
5.2.4.2.4 Kleidungsstück wird zurückgebracht
5.2.5 Schwachstellenanalyse
5.2.5.1 Ausfall der RFID-Hardware
5.2.5.2 Zu komplexe und fehleranfällige Bedienung
5.3 System- und Komponentenentwurf
5.3.1 Interface
5.3.1.1 Funktionalität der Webseiten
5.3.1.1.1 STARTSCREEN
5.3.1.1.2 KATALOGSCREEN
5.3.1.1.3 LOGGED SCREEN
5.3.1.1.4 EDITOR SCREEN
5.3.1.2 Sprachen
5.3.1.3 Design-Vorgaben
5.3.1.3.1.1 Farben
5.3.1.3.1.2 Schriftarten
5.3.1.3.1.3 Grafiken
5.3.2 Datenmodell
5.3.2.1 Grobentwurf
5.3.2.2 Feinentwurf
5.3.3 RFID-Schnittstelle
5.4 Modularisierung
5.5 Implementierung
5.5.1 Festlegung der Programmiersprachen
5.5.2 Infrastruktur
5.6 Integration und Systemtest
5.6.1 Zusammenführen der Web-Applikation
5.6.2 Systemtest
5.7 Betrieb
6 Realisierung: Hardware
6.1 Anforderungen
6.1.1 Anforderungen an die RFID-Hardware
6.1.1.1 Transponder
6.1.1.2 Reader
6.1.1.3 Antennen
6.1.2 Anforderungen an sonstige Hardware
6.1.2.1 Computer
6.1.2.2 Displays
6.1.2.3 Kamera
6.1.2.4 Sonstige periphere Geräte
6.2 Hardware-Entscheidung und Beschaffung
6.2.1 Beschaffung der RFID-Hardware
6.2.1.1 Transponder: TI 13,65 MHz, Encapsulated
6.2.1.2 Reader und Antenne: Inside Contactless M210-2G
6.2.2 Beschaffung sonstiger Hardware
6.2.2.1 Computer: Softpoint LOG 3000 Mars N
6.2.2.2 Displays: Samsung SyncMaster 403T
6.2.2.3 Kamera: Nikon Coolpix
6.2.2.4 Sonstige periphere Hardware: Digitus Ergebnis
6.3 Startseite: Kleidungsstücke Übersicht
6.4 Einträge zu einem Artikel anzeigen
6.5 Eintrag im Detail
6.6 Sicherheitsabfrage
6.7 Neuer Kommentar erstellen
6.8 Privaten Eintrag verfassen: Sicherheitsabfrage
6.9 Privaten Eintrag verfassen
6.10 Eingeloggter Benutzer: Private Einträge lesen
7 Weiteres Vorgehen
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
9.1 Drucksorten
9.2 Der Prix Ars Electronica
9.3 Ausschreibung der Kategorie [the next idea]
9.4 Einreichungsbestimmungen
9.5 Statement der Jury
9.6 Mitglieder der Jury
9.7 Fotos
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 - Vorgehensmodell der Software-Entwicklung
Abb. 2 - Sujet für Installation im Museumsquartier Wien
Abb. 3 - USED Clothing Logo
Abb. 4 - Grafik zur Visualisierung des RFID-Environments
Abb. 5 - Grafik zur Visualisierung des RFID-Environments
Abb. 6 - Funktionales Datenmodell
Abb. 7 - Schematische Darstellung der RFID-Schnittstelle und der Web-Applikation
Abb. 8 – Datenblatt RFID-Transponder (© 2003 Texas Instruments Inc. )
Abb. 9 - Datenblatt RFID-Transponder (© 2003 Texas Instruments Inc. )
Abb. 10 - Auszug aus dem Katalog von Digi-Key (© 2005 Digi-Key Corp.)
Abb. 11 - Screenshot aus der Digi-Key-Website (@ 2005 Digi-Key Corp.)
Abb. 12 – RFID-Lesegerät, Antenne und Anschlussplatine (Foto: Martin Mairinger)
Abb. 13 - Datenblatt RFID-Lesegerät (© Inside Technologies 2005)
Abb. 14 - Datenblatt RFID-Lesegerät (© Inside Technologies 2005)
Abb. 15 - Datenblatt Samsung SyncMaster 403T (© Samsung 2005)
Abb. 16 - USB Card Reader 2.0 24 in 1 (© Digitus 2005)
Abb. 17 - USB 2.0 Hub 4-Port self powered (© Digitus 2005)
Abb. 18 - USB 2.0 zu seriell Konverter, DSUB 9M (© Digitus 2005)
Abb. 19 - Startseite
Abb. 20 - Einträge zu einem Artikel anzeigen
Abb. 21 - Eintrag im Detail
Abb. 22 - Sicherheitsabfrage
Abb. 23 - Neuer Kommentar erstellen
Abb. 24 - Bestätigung und Ausgabe der Login-Daten
Abb. 25 - Sicherheitsabfrage für privaten Eintrag
Abb. 26 - Privaten Eintrag verfassen
Abb. 27 - Eingeloggter Benutzer: Private Einträge lesen
Abb. 28 – Plakat DIN A1 (Idee und Design: Martin Mairinger)
Abb. 29 - Postkarte DIN A6, Vorderseite
Abb. 30 - Postkarte DIN A6, Rückseite
Abb. 31 - Der Container am Linzer Hauptplatz
Abb. 32 - Kleidungsstücke im Container
Abb. 33 - Einlesen eines Kleidungsstücks bei geschlossenem Shop
Abb. 34 - RFID-Lesegerät für den Aussenbereich (unter dem Papier)
Abb. 35 - Der Container bei Nacht
Abb. 36 - User Interface
Abb. 37 - Shop-Assistent Mag. Ingo Ohlenschläger und Martin Mairinger
Abb. 38 - User Interface
Abb. 39 - USED Clothing bei der Konferenz „future wireless“
1 Theoretischer Hintergrund
1.1 Aktuelle Trends in der Informationslandschaft
Seit einiger Zeit entwickelt sich die weltweite Informationslandschaft in eine neue Richtung. Bisher waren Massenmedien wie Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen und bis zuletzt auch das Internet von einer klaren Hierarchie des Kommunikationsflusses geprägt. Die Beschaffung und Verteilung der Information an den „Endverbraucher“ wird in überwiegendem Maße zentral gesteuert. Dieses Szenario bildet die Grundlage für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Kommunikations- und damit auch Machtstrukturen. Das Internet bietet nun (wie kein anderes Massenmedium davor) dem „Informations-Endverbraucher“ die Möglichkeit, selbst Informationen in den Kommunikationsfluss einzubringen. Vergleichbar ist dieser Prozess noch am ehesten mit dem Konzept des Leserbriefs, der in Printmedien als Reaktion auf redaktionelle Beiträge erscheint. Da sich aber das Internet stärker als jedes andere Medium einer zentralen Redigierung entzieht (aufgrund der ständig sinkenden finanziellen und technischen Eintrittsbarrieren), entsteht eine Konkurrenz zu redaktionellen, zentral gesteuerten Informationen in nie zuvor beobachteten Ausmaß. Die Folge dieses Prozesses ist die Verschiebung der Balance zwischen zentralen und dezentralen Informationsflüssen[1]. Im Internet tritt dieser Trend besonders auffällig als das Konzept des Weblogs, kurz „Blogs“ in Erscheinung.[2] Aufgrund einer teilweise falschen Einschätzung des Mediums Internet haben es traditionelle zentrale Informationsdienste wie Fernsehstationen oder Verlagshäuser es weitgehend verabsäumt, ihre Informations-Monopole in das neue Medium Internet zu transferieren.[3]
Diese Tatsache und die schon oben erwähnten sinkenden Eintrittsbarrieren im Informations-Markt Internet tragen dazu bei, das sich die oben genannte Balance zwischen zentralen und dezentralen Informationsflüssen zusehends zugunsten der dezentralen verschiebt. Dieser Effekt lässt das Individuum aus dem Zustand des Informations-Endverbrauchers hervortreten und selbst zu einem Produzenten und „Global Player“ im weltweiten Informations-Markt werden. Die Information und das Medium an sich gewinnen durch diesen Umstand an neuen (positiven und negativen) Qualitäten. Für den einzelnen wird es immer einfacher, eigenes Material zu publizieren, das sich weitestgehend jeder Zensur entziehen kann.
Tatsache ist jedoch, dass das Medium Internet und dessen Inhalt aufgrund dieses demokratischen Prinzips für alle am Informations-Markt – sei es als Informations-Broker oder Endverbraucher“ - noch interessanter wird. Dieser Ansatz wird in der Fachliteratur bereits als „Pro-sumer“ -Szenario[4] beschrieben: „…civilization begins to heal the historic breach between producer and consumer, giving rise to the “prosumer” economics of tomorrow.”[5]
Wenn der Konsument beginnt, selbst als Produzent zu agieren, gewinnt die Ware Information an zusätzlicher Attraktivität. Verstärkt wird diese Attraktivität zusätzlich durch den Netzwerk-Effekt, ein mikroökonomisches Phänomen, dem die Theorie zugrunde liegt, dass sich der Wert einer Ware steigert, je mehr Personen sie besitzen bzw. davon Gebrauch machen (klassisches Beispiel: Telefon)[6]. Je mehr Personen also im Informations-Pool interagieren, desto attraktiver wird es für andere, ebenfalls an der Interaktion teilzunehmen. Innerhalb virtueller Gemeinschaften[7] („virtual communities“) kommt dem Netzwerkeffekt eine besondere Bedeutung zu:
Da virtuelle Gemeinschaften primär der Zweck des Wissensaustausches zugrunde liegt[8], steigen der Wissensaustausch mit der Anzahl der teilnehmenden Personen und damit die Menge an verfügbarer Information. Der Mehrwert entsteht also durch den Netzwerkeffekt[9]. Gleichzeitig wird die Partizipation von Personen und die emotionale Bindung[10] durch die Attraktivität des Netzwerkeffekts beeinflusst[11].
Was bedeutet dies nun für klassische, zentral gesteuerte Informationskampagnen? Nimmt der Adressat noch Notiz, wenn er immer stärker damit beschäftigt ist, selbst Informationen in Umlauf zu bringen bzw. dezentrale Informationsquellen zu konsumieren?
1.2 Lösungskonzept: „Open Source Branding“
Diese Problemstellung brachte mich zur Fragestellung, wie zukünftige Informations- und insbesondere Werbekampagnen organisiert sein müssen, um in diesem Szenario Gehör zu finden und somit erfolgreich sein zu können. Eine Möglichkeit besteht darin, weiterhin auf traditionelle zentrale Informationsflüsse zu setzen und den Einsatz an Ressourcen zu erhöhen, um der lauteste am Informationsmarkt zu sein. Eine andere Möglichkeit ist es, sich die neu entstehenden Strukturen zu Nutze zu machen und dadurch eine stärkere Aufmerksamkeit zu erlangen. Diese Idee hat mich dazu bewogen, einen neuartigen Prozess der Markendefinition (engl. „Branding“)[12] zu skizzieren, der sich dieser neuen Trends bedient, um ein neues, stärkeres und emotionaleres Markenimage zu designen: Das Image der Marke wird nicht wie üblicherweise zentral vom Produzenten kreiert, sondern von den Konsumenten selbst. Der Konsument wird in die Lage versetzt, individuelle Informationen in den Branding-Prozess einfließen zu lassen. Gleichzeitig hat er/sie die Möglichkeit, die individuellen Beiträge der anderen beteiligten Personen zu sehen. So entsteht ein ungleich stärkerer persönlicher und emotionaler Bezug zur Marke. Der Prozess des Brandings wird sozusagen demokratisiert, die Marke wird als „tabula rasa“ zur freien Definition freigegeben. Diesen Prozess habe ich „Open Source Branding“ genannt, um diese besondere Qualität zum Ausdruck zu bringen. Ähnlich wie ein Open Source Software-Produkt von vielen Individuen dezentral weiterentwickelt wird[13], wird im Zuge des Open Source Brandings das Markenimage weiterentwickelt.
1.3 USED Clothing als Prototyp
Das Projekt USED Clothing ist ein erster Prototyp, um den Open Source Branding-Prozess testen und anschaulich der Öffentlichkeit vorstellen zu können. Durch USED Clothing wird ein erster Ansatz realisiert, der die Grundlage für die - sowohl theoretische als auch technische – Weiterentwicklung des Open Source Branding Konzepts bieten soll. Um auf weitere Details eingehen zu können, ist nun die Vorstellung des eigentlichen Konzepts notwendig:
2 Eingereichtes Konzept
Das Konzept zu USED Clothing wurde von mir beim Prix Ars Electronica 2005 in der Kategorie [the next idea] eingereicht. Die Besonderheit dieser internationalen Kategorie besteht darin, dass man – im Gegensatz zu den „klassischen“ Nica-Kategorien – kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein noch nicht realisiertes Konzept einreicht. Das Gewinnerkonzept wird dann gemeinsam mit dem Ars Electronica Futurelab realisiert und im Rahmen des Ars Electronica Festivals präsentiert. Im Folgenden das eingereichte Konzept im Original-Wortlaut (inhaltliche Details wurden im Rahmen des Projektfortschritts noch verändert).
USED Clothing[14]
Second Hand-Kleidung als Kommunikationsplattform
2.1 Zusammenfassung
Secondhand-Kleidung soll als Kommunikationsmedium innerhalb einer Community genutzt werden. Die Kleidungsstücke werden zu diesem Zwecke mit einem ID-Träger versehen, die jedem Stück eine eindeutige ID zuweisen. Über die ID können in Folge Informationen über Vorbesitzer, Messages etc. verknüpft und vom aktuellen Besitzer abgerufen werden. Ziel ist es, auf Basis dieses Kommunikationskonzepts eine dynamische Community-Bildung einzuleiten, die selbst ihre eigene Ausrichtung bestimmt. Daneben wird auch der Zusammenhang zwischen Kleidung und Identität kontrovers zur offenen Diskussion gestellt.
2.2 Ideenfindung und Philosophie
(…) aber lieber wäre er verhungert, als dass er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wusste. (Gottfried Keller, Kleider machen Leute, 1874)
Kleidung ermöglicht es dem Menschen, seine Identität optisch auszudrücken. Einer der ersten Eindrücke, den man von seinem Gegenüber erhält, ist der Kleidungsstil. Damit können wir (unbewusst) sofort eine Reihe von sozialen und charakterlichen Attributen mit der Person assoziieren.
Kleidung ist also ein Medium, das diese Informationen in wenigen Augenblicken übertragen kann. Schneller z.B. als die Sprache, sofern wir nicht über Telefon mit einer fremden Person Kontakt aufnehmen.
Nimmt man dem Individuum seine individuelle Kleidung, wird es zum Apparat und verliert einen Teil seiner Identität. (Uniformierung von Staatsorganen und von Gefangenen - der Staat zeigt seine Macht, indem er denen, über die er verfügt, mit der individuellen Kleidung auch einen Teil der Identität nimmt, bzw. eine künstliche aufzwingt).
Die Identitätskomponente der Kleidung bringt das alltägliche Phänomen mit sich, dass Leute mit ähnlichen Lebensstilen und Anschauungen sich in einem gewissem Maß ähnlich kleiden.
Diese Überlegung hat mich zu der Idee gebracht, Kleidung stärker als Medium darzustellen, das als Information Identität mit großer Geschwindigkeit transportiert.
Der Informationsgehalt der Kleidung ist aber stark begrenzt und überlässt dem Beobachter nur die Möglichkeit einer oberflächlichen Einschätzung.
Identität selbst ist aber ein sehr komplexes Informationspaket, das man rein optisch nicht zum Ausdruck bringen kann. Technisch ist es aber möglich, den Informationsgehalt erheblich auszuweiten und den Zugang zu dieser Information detailliert zu steuern.
Ziel ist es, die Funktion der Kleidung als Kommunikationsmedium zu verstärken und die Bildung dynamischer und offener Communities auf dieser Basis zuzulassen.
Innerhalb dieser Community soll ein Bewusstsein für Privatsphäre und für die Chancen und Risiken der Verknüpfung verschiedener identitätsbezogener Daten geschaffen werden.
Der Community-Prozess soll geografische Grenzen überwinden und die Interaktion zwischen geografischer bzw. sozialer Herkunft und Identität zeigen.
Wegwerfgesellschaft
Durch die Fokussierung auf diese speziellen „Trägereigenschaften“ (Kleidung als Medium) gewinnt das Kleidungsstück an zusätzlichem Wert. Innerhalb des Projekts wird die Kleidung von Ihrem Wegwerf-Image befreit.
Monitoring dynamischer Prozesse innerhalb der Community
Aufgrund des durchgängigen Datenstroms sind alle Prozesse innerhalb der Community analysierbar. Dies bietet die Möglichkeit, abseits von Marketing- und klassischer Sozialforschung Analysen zu betreiben.
2.3 Realisierung
2.3.1 Geeignete Kleidungsstücke
Als geeignete Kleidungsstücke sehe ich grundsätzlich Oberbekleidung wie Shirts, Pullover, Jacken, Mäntel, Hosen etc. Die Einsetzbarkeit der ID-Träger ist Grundvoraussetzung.
Kleidungsstücke können Secondhand-Ware oder von lokalen Projektbeteiligten hergestellte Stücke sein, eine lange Haltbarkeit und gute Qualität ist Voraussetzung. Es soll innerhalb einer Filiale ein möglichst breites Stilspektrum zur Verfügung stehen. Die Auswahl der geeigneten Stücke sollte daher von einer fachkundigen Person erfolgen.
Basis für den Community-Prozess bilden die Verkaufs- bzw. Tauschniederlassungen und das Web-Portal.
2.3.2 Verkaufs- bzw. Tauschniederlassungen
In den Filialen werden die verfügbaren Kleidungsstücke einzeln ausgestellt. Es gibt die Möglichkeit, freigegebene Informationen zu den einzelnen Stücken anzuzeigen. Grundsätzlich bietet die Filiale die gleichen Möglichkeiten wie das Web-Portal.
Zusätzlich zu den Funktionen des Portals können hier Kleidungsstücke gekauft bzw. getauscht werden und dem neuen Benutzer zugeordnet werden.
Die Filialen sollen auch Raum für künstlerische bzw. informative Arbeiten von Kleidungsbesitzern zur Verfügung stellen und eine Archivfunktion erfüllen. Diese Arbeiten werden katalogisiert im Web-Portal indiziert.
2.3.3 Funktionalität des Web-Portals
Das Portal unterscheidet zwischen vier verschiedenen Benutzergruppen:
Anonyme Besucher – sollen über das Konzept informiert werden, können sich registrieren
Registrierte Benutzer – können auf den Kleidungskatalog und den für diese Gruppe freigegebene Informationen zugreifen
Kleidungsbesitzer – Können alle Informationen zu den geloggten Kleidungsstücken abrufen. Geloggte KS sind vom Benutzer momentan oder vormals besessene KS.
Filial-Mitarbeiter - kann KS beim neuen Benutzer einloggen.
2.4 Technische Umsetzung
Basis des Konzepts ist die eindeutige Identifizierung der KS. Hierbei sind eine konsistente Nummernvergabe und ein geeigneter ID-Träger (Barcode oder RFID-Tag) notwendig. Weiters ist ein Lesegerät erforderlich, die den ID-Träger auslesen und die ID über eine Schnittstelle an das Portal weitergeben kann.
Daneben sind Geräte notwendig, um die ID-Träger beschreiben bzw. bedrucken und in die Kleidung implementieren zu können.
2.5 Finanzierung
Ziel ist es, das Projekt kostenneutral durchführen zu können. Um dies zu erreichen, ist die Preisgestaltung der Kleidungsstücke entscheidend. Grundsätzlich soll die Preisgestaltung ähnlich wie bei einer Bücherei sein: Das Verhältnis Preis des neuen Buchs und Preis der Leihe für ein Monat sollte 10:1 sein.
Der Mehrwert durch den Community-Prozess und der kontroversielle Zugang zu den o.g. Themen sollen einen höheren Preis rechtfertigen können, falls die Kostendeckung anders nicht erreicht werden kann.
Grundsätzlich wäre es wünschenswert, den Break-even-Point zu überschreiten und Gewinne in themenverwandte Projekte (wie Hilfsprojekte für textilproduzierende Länder in der so genannten Dritten Welt, etc.) investieren zu können.
Die Höhe des notwendigen Kapitals hängt stark davon ab, ob man Teilprojekte im Rahmen universitärer Programme etc. durchführen kann.
Generell sollte das Projekt von allen Beteiligten als Work-in-Progress gesehen werden und die Möglichkeit bieten, neue Konzepte „im Sandkasten“ zu entwickeln (etwa Modelle für Kooperation zwischen Modedesign-, Kunst-, Marketing-, Technik- und Kommunikations-Studenten)
2.6 Prototyping
2.6.1 Ziel
Ziel des Prototyping ist es, eine erste funktionierende Version des Webportals sowie einen Demo-Shop mit verfügbaren Kleidungsstücken einzurichten. Wenn möglich, sollte es einen zweiten entfernten Demo-Shop geben, um die dynamische Interaktion simulieren zu können. Bewegungsdaten sollen analysiert und dargestellt werden können. Eine Basis-Community von 50-100 Personen sollte erreicht werden.
2.6.2 Notwendige Ressourcen
In der ersten Phase des Prototyping wird es eine weitere Prüfung/Anpassung des Konzepts geben. Funktionalitäten und Prozesse werden detailliert beschrieben, sodass mit der Arbeit am Webportal begonnen werden kann.
Für die Umsetzung des daraus entstehenden Pflichtenhefts plane ich einen Programmieraufwand von ca. 100 Stunden. Ein geeigneter Programmierer sollte zur Verfügung stehen. Für die Portal-Präsentationsoberfläche kann ein Open-Source-CMS wie etwa Mambo etc. verwendet werden.
Daneben ist ein Server mit Datenbank- und Webserver notwendig. Im Demoshop sind ein Client-Rechner und das passende ID-Lesegerät notwendig. Zusätzlich müssen die ID-Träger erstellt/beschrieben werden können und fachgerecht in die Kleidung eingearbeitet werden können. Eine eventuelle Shop-Einrichtung kann je nach räumlicher Situation hinzukommen.
Die Kleidungsstücke sollten von fachkundigen Scouts besorgt und ausgestellt werden. Erste Quellen können Freundeskreise und Secondhand-Shops sein.
Sollte das Konzept Erfolg haben, können weitere Ressourcen geplant werden, um das Modell zu erweitern.
3 Ergänzungen zum Konzept
Der Fokus auf Secondhand-Kleidung ist darauf zurückzuführen, dass diese schon von einem eigenen Marken-Image befreit ist und die vom Träger darauf „projizierte“ Information schon das Marken-Image übertüncht. Gebrauchte Kleidung ist daher – im Gegensatz zu neuer Kleidung - schon viel aufnahmebereiter für neue individuelle Informationen.
Der Punkt Finanzierung konnte nicht so wie im Konzept vorgesehen realisiert werden, da jegliche Form von Bezahlung rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen hätte (Gewährleistung, etc.) Es wurde daher auf den Einsatz von Geld verzichtet und betroffene Prozess-Eckpunkte mittels des Interaktionsdesigns gelöst.
3.1 Vergleich mit ähnlichen Konzepten
Nachdem die Entscheidung feststand, das Konzept gemeinsam mit dem Ars Electronica Futurelab realisieren zu können, hab ich nach Projekten gesucht, die eine ähnliche Ausrichtung und ähnlichen Technologie-Einsatz vorweisen konnten. Im Zuge meiner Recherchen (Mai 2005) bin ich auf zwei Projekte gestoßen, die in gewissem Maße mit meinem Konzept vergleichbar sind und trotzdem gravierende Unterschiede ausweisen. Mein Konzept ist sozusagen eine optimale Verbindung dieser zweier Projekte. Das erste Projekt ist eine Installation im Prada Flagship Store in New York, das zweite ein Netzwerk von Installationen in ausgewählten internationalen Benetton-Megastores („United People“).
3.1.1 Prada Flagship Store
Das italienische Mode-Unternehmen Prada hat zur Einrichtung ihres Flagship-Stores in Manhattan internationale Design-Büros beauftragt, um ein spezielles Erlebnis für den Kunden bereitstellen zu können. Eine daraus resultierende Installation (neben anderen) wurde von IDEO London konzipiert und realisiert:[15]
Auf den Kleidungsstücken sind RFID-Tags angebracht, die das Kleidungsstück identifizieren. Geht nun eine Kundin mit diesem Kleidungsstück in eine Umkleidekabine, kann sie sich zum Kleidungsstück multimediale Informationen auf einem Bildschirm anzeigen lassen: Verfügbarkeit in Größen und Farben, dazu passende andere Artikel, Video mit einem Model am Catwalk um das Kleidungsstück in Bewegung zu sehen.
3.1.2 United People
United People ist eine Installation, die in derzeit 18 Benetton-Megastores (Stand: 08.10.2005) rund um die Welt realisiert wurde. Kunden können in den jeweiligen Filialen Videos, Fotos und Textnachrichten eingeben, die in allen anderen Filialen und über die Website abgerufen werden können. So wird die Marke Benetton mit diesen Personen und darüber hinaus mit dem sozialen Aspekt des „Verbindungen schaffen“ assoziiert. Benetton benutzt schon länger den Begriff „united“, um diesen Gemeinschaftsgedanken in den Vordergrund zu rücken. Benetton ist daher ein gutes Bespiel das o.g. Konzept des Cause-Related-Marketing, das teilweise auch durch provokante Werbesujets zum Ausdruck gebracht wird.[16]
3.1.3 Unterschiede
Im Unterschied zum Prada-Projekt, das eine Ein-Weg-Kommunikation darstellt (der Kunde ruft Informationen zum Kleidungsstück ab), basiert USED Clothing auf einer Zwei-Weg-Kommunikation: Der Benutzer kann auch eigene Informationen hochladen und die Beiträge anderer Benutzer sehen. Die Gemeinsamkeit besteht hier in der ähnlichen Nutzung der RFID-Technologie und des Ablaufs im Shop.
Im Unterschied zum Benetton-Projekt wird bei USED Clothing eine viel stärkere Verbindung zur Marke hergestellt. Da die Information aus Benutzer-Sicht „auf dem Kleidungsstück“ angebracht ist, ist die Assoziation zum physischen Kleidungsstück und damit zur Marke ungleich höher – es existiert eine stärkere emotionale Bindung.
3.2 Bedeutung des Interaktions-Designs
In der Realisierung des Projekts nahm das Interaktions-Design[17] eine zentrale Rolle ein: es galt, die verschiedenen Ressourcen und Umgebungsvariablen so zu konfigurieren und zu vereinen, dass am Schluss ein für den Endbenutzer rundes Benutzererlebnis und zugleich eine Ressourcen-Schonende Projektabwicklung realisierbar war. Die zur Realisierung notwendigen Ressourcen lassen sich in 6 Gruppen teilen:
- Hardware
- Software
- Interieur (Container-Design)
- Zeit
- Budget
- Externe Ressourcen (Medienberichte, PR, etc)
Zu Beachten ist dabei die gegenseitige Beeinflussung aller Ressourcen. Das Interaktionsdesign muss alle Ressourcen berücksichtigen und so einsetzen, dass für den Benutzer ein stimmiges Gesamtbild entsteht. Dies wurde in der Konzeption der Software, der Hardware-Beschaffung und des Interieur-Designs unter Einfluss von Zeit- und Budget-Restriktionen berücksichtigt und letztendlich erfolgreich umgesetzt.
3.3 Bedeutung des Kontext-Basierenden Designs
Das Interaktions-Design wurde darüber hinaus auch von den speziellen Umgebungsvariablen (Kontext), bedingt durch die Festival-Situation, mitbestimmt:
- Zeit: Vorgegebenes Zeitfenster (6 Tage, jeweils von 10:00 – 21:00 Uhr)
- Raum: Glascontainer mitten am Hauptplatz
- Publikum: international und lokal
Daraus ergaben sich wiederum spezielle Anforderungen an das Interaktionsdesign: Beispielsweise musste die Applikation auch in Englisch verfügbar sein, die präsente Platzierung am Hauptplatz musste genutzt werden, am Abend musste für Beleuchtung gesorgt werden, aus den Öffnungszeiten ergibt sich auch ein Bedarf an Sicherheits-Vorkehrungen (Stichwort: Samstagabend),etc.
Um aus Sicht des Benutzers alle Prozesse optimal durchführen zu können, wurde hier der Ansatz des Kontext-Basierenden Designs verfolgt:
„ Contextual Design is an approach to defining software and hardware systems that collects multiple customer-centered techniques into an integrated design process”[18]
3.4 Geeignete Marketing-Tools
Zur Unterstützung des Open Source Branding-Prozesses eignen sich zwei Marketing-Konzepte, die bereits erfolgreich in der Praxis eingesetzt werden: Cause-Related-Marketing (CRM) und Virus Marketing.
3.4.1 Cause-Related Marketing (CRM)
CRM ist ein strategisches Positionierungs- und Marketing-Werkzeug, das ein Unternehmen oder eine Marke mit einer sozialen Angelegenheit bzw. der Lösung eines sozialen Problems verknüpft[19]. Der Konsument assoziiert die Marke so mit einem guten gesellschaftlichen Beitrag, somit gewinnt das Produkt einen virtuellen Mehrwert, der ihn von der Konkurrenz unterscheidet[20].
USED Clothing verwendet nun nicht selbst das CRM-Werkzeug, gibt aber seine Plattform für CRM-Aktivitäten seiner Benutzer frei. Es können z.B. über ein Kleidungsstück karitative Aufrufe gestartet werden, etc. USED Clothing könnte auch seine Benutzer explizit auffordern, CRM-Aktivitäten zu initialisieren. Das positive Image wird dann wieder mit der Marke USED Clothing verknüpft und gleichzeitig als Plattform für derartige Aktionen wahrgenommen.
3.4.2 Virus-Marketing
Das Konzept des Virus-Marketings basiert auf dem biologischen Verhalten des Virus. Ein Virus hat die Eigenschaft, fremde Systeme zu infizieren und gleichzeitig sich mit Hilfe dieser Wirtsysteme selbst zu reproduzieren. Im Marketing wird das Virus mit einer Botschaft oder einem Produkt, das System mit einer Einzelperson gleichgesetzt. Bei erfolgreichem Einsatz erfolgt ein Kettenreaktions-Effekt: Eine Person gibt die Information an mehrere andere Personen weiter, diese Personen wiederum an andere Personen, usw. Das Grundkonzept sowie der Begriff stammen von Jeffrey Rayport, Professor an der Harvard Business School und wurde erstmals im Wirtschaftsmagazin „Fast Company“ im Jahr 1996 beschrieben.[21]
Anders als im klassischen Marketing werden beim Virus-Marketing aber keine Massenbotschaften versandt, sondern Prozesse initiiert, durch die die Kommunikation der Kunden untereinander angeregt wird. Dies wird über einen gewissen Begeisterungsfaktor ausgelöst. Ein gutes Beispiel war das Moorhuhn-Spiel das sich schlagartig als Gratisversion durch E-Mails im deutschsprachigen Raum verbreitet hat und später als Kaufversion ein großer Erfolg wurde. Ursprünglich wurde das Spiel von dem schottischen Whisky-Hersteller Johnnie Walker herausgegeben, wobei Studien nachgewiesen haben, dass durch das Spiel die Marken-Wahrnehmung bei der Zielgruppe stark verbessert werden konnte[22].
Virus-Marketing ist eine wichtige Ergänzung bei Mode-Marken und bei USED Clothing im Besonderen. Bringt man den Mehrwert in Form des RFID-Transponders bzw. des Labels klar zum Ausdruck entsteht eine Neugier nach der Funktionsweise und den Möglichkeiten (Bei herkömmlichen Mode-Artikeln wird man eher selten gefragt: „Wie funktioniert das?“). Über das Erscheinungsbild der USED Clothing-Kleidungsstücke und der originellen Idee dahinter kommt man als Träger schnell ins Gespräch mit interessierten Personen, der „Marketing-Virus“ verbreitet sich also relativ schnell weiter. Zusätzlich kann sich USED Clothing einerseits auf der Ebene der Mode-Interessierten, andererseits auf Ebene der Technologie-Interessierten bewegen, so entsteht ein Zielgruppen-übergreifendes Interesse (sofern man hier überhaupt von Zielgruppen sprechen kann).
4 Kritik
Zum Projekt gab es auch kritische Stimmen, die das Prinzip des „gläsernen Menschen“ und die totale Überwachung in diesem Konzept verwirklicht sagen. Als Antwort darauf möchte ich Paul Dourish zitieren: „The question is not whether this or that technological facility will be available to us; the question is how we will be able to understand it, control it, interact with it, and incorporate it into our lives.”[23] Die Tatsache, dass RFID-Technologie den Menschen leichter überwachbar macht, ist ein Szenario, mit dem man sich beschäftigen muss. Aber es ist die falsche Antwort, die Technologie selbst als „böse“ einzuschätzen und sich darum gar nicht damit zu beschäftigen. Diese Einstellung macht es Unternehmen noch leichter, abseits des öffentlichen Bewusstseins Technologien und deren Überwachungs-Einsatzszenarien zu entwickeln. Besonders nach dem Platzen der dot-com-Blase ist die Bereitschaft des einzelnen, sich mit neuen computer-technischen Geräten zu kritisch auseinanderzusetzen, kleiner geworden.[24] Dies ist aber ein schwerwiegender Fehler: Die Technologie wird ohnehin kommen und mögliche Einsatzszenarios wird es immer geben, ob seitens der Unternehmen oder des Militärs. Je weniger sich die Gesellschaft mit diesen neuen Technologien beschäftigt, desto eher läuft sie Gefahr, dass diese nicht in Ihrem Sinne eingesetzt werden. USED Clothing zielt daher darauf ab, eine Technologie, wie weithin als Überwachungsinstrument wahrgenommen wird, in einem lustigen aber sinnvollen Kontext zu verwenden, um die „mentalen“ Eintrittsbarrieren für den einzelnen zu minimieren: Dies sollte dem einzelnen die Gelegenheit geben, sich abseits von negativen Einsatzmöglichkeiten Gedanken über RFID-Technologie zu machen.[25]
Speziell der Einsatz von RFID-Transponder in Alltagsgegenständen ist für manche Menschen beunruhigend. Viele sind sich aber gar nicht bewusst, in welchen Geräten und Gegenständen, die sie täglich benutzen, bereits komplexe Systeme eingebettet sind. Gerade eingebettete Systeme sind aber zugleich die für den Benutzer angenehmsten, da er sich über deren Funktion eigentlich keine Gedanken machen muss und er sie nicht zu Gesicht bekommt. Dazu ein Zitat von Mark Weiser: „“The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday live until they are indistinguishable from it. “[26]
5 Realisierung: Software
5.1 Vorgehensmodell
Als Vorgehensmodell wurde das Wasserfallmodell gewählt. Da in der Fachliteratur das Modell sehr verschieden ausgelegt bzw. beschrieben wird[27], habe ich es für meine Bedürfnisse angepasst bzw. Teile weggelassen, die mir in diesem Projekt nicht relevant erschienen sind. Dafür ausschlaggebend ist auch die Tatsache, dass es sich um kein „betriebwirtschaftliches“ Implementierungsszenario handelt und das neue System in kein bestehendes Muttersystem bzw. in eine Systemlandschaft integriert werden muss. Darüber hinaus sind die einzelnen Prozessschritte neu definiert worden und beschreiben keine vorgegebenen Ist-Abläufe.
Mein Vorgehensmodell lässt sich grafisch so darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1- Vorgehensmodell der Software-Entwicklung
5.2 Problemanalyse und Spezifikation
5.2.1 Organisatorische Struktur
5.2.1.1 Allgemeines
Das Ziel der Planung der Web-Applikation war es, zeitgerecht ein Konzept für das Benutzer-Interface zu erstellen, das in den gegebenen (engen) Zeit- und Budgetrahmen bereitgestellt werden konnte. In der Planung mussten sämtliche Prozesse innerhalb der Applikation unter Berücksichtigung des Interaktions-Designs in der Shop-Umgebung und der sich daraus ergebenden Schnittstellen definiert werden. Gemeinsam mit dem AEC FutureLab wurde beschlossen, eine Maximal-Variante zu planen und diese später den tatsächlich vorhandenen Ressourcen gegenüberzustellen, um so alle kreativen Ideen auszuschöpfen und später modular Funktionen realisieren zu können.
5.2.1.2 Zeitrahmen
Für die Realisierung der Web-Applikation werden ca. 2 Wochen veranschlagt. Rechnet man noch eine Woche für die Testphase ein, ergibt sich nach einer Rückterminierung ausgehend vom Live-Start-Termin am 1. September ein Fertigstellungstermin für die Planung in KW 33. Begonnen wurde die Planung in KW 23, somit blieben 10 Wochen für Planung und Umsetzung.
5.2.1.3 Budgetrahmen
Seiten des AEC werden nur minimal Stunden für die Planung der Web-Applikation reserviert.
(Um letzte Detail-Anpassungen vor der Realisierung zu besprechen). Die Planung der Prozesse innerhalb der Applikation und Design des Interfaces ist meine Aufgabe.
Für die Realisierung des Systems werden seitens des FutureLab 50 Stunden Programmier-Aufwand bereitgestellt. Eine Erweiterung dieses Budgets ist aufgrund der schwierigen Ressourcensituation vor dem Festival nicht möglich.
Für sämtliche Zusatzfunktionen, deren Realisierung nicht durch die Ressourcen des Futurelab gewährleistet werden kann, müssen außerhalb des Projekts Ressourcen gefunden werden. Eine daraus resultierende Teilung der Programmier-Tasks muss im Vorfeld organisiert und mit dem Projektmanagement abgestimmt werden.
5.2.1.4 Personelle Ressourcen
Alle ein bis zwei Wochen werden Abstimmungsgespräche im Futurelab stattfinden. Vor Ort werden mit den Programmierern (Günther Kolar und Stefan Ortner) die grundsätzlichen vorhandenen Ressourcen und die Ergebnisse meiner Arbeiten (Datenmodell und Prozess-Abläufe) besprochen. Von Zeit zu Zeit werden per E-Mail und Telefon Details besprochen.
Alle drei bis vier Wochen finden Abstimmungsgespräche im Rahmen des Projektmanagements, insbesondere mit Horst Hörtner (Senior Executive Developer), statt.
Für zusätzlichen Programmieraufwand (siehe Budgetrahmen) muss ein externer Programmierer gefunden werden. Dieser Aufwand wird nicht vom Projektbudget gedeckt und wird von mir privat finanziert.
5.2.2 Technische Infrastruktur
Die technische Infrastruktur ergibt sich aus der beschafften Hardware (siehe dazu Hardware-Anforderungen). Die für die Programmierung relevanten technischen Eckdaten sind hier kurz zusammengefasst:
- Betriebssystem: Windows XP Professional
- Zwei Computer im Live-Betrieb
- Zwei RFID-Lesegeräte über serielle Schnittstelle
- Auflösung der Displays - 1280 x 768 Pixel.
Seitens des FutureLab werden ein Webserver und ein Datenbankserver bereitgestellt. Als serverseitige Sprache wird ASP oder PHP eingesetzt werden. Daraus ergeben sich zwei mögliche Implementierungs-Szenarios:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5.2.3 Verbindung zu anderen Teilen
- Das System muss mit der RFID-Schnittstelle kompatibel sein
- Das Design ist mit den allgemeinen Corporate Design-Vorgaben abzustimmen
- Das System muss vollständig in das schlussendliche Interaktions-Design integrierbar sein.
5.2.4 Aufgabenanalyse
5.2.4.1 Leistungsumfang der Applikation
5.2.4.1.1 Ursprünglicher Leistungsumfang laut Konzept
Im ursprünglichen Konzept wurde das Benutzer-Interface noch in zwei Bereiche getrennt, die durch zwei verschiedene Applikationen realisiert werden sollte: Zum einen das Shop-Interface, über das der Benutzer im Shop Daten „auf das Kleidungsstück“ schreiben kann und zum anderen das Web-Interface, über das von überall die bereits eingetragenen Informationen zu den Kleidungsstücken abgerufen werden können.
Ursprüngliches Ziel war es, das Shop-Interface möglichst einfach zu gestalten, sodass jeder Benutzer ohne fremde Hilfe Informationen zu den Kleidungsstücken eingeben und abrufen kann. Dieser Prozess sollte in der „Recording-Box“- einer funktional erweiterten Umkleidekabine mit entsprechender Hardware - erfolgen. Im Zuge des Interaktions-Designs und angesichts der knappen Ressourcen wurde diese Planung aus den folgenden Gründen verworfen:
- Zu wenig Programmier-Ressourcen für zwei verschiedene Applikationen
- Erheblicher Design- und Programmier-Mehraufwand durch automatisierten Ablauf (ohne Hilfestellung einer anwesenden Person)
- Durch die starke Automatisierung des Ablaufs würde die Flexibilität des Interaktions-Designs eingeschränkt werden; Programmfehler oder spontane, nicht vorgesehene Aktionen würden den korrekten Ablauf möglicherweise verhindern.
[...]
[1] Vgl. Kelly 2005, S. 99
[2] Der Ausdruck “Weblog” stammt von Jorn Barger, dem Herausgeber der Website Robot Wisdom (http://www.robotwisdom.com) und trat erstmals 1997 in Erscheinung (Vgl. Blood 2002, S.12)
[3] Vgl. Kelly 2005, S. 95
[4] Vgl. Quain 2000, S. 10
[5] Vgl. Toffler 1984, S.11
[6] „Formally, a good exhibits network effects if the demand for the good depends on how many other people purchase it. The classic example is a fax machine; picture phones and email exhibit the same characteristics.” (Varian et al. 2004, S.33)
[7] „Virtuelle Communities sind Gemeinschaften von Personen und Organisationen im Internet, die einen Informations- und Erfahrungsaustausch sowohl unter Mitgliedern als auch zwischen ihnen und dem Betreiber ermöglichen“. (Panten et al. 2004, S. 145)
[8] Vgl. Renninger et al. 2002, S. 7
[9] Vgl. Panten et al. 2001, S. 147
[10] Vgl. Frosch-Wilke et al. 2002, S.169
[11] Vgl. Brack 2003, S.85
[12] „The modern definition of branding developed in the 19th century during the industrial revolution when it became increasingly important for manufacturers to create indentifiable names and symbols to make their products stand out from their competitors … Today, branding is the process by which a company, a product name, or an image becomes synonymous with a set of values, aspirations, or states, such as “youth”, “independence”, “trustworthiness”, “quality”, or “performance”. (Vaid et al. 2003, S.12)
[13] Eine kurze Definition des Begriffs “Open Source”: „By making the source code for a piece of software available to all, any programmer can modify it to better suit his or her needs and redistribute the improved version to other users. By working together, a community of both users and developers can improve the functionality and quality of the software.” (Goldman et al. 2005, S. 29)
[14] Eingereichtes Konzept, Mitte März 2005
[15] Vgl. IDEO, 2005
[16] Vgl. Benetton, 2005
[17] „Interaction Design refers to the process that is arranged within existing resource constraints to create, shape, and decide all use-oriented qualities (structural, functional, ethical and aesthetic) of a digital artefact for one or many clients.” (Löwgren et al. 2004 , S.5)
[18] Beyer et al. 1997, S. 13
[19] Vgl. Pringle at al. 1999, S. 3
[20] Vgl. Adkins 1999, S.3
[21] Vgl. Rayport 1996, S. 68
[22] Vgl. Bauer et al. 2001, S. 34
[23] Dourish 2001, S. 193
[24] Thackara 2002
[25] „Given our fears about privacy, autonomous annoyances, and rigidly preprogrammed activities, we should pay more, not less attention to this stage of technological development.” (McCullough 2004, S. 22)
[26] Vgl. Weiser 1991, S. 256
[27] Vgl. Barkstrom 2005
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