Psychische Erkrankungen im internationalem Vergleich am Beispiel Westafrika - Deutschland


Diplomarbeit, 2001

87 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

Allgemeiner Teil

2. Normen
2.1 Abweichendes Verhalten
2.2 Vorgang des Etikettierens
2.2.1 Das Stigma
2.2.2 Funktion des Stigmatisierens
2.3 Kulturspezifische Gebundenheit von Normen
2.4 Normenbegriff in der Psychiatrie

3. Krankheit/Gesundheit
3.1 Problem der Diagnose

4. Psychosen
4.1 Zur Unterscheidung der Psychosen
4.2 Ursachen
4.3 Die endogenen Psychosen
4.4 Historie
4.5 Behandlungsmethoden
4.5.1 Somatische Verfahren
4.5.1.1 die Psychopharmakabehandlung
(a) Die Neuropleptika
(b) Die Antidepressiva
4.5.1.2 Die Schockbehandlung
(a)Die Malaria-Kur
(b)Das „hypoglykämische Koma“ (Insulinschock)
(c) Der Cardiazol-Schock
(d)Der Elektroschock
4.5.2 Psychotherapeutische Verfahren
4.5.3 Die sozialtherapeutischen Verfahren
4.6 Die verschiedenen Krankheitsbilder der endogenen Psychosen
4.6.1.1 Die Schizophrenie
4.6.1.2 Definition
4.6.1.3 Zum Begriff der Schizophrenie
4.6.1.4 Erkrankungsalter und Vorkommen
4.6.1.5 Ursachenforschung
4.6.1.6 Symptomatik
4.6.1.7 Krankheitsverlauf
4.6.1.8 Therapiemöglichkeiten
4.6.2.1 Die Manie
4.6.2.2 Definition
4.6.2.3 Zum Begriff der Manie
4.6.2.4 Erkrankungsalter und Vorkommen
4.6.2.5 Ursachenforschung
4.6.2.6 Symptomatik
4.6.2.7 Krankheitsverlauf
4.6.2.8 Therapiemöglichkeiten
4.6.3.1 Depressionen
4.6.3.2 Definition
4.6.3.3 Zum Begriff der Depression
4.6.3.4 Erkrankungsalter und Vorkommen
4.6.3.5 Ursachenforschung
4.6.3.6 Symptomatik
4.6.3.7 Krankheitsverlauf
4.6.3.8 Therapiemöglichkeiten
4.7 Probleme bei der Unterscheidung Schizophrenie-Depression

Kultureller Vergleich des Umgangs mit psychisch kranken

Menschen

Teil 1: Geschichte des Umgangs mit psychisch kranken Menschen im deutschen Kulturraum
1.1 Antike
1.2 Mittelalter
1.3 Renaissance
1.4 Aufklärung
1.5 Industrielle Revolution
1.6 19.Jahrhundert
1.7 Zeit des Nationalsozialismus
1.8 20.Jahrhundert
1.8.1 Die Psychiatrie-Enquete
2. Kritik am Umgang mit psychisch kranken Menschen
2.1 Zum Wesen der Psychiatrie
2.1.1 Definition
2.1.2 Begriff, Ziele der Psychiatrie
2.1.3 stationäre Unterbringung
2.1.4 Behandlung mit Psychopharmaka
3. Exkurs: Das Weglaufhaus als Alternative zur traditionellen Psychiatrie
3.1 Klienten
3.2 Mitarbeiter
3.3 Besonderheiten des Weglaufhauses

Teil II: Psychische Erkrankungen in Westafrika
1. Allgemeines
1.1 Soziales Leben
2. Transkulturelle Psychiatrie
3. Einfluß der Kultur auf das Erscheinungsbild psychischer Krankheiten in traditionellen Gesellschaften
4. Das Vorkommen endogener Psychosen in traditionellen Gesellschaften
4.1 Die Schizophrenie
4.1.1 Symptomatik
4.1.2 Verlauf
4.2 Affektpsychosen
4.2.1 Die Depression
4.2.1.1 Das Vorkommen depressiver Störungen
4.2.1.2 Symptomatik der Depression
4.2.1.3 Reaktive Depressionszustände
4.2.2 Die Manie
5. Afrikanische Besessenheitsriten
5.1 Zum Begriff der Besessenheit
5.2 Erklärungsansätze psychischer Krankheiten
5.3 Therapieformen
5.3.1 Der Heilkundige
5.3.2 Das therapeutische Setting
5.3.3 Therapiemöglichkeiten
5.3.4 Der Rab-Kult in Westafrika als Beispiel eines traditionellen Heilrituals
5.3.5 Verhältnis Gemeinschaft- Individuum
5.3.6 Der Ablauf der rituellen Besessenheit
6. Umgang mit psychisch kranken Menschen in traditionellen Gesellschaften
7. Einfluß der europäischen Psychiatrie auf den traditionellen Umgang mit psychisch kranken Menschen
8. Exkurs: Die psychiatrische Abteilung der Universitätsklinik Dakar/Senegal
9. Resümee

Abkürzungsverzeichnis

„Die seelisch Kranken sind keine besonderen Menschen, die mit der Welt, in der wir leben, und mit unseren alltäglichen Erfahrungen nichts zu tun hätten: Sie sind wie wir; und wir sind wie sie“ (Mind- Manifest 1971 in: Finzen 1985, S.14).

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit geht es um den unterschiedlichen Umgang mit psychisch kranken Menschen in verschiedenen Kulturen. Ich habe mich dabei auf den Vergleich Deutschland - Westafrika beschränkt.

Im allgemeinen Teil (Kapitel 2- 4) beschreibe ich das Basiswissen,

welches benötigt wird, um den Vergleich vollziehen zu können. Besonderen Wert habe ich dabei auf die Beschreibung des Einflusses der Gesellschaft auf die einzelnen Gesellschaftsmitglieder und deren Verhalten gelegt. Mir ist es wichtig zu betonen, daß die Definitionsmacht bezüglich abweichenden Verhaltens (und somit psychischer Krankheiten) bei der Gesellschaft liegt.

Kapitel 4 beinhaltet die Beschreibung der Krankheitsbilder, auf die sich mein Vergleich begründet, deren Ursachen, Behandlungsmethoden und Therapiemöglichkeiten.

Der Vergleich, der das Kernstück dieser Arbeit bildet, beginnt mit der historischen Entwicklung des Umgangs mit psychisch kranken Menschen im deutschen Kulturraum von der Antike bis zur Gegenwart. Diese Vorgehensweise erscheint mir sinnvoll, um den Facettenreichtum des Umgangs mit psychisch Kranken in den verschiedenen Epochen zu verdeutlichen. Aus dem historischen Abriß wird weiterhin deutlich, auf welche Weise wir zu unserer heutigen Umgangsform mit psychisch veränderten Menschen gefunden haben. In diesem Rahmen erfolgt eine kritische Beleuchtung der Psychiatrie als Institution und der Behandlung psychisch kranker Menschen in Form von Neuroleptika. Als Exkurs habe ich eine Möglichkeit des alternativen Umgangs mit psychisch Kranken angeführt.

Der zweite Teil dieser Arbeit beginnt mit einer kurzen allgemeinen Einführung in die Thematik Westafrika bezüglich der Kolonialzeit, des sozialen Lebens und dem Einfluß der Kolonialmächte auf das traditionelle Afrika.

Ab dem vierten Kapitel des zweiten Teils stelle ich (analog zum allgemeinen Teil) die Erscheinungsbilder der Psychosen mit ihren kulturspezifischen Besonderheiten in traditionellen Gesellschaften dar. Weiterhin beschreibe ich afrikanische Erklärungsmodelle zum Auftreten psychischer Erkrankungen mit den daraus resultierenden Therapieformen und gehe auf den Umgang mit psychisch kranken Menschen ein.

Abschließend erfolgt die Beschreibung der psychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik Dakar/ Senegal, die von einem Franzosen gegründet wurde. Dort wird versucht, traditionelle Heilmethoden mit den Erkenntnissen der europäischen Medizin zu verknüpfen.

Im Resümee greife ich die Erkenntnisse der Darstellungen in Form eines konkreten Vergleiches noch einmal auf.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß es teilweise nicht möglich war, aktuelle Literatur zu verwenden, weil in den letzten Jahren nur noch sehr wenig über diese Thematik publiziert wurde. Mir scheint, daß sich die Erkenntnisse auf dem Gebiet der transkulturellen Psychiatrie in den letzten 30 Jahren nicht wesentlich verändert haben. Bestätigt wird meine Auffassung durch aktuellere Artikel, die zu ähnlichen bis gleichen Erkenntnissen gelangen wie die Autoren früherer Werke und deren Erkenntnisse somit bestätigen.

Ich beziehe mich im Laufe meiner Arbeit unter anderem auf englischsprachige Quellen. Mir war es nicht möglich, alle daraus entnommenen Zitate zu übersetzen, ohne den Sinngehalt zu verändern, so daß ich sie letztlich als Originalzitate in meine Arbeit übernommen habe.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich auf die geschlechtsspezifische Darstellung mancher Begriffe verzichtet.

Allgemeiner Teil

2. Normen

Der Begriff der Norm leitet sich vom lateinischen „norma“ ab, was Maß, Richtschnur, Regel, Vorschrift bedeutet. Normen sind notwendige Leitlinien, die das soziale Handeln bestimmen, ohne sie ist gesellschaftliches Miteinander nicht zu denken (vgl. Scharfetter 1985, S.6). Durch Normen wird der Umgang der Gesellschaftsmitglieder miteinander verbindlich geregelt. Der Gesellschaft stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit von Normen durchzusetzen. Verstößt eine Person gegen verbindliche Verhaltensvorschriften, stehen dem sozialen Umfeld Maßnahmen zur Verfügung (negative Sanktionen), die ihn zwingen, sich den Normen gerecht zu verhalten:

„In der Regel wird man davon ausgehen können, daß normkonformes Verhalten belohnt, normabweichendes Verhalten bestraft wird“ (Lamnek 1993, S.20).

Das Verhalten der einzelnen Gesellschaftsmitglieder (und die Erwartung der Gesellschaft, wie sich ein Individuum zu verhalten hat) ist davon abhängig, in welcher Rolle sie sich präsentieren: an eine Person, die als Autofahrer am Straßenverkehr teilnimmt werden andere Erwartungen gestellt als wenn dieselbe Person als Patient beim Arzt erscheint.

Daraus folgt, daß bei der Ausübung der verschiedenen Rollen an das Individuum unterschiedliche Erwartungen gestellt werden, wobei (je nach Rolle) zwischen Muß- , Kann- und Soll- Erwartungen unterschieden wird (vgl. Mogge-Grotjahn 1996, S.104). Die Erwartungen unterscheiden sich in dem Auswirkungsgrad der Sanktionen, die sie nach sich ziehen. Muß-Erwartungen entsprechen unseren Gesetzen, sie sind allgemeingültig und für jedes Gesellschaftsmitglied in gleicher Weise verbindlich. Verstöße gegen Muß-Erwartungen werden mit negativen Sanktionen geahndet. Bei Erfüllung erfolgt keine Belohnung, weil es selbstverständlich ist, daß sie befolgt werden. Die Funktion negativer Sanktionen liegt darin, die Individuen davon abzuhalten, sich nicht gesetzestreu zu verhalten. Dies führt zu konformen Verhalten in klar definierten Bereichen (z.B. Straßenverkehr, Steuern etc.).

Auf „Soll“- Erwartungen können sowohl positive als auch negative Sanktionen folgen, es ist zum Beispiel eine „Soll“- Erwartung, daß ein Prüfungskandidat sich gut vorbereitet in eine Prüfung begibt, aber es ist nicht zwingend vorgeschrieben, daß er sich gut vorbereiten muß. Als positive Sanktion kann das erfolgreiche Bestehen und als negative Sanktion das Nicht-Bestehen der Prüfung erfolgen.

Auf Erfüllung von „Kann“- Erwartungen können nur positive Sanktionen erfolgen, wenn sie nicht erfüllt werden, wird das nicht negativ sanktioniert. Sie sind freiwillige Leistungen der Rollenträger: es obliegt der Einstellung der Psychotherapeutin, ob sie ihren Patientinnen und Patienten zu Beginn der Therapiestunde eine Tasse Kaffee anbietet. Dies könnte positiv sanktioniert werden, weil sich dadurch die Atmosphäre entspannt und der Patientenkreis schneller Vertrauen fassen kann (vgl. Mogge-Grotjahn 1996, S.104; Abels/ Stenger 1989, S. 125).

2.1 Abweichendes Verhalten

Verhält sich ein Individuum wider des geltenden, gesellschaftlichen Werte- und Normensystems, wird sein Verhalten als abweichend oder auch deviant[1] bezeichnet.

Jede Gesellschaft oder Gemeinschaft entwickelt und konstituiert ihre eigenen Werte und Normen, die in ihrem Wirkkreis allgemeingültig und verbindlich sind, um ihre Stabilität und ihren Fortbestand nicht zu gefährden. Um Verläßlichkeit zu garantieren, daß tatsächlich die geltenden Normen von allen Mitgliedern befolgt werden, wird abweichendes, unerwünschtes Verhalten sofort mit negativen Sanktionen, die sich bei Verletzung zentraler Regeln bis zum Ausschluß aus der Gesellschaft steigern können, bestraft (vgl. Finzen 2000, S.36).

Merton (1968) sieht den Anlaß für abweichendes Verhalten in der Gruppe/ Gesellschaft begründet: Der Zuschreibung „abweichendes Verhalten“ geht etwas voraus, was sich in der konkreten Interaktion zwischen mindestens zweier Menschen vollzieht: Ein Mensch handelt, während sein Interaktionspartner dessen Handlungen als Abweichung empfindet. Verhält sich der Betroffene in einer Situation abweichend, die durch Normen eindeutig geregelt ist und somit nur eine schlüssige Handlungsmöglichkeiten zuläßt, wird sein Verhalten nicht nur von seinem konkreten Interaktionspartner, sondern von der gesamten Gesellschaft als „abweichend“ empfunden.

Abnorm ist, „was an einem jeweils bestimmten Verhalten von der Norm der jeweiligen Gruppe abweicht“ (Scharfetter 1985, S.9), wobei jeweils in positiver (z.B. Hochbegabung, besondere Kreativität etc.) als auch in negativer Hinsicht (z.B. durch psychische Auffälligkeiten) abgewichen werden kann.

Ein Aufgabenfeld der sozialen Normen besteht darin, den Mitgliedern einer Gesellschaft Schutz und Sicherheit zu geben. Durch generelle Normen und deren konsequente Befolgung, wird das Verhalten der Einzelnen berechenbar und vorhersehbar.

Hält ein Individuum soziale Normen nicht ein, führt das zu einer Gefährdung der gesellschaftlichen Ordnung, der die Gesellschaft dadurch entgegenwirkt, daß sie die Betroffenen ausschließt (durch Strafvollzug, Einweisung in Psychiatrien, Abschiebung etc.). Dieses stabilisiert: Sich abweichend verhaltende Menschen wirken auf die Gesellschaft wie eine Fremdgruppe („outgroup“), die es auszuschließen gilt. Durch den Ausschluß nimmt die Identifikation mit der Eigengruppe („ingroup“) und deren Normen zu. Als positive Funktionen abweichenden Verhaltens gelten demzufolge die Stützung der Norm und die Stärkung des Gruppenzusammenhaltes (vgl. Finzen 2000, S.31).

2.2 Vorgang des Etikettierens

Der Begründer des Etikettierungs- oder Reaktionsansatzes ist Frank Tannenbaum. Eine entscheidende Ursache für das Phänomen des abweichenden Verhaltens liegt in der Reaktion des sozialen Umfeldes auf einen Menschen, der sich nicht gemäß des allgemeinen Normenkonsenses verhält[2].

Dieser Vorgang wird als „Karriere des Abweichlers“ bezeichnet :

Zunächst ist die Feststellung wichtig, daß keine Verhaltensweise an sich die Qualität „abweichend“ enthält, sondern sich dieses erst in der konkreten Interaktion zwischen zwei Menschen begründet. Ein wesentlicher Faktor spielt dabei Macht - durch Macht ergibt sich für eine gesellschaftliche Gruppe erst die Möglichkeit, Normen und Regeln zu setzen und auf deren Einhaltung zu achten. Somit wird abweichendes Verhalten durch diejenigen definiert, die Macht haben, Normen zu etablieren. Durch die Etikettierung als abweichend und der damit verbundenen Erwartung, daß sich derjenige zukünftig deviant verhält, wird eine “self-fulfilling prophecy“ in Gang gesetzt (vgl. Becker 1973, S.19 ff. in: Lamnek 1993, S.226).

Auch wenn diese Theorien vorrangig entwickelt wurden, um Kriminalität und deren Ursachen besser zu verstehen, lassen sich diese Ansätze auf den Umgang mit psychisch kranken Menschen übertragen: es gab seit jeher Menschen, die sich im Verhalten von ihren Mitmenschen unterschieden, weil sie z.B. Stimmen hörten, die keiner außer ihnen hörte, weil sie Dinge sahen, die ansonsten keiner sah, weil sie sich nicht an die Regeln halten konnten, die von der Gesellschaft aufgestellt wurden, eben weil sie anders waren. Die Bedeutung des Anderssein hat negative Auswirkungen: den Betroffenen wird eine bestimmte Rolle (=die des „Sich-nicht-normal-Verhaltenden“, des Kranken) zugeschrieben, die den weiteren Umgang mit ihnen entscheidend beeinflußt. Durch das Etikett „psychisch krank“ und den daraus resultierenden Erwartungen wird ihnen häufig die Möglichkeit genommen, sich gemäß den gesellschaftlichen Normen zu verhalten. Das, was in einer Gesellschaft als psychisch krank bezeichnet wird, hängt von ihrer Toleranz und ihrem Verständnis von normal/ anormal ab:

„Geisteskrankheit, verstanden als Abweichung von gesellschaftlichen Normen, stellt keine im Handeln des Betroffenen auffindbare Qualität dar [...], [sie] ist vielmehr Folge eines Zuschreibungsprozesses“ (Braun/ Hergrüter 1980, S.68).

2.2.1 Das Stigma

Psychisch kranke Menschen haben oft, neben ihrer Krankheit auch noch darunter zu leiden, daß sie von der Gesellschaft stigmatisiert werden[3]. Zu diesem Prozeß kommt es durch die Erwartungshaltung der Gesellschaft an ihre Mitglieder, die sich jedoch von der Realität und den Möglichkeiten der einzelnen Gesellschaftsmitglieder unterscheidet. Es gibt Abweichungen, die von der Gesellschaft problemlos akzeptieren werden, während andere inakzeptabel sind: es werden „nicht alle unerwünschten Eigenschaften stigmatisiert [...], sondern nur diejenigen, die mit unserem Bild von dem, was ein Individuum sein sollte, unvereinbar sind“ (Goffman 1975 in: Finzen 2000, S.28).

2.2.2 Funktion des Stigmatisierens

Um einen problemlosen Ablauf der Funktionsfähigkeit und somit der Existenz der menschlichen Gesellschaft zu sichern, muß sich jedes Gesellschaftsmitglied auf die Erfüllung seiner Erwartungen verlassen können, die es an die anderen stellt. Dies ist dann gesichert,

„wenn jeder die Absichten des anderen versteht, dessen Erwartungen verläßlich erfüllt oder im Falle eines vorübergehenden Abweichens von diesen Verhaltensregeln zumindest durch Repressalien und Sanktionen wieder zur Übernahme seiner Rollen veranlaßt werden kann“ (Lauter in: Anders/ Kulenkampff 1969, S.22).

Im Umgang mit psychisch kranken Menschen sieht die Gesellschaft die Möglichkeit der Einflußnahme nicht gegeben- psychisch Kranke werden als unberechenbar und unbeeinflußbar empfunden, was im Gegensatz zu den Forderungen der Gesellschaft an ihre Mitglieder steht. Dies könnte die Gesellschaft in ihrer Funktionstüchtigkeit und Existenz gefährden, würde sie nicht zu stabilisierenden und sichernden Maßnahmen greifen: durch die „totale soziale Ausgliederung“ (Lauter: in Anders/ Kulenkampff 1969, S.23 f.) psychisch kranker Menschen in Form von Einweisungen in Psychiatrien, hofft die Gesellschaft der Gefahr entgegen zu wirken, die für sie davon ausgeht, daß Menschen sich nicht erwartungsgemäß verhalten.

2.3 Kulturspezifische Gebundenheit von Normen

Es zeigt sich eine „kulturspezifische Relativität [...] der Normsetzung und der inhaltlichen Ausgestaltung der Normen“ –„[gleiches] Verhalten wird im Lichte divergierender Normen offenkundig unterschiedlich interpretiert“ (Lamnek 1993, S.31).

Es ergeben sich kulturbedingt unterschiedliche Möglichkeiten der einzelnen Gesellschaften eigene Normen- und Wertesysteme zu entwickeln und diejenigen als Abweichler zu stigmatisieren, die sich nach deren Empfinden „abnormal“ verhalten.

Dadurch erhöht sich die Möglichkeit, das Verhalten eines Individuums als abweichend zu beurteilen, ohne sich dessen kulturellen Hintergrund bewußt zu machen. Dies kann zu einer Fehlbeurteilung führen. Eventuell entstammt derjenige, der sich in unseren Augen abweichend verhält, indem er z.B. unbekleidet sein Haus verläßt, einem Kulturkreis, in dem sein Verhalten „normal“ ist und in der Öffentlichkeit keinerlei Aufsehen erregen würde (z.B. in traditionellen Gesellschaften). Aufgrund dieser Schwierigkeit, wird postuliert, den Menschen und sein Verhalten nicht ohne sein soziales Umfeld, bzw. seinen sozialen und kulturellen Hintergrund zu beurteilen. Da Normen unterschiedlich, immer die Gesellschaft berücksichtigend, die sie gesetzt hat, angewandt werden können, ergibt sich die Aufforderung, den sozialen Kontext des „Abweichlers“ mitzubedenken:

Die transkulturelle Psychiatrie hat uns die Kulturrelativität menschliches Erlebens und Verhaltens deutlich gemacht und die Unmöglichkeit gezeigt, den Menschen unter dem Blickwinkel allgemein gültiger Normen zu betrachten. Was in einer Situation und in einer Kultur normal ist, kann in einer andern abnorm sein“ (Scharfetter 1985, S.5).

2.4 Normenbegriff in der Psychiatrie

Der Normenbegriff, der in der Psychiatrie Verwendung findet, ist der der Durchschnittsnorm. Unter Durchschnittsnorm ist „das innerhalb einer Kultur in Anbetracht einer definierten Situation akzeptierte Muß-, Soll-, Kann-, Darfverhalten“ (Scharfetter 1985, S.7) zu verstehen. Die Durchschnittsnorm ist für Menschen verschiedener Kulturen, Schichtzugehörigkeiten, Ausbildungen/Berufen, Religionen verschieden, so daß keine generelle Aussage über ihren Inhalt getätigt werden kann. Dies betrifft auch die Fragestellung, was in einer Gesellschaft als „psychisch krank“ (als Ergebnis der Abweichung von der Durchschnittsnorm) gewertet wird.

Hierbei ist wichtig festzuhalten, daß das Verhalten eines Menschen durch seinen Interaktionspartner mitbestimmt wird, der auf diese Weise die Normalität, bzw. Abnormalität eines Verhaltens mitbestimmt.

Scharfetter (1985) warnt davor, abnormem mit krankem Verhalten gleichzusetzen. Dies hätte zur Folge, daß die Menschen, die von der Durchschnittsnorm abweichen, generell als krank (meistens als psychisch krank, wenn keine organischen Schäden vorliegen) deklariert würden und sich aufgrund dieses Stigmas eventuellen Zwangsbehandlungen unterziehen müßten (vgl. Scharfetter 1985, S.8).

3. Krankheit/Gesundheit

Die Art und Weise, wie eine Kultur eine Krankheit deutet (entweder im wissenschaftlich- medizinischen Sinn oder als Einfluß übernatürlicher Kräfte) kann als ein Kennzeichen für sie ist angesehen werden (vgl. Scharfetter 1990, S.3), dabei prägt und definiert die Gesellschaft ihr Verständnis von normal/ anormal, bzw. gesund/ krank. Dies ist der Ausgangspunkt des soziologischen und sozialkritischen Ansatzes: „Die gesellschaftliche Norm entscheidet, was als gesund und was als krank gilt“ (Scharfetter 1990, S.10).

Krankheiten allgemein und somit auch das psychische Kranksein sind genormt bezüglich des Verhaltensmodus und der gesellschaftlichen Anerkennung als krank: „Wer diesem Muster entspricht, darf die institutionalisierte Rolle des Kranken annehmen“ (Murphy 1976 in: Scharfetter 1985, S.6). Die Begriffe der psychischen Gesundheit, bzw. Krankheit bringen die Verhaltenswünsche, die in einer bestimmten Gesellschaft gelten, zum Ausdruck (vgl. Braun/Hergrüter 1980, S.60).

Die gesellschaftlichen Bedingungen sind gegebene Fakten, mit denen sich jedes Gesellschaftsmitglied auseinanderzusetzen muß, was allerdings, wenn der einzelne psychisch krank wird, nicht mehr angemessen erfolgen kann. Der Sinn und Zweck einer Therapie liegt darin, dem Betroffenen diese Fähigkeit der Auseinandersetzung wieder zu geben (ebd). Zur Unterscheidung des Gegenbegriffpaares gesund/krank schreibt Scharfetter (1985), daß man den Menschen, dem sein Leben gelingt (=Selbstverwirklichung), der sich den Anforderungen seines Wesens, seiner eigenen Bedürfnisse und den Bedürfnissen seiner sozialen Umgebung gerecht verhält, als gesund bezeichnen kann, im Gegensatz dazu bedeutet Krankheit ein „partielles oder totales, temporäres oder dauerndes Versagen“ (Scharfetter 1985, S.11).

Ein Problem ergibt sich bei der Diagnose eines Krankheitsbildes:

„Primärer Zweck des Definierens und Diagnostizierens spezifischer Krankheiten bei den einzelnen Patienten ist in der Medizin, daß man in die Lage versetzt wird, brauchbare Vorhersagen zu machen. Im Idealfall trifft der Arzt, wenn er die Diagnose stellt, auch eine Reihe von Aussagen bezüglich der Zukunft [...]“ (Andreasen 1990, S.33).

Die Diagnose ist zu verstehen als Handlungsanweisung für den weiteren Umgang mit dem kranken Menschen, wobei sich die Therapieform und die Einstellung der Gruppe zum dem Betroffenen nach ihr richten. Es existiert ein breites Spektrum an Möglichkeiten, wie die Gemeinschaft auf den Patienten reagieren kann: Die Palette reicht von besonderer Fürsorge bis zur physischen Vernichtung. Die Reaktion des sozialen Umfeldes ist dabei abhängig von dem Verhältnis der Krankheitssymptome zum kulturellen Werte- und Normensystem (vgl. Pfeiffer 1980, S.164).

Eine Problematik bei der Diagnostik ergibt sich dadurch, daß es keine objektiven Verfahren gibt, um festzustellen, ob ein Mensch an einer Psychose erkrankt ist, sondern „[der] Psychiater entscheidet nach eingehender Beobachtung des Verhaltens, ob jemand geisteskrank ist oder nicht“ (Liungman 1974, S.10 f.). Kommt er zu dem Ergebnis, daß der Patient psychisch krank sei und aufgrund dessen stationärer Behandlung bedarf, so ist die „Karriere des Abweichlers“ (s. Punkt 2.1) initiiert und dem Betroffenen bleiben wenig Möglichkeiten, dieser zu entrinnen. Deutlich wird dieser Vorgang, wenn bei einem Patienten die Diagnose der Schizophrenie gestellt wird:

„Hier wird die Diagnose zum Fallbeil. Sie erledigt einen Menschen zum schizophrenen Defekt, der zu erwarten ist, auch wenn die Lehrbücher hinzufügen, daß eine Heilung zu 25% stattfinde [...]“ (Klee 1978, S.105).

Die Diagnose eines Psychiaters wird dadurch beeinflußt, welche Einstellung zu Menschen er hat, aus welchen Kulturkreis er stammt, wieviel Berufserfahrung er sein eigen nennen kann. Insoweit ist die

„dem Geisteskranken zugeschriebene Verrücktheit oder sein >>krankes Verhalten<< weitgehend ein Produkt der sozialen Distanz des Beobachters zur Situation des Patienten, und nicht in erster Linie ein Produkt seiner mentalen Störung“ (Goffman 1973, S.129).

Dies verdeutlicht die Schwierigkeit, die sich bei der Diagnose endogener Psychosen (s. Punkt 4) ergeben können. Wichtig ist der Hinweis, daß die Unterscheidung zwischen seelischen Krankheiten und Gesundheit nicht immer eindeutig ist, weil die Übergänge von einem in den anderen Zustand häufig fließend sind:

„Kein einzelnes psychopathologisches Symptom für sich genommen ist schlechthin abnorm oder gar krankhaft, denn alle Zeichen können auch beim Gesunden unter besonderen Umständen angetroffen werden“ (Scharfetter, 1985, S.19).

Zu den besonderen Umständen zählen unter anderem schwerer Streß (Verlusterlebnisse, schwere Krankheit, Nahtoderlebnisse, traumatische Erlebnisse wie Vergewaltigungen, Mißbrauch, Krieg etc.). Bei der Beurteilung, ob ein Mensch seelisch krank ist, spielt sein subjektiver Leidensdruck eine große Rolle. Erst, wenn er unter seinem Verhalten leidet, ist eine eindeutige Beurteilung möglich.

Dazu schreibt Scharfetter:

„Krank ist, im Selbstverständnis des „Patienten“ und im Urteil seiner Umwelt, wer, aus welchen Grunde immer, an sich und der Welt über das landes- und gruppenübliche Maß hinaus (sic Norm!) qualitativ

oder/und quantitativ leidet (Leidensaspekt, sickness, illness), wer mit den gegebenen nicht allzu extremen Verhältnissen bis zu einem lebensbeeinträchtigenden Maß nicht zurecht kommt, wer in der Lebens- und Weltbewährung versagt (Versagensaspekt), wer infolge seines hochgradigen Anderssein nicht in lebendiger Verbindung zu anderen Menschen treten kann (Beziehungsaspekt)“ (Scharfetter 1985, S.11).

4. Psychosen

4.1 Zur Unterscheidung der Psychosen

Sie lassen sich in körperlich begründbare (=exogene) und weder körperlich noch seelisch begründbare (=endogene) Psychosen unterscheiden. Endogene Psychosen kommen „von innen heraus“, die Krankheitsursache ist häufig nicht bekannt und sie haben einen eigengesetzlichen Verlauf , während exogene Psychosen aufgrund krankhaft- organischer Veränderungen des Gehirns oder hirnbeteiligenden körperlichen Krankheiten beruhen (vgl. Vetter 1989, S.39). Zu den endogenen Psychosen gehören die Schizophrenie, die Depressionen und die Manie.

4.2 Ursachen

Eine mögliche Ursache, daß ein Mensch an einer Psychose erkrankt, ist, daß „ein Mißverhältnis zwischen Belastung [pathogener Reiz] und Belastbarkeit [=individuelle Disposition]“ vorliegt (Giel 1980, S.19). Andere Auffassung begründen das Erkranken an Psychosen durch körperliche Faktoren (zu exogenen Psychosen können u.a. Stoffwechselanomalien, Verletzungen, Vergiftungen, Infektionen etc. führen, während bei endogenen Psychosen eine körperliche Ursache zwar angenommen wird, aber nicht nachgewiesen werden kann), die jüngere Richtung der Psychiatrie deutet auf einen Zusammenhang zwischen sozialen Umständen und Psychosen hin, insbesondere sei die Eltern-Kind-Beziehung erwähnt (vgl. Liungman 1974, S.10).

4.3 Die endogenen Psychosen

Die Gemeinsamkeiten der endogenen Psychosen liegen darin, daß sie weder psychogen (entweder durch traumatische Erlebnisse oder Konflikte) begründbar sind, noch körperlich Ursachen haben. Sie haben einen eigengesetzlichen Verlauf (sie können plötzlich und ohne sichtbare Anlässe auftreten und wieder verschwinden) und die Diagnose ist rein psychopathologisch. Weitere Übereinstimmungen bestehen darin, daß Erbfaktoren (diese Krankheiten treten familiär gehäuft auf) und biochemische Prozesse eine Rolle spielen. Endogene Psychosen nehmen auf der ganzen Welt, in allen Kulturkreisen und unabhängig von individuellen Problemen den gleichen Krankheitsverlauf (vgl. Vetter 1989, S.178 f.).

4.4 Historie

Die Unterscheidung der Psychosen nach ihren Krankheitsverläufen geht auf Emil Kraepelin (1856-1926) zurück.

Durch sorgfältige Beobachtung gelang ihm eine Beschreibung und Identifizierung verschiedener Typen psychiatrischer Krankheitsbilder.

Während seiner Beobachtungen fielen ihm zwei Patientengruppen auf: eine Patientengruppe erholte sich, trotz geringfügiger Behandlung, beinahe wie von selbst. Sie war vorwiegend gekennzeichnet durch euphorische oder depressive Stimmungsbilder, die phasenweise auftraten und abklangen, ohne Spuren zu hinterlassen (vgl. Vetter 1989, S.38). Die andere Gruppe von Patienten, an denen Kraepelin Symptome mit ähnlichen Krankheitsverläufen wahrnahm, war geprägt durch ein frühes Erkrankungsalter und einer Vielzahl von Krankheitserscheinungen (z.B. Wahnvorstellungen, Halluzinationen). Es ließ sich ein negativer Verlauf der Krankheit beobachten, was bedeutet, daß die Menschen mit derartigen Symptomen nicht wieder genesen würden, sondern dauerhaft auf das Leben in einer Institution angewiesen waren. Kraepelin bezeichnete das Krankheitsbild der ersten Patientengruppe als „manisch-depressive Irresein“, was heute als bipolare Affektstörungen oder affektive Psychose bezeichnet wird und das der zweiten als „Dementia praecox“[4] ein Krankheitsbild, dessen Bezeichnung Eugen Bleuler (1857-1939) später in Schizophrenie umgewandelt hat (vgl. Andreasen 1990, S.34).

4.5 Behandlungsmethoden

4.5.1 Somatische Verfahren:

4.5.1.1 Psychopharmakabehandlung:

1952 wurde durch die Entdeckung, daß Chlorpromazin antipsychotisch wirkt, die Ära der Psychopharmaka in der Psychiatrie eingeleitet (siehe Teil 1, Punkt 6.8). Es wurden unter der Anwendung dieses Neuroleptikums „[spektakuläre] Behandlungserfolge bei schizophrenen Patienten mit bis dahin hoffnungsloser Prognose (was faktisch ein Leben in der Anstalt bedeutete)“ erzielt (Krause-Girth 1989, S.11). Das Ziel der Behandlung mit Psychopharmaka liegt darin, die akuten Schübe zum Abklingen zu bringen und danach in „der Stabilisierung der Wiederherstellung des Patienten, in der Verhinderung psychotischer Rezidive und in der Schaffung der Voraussetzung für eine dauerhafte Rehabilitation“ (Huber 1987 in: Vetter 1989, S.233).

Zur Einschränkung der Behandlung mit Psychopharmaka ist zu sagen,

„[da] weder die Ursachen psychischer Probleme und psychiatrischer Erkrankungen, noch die Wirkweise der verschiedenen Psychopharmaka hinreichend geklärt sind, ist eine kausale Therapie durch sie nicht möglich“ (Krause-Girth 1989, S.22).

Dadurch wird die Notwendigkeit verdeutlicht, die Therapie von Psychosen nicht alleine auf die Behandlung mit Psychopharmaka zu begrenzen, sondern sie durch weitere therapeutische Maßnahmen, in Form von Psycho- und Soziotherapie, zu ergänzen (s. Teil 1, Punkt 2.1.4).

(a) Neuroleptika

Die Neuroleptika zählen zu den wichtigsten Psychopharmaka. Sie wirken auf das zentrale Nervensystem und verursachen dadurch eine Veränderung des Erlebens und Verhaltens der betroffenen Menschen (vgl. Faust 1997, S.295).

Durch die Anwendung von Neuroleptika ist es möglich geworden, akute psychotische Syndrome ambulant zu behandeln und somit die Hospitalisierung psychisch Kranker entweder zu vermeiden oder zumindest die Dauer des stationären Aufenthalts zu verkürzen (vgl. Krause - Girth 1989, S.85).

Wirkweise

Neuroleptika haben eine „psychomotorisch beruhigende, sedierende, schlafanstoßende und vegetativ dämpfende Wirkung“ (Rudolf 1996, S.222), indem sie die Überproduktion von Dopamin im Gehirn stoppen, wodurch Symptome wie Wahn und Halluzinationen zurücktreten.

Die Anwendung wird oftmals damit begründet, „daß sie die Patienten für andere therapeutische Angebote überhaupt erst bereit und zugänglich machen“ (Greb 1995, S.60).

Nebenwirkungen

Die psychischen Nebenwirkungen der Neuroleptika bestehen in Müdigkeit, einer deutlichen Hemmung von Antrieb und Initiative und einer emotionalen Gleichgültigkeit gegenüber äußeren Reizen.

Die Nebenwirkungen werden von den meisten Patienten als sehr quälend empfunden, wobei die Intensität von der Höhe der Dosis und der individuellen Sensibilität der Betroffenen abhängt (vgl. Faust 1997, S.288). Sie bestehen in:

- „neuroleptischem Parkinsonoid“:

einem Syndrom, welches der Parkinsonerkrankung ähnelt und sich wieder zurückbildet. Der Betroffene wird in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, z.B. treten Antriebsstörungen auf, die Feinmotorik läßt nach, es kann sich ein Tremor (unwillkürliches Zittern) von Händen, Armen, Kopf-, Kau- und Mundmuskulatur bemerkbar machen;

- der Akathisie

die Akathisie ist eine „Sitz-, Steh- und Gehunruhe“ (Faust 1997, S.300), die von den Patienten vorwiegend in den Beinen empfunden wird und sie veranlaßt, sich pausenlos zu bewegen (Gefühl der inneren Unruhe). Es ist den Betroffenen nicht möglich, kurze Zeit ruhig stehen oder sitzen zu bleiben. Die Akathisie beginnt häufig nach mehrwöchiger Einnahme von Neuroleptika;

- dyskinethische/ hyperkinetische Syndrome/ Frühdyskinesien:

Dyskinesien sind unwillkürliche Bewegungsstörungen, die bereits nach kurzer Zeit der Einnahme von Neuroleptika (sogar schon in den ersten Stunden) auftreten können. Sie äußern sich in Krämpfen von Zunge, Schlund, im Grimassieren, einer Sperre des Kiefers etc.;

- weitere Nebenwirkungen:

Der Blutdruck kann abfallen, es kann zu Herz- , Kreislaufstörungen, Sehstörungen, Magen- Darm- Störungen (vor allen Dingen Verstopfung), Potenzstörungen, Mundtrockenheit kommen und es können delirante Verwirrtheitszustände (z.B. beunruhigende Träume, Verwirrtheit, nächtliche Unruhe) auftreten.

(Vgl. Vetter 1989, S.307; Faust 1997, S.298-302; Spiegel und Aebi 1981, S.18, in: Krause-Girth 1989, S.88).

Die gesamte Palette an Nebenwirkungen läßt sich durch die individuell abgestimmte Dosis in den meisten Fällen auf ein Mindestmaß reduzieren, so daß die Behandlung mit Neuroleptika für den Einzelnen relativ erträglich wird. Sollten Neuroleptika bei einem Patienten keine Wirkung zeigen, kann im Ausnahmefall (= „vitale Bedrohung und Chronifizierungstendenz schwerster psychotischer Zustände“, Rudolf 1996, S.84) die Elektrokrampftherapie (siehe unten) angewendet werden.

(b) Antidepressiva:

Antidepressiva sind Medikamente, die aus chemischen Verbindungen bestehen, deren Gemeinsamkeit darin liegt, daß sie je nach Antidepressivum entweder stimmungsaufhellend, antriebssteigernd oder antriebsdämpfend wirken (Krause-Girth 1989, S.110).

Wirkweise

Antidepressiva wirken auf den Stoffwechsel im Gehirn, indem sie das Ungleichgewicht der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin normalisieren. Problematisch ist bei der Behandlung mit Antidepressiva, daß sie erst nach einer „Latenzzeit“ von zwei bis drei Wochen ihre volle Potenz entfalten, was bedeutet, daß dem Betroffenen über diese erste Zeit hinweggeholfen werden muß: „Antidepressiva wirken bei ca. 70% der Patienten nach einer Latenz von 10-14 Tagen stimmungsaufhellend, antriebssteigernd und angstlösend“ (Kipp/Jüngling 2000, S. 244).

Durch die Behandlung mit Antidepressiva ergibt sich die Gefahr, daß die Patienten durch die Antriebssteigerung genügend Energie entwickeln, um den Suizid zu vollziehen, für den sie in ihrer depressiven Phase keine Energie hatten. Es sterben ungefähr 10% der Depressiven am vollzogenen Suizid (vgl. Kipp/Jüngling 2000, S.101).

Nebenwirkungen

Nebenwirkungen der Antidepressiva können in Mundtrockenheit, Schwindel, Tremor, verstärktem Schwitzen, Verstopfungen, Schlafstörungen, Verwirrtheitszuständen etc. liegen (vgl. Schönhofer und Stock 1979; Wellhöner 1976; Benkert und Hippius 1980 in: Krause-Girth 1989, S.116).

Während die traditionellen Antidepressiva starke Nebenwirkungen haben und unterschiedlich stark sedieren, sind inzwischen neuere Antidepressiva entwickelt worden, deren Nebenwirkungen relativ unerheblich sind und von den Patienten als erträglicher empfunden werden, so wird z.B. die Fahrtauglichkeit im Straßenverkehr nicht mehr durch die Medikamente beeinträchtigt (vgl. Rudolf 1996, S.254; Kipp/ Jüngling 2000, S.245).

4.6.1.2 Die Schockbehandlungen

Die Schocktherapien sind die ersten somato-therapeutischen Verfahren, die in der Psychiatrie angewendet wurden: durch Stromstöße oder durch Medikamente werden generalisierte Anfälle bei Patienten ausgelöst, die an Schizophrenien oder affektiven Psychosen leiden (vgl. Vetter 1989, S.308).

Schockbehandlungen waren bereits im Mittelalter eine bekannte und anerkannte Methode zur Behandlung sich abweichend verhaltender Menschen: „im Mittelalter gab man den >Toren< Schocks, indem man sie in eiskaltes Wasser warf, sie umherschleuderte, auspeitschte oder auf Falltüren stellte, die sich plötzlich öffneten“ (Liungman 1974, S.104).

(a) Malaria-Kur

Diese Ära in der Psychiatrie begann 1917 mit der Einführung der Malaria-Kur durch Wagner-Jauregg zur Behandlung der „progressiven Paralyse“[5], an der am Ende des 19. Jahrhunderts ein Drittel aller Anstaltsinsassen litten. Er bemühte sich diese Krankheit durch eine künstlich erzeugte fieberhafte Erkrankung zu behandeln, was ihm mit der Malaria-Kur gelang (vgl. Greb 1995, S.19).

(b) „Hypoglykämisches Koma“ (Insulinschock):

1922 wurde das Insulin entdeckte, welches von Manfred Sakel (1900-1957) bei der Behandlung psychosekranker Patienten angewandt wurde. Er stellte fest, daß versehentlich zuviel gespritztes Insulin auf seine Patienten nach dem Erwachen aus dem hypoglykämischen Koma „ eine auffallend günstige Wirkung hatte“ (Liungman 1974, S.103). Aufgrund seiner Beobachtungen begann er, Unterzuckerungszustände bei Patienten, die an Schizophrenie erkrankt waren, gezielt herbeizuführen. Bei der Injektion von Insulin (auf meistens nüchternen Magen) sinkt der Blutzuckerspiegel des Patienten unter den normalen Pegel, was einem hypoglykämischen Koma führt (vgl. Liungman 1974, S.103). Diese Behandlungsmethode wurde von den Patienten allerdings als sehr unangenehm empfunden. Heutzutage wird nur noch mit geringen Mengen Insulin[6] gearbeitet, wodurch das hypoglykämische Koma vermieden wird. Rudolf erwähnt sie als ein „effektives Verfahren“ und verweist auf eine „wesentliche Besserung [..] bei ¾ der so behandelten therapieresistenten Störungen“ (Rudolf 1996, S.276).

(c) Cardiazol-Schock

Die damalige Ansicht, daß Epilepsiekranke nicht schizophren werden können, führte zu der Behandlung von manischen, depressiven oder schizophrenen Patienten mit Cardiazol, einem Medikament, welches epileptische Anfälle auslöst (vgl. Greb 1995, S.19; Vetter 1989, S.308).

(d) Elektrokrampftherapie (EKT)

1937 wurde die EKT durch Cerletti und Bini eingeführt, sie löste die Behandlung mit Cardiazol ab (vgl. Dörner/Plog 1996, S.476; Vetter 1989, S.308). Diese Behandlungsform zählt zu den aggressivsten Behandlungsmethoden, die bei psychischen Erkrankungen zur Anwendung kamen. Bei der EKT wird durch elektrische Reizung des Gehirns ein epileptischer Fall ausgelöst, der eine Linderung der Krankheitssymptome zur Folge hat. Bei der Durchführung wird der Patient narkotisiert und mit einem Muskelrelaxans (= zur Entspannung der Muskeln, um Knochenbrüche zu vermeiden) versehen.

Nebenwirkungen der EKT

Als Nebenwirkungen können vorübergehende Desorientierung, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Amnesien (können in seltenen Fällen den Zeitrahmen von bis zu einigen Monaten vor der Behandlung umfassen) auftreten. Liungman beschreibt jeden Elektroschock als „traumatisches Erlebnis“ für den Organismus (Liungman 1974, S.106). Bei jedem Elektroschock werden Gehirnzellen irreversibel zerstört und es bleiben Gedächtnisstörungen zurück Die Gefahr, daß Patienten durch dieser Behandlungsmethode getötet werden, liegt bei 0,06% (vgl. Klee 1978, S.86).

Heutzutage wird die EKT nur noch „bei vital bedrohlichen Zuständen“ (Rudolf 1996, S.65) angewandt, z.B. bei schwersten Depressionen, die nicht mit Antidepressiva zu behandeln sind.

Insgesamt betrachtet, führten die sogenannten „Krampftherapieverfahren“ zu einer Wende in der therapeutischen Haltung psychisch Kranken gegenüber: zum ersten Mal wurde eine erfolgreiche Behandlung schwerer Psychosen für möglich gehalten und dieser „therapeutische Optimismus“ hatte eine aktive Zuwendung der Psychiater zum Patienten zur Folge (Finzen 1998, S.26).

4.5.2 Psychotherapeutische Verfahren

Tölle definiert Psychotherapie als „eine Behandlung kranker Menschen mit seelischen Mitteln“ (Tölle 1994 in: Rudolf 1996, S.197), wobei das Hauptmedium das Gespräch zwischen Therapeut und Patient ist. Wichtig ist dabei, die noch vorhandenen Ressourcen und Copingmechanismen des Patienten zu stärken, um auf diese Weise seine Eigenkompetenz und Möglichkeiten der Selbsthilfe zu fördern. Durch die Psychotherapie sollen „Anpassungsfähigkeit, Motivation, Initiative, Sozialisierungsprozesse, Selbstwerterleben und positive Weltorientierung des Patienten“ ermöglicht werden (Rudolf 1996, S.91).

4.5.3 Sozialtherapeutische Verfahren

Zur Sozialtherapie gehören „alle Maßnahmen, die der Verbesserung der sozialen Situation des psychisch Kranken dienen“ (Vetter 1989, S.311), z.B. die Stabilisierung der Rolle des Patienten innerhalb der Familie, bei Bedarf die Beschaffung eines neuen, „geschützten“ Arbeitsplatzes, Hilfestellung bei Anträgen und Behördengängen.

Es ist darauf zu achten, daß der Patient nicht überfordert wird, sondern die Lernschritte seiner momentanen Leistungsfähigkeit angepaßt werden. Das große Ziel liegt darin, den Patienten wieder in sein soziales Umfeld und die Gesellschaft zu integrieren.

4.6 Die Krankheitsbilder der endogenen Psychosen

4.6.1 Die Schizophrenie

4.6.1.1 Definition

„Schizophren-Kranke leben in einer Welt, die für den Außenstehenden nicht einsichtig ist, weil Kranke gleichzeitig in ihrem Wahn und in der Wirklichkeit leben [...] “ (Michel/Novak 1991, Seite 340).

4.6.1.2 Zum Begriff der Schizophrenie

Morel prägte 1860 den Begriff der „Demence precoce“ zur Beschreibung eines Krankheitsbildes, dessen Syndrom ein „bösartiger intellektueller Abbau bei jungen Menschen“ war. Hecker nannte 1871 ein Krankheitsbild, welches der „Demence precoce“ ähnelte, aber bereits in der Pubertät auftrat „Hebephrenie“ und schließlich verwies Kahlbaum 1874 auf ein Syndrom, das durch Bewegungsstarre (einem sogenannten Stupor) gekennzeichnet war, ohne daß dafür somatische Gründe vorlagen. Er gab ihm den Namen „Katatonie“. Diese Krankheitsbilder faßte Kraepelin 1896 unter dem Oberbegriff der „Dementia praecox“ zusammen (vgl. Vetter 1989, S.209).

Der Begriff der Schizophrenie[7] wurde 1907 von Eugen Bleuler in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt (s. Allgemeiner Teil, Punkt 4.4). Sie ist eine Erkrankung der gesamten Persönlichkeit und trifft den ganzen Menschen, wobei der Kern der schizophrenen Erkrankung in einer schwersten Störung des Wechselspiels zwischen Körper, Seele und Umwelt liegt (vgl. Vetter 1989, S.210).

4.6.1.3 Erkrankungsalter und Vorkommen

Am häufigsten tritt die Schizophrenie in den Jahren der Adoleszenz (zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr) auf (vgl. Dörner/Plog 1996, S.149), bis zu 55% der Schizophrenien beginnen in diesem Zeitraum (vgl. Vetter 1989, S.210). Es erkranken etwa 1 % der Deutschen mindestens einmal während ihres Lebens an Schizophrenie (RP vom 5.7.2001, Nr.153). Sie verläuft bei Frauen und Männern unterschiedlich: Frauen erkranken durchschnittlich einige Jahre später (zwischen dem 25. und dem 29. Lebensjahr) als Männer (zwischen der Pubertät und dem 25. Lebensjahr) zum ersten Mal (vgl. Greb 1995, S.50).

20-25% aller Erstaufnahmen werden mit der Diagnose Schizophrenie in psychiatrische Krankenhäuser eingeliefert, wobei unter Erwachsenen circa 0,25% der Bevölkerung pro Jahr an Schizophrenie erkranken (vgl. Dörner/Plog 1996, S.168 f.).

Es vergehen im Durchschnitt sechs Jahre, bevor ein Schizophrenie-Erkrankter einen Facharzt aufsucht, der seine Krankheit als Schizophrenie diagnostiziert. Dies liegt daran, daß die ersten Krankheitssymptome (wie z.B. Antriebslosigkeit oder Denkstörungen) auch auf andere Krankheiten hindeuten können (vgl. R P vom 5.7.2001, Nr.153).

4.6.1.4 Ursachenforschung

Es ist bis heute nicht bekannt, weshalb ein Mensch an einer Schizophrenie erkrankt, allerdings gilt als gesichert, daß die Ursache multifaktoriell ist: zu 35 % gelten Verlustsituationen als der häufigste Auslöser, beispielsweise der bevorstehende oder bereits eingetretene Tod einer Bezugsperson, das Ende einer Partnerschaft, eine schwere Erkrankung etc. (vgl. Vetter 1989, S.211 ff.).

Einen anderen Zugang zur Erklärung des Phänomens der Schizophrenie wählen Dörner/Plog (1996): Sie konzentrieren sich bei den Bemühungen zur Erklärung des Krankheitsgeschehens auf die einzelnen Lebensphasen mit ihren Schwierigkeiten und Herausforderungen, in denen sich psychische Krankheiten manifestieren können. Die Lebensaufgaben, die in der Adoleszenz (=frühestes mögliches Ersterkrankungsalter der Schizophrenie) zu bewältigen sind, bestehen in der Trennung vom Elternhaus und in der Bindung an fremde Menschen. Während des Heranwachsens muß der junge Mensch lernen, Gegensätze und Widersprüche auszuhalten und zu neuen Weltanschauungen zu gelangen. Weitere Aufgaben bestehen in der festeren Bindung an Interessen und beruflichen Zielen und in der zunehmenden Übernahme von Verantwortung. Scheitert der Betroffene in dieser Phase, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daß er darauf mit einer psychischen Erkrankung in Form einer Schizophrenie reagieren wird (vgl. Dörner/ Plog 1996, S.149 ff.).

Die Ursachen schizophrener Störungen sind häufig „in den individuellen Erfahrungen während des Heranwachsens zu suchen“, wobei der Schwerpunkt in der Familie liegt (Liungman 1974, S.31). Dieses Erklärungsmodell sagt aus, daß die Krankheit eine Folge von gestörter Kommunikation sein kann: „Familienforscher fanden Belege für die These, daß die Familien, in denen ein Mitglied an einer Schizophrenie erkrankt ist, eine ganze Reihe von Strategien entwickeln, die darauf hinauslaufen, mindestens ein Familienmitglied ‚verrückt‘/ zu machen“ (Greb 1995, Seite 53). Zu solchen Strategien können verwirrende Kommunikationsstrukturen gehören: z.B. wenn eine Mutter ihren Sohn zur Umarmung bei gleichzeitiger ablehnender Körperhaltung auffordert. Solche Nachrichten enthalten widersprüchliche Handlungsaufforderungen, die den Empfänger verwirren, weil er nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Besonders schwerwiegend wirken sich inkongruente Nachrichten in Beziehungen aus, in denen der Empfänger vom Sender abhängig ist (vgl. Situation im Elternhaus).

„Nach dieser Sichtweise stellt die Schizophrenie eine Art Notlösung dar, um mit der „verrückten“ Situation fertig zu werden“ (Schulz von Thun 1997, S.38 f.).

Ein anderes Erklärungsmodell ist die Dopamin-Hypothese: Dopamin ist ein Überträgerstoff, der im Gehirn für die Weiterleitung der elektrischen Impulse zwischen zwei Gehirnzellen verantwortlich ist. Man nimmt an, daß „Schizophrenie die Folge einer übermäßigen Informationsübertragung in den Synapsen [ist], die Dopamin als Transmitter verwenden“ (Andreasen 1990, S.290).

Weiterhin können Gründe für eine Schizophrenie in einer genetischen Veranlagung liegen. Dabei sagt die Erbforschung, daß nicht die Schizophrenie vererbt wird, sondern, daß Erbeinflüsse die Disposition und die Vulnerabilität[8] eines Menschen bestimmen, „unter den materiellen und zwischenmenschlichen Belastungen seiner Entwicklungsbedingungen und der späteren Lebenserfahrung manifest krank zu werden“ (Scharfetter 1990, S.128).

Bei einer Diskrepanz zwischen den Handlungsanforderungen einer Situation und den Handlungsmöglichkeiten eines Menschen versucht dieser, aufgrund seines fehlenden Handlungsrepertoires, den entstandenen Streß derart zu kompensieren, daß er „Zuflucht zu untauglichen oder sogar schädlichen Mittel [nimmt]“ (z.B. zu Stimmen, die ihm sagen, was er tun soll etc.) (Greb 1995, S.53).

[...]


[1] von lateinisch „de vir“: vom Weg abkommen.

[2] z.B. indem er einen Diebstahl begeht. Durch die erste Reaktion der Gesellschaft, in Form einer Sanktion (evtl. wird derjenige während des Diebstahles überrascht und angezeigt), wird dem Menschen, der sich abweichend verhält, dies deutlich. In fortschreitenden Prozeß übernimmt das Individuum die ihm von der Gesellschaft zugeschriebenen Rolle des Abweichlers (vielleicht in der Form „einmal Dieb - immer Dieb“), indem er die Beurteilungen seiner Interaktionspartner akzeptiert und daraufhin sein Selbstkonzept und in Folge dessen auch seine Verhaltensweisen ändert (das könnte derart lauten: „Alle denken, daß ich ein Dieb sei, dann bin ich wohl einer, dann kann ich weiterhin klauen“ etc.) (vgl. Lamnek 1993, S.219 ff).

[3] Ein „Stigma“, bzw. der Vorgang des Stigmatisierens in seiner soziologischen Bedeutung bedeutet „ jemandem bestimmte, von der Gesellschaft als negativ bewertete Merkmale zuordnen, jemanden in diskriminierender Weise kennzeichnen“ (Fremdwörterbuch des Duden 1990, S. 742).

[4] „Dementia“ bezieht sich dabei auf die zu erwartende Verschlechterung und

„praecox“ bedeutet vorzeitig, so daß der gesamte Begriff „vorzeitige Verblödung“

bedeutet (vgl. Vetter 1989, S.209).

[5] =organische Psychose im Spätstadium der Syphilis (Greb 1995, S.19).

[6] „unterschwellige Hypoglykämie-Behandlung“ (Rudolf 1996, S.275).

[7] von griechisch: schizein = „spalten“ und phren = „Zwerchfell, Geist, Gemüt“ (Meyers großes Taschenlexikon 1995, S. 243); der Begriff der Schizophrenie bedeutet „Spaltungsirresein“ (Dörner/Plog 1996, S.154) oder „gespaltenes Gemüt“ (Greb 1995, S.45).

[8] Vulnerabilität bezeichnet „eine Empfindlichkeit gegenüber Streß und Belastungen, die erst im Verbund mit zusätzlichen sozialen Komplikationen zu ‚psychotischen Dekompensationen‘“ (Greb 1995, S.53) führt.

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Psychische Erkrankungen im internationalem Vergleich am Beispiel Westafrika - Deutschland
Hochschule
Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
87
Katalognummer
V49676
ISBN (eBook)
9783638460606
ISBN (Buch)
9783638708661
Dateigröße
758 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychische, Erkrankungen, Vergleich, Beispiel, Westafrika, Deutschland
Arbeit zitieren
Carmen Lüger (Autor:in), 2001, Psychische Erkrankungen im internationalem Vergleich am Beispiel Westafrika - Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49676

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