Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Zeit als historische Kategorie
2.1 Betrachtungsweisen von Zeit
2.1.1 Zyklisches und lineares Zeitverständnis
2.1.2. Synchrone und diachrone Geschichtsbetrachtung
2.1.3. Objektive und subjektive Zeitwahrnehmung
2.2 Historische Zeitmodelle
2.2.1 Dauer von Geschichte - Zeiteinteilung nach Braudel
2.2.2 Temporale Erfahrungsmodi nach Koselleck
3. Zeit und Zeitbewusstsein in der Geschichtsdidaktik
3.1 Entwicklungspsychologische Grundlagen
3.1.1 Entwicklungsmodell des Zeitbewusstseins nach Roth
3.1.2. Entwicklungsstadien des Ordnungsvermögens nach Piaget
3.2 Wissensmodell des historischen Denkens nach Kühberger
3.3. Pandels Dimensionen des Geschichtsbewusstseins
3.3.1 Temporalbewusstsein
3.3.2. Wirklichkeitsbewusstsein
3.3.3. Wandelbewusstsein
3.3.4 Gesellschaftliche Dimensionen des Geschichtsbewusstseins
4. Heuristische Studie zum zeitlichen Ordnungsvermögen von Grundschülern
4.1 Zielsetzung und methodische Überlegungen
4.2 Vorgehensweise und Datenerhebung
4.3 Ergebnisse und deren Kategorisierung
4.4 Analyse und Interpretation
5. Methoden zur Förderung des Zeitbewusstseins im Unterricht
5. Fazit
6. Abbildungsverzeichnis
7. Tabellenverzeichnis
8. Literaturverzeichnis
8. Internetressourcen
Anhang
1. Einleitung
„ Was ist also Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich ’s, will ich ’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.“1
Wie aus dem Zitat von Aurelius Augustinus hervorgeht, ist Zeit ein schwierig zu definierendes Konstrukt, das im Alltag des Menschen eine große Rolle spielt und darüber hinaus in zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen untersucht wird. Auch in der Geschichtswissenschaft ist eine Auseinandersetzung mit diesem Begriff sowie den dahinterliegenden Bedeutungszusammenhängen obligatorisch. Das Verständnis von Zeit bildet eine zentrale Voraussetzung für die Erlangung von Geschichtsbewusstsein sowie die kompetente Betrachtung und Interpretation von historischen Ereignissen. Angesichts der hohen Relevanz von Zeitbewusstsein stellt dieses auch in der Geschichtsdidaktik eine zentrale Kategorie dar und sollte bereits frühzeitig gefördert werden. In dieser Arbeit soll daher das Zeitbewusstsein von Grundschülern und deren chronologisches Ordnungsvermögen im historischen Kontext näher betrachtet werden.
Dazu werden zunächst die verschiedenen Konzeptionen, die bei der geschichtlichen Betrachtung von Zeit eine Rolle spielen, genauer beschrieben, bevor auf die Bedeutung von Zeit und die Entwicklung des Zeitverständnisses auf Basis geschichtsdidaktischer Grundlagen eingegangen wird. Schließlich sollen im Vierten Kapitel durch eine heuristische Studie, in der Grundschüler bei einer qualitativen Befragung eine chronologische Reihung von Darstellungen unterschiedlicher Zeitalter vornehmen sollen, Erkenntnisse über die Entwicklung des Zeitbewusstseins im Laufe der vier Jahrgangsstufen sowie die unterschiedlichen Ordnungsstrategien gewonnen werden. Dabei ist davon auszugehen, dass Grundschüler nicht das historische Wissen besitzen, die Epochen genau zu bestimmen und auf dieser Grundlage die Bilder richtig zu ordnen. Allerdings geht es vielmehr um die stattdessen angewendeten Strategien, mit denen die Kinder etwas als früher beziehungsweise später deklarieren. Abschließend sollen noch exemplarisch einige methodische Vorgehensweisen aufgezeigt werden, mit deren Hilfe Zeitbewusstsein im Rahmen des Unterrichts gefördert werden kann.
2. Zeit als historische Kategorie
2.1 Betrachtungsweisen von Zeit
2.1.1 Zyklisches und lineares Zeitverständnis
Das zyklische Modell gilt als Ursprung der Zeitbetrachtung. Bereits Aristoteles beschreibt Zeit als ein kreisförmiges System, das geprägt ist durch immer wiederkehrende Vorgänge und Geschehnisse.2
Auch die Etymologie des Wortes „Zeit“ lässt auf die fundamentale Bedeutung der zyklischen Zeitbetrachtung schließen. Im Englischen besitzen die Wörter „time“ und „tide“ gemeinsame Wurzeln, und in der deutschen Sprache bildet „Zeit“ den Wortstamm zu „Gezeiten“. Dabei sind Ebbe und Flut Sinnbild für immer wiederkehrende Kreisläufe, wie sie in der Natur in zahlreichen zyklischen Erscheinungsmustern, wie beispielsweise Tag und Nacht oder der Abfolge von Jahreszeiten, immer wieder zu finden sind.3
Diese Naturerscheinungen sind die Grundlage des Zeitverständnisses vieler früherer Kulturen. Im alten Ägypten wurde aus diesem Verständnis heraus ein Kalender entwickelt, der in Form eines Zeitkreises das Jahr in drei Jahreszeiten und zwölf Monate unterteilte und auf dem zyklisch verlaufenden Wechsel von Naturphänomenen wie den regelmäßig wiederkehrenden Nilüberschwemmungen, astronomischen Beobachtungen, sowie dem Wechsel von Licht und Finsternis beruht. Diese Ereignisse wurden dabei den Göttern zugeschrieben und bestimmten das Leben in der ägyptischen Gesellschaft, deren Zeitkonzeption auf sich wiederholenden Vorgängen beruhte.4
Das zyklische Zeitverständnis ist allerdings nicht nur in frühen Kulturen zu finden. Auch in modernen Gesellschaften, vor allem im asiatischen Raum, ist dies das vorherrschende Zeitmodell. Besonders in buddhistisch und hinduistisch geprägten Gebieten wird einzelnen Ereignissen und Vorkommnissen eine eher geringe Bedeutung zugemessen, da sie nicht als einmalig gesehen werden und der Alltag geprägt ist durch das zyklisch immer wiederkehrende.5
Im Gegensatz zu der zyklischen Betrachtungsweise steht das lineare Zeitverständnis. Bei diesem gibt es eine Zeitstrecke, häufig durch einen Zeitpfeil symbolisiert, der an einem fixen Punkt beginnt und zu einem nicht definierten Endpunkt hinführt. Es finden dabei keine Wiederholungen statt. Vielmehr ist jedes Ereignis einzigartig. Elemente der Zeitmessung, wie Uhrzeiten, Tages- und Jahreszeiten, dienen dabei lediglich zur Untergliederung und Einteilung.
Die beiden Randpunkte des Pfeiles sind dabei, je nach Kulturkreis und Religionszugehörigkeit, gesellschaftlich unterschiedlich definiert. Wissenschaftlich kann als Startpunkt der Urknall und die damit verbundene Entstehung der Welt gesehen werden. Mit dem Fortschreiten der Zeit findet immer eine Entwicklung statt. Die christliche Auffassung von Zeit bestimmt den Anfang der Zeitmessung mit der Schöpfungsgeschichte, am Ende des Zeitpfeils steht das Jüngste Gericht, das absolute Vollkommenheit und Erlösung der Menschheit mit sich bringen soll.6
Im Gegensatz zur christlichen ist die islamische Zeitanschauung degenerativ. Von einem idealen Ausgangspunkt, der Emigration Mohammeds nach Medina, gibt es eine Rückentwicklung. Im Wandel zur heutigen Zeit hin fand dementsprechend, nach islamischer Sicht, eine Entwicklung weg von der erstrebenswerten Lebensweise statt. Diese Anschauung unterscheidet sich stark von der überwiegend vertretenen Zeitwahrnehmung der westlichen Welt, in der zeitlicher Wandel meist als Fortschritt und Weiterentwicklung zu etwas Besserem verstanden wird.7
2.1.2. Synchrone und diachrone Geschichtsbetrachtung
Ein weiteres Unterscheidungskriterium der historischen Zeitbetrachtung ist die synchrone beziehungsweise diachrone Herangehensweise. Die Bedeutung der Wörter lässt sich am einfachsten aus ihrem altgriechischen Ursprung heraus definieren. Synchron lässt sich dabei als „gleichzeitig“ übersetzen (griechisch syn = zugleich; chrónos = Zeit)8, während diachron so viel wie „durch die Zeit“ bedeutet (griechisch diá = durch)9.
Unter der synchronen Betrachtungsweise versteht man demnach eine Art Momentaufnahme. Diese ermöglicht den Vergleich verschiedener Inhalte eines Zeitpunktes unter Berücksichtigung des historischen Gesamtzusammenhangs. Dabei ist die zeitliche Länge des Zeitpunktes nur schwer definierbar und je nach Untersuchungsgegenstand zu differenzieren. So können bei einer synchronen Zeitanschauung durchaus auch ganze Epochen betrachtet werden, die zwar eine gewisse Dauer haben, aber in Relation zum betrachteten Ganzen als Zeitpunkt fungieren. Maßgeblich ist eine Herangehensweise, die nicht auf Entwicklung und Wandel, sondern vielmehr auf die Simultanität bestimmter Gesichtspunkte abzielt.10
Konträr dazu steht die diachrone Anschauung, bei der bestimmte Gesichtspunkte über eine längere Zeitdauer hinweg betrachtet werden. Ein solcher Längsschnitt ermöglicht es, Veränderungen sowie Stillstand in einem ausgewählten Bereich zu erkennen und diese detailliert zu untersuchen, wobei allerdings auch die Gefahr der zu starken Isolierung besteht.11
2.1.3. Objektive und subjektive Zeitwahrnehmung
Die Tendenz Zeit einheitlich erfassbar zu machen ist ein Bedürfnis des Menschen seit Beginn der Kulturalisierung. Bereits im alten Ägypten und in der Antike gab es erste Versuche, Zeit mit Hilfe von Sonnenuhren als messbares System zu erschließen, und auch Aristoteles definierte Zeit schon als „das Zahlmoment an der Bewegung“12. Mit dem technischen Fortschritt in der Zeitmessung kam es dann auch zu einer zunehmenden Objektivierung von Zeit als mathematische Einheit, die die Dauer von Prozessen sowie die Geschwindigkeit von Veränderungen als gemessene Einheitsgrößen darstellt.13 14
Trotz großer Genauigkeit in der modernen Zeitmessung ist die Schaffung einer absolut objektiven Zeit nicht möglich. So entstehen beispielsweise Unregelmäßigkeiten durch die Verschiebungen in der Planetenbewegung, die Schaltjahre nötig machen, was eine Abweichung der Länge von Jahren bedingt. Auch in Einsteins Relativitätstheorie sind Ansätze zu finden, in denen er die Einheitlichkeit von Zeit für die gesamte Welt ausschließt. Vielmehr ist diese nur lokal und perspektivisch, begründet durch die Eigenzeit des Beobachters und abhängig vom Bezugssystem, in dem die Zeitmessung stattfindet. Paul Lacombe meint dazu, Zeit „objektiv, an sich, existiert sie nicht, sie ist lediglich eine Idee von uns.
Auch wenn die objektive Zeitvorstellung trotz allem einer gewissen Subjektivität unterliegt, ist es gerade bei der Betrachtung von Geschichte wichtig, ein einheitliches zeitliches Bezugssystem zu haben, ohne das wissenschaftlich historisches Arbeiten gar nicht möglich wäre.
Im Gegensatz zu der Idealvorstellung einer vollständig objektiven Zeit steht das Verständnis der subjektiven Zeit, die nicht zum Gegenstand von physikalischen Messvorgängen gemacht werden kann und deren Grundlage die individuelle Weltanschauung durch die menschliche Wahrnehmung bildet. Die subjektive Zeit ist dabei anthropologisch und kulturell geprägt. Sie ordnet die gedanklichen Vorstellungen und bestimmt deren Verhältnisse.15
Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel ordnet die Dimensionen Vergangenheit und Zukunft gänzlich der subjektiven Zeit zu, da sie nach seiner Vorstellung nur in den Erinnerungen beziehungsweise Vorstellungen des Menschen existieren und nicht objektiv, beispielsweise durch Naturphänomene, erfassbar sind. In modernen Forschungsansätzen gibt es Versuche die individuelle Zeitwahrnehmung objektiv erfassbar zu machen. Ein Ansatz stammt dabei von dem Physiker Hermann von Helmholtz. Dieser beschreibt die Sinne als Messinstrumente der Zeit. Außerdem erfasst er auf neurophysiologischer Basis die Zeitspannen, die die Zeitwahrnehmung untergliedern. Als gleichzeitig werden dabei Ereignisse empfunden, die innerhalb von zwei Millisekunden gehört beziehungsweise innerhalb von zehn Millisekunden gesehen werden. Geschehnisse, die als aufeinanderfolgend eingeordnet werden, müssen mit einem Abstand von mindestens dreißig Millisekunden durch die Sinnesorgane wahrgenommen werden. Um ein Ereignis als gegenwärtig zu erleben muss es in einer Zeitspanne von zwei bis vier Sekunden geschehen. Die empfundene Dauer einer Zeitspanne steht dabei in Abhängigkeit von der zu verarbeitenden Informationsmenge. Trotz dieser Forschungsansätze ist ein vollständiges Erfassen des subjektiven Zeiterlebens nicht möglich, da dieses sich im menschlichen Bewusstsein entfaltet, welches auch in der modernen Wissenschaft noch nicht ganz entschlüsselt wurde.16
Um Zeit als Ganzes erfassen zu können müssen beide Ansätze in Relation zueinander betrachtet werden. Objektive Zeit existiert nie ohne gleichzeitiges subjektives Zeiterleben. Ebenso unterliegt die subjektive Zeit einer objektiven Erfahrungsgrundlage. Eine Isolierung der einzelnen Perspektiven ist also kaum möglich, sodass die Pluralität bei der Erfassung von Zeit fundamental ist.
2.2 Historische Zeitmodelle
2.2.1 Dauer von Geschichte - Zeiteinteilung nach Braudel
Ein Modell, das versucht den abstrakten Begriff der „Zeit“ historisch zu entschlüsseln, stammt von dem französischen Historiker Fernand Braudel, der von „Geschichte [...] auf verschiedenen Ebenen“17 spricht. Diese definiert er 1949 erstmals in seinem Buch „La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’epoque de Philippe II“ durch drei Kategorien von Zeitabläufen, die sich aufgrund ihrer Dauer unterscheiden.
Als erste Zeitebene nennt Braudel die Strukturgeschichte, die dabei die statischste der drei Kategorien ist. Wandelprozesse sind dabei kaum wahrnehmbar, da sie sich nur sehr langsam vollziehen. Dieser Ebene liegt ein zyklisches Zeitverständnis zugrunde, das vor allem durch immer wiederkehrende Naturerscheinungen und geographische Gegebenheiten geprägt ist.18
Oberhalb dieser Schicht liegt die der Konjunkturgeschichte, die sich durch komplexe, langsame Wandelvorgänge auszeichnet. Hierbei rückt der Mensch mit den von ihm geschaffenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen in den Mittelpunkt.19
Die dritte Ebene der Ereignisgeschichte schildert Braudel als die der traditionellen Geschichte, die sich „auf die kurze Zeit, auf das Individuum spezialisiert“20. Hierbei wird nicht die Gesellschaft als Ganzes, sondern vielmehr die Einzelperson, als Teil dieser, untersucht. Veränderungen verlaufen dabei sehr schnell und es kommt zu zahlreichen und meist nur kurz andauernden Schwankungen.21
2.2.2 Temporale Erfahrungsmodi nach Koselleck
Mit seinem Modell der temporalen Erfahrungsmodi kritisiert Reinhart Koselleck, einer der einflussreichsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts, die bloße Gegenüberstellung von linearen und zyklischen Zeitstrukturen. Für ihn besteht historische Zeit „aus mehreren Schichten, die wechselseitig aufeinander verweisen, ohne zur Gänze voneinander abzuhängen.“22 Dabei unterteilt er in Irreversibilität, Wiederholbarkeit und die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, als drei eng zusammenhängende Erfahrungsmodi.23
Bei der Irreversibilität steht die Einmaligkeit von Ereignissen im Vordergrund. Diese sind linear einzuordnen und nicht wiederholbar. Daraus ergibt sich eine Chronologie, mit Hilfe derer sich laut Koselleck auch Fortschritt im Laufe der Geschichte erklären lässt, nämlich dann, wenn Zeit als Abfolge von einmaligen, progressiven Ereignissen die Innovationen freigibt.24
Dem gegenüber steht die Wiederholbarkeit, die ebenfalls die Basis der Geschichte bildet. Wiederholungen lassen sich in allen Lebensbereichen finden, von alltäglichen Organisationsstrukturen über die Sprache, bis hin zu gesellschaftlichen Konventionen und Gesetzen. Dabei ist allerdings festzustellen, dass auch unveränderlich scheinende Wiederholungsstrukturen einem gewissen Wandel unterliegen. Daher müssen verschiedene Geschwindigkeiten unterschieden werden können, um weniger offensichtliche, schleichende Veränderungen feststellbar machen zu können. Des Weiteren kann durch im Alter zunehmende Erfahrung und die damit ausbleibende Einzigartigkeit des Erlebten sowie durch häufiges Wiederholen verschiedener Muster, die Quantität einmaliger Ereignisse stark beschränkt werden.25
Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beschreibt Koselleck als „mehrere Zeitebenen verschiedener Dauer und unterschiedlicher Herkunft, die dennoch gleichzeitig vorhanden und wirksam sind“26. Es besteht eine Überlagerung, wodurch zu einem Zeitpunkt mehrere verschiedene Zeitschichten existieren.
Diese sind dabei hinsichtlich ihrer Dauer und Dynamik unterschiedlich beschaffen und entstammen synchron, wie auch diachron, verschiedenen Lebenszusammenhängen.27
3. Zeit und Zeitbewusstsein in der Geschichtsdidaktik
3.1 Entwicklungspsychologische Grundlagen
Bevor Zeitbewusstsein als geschichtsdidaktische Kategorie näher beschrieben werden kann, ist es unabdingbar seine Entwicklung näher zu betrachten. Dazu werden nachfolgend zwei verschiedene Stufenmodelle vorgestellt.
3.1.1 Entwicklungsmodell des Zeitbewusstseins nach Roth
Eines der frühen Modelle zur Entwicklung des Zeitbewusstseins stammt von Heinrich Roth, der in vier Phasen unterteilt. Die Erste ist die des Zeiterlebens und dauert bis zum frühen Schulalter an. Vorherrschend in der kindlichen Vorstellung ist hier noch die räumliche Dimension, beispielsweise im Vergleich zu anderen Kindern, die größer oder kleiner sind, nicht aber jünger beziehungsweise älter. Über den Ausbau des Wortschatzes und den Ausbau der Erinnerungsspanne der Kinder erlernen sie, grob zwischen den Zeiten zu unterscheiden. Begriffe wie morgens und abends können am Ende dieser Phase relativ sicher angewendet werden, während Zuordnungen von Ereignissen in die zeitlichen Kategorien gestern, heute und morgen nur teilweise souverän erfolgen. Schwierigkeiten gibt es häufig noch in der Strukturierung längerer Zeitabschnitte in Wochentage oder Monate. Diese können zwar teilweise schon in der richtigen Reihenfolge aufgezählt, jedoch meist nicht mit entsprechenden Bedeutungsinhalten gefüllt werden.28
Im Schulalter beginnt sich das Zeitwissen zu entwickeln. Kalendarische Zeitbegriffe werden in ihren Bedeutungszusammenhängen begriffen und zeitliche Ordnungsbegriffe können sicher angewandt werden. Zu Beginn dieser Phase finden Entwicklungen überwiegend durch das Wahrnehmen von biologischen Zeiterfahrungen im direkten Lebensumfeld des Kindes statt. Diese umfassen beispielsweise die Lebensdauer von Pflanzen, Tieren oder Menschen, aber auch zyklische Naturerscheinungen, wie den Wechsel von Jahreszeiten. Langsam entwickelt sich auch ein Verständnis für Jahreszahlen, und Zeitlinien werden als erste zeitliche Ordnungssysteme ausgebildet.29
Dieses neu dazu gewonnene Wissen wird in der Phase der Entwicklung von Zeiterfahrungen noch vertieft. Zum Ende der Grundschulzeit begegnen Kinder Zeugnissen aus der Vergangenheit, denen sie im Alltag begegnen, mit gesteigertem Interesse, was unausweichlich zu einer zunehmenden Auseinandersetzung mit Zeit führt. In der Pubertät kommt es dann zur Befassung mit der eigenen Lebenszeit und ihrer geschichtlichen Einordnung, wobei auch deren Kürze, im Vergleich zu zeitlichen historischen Relationen, erkannt wird.30
Aufgrund dieser Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichtlichkeit, sowie durch die Reflexion von Zeit, kommt es schließlich zum Eintritt in die letzte Phase, in der die Ausbildung des Zeitbewusstseins erfolgt, welches eine reflexive Zeitbetrachtung möglich macht. Das Erlangen dieser Stufe ist dabei auch die Voraussetzung für die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein.31
3.1.2. Entwicklungsstadien des Ordnungsvermögens nach Piaget
Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget stellte mehrere Stufenmodelle zu verschiedenen Teilbereichen der Entwicklung des Zeitbegriffes auf. So untersucht er unter anderem die Kompetenzstadien, die bei der Ordnung von Ereignissen zu unterscheiden sind. Piaget ist dabei der Ansicht, man müsse, um Zeit zu erfassen, „auf die kausalen Operationen zurückgehen, die aus der Ursache die Wirkung erklären und damit beide durch die Aufeinanderfolge verknüpfen“32. Außerdem ist der Zeitbegriff bei ihm unlösbar mit dem Raum und den in diesem stattfindenden Bewegungen verbunden. Um die einzelnen Entwicklungsstadien des Ordnungsvermögens isoliert und unverfälscht betrachten zu können, ist bei dem Versuch, anstatt einer komplexen Kausalreihe, eine zeitliche Aufeinanderfolge, basierend auf der Lage räumlich abgegrenzter Bewegungen von Körpern zu bilden. So werden den Versuchspersonen zwei übereinandergestellte Gefäße gezeigt, wobei eingefärbtes Wasser vom oberen in das untere Gefäß abgegossen wird. Die Kinder sollen nun während der verschiedenen Stadien des Abgießens den Wasserstand auf Zeichnungen von den Gefäßen markieren. Nachfolgend werden diese Bilder gemischt und sind von den Versuchspersonen wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen. Dabei werden ihnen Fragen zu der Reihenfolge der Vorgänge und der Schätzung und Messung von Zeitabläufen gestellt. Anschließend werden die Bilder auseinandergeschnitten, sodass die beiden Gefäße nun einzeln dargestellt sind. Diese Abbildungen sind nun in zwei Reihen zu ordnen, wobei die Synchronie der zusammengehörigen Bilder erkannt werden muss. Basierend auf den Ergebnissen der Studie untergliedert Piaget nun in drei Entwicklungsstadien.33
Befinden sich Kinder im ersten der Stadien, ist es ihnen noch nicht, beziehungsweise nur durch sehr viel Herumprobieren möglich, die ganze Reihe zu rekonstruieren. Meisterten die Kinder die Aneinanderreihung im praktischen Teil der Versuchsanordnung noch ohne Probleme, so bereitet ihnen deren gedankliche Abstraktion Schwierigkeiten. Trotz des anfänglichen Erfassens der Abfolge durch das richtige Einzeichnen des Wasserstandes gelingt ihnen die Bildung einer zeitlich linearen Struktur aus der Erinnerung heraus nicht, und die Beziehungen zwischen den Zusammenhängen von „vorher“ und „nachher“ werden nicht begriffen. Piaget stellt die Hypothese auf, dass der Grundstein dieser Probleme bei der Rekonstruktion der Reihenfolge im gedanklichen Unvermögen, die einzelnen Vorgänge in eine geradlinig verlaufende Zeit zu bringen, liegt.34
Im zweiten Stadium können die vollständigen Zeichnungen bereits richtig geordnet werden, allerdings bestehen noch Schwierigkeiten bei der Aneinanderreihung der durchschnittenen Bilder. Die Darstellungen der einzelnen Gefäße können in dieser Entwicklungsstufe nicht in Relation gesetzt werden, und auch die doppelte Reihenbildung bereitet den Kindern Probleme. Das Verständnis für die Gleichzeitigkeit der Vorgänge ist noch nicht gegeben. Während man die Bildung der richtigen Reihenfolge der vollständigen Zeichnungen noch auf das Zusammenfallen der räumlichen und zeitlichen Dimension zurückführen kann, ist die
Doppelreihung wesentlich komplexer. Räumlich betrachtet sind zwei gegensätzlich verlaufende Bewegungen zu sehen, die zeitlich dennoch synchron verlaufen.35
Sind die Kinder in der Lage eine operative Doppelreihe aus den auseinandergeschnittenen Zeichnungen zu bilden, sowie die Beziehungen der Reihenfolge und Gleichzeitigkeit zu begreifen, befinden sie sich im dritten Stadium. Mit operativ ist hierbei gemeint, dass eine Ordnung aufgrund des Prinzips der zeitlichen Übereinstimmung der Bilder gelingt und nicht mehr nur die Höhe des Wasserstandes betrachtet wird. Die Kausalität der korrelativen Bewegungen des Wasserstandes wird in diesem Stadium begriffen und zeitlich richtig eingeordnet.36
3.2 Wissensmodell des historischen Denkens nach Kühberger
Für den Geschichtsdidaktiker Kühberger stellt Zeit eine zentrale Kategorie aller Konzepte dar, ohne die historisches Denken und Arbeiten nicht möglich ist. Gleichzeitig werden bei der Betrachtung eines Konzeptes, bedingt durch die Vielschichtigkeit der Dimensionen von Zeit, häufig immer wieder neue Fragen aufgeworfen. Dabei ist es gerade für Lehrpersonen wichtig, Kenntnis über die zahlreichen Arten von Zeitvorstellungen zu haben, um diese richtig einordnen zu können. Diese Zeitvorstellungen finden sich auch in den drei Bereichen, die Kühberger zur Erschließung von Zeit beschreibt.37
Der erste Bereich sind dabei die Zeitverläufe. Diese sind durch die Dynamik von Zeit gekennzeichnet und umfassen Beständigkeit sowie auch Wandel und Entwicklungsvorgänge. Ein längerer Zeitraum wird betrachtet und Zusammenhänge erschlossen.38
Dazu werden auch einzelne Zeitpunkte genauer reflektiert, die Kühberger als nächste Kategorie nennt. Quasi statische Begebenheiten, fixiert durch physikalische Zeit oder strukturelle Verbindungen, machen Erklärungsmuster möglich, die auch dabei helfen, komplexe Beziehungen innerhalb eines Zeitverlaufes zu erschließen.39
Den letzten der drei Bereiche bildet die Zeiteinteilung, welche eine temporale Ordnungs- und Einteilungsfunktion bietet. Dabei werden physische und konven- tionalisierte Zeiteinteilungen unterschieden. Erstere beinhaltet unmissverständliche Strukturierungen durch wissenschaftlich festgelegte Maßeinheiten, während eine auf Konventionen beruhende Zeiteinteilung wesentlich unpräziser und häufig nicht ganz klar zu definieren ist.40
3.3. Pandels Dimensionen des Geschichtsbewusstseins
Der Begriff des Geschichtsbewusstseins gilt als eine Fundamentalkategorie der Geschichtsdidaktik und ist mittlerweile auch schulformübergreifend fester Bestandteil in den Lehrplänen. Geschichtsbewusstsein darf dabei allerdings keinesfalls mit historischem Wissen gleichgesetzt werden. Die Kenntnis von bestimmten historischen Gegebenheiten ist zwar unabdingbar, um Geschichtsbewusstsein zu erlangen, bedingt einen Erwerb dessen allerdings nicht zwangsläufig. Vice versa kann auch trotz geringem Wissensstand, beispielsweise wenn dieser über einige Zeit hinweg wieder verloren ging, ein sehr ausdifferenziertes Geschichtsbewusstsein vorhanden sein.41
Es gibt zahlreiche verschiedene Ansätze, diese Kategorie zu entschlüsseln. Einer der Bedeutendsten stammt dabei von dem deutschen Historiker und Geschichtsdidaktiker Hans-Jürgen Pandel, der analytisch vorgeht und in sieben verschie- dene Dimensionen des Geschichtsbewusstseins strukturiert. Diese sind wiederum untergliedert in drei Basiskategorien, die sich auf die Geschichtlichkeit beziehen und Wirklichkeits-, Wandel- und Temporalbewusstsein umfassen. Letzteres soll im Folgenden besonders detailliert betrachtet werden, da es für das Zeitbewusstsein unabdingbar ist. Außerdem gibt es noch vier soziale, gesellschaftliche Kategorien, das Identitäts-, politisches, ökonomisch-soziales, und moralisches Bewusstsein.42
3.3.1 Temporalbewusstsein
Da Geschichtsbewusstsein kurz „als Orientierung der eigenen Lebenspraxis in der Zeit“43 definiert werden kann, ist die wohl grundlegendste Kategorie des Geschichtsbewusstseins das Temporalbewusstsein. Dieses grenzt sich insofern vom Zeitbewusstsein ab, als dieses meist auch die inhaltliche Perspektive umfasst, während beim Temporalbewusstsein Zeit nur ein Mittel zur Orientierung darstellt. So ist das Erlernen der Zeitmodi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ebenso wie das Bewusstsein über die zwischen diesen drei Zeitebenen existierenden Zusammenhänge von gestern, heute und morgen, von zentraler Bedeutung, um historische Gegebenheiten hinreichend begreifen und einordnen zu können.44
Neben der Temporalisierung umfasst diese Dimension weitere Funktionen. Relevant ist hier vor allem die Länge der Zeitausdehnung in die einzelnen Zeitmodi, also wie weit die Vergangenheit sich zeitlich zurück und die Zukunft sich voraus erstreckt. Diese Einordnung hängt dabei vom historischen Wissen und den kulturellen Hintergründen ab. So kann beispielsweise eine Rückdatierung der Vergangenheit nur so weit zurück erfolgen, wie auch Kenntnisse dazu vorhanden sind.45
Demzufolge besitzt auch die Dichte von Ereignissen eine große Wichtigkeit. Dabei muss unterschieden werden zwischen der tatsächlichen Dichte und der individuellen Wahrnehmung. Es gibt historische Epochen, die eher durch viele kurz aufeinander folgende Geschehnisse geprägt sind als andere. Durch das lückenhafte Wissen eines Individuums und die Zeitakzentuierung kann allerdings ein verzerrtes Bild entstehen. Der Grundstein hierfür liegt häufig schon in der schulischen Bildung, da häufig eine zu starke Konzentration auf bestimmte Epochen, insbesondere die Zeitgeschichte, sattfindet.46
Diese Fokussierung auf bestimmte geschichtliche Begebenheiten lässt sich durch die wertende Akzentuierung von Zeit begründen. Bestimmte historische Ereignisse werden gesellschaftlich oder individuell als besonders wichtig angesehen und bevorzugt, andere vernachlässigt.47
Eine weitere Funktion des Temporalbewusstseins ist das Zäsurbedürfnis, also die Tendenz, Zeitabschnitte, sowie deren Beginn und Ende, genau festzulegen. Dies bezieht sich allerdings nicht auf die bereits definierte Abgrenzung von Epochen, sondern vielmehr auf individuelle Zäsuren, beispielsweise aufgrund bestimmter Ereignisse. Im schulischen Kontext geschieht dies häufig auf Basis von Unterrichtseinheiten, wobei der inhaltliche Aspekt teilweise vernachlässigt wird.48
Insgesamt gesehen ist das Temporalbewusstsein eine sehr fundamentale Kategorie, sodass diese bereits im Vor- und Grundschulalter teilweise zu erkennen und dementsprechend zu vertiefen ist. Dabei sollte der Fokus nicht auf stupidem Auswendiglernen von Jahreszahlen zu einzelnen Ereignissen liegen. Vielmehr muss diese eindimensionale Sicht der Zeit aufgegeben werden, um historisches Denken und Geschichtsbewusstsein zu fördern.49
3.3.2. Wirklichkeitsbewusstsein
Die zweite Basisdimension, das Wirklichkeitsbewusstsein, rückt die Unterscheidung von real und fiktiv ins Zentrum. Durch diese Gegenüberstellung ist eine Definition dessen, was Geschichte ist, nämlich der Versuch der Darstellung von tatsächlich Geschehenem, überhaupt erst möglich. Die Konfrontation mit zahlreichen Medien und verschiedenen Textgattungen, der man heutzutage ausgesetzt ist, macht das Ziehen einer klaren Grenze zwischen Realität und Fiktion unabdingbar, um eine Verfälschung von historischen Konzepten zu vermeiden.50
Didaktisch gesehen ist es allerdings wenig sinnvoll, jegliche verbreiteten Verfälschungen und Unwahrheiten von den Schülerinnen und Schülern fern zu halten. Vielmehr muss die Kompetenz vermittelt werden, selbst zu erkennen, was der Realität entspricht und was nicht. Nur dadurch kann Wirklichkeitsbewusstsein auch außerhalb des Unterrichts nutzbar gemacht werden.51
3.3.3. Wandelbewusstsein
Bei der Dimension des Wandelbewusstseins werden die Begriffe statisch und veränderlich in Opposition gesetzt. Während bestimmte Sachverhalte, Personen oder Erkenntnisse im Laufe der Zeit einem gewissen Wandel unterliegen, bleiben andere unveränderlich. Dabei spielt auch die Veränderungsgeschwindigkeit eine entscheidende Rolle. Besonders langsam ablaufende Wandelprozesse können auf den ersten Blick statisch erscheinen und deren direkte Wahrnehmung, aufgrund der eigenen begrenzten Lebensspanne, quasi unmöglich machen. Daher ist es elementar, Kommunikation und Kognition mit der eigenen Wirklichkeitserfahrung zu verknüpfen.52
3.3.4 Gesellschaftliche Dimensionen des Geschichtsbewusstseins
Neben den drei Basisdimensionen, die sich auf die Geschichtlichkeit beziehen, bestehen noch weitere vier Dimensionen, durch die historische Gesellschaftlichkeit zum Ausdruck gebracht wird. Als Erstes ist hier das Identitätsbewusstsein zu nennen. Zum einen betont dieses die Einzigartigkeit eines jeden Individuums, die Ich-Identität, die allerdings auch einer gewissen Wandelhaftigkeit unterliegt. Jedes Individuum ist gleichzeitig Teil einer Gruppe, mit der die gleichen Eigenschaften und Einstellungen verbunden werden. Dabei kann man gleichzeitig Teil mehrerer Gruppen sein, die hinsichtlich ihrer Größe oder kulturellen Struktur variieren. Ebenso ist aufgrund der Ausbildung einer transtemporalen Identität eine Identifikation mit nicht mehr bestehenden Gruppen aus der Vergangenheit möglich.53 Dem „Wir“-Begriff steht die Gegenseite „die Anderen“ gegenüber. Häufig findet eine solche Abgrenzung aufgrund von fehlenden Übereinstimmungen und negativen Wertungen statt. Daher besteht auch die Gefahr, durch zu starke Abwendung Feindbilder und Vorurteile zu schüren.54
Der Begriff Macht und die asymmetrische Verteilung dieser, sind wesentlich für die Dimension des politischen Bewusstseins. Die Ungleichheit der Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft muss dabei legitimierbar und politisierbar sein und unterliegt stets einem gewissen Wandel, ohne gänzlich abgeflacht werden zu können.55
Damit eng verbunden ist das ökonomisch-soziale Bewusstsein. Auch diese Dimension ist geprägt durch Ungleichheiten in der Gesellschaft, allerdings ausgelöst durch die Kategorien „arm“ und „reich“. Auch wenn diese Unterscheidung zu früheren Zeiten wesentlich deutlicher sichtbar war, ist es doch wichtig, auch bei der heutigen Sozialstruktur ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Gerade im Geschichtsunterricht ist eine dahingehende Sensibilisierung sinnvoll, da anders als in gegenwartsbezogenen Fächern durch historische Kontexte die Identität der Schülerinnen und Schüler geschützt werden kann.56
Zu der Beurteilung von Geschichte ist ein gewisses Maß an moralischem Bewusstsein von Nöten. Dabei sollte bei der Verwendung der Begriffe „richtig“ und „falsch“ von willkürlichen Wertungen abgesehen werden. So ist es wichtig eine Handlung stets von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten und dementsprechend einzuordnen. Zum einen im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt herrschenden historischen Gegebenheiten und Moralvorstellungen, zum anderen nach heutigen Normen.57
Trotz der inhaltlichen Unterschiede der einzelnen Dimensionen ist es wichtig, diese nicht als eigenständig und voneinander getrennt zu sehen. Es bestehen enge Verknüpfungen zwischen den einzelnen Kategorien, sodass man stets auch Geschichtsbewusstsein als Ganzes im Blick haben sollte.
4. Heuristische Studie zum zeitlichen Ordnungsvermögen von Grundschülern
4.1 Zielsetzung und methodische Überlegungen
In der Grundschuldidaktik wird dem Begriff des Zeitbewusstseins eine große Bedeutung beigemessen. So ist er auch im Lehrplan fest verankert, beispielsweise im bayerischen Lehrplan PLUS, in dem in allen vier Jahrgangsstufen der Gegenstandsbereich Zeit und Wandel im Heimat- und Sachunterricht zu finden ist.58 Allerdings sind Studien dazu rar gesät und finden sich hauptsächlich zu den höheren Jahrgansstufen. So beispielsweise auch bei Beilners Studie zum Zeitbewusstsein bei Grundschulabgängern (2004), der, ähnlich wie in der im Nachfolgenden beschriebenen heuristischen Studie, Bilder chronologisch ordnen ließ.
Aufgrund des Mangels an klassenübergreifenden Studien zum Zeitbewusstsein in der Primarstufe sollen in der nachfolgenden heuristischen Studie erste Erkenntnisse dazu gewonnen werden, ob Zeitbewusstsein, insbesondere im Hinblick auf zeitliches Ordnungsvermögen, bereits in den untersten Jahrgangsstufen zu erkennen ist. Außerdem soll genauer betrachtet werden aufgrund welcher Aspekte die Ordnung jeweils erfolgt. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch darauf gelegt, inwiefern eine Entwicklung von der ersten bis zur vierten Klassenstufe zu beobachten ist.
Als Methode wurde dazu eine qualitative Befragung gewählt. Nach einer standardisierten Eingangsfrage werden die nachfolgenden Fragen, je nach Verlauf und Äußerungen des Befragten gewählt. Diese Methode wurde ausgewählt, damit die Kinder in der Lage sind, ihre Gedanken frei zu formulieren, wobei durch präzisierende Nachfragen des Befragenden eine Vertiefung der Antworten erreicht werden kann. So können die subjektiven Sichtweisen und Gedankenvorgänge der Versuchspersonen erfasst werden, die zentral für das Anliegen der Befragung sind.
[...]
1 Augustinus, Aurelius/Hoenn, Karl (Hrsg.): Bekenntnisse. Stuttgart 1950, S. 312.
2 Vgl. Hoffmann-Reiter, Sabine: Zeitverständnis am Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe. Innsbruck 2015, S. 18.
3 Vgl. Schmied, Gerhard: Soziale Zeit: Umfang, „Geschwindigkeit“ und Evolution. Berlin 1985, S. 144.
4 Vgl. Wierichs, Irmgard: Wenn ich jedoch gefragt werde, sie zu erklären, bin ich verwirrt. Zeitkonzeptionen, in: Praxis Geschichte (1999), Heft 6, S. 43.
5 Vgl. Simson, Uwe: Der asiatische Zeitbegriff: Kulturwissenschaftliche Theorie und die Praxis der Entwicklungszusammenarbeit, in: Nienhaus, Volker (Hrsg.): Entwicklungsarbeit in Kultur, Recht und Wirtschaft. Grundlagen und Erfahrungen aus Afrika und Nahost. Wiesbaden 1995, S. 135-143.
6 Vgl. Hoffmann-Reiter, 2015, S. 18f.; Wierichs, 1999, S. 42-48.
7 Vgl. Ebd.
8 Vgl. Dudenredaktion: „synchron“ auf Duden online, http://www.duden.de/node/642565/revi- sions/1603531/view (12.09.17)
9 Vgl. Dudenredaktion: „diachron“ auf Duden online, http://www.duden.de/node/642565/revi- sions/1603531/view (12.09.17)
10 Vgl. Brose, Hanns-Georg/Kirschsieper, Dennis: Un-/Gleichzeitigkeit und Synchronisation. Zum Verhältnis von Diachronie und Synchronie in der Theorie sozialer Systeme, in: Zeitschrift für Theoretische Soziologie (2014), Heft 2, S. 178-189.
11 Vgl. Sauer, Michael: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. Seelze 2015, S. 58f.
12 Aristoteles: Physikvorlesung. Werke in deutscher Übersetzung. Darmstadt 1967, S. 219, zitiert nach: Falkenburg, Brigitte: Zeit und Perspektivität, in: Klose, Joachim/Morawetz (Hrsg.): Aspekte der Zeit. Zeit-Geschichte, Raum-Zeit, Zeit-Dauer und Kultur-Zeit. Münster 2004, S. 92.
13 Vgl. Falkenburg, Brigitte: Zeit und Perspektivität, in: Klose, Joachim/Morawetz (Hrsg.): Aspekte der Zeit. Zeit-Geschichte, Raum-Zeit, Zeit-Dauer und Kultur-Zeit. Münster 2004, S. 8992.
14 Lacombe, Paul: La science de l’histoire d’après M. Xénopol, in: Revue de synhèse historique. Paris 1900, S. 32, zitiert nach: Braudel, Fernand: Schriften zur Geschichte 1. Gesellschaften und Zeitstrukturen. Stuttgart 1992, S. 100. (Orig. Écrits sur l’histoire. Paris 1969).
15 Vgl. Falkenburg, 2004, S. 96-99.
16 Vgl. Ebd., S. 96-104.
17 Braudel, Fernand: Schriften zur Geschichte 1. Gesellschaften und Zeitstrukturen. Stuttgart 1992, S. 113 (Orig. Écrits sur l’histoire. Paris 1969).
18 Vgl. Braudel, Fernand: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. Frankfurt 1994, S. 20 (Orig. La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’epoque de Philippe II. Paris 1949).
19 Vgl. Ebd.
20 Braudel, 1992, S. 52.
21 Braudel, 1994, S. 20f.
22 Koselleck, Reinhart: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt 2000. S. 20.
23 Vgl. Landwehr, Achim: Von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, in: Historische Zeitschrift (2012), Heft 1, S. 16f.
24 Vgl. Koselleck, 2000, S. 20f.
25 Vgl. Ebd., S. 21-24.
26 Ebd., S. 9.
27 Vgl. Koselleck, 2000, S. 9f.
28 Vgl. Roth, Heinrich: Kind und Geschichte: Psychologische Voraussetzungen des Geschichtsunterrichts in der Volksschule. München 1968, S. 49-53.
29 Vgl. Roth, 1968, S. 58f.
30 Vgl. Ebd., S. 59f.
31 Vgl. Ebd., S. 60f.
32 Piaget, Jean: Die Bildung des Zeitbegriffs beim Kinde. Baden-Baden 1974, S. 18.
33 Vgl. Piaget, 1974, S. 17-24.
34 Vgl. Ebd., S. 24-32.
35 Vgl. Piaget, 1974, S. 32-52.
36 Vgl. Ebd., S. 53-58.
37 Vgl. Kühberger, Christoph: Konzeptionelles Wissen als besondere Grundlage für das historische Lernen, in: Kühberger, Christoph (Hrsg.): Historisches Wissen. Geschichtsdidaktische Erkundung zu Art, Tiefe und Umfang für das historische Lernen. Schwalbach/Ts. 2012, S. 51f.
38 Vgl. Ebd., S. 52.
39 Vgl. Kühberger, 2012, S. 52f.
40 Vgl. ebd., S. 53.
41 Vgl. Pandel, Hans-Jürgen: Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach/Ts. 2013, S. 131f.
42 Vgl. Pandel, 2013, S. 137f.
43 Ebd., S. 138.
44 Vgl. Ebd.
45 Vgl. Ebd., S. 138f.
46 Vgl. Pandel, 2013, S. 138f.
47 Vgl. Ebd.
48 Vgl. Ebd.
49 Vgl. Ebd., S. 140.
50 Vgl. Pandel, 2013, S. 140.
51 Vgl. Ebd., S. 141.
52 Vgl. Ebd., S. 142.
53 Vgl. Pandel 2013, S. 143f.
54 Vgl. Ebd.
55 Vgl. Ebd., S. 145f.
56 Vgl. Ebd., S. 147.
57 Vgl. Pandel, 2013, S. 148.
58 Vgl. Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.): Grundschullehrplan Heimat und Sachunterricht. Fachprofil. München 2017, http://www.lehrplanplus.bayern.de/fachpro- fil/grundschule/hsu (12.09.17)