Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.
2. Die historische Entwicklung des Preußischen Königreichs im 18. Jahrhundert
2.1 Friedrich Wilhelm I.
2.2 Friedrich II.
2.3 Friedrich Wilhelm II.
3. Die Anlage am Heiligen See – Ein histroscher Einordnung.
4. Das Marmorpalais.
4.1 Das erste Geschoss.
4.1.1 Vestibül
4.1.2 Parolekammer
4.1.3 Musikzimmer
4.1.4 Boisiertes Schreibkabinett
4.1.5 Gelbe Schreibkammer
4.1.6 Grüne Kammer
4.1.7 Schlafkabinett
4.1.8 Grottensaal
4.2 Das zweite Geschoss.
4.2.1 Vorzimmer und Kammer En Camaieu.
4.2.2 Braune Kammer
4.2.3 Landschaftszimmer
4.2.4 Orientalisches Kabinett
4.2.5 Konzertsaal
4.3 Die Südgalerie.
4.3.1 Grünes Zimmer
4.3.2 Ovaler Saal
4.3.3 Kavalierwohnung.
4.4 Die Nordgalerie.
4.4.1 Rotes Zimmer
4.4.2 Blaues Zimmer
4.4.3 Grünes Kabinett
4.4.4 Musenzimmer
4.4.5 Kloeber-Saal
5. Neuer Garten.
5.1 Gotische Bibliothek und Maurischer Tempel
5.2 Pappelallee und Holländisches Etablissement
5.3 Neugotische Meierei
5.4 Neues Gothisches Haus.
5.5 Chinoisares Parasol, Obelisk und Artemis Ephesia.
5.6 Muschelgrotte.
5.7 Eremitage.
5.8 Orangerie und Eiskeller
6. Schlussbetrachtung.
Literaturverzeichnis.
1. Einleitung
Die preußische Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts wird stets mit einem stark geprägten Militarismus unter seinem Regenten Friedrich Wilhelm I. (1713-1740), auch bekannt als Soldatenkönig, oder aber mit einer pedantischen Sparsamkeit und zugleich großem politischen Einfluss unter Friedrich II. (1712-1786), auch bekannt als Friedrich der Große, assoziiert. Die Rolle der preußischen Kunst und Kultur, vor allem im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, wird dabei oft vernachlässigt und stiefmütterlich behandelt. Auch in der Kunstgeschichte erfährt vor allem das Wirken und Schaffen des dritten Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm II. (1744-1797), eine eher geringe Aufmerksamkeit. Dabei gilt das von ihm in Auftrag gegebene Marmorpalais im Potsdamer Neuen Garten als die erste preußische Baute im klassizistischen Stil, die wie kein anderes architektonisches Machwerk, den künstlerischen Aufbruch jener Zeit symbolisiert. Neben wenigen Monographien, wie Stefan Gehlens im Jahr 2015 publizierten Werk „Das Marmorpalais im Neuen Garten“1, oder aber Wilma Ottes im Jahr 2003 erschienen „Das Marmorpalais. Ein Refugium am Heiligen See“2, die sich in erster Linie um eine Bestandsaufnahme des vor allem im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft genommenen Palais und des sich anschließenden Gartenareals bemühen, befasst sich lediglich ein einzelner, im Jahr 1997 konzipierter Ausstellungskatalog, herausgegeben von der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, unter dem Titel „Friedrich Wilhelm II. und die Künste. Preußens Weg zum Klassizismus“, im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung, stets unter enger Berücksichtigung der historischen und politischen Umstände jener Zeit, verstärkt mit der Bedeutung Friedrich Wilhelms II. als Förderer der Künste und Wegbereiter des frühen preußischen Klassizismus. Die neugewonnenen Erkenntnisse machen somit eine grundlegende Neubewertung des Schaffens und Wirkens des damaligen Monarchen zwingend notwendig.
So wird auch im Folgenden, neben einer umfangreichen Aufnahme des Bestandes des Potsdamer Marmorpalais und des sich ihm anschließenden Neuen Gartens zu Zeiten seiner Entstehung im späten 18. Jahrhundert, die Wirkung Friedrich Wilhelms II. auf die Entfaltung der Künste in Preußen – mit samt ihren frühklassizistischen Tendenzen – Gegenstand dieser Arbeit sein, ohne jedoch die historischen und politischen Kontexte jener Zeit außer Acht zu lassen. Dabei werden das Marmorpalais sowie der ihm anschließende Neue Garten als Ausgangspunkt einer neuen Kunstepoche, das Zentrum dieser Ausführungen bilden, um so auf etwaige Vorbilder und architektonische Auseinandersetzungen mit anderen Schlossanlagen zu verweisen.
Bevor jedoch die Betrachtung der Gesamtanlage des Palais erfolgen kann, wird zuvor ein kurzer historischer Exkurs über die Entwicklung des Preußischen Königreichs im ausgehenden 18. Jahrhundert vorangestellt.
2. Die historische Entwicklung des Preußischen Königreichs im 18. Jahrhundert
Vom hohenzollerschen Königreich Preußen, dessen Ursprung die ehemalige Mark Brandenburg bildete, kann seit dem Jahr 1701 gesprochen werden. Am 18. Januar begründete der Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, im Audienzsaal des Königsberger Schlosses, die neue souveräne Monarchie durch seine Selbstkrönung zu Friedrich I. „König in Preußen“. Friedrich I. sah seiner Zeit bewusst von der Bezeichnung des „Königs von Preußen“ ab, da dies als ein Affront gegenüber dem Königreich Polen gewertet werden musste, das nach wie vor die Regentschaft über große Teile Westpreußens inne hatte. Erst Friedrich II. sollte sich nach der Festigung Preußens als europäische Macht, als „König von Preußen“ bezeichnen. In Folge der Erlangung der Königswürden vervielfachten sich die Staatsausgaben des jungen Königreichs, die sich neben der Förderung der Kunst und der Wissenschaft, auch auf ein hohes Maß an höfischen Repräsentationskosten nach französischen Vorbild zurückführen ließen, die den Staat an den Rande des Bankrotts führten. Als Stifter der Berliner Akademie der Künste, sowie als Auftraggeber des barocken Berliner Schlosses, eröffnete Friedrich I. jedoch eine weitgehend stete Tradition der Preußischen Monarchen als Wegbereiter und Förderer der Künste.3
2.1 Friedrich Wilhelm I.
Der Sohn des ersten Königs des Preußischen Reiches, Friedrich Wilhelm I., regulierte den stark in Schieflage geratenen Staatshaushalt, unmittelbar nach seiner Thronbesteigung im Jahr 1713, durch radikale Kürzungen der repräsentativen Ausgaben und protestantische Sparsamkeit. Aufgrund der Einführung eines zentralisierten Verwaltungsapparates, der Aufnahme mehrere tausender österreichischer Glaubensflüchtlinge, sowie der Umverteilung der Geldflüsse, konnte das preußische Finanzwesen schnell gesunden. Dies führte neben einer weitreichenden Justizreform auch zu einer Intensivierung des preußischen Gesundheitswesens, die ihren Höhepunkt in der im Jahr 1727 gegründeten Berliner Charité fand. Das Hauptanliegen Friedrich Wilhelm I. war jedoch der Aufbau einer schlagkräftigen militärischen Streitmacht, die im Stande war sich gegenüber den europäischen Großmächten behaupten zu können. In Folge der militärischen Reformpolitik, die neben der massiven zahlenmäßigen Aufrüstung auch die Erneuerung der Kampfausrüstung umfasste, gelang es dem König zum Ende seiner Regentschaft das viertgrößte Heer Europas aufzustellen und neben Frankreich, Österreich, Russland und Großbritannien zu einer fünf Pentarchie-Mächte aufzusteigen.4
2.2 Friedrich II.
Kurz nach seinem Regierungsantritt im Jahr 1740, erhob der neue preußische König Friedrich II. gegenüber dem Österreichischen Königreich Ansprüche auf die Provinz Schlesien, was neben dem ersten und zweiten „Schlesischen Krieg“ zwischen den Jahren 1740 bis 1745, auch den „Siebenjährigen Krieg“ zwischen den Jahren 1756 bis 1763 zur Folge hatte. Durch den militärischen Sieg und den nun geltenden Hoheitsanspruch, stieg das Königreich Preußen zu einer anerkannten europäischen Großmacht auf. Neben der territorialen Erweiterung des Staatsgebietes, verfolgte Friedrich II. zudem das Ziel die Bevölkerungszahl Preußens zu erhöhen, um seine eingeschlagene Expansionspolitik weiter voranzutreiben. Dies gelang ihm durch die Einführung neuer humanistischer Maßstäbe des aufgeklärten Absolutismus, die unter anderem die absolute Glaubensfreiheit gewährleistete, oder aber durch die Abschaffung der Folter und die Lockerung der staatlichen Zensur. Neben der Erweiterung des heimischen Gebietes zeichnete sich der damalige König jedoch auch auf dem Gebiet der Kunst und Kultur aus. In seiner Amtszeit entwickelte sich der Stil des friderizianischen Rokokos, das seinen exemplarischen Höhepunkt in der Errichtung des Schlosses Sanssouci zwischen den Jahren 1745 bis 1747 fand. Hier versammelte er regelmäßig die geistige Elite des Landes, darunter auch den französischen Philosoph Voltaire (1694-1778).5
2.3 Friedrich Wilhelm II.
Nachdem Friedrich Wilhelm II. seine Regentschaft im Jahr 1786 angetreten hatte, erfolgte eine Annäherung an das Österreichische Königreich, das schließlich in einem Bündnis der Großmächte, gegen die französischen Revolutionstruppen Napoleon Bonapartes I. (1769-1821) mündete. Aufgrund der zweiten und dritten „Polnischen Teilungen“ in den Jahren 1793 und 1795, konnte das Königreich Preußen seine Außengrenzen nach Osten hin erweitern und das Reichsgebiet so auf seine historische größte Fläche ausdehnen. Dies und der ebenfalls im Jahr 1795 beschlossene „Frieden von Basel“, welcher der jungen Republik Frankreich den Abtritt des linksrheinischen Gebietes, sowie die Aufkündigung der antirevolutionären Allianz zusicherte, trieb Preußen jedoch in eine weitgehend aussichtslose Isolation, die über ein Jahrzehnt anhalten und den Staat politisch langfristig schwächen sollte.6
Auf dem Gebiet der Kunst hingegen verhalf Friedrich Wilhelm II. dem Staat zu einer neuen Blütezeit. In keinem anderen Metier wurde dies deutlicher als auf dem Gebier der Architektur. Das Bestreben das bis dato allgegenwärtige friderizianische Rokoko abzulösen, um so eine neue Stilepoche in der preußischen Geschichte einzuleiten war groß. In Folge dieser Umwälzungen wurde der deutsche Architekt und Architekturtheoretiker Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736-1800) vom Fürstentum Anhalt-Dessau, das zu jener Zeit unter anderem die Vorreiterrolle auf der Sektion der Gartenkunst im deutschen Gebiet inne hatte, in beratender Funktion verpflichtete.7 Dessen Umgestaltungen einiger Räumlichkeiten im Jahr 1786, darunter auch das Schlafzimmer, sowie das Arbeitszimmer Friedrich II. im Schloss Sanssouci, werden heute als eine Art Signal der beginnenden künstlerischen Umwälzungen im damaligen Preußen gewertet.8 Dennoch beschränkt sich der Aufbruch zum preußischen Frühklassizismus nicht nur allein auf die Architektur. In nahezu allen Bereichen der bildenden Kunst kam es umfangreichen Erneuerungen. Während in der Gartenkunst Gesellen verpflichtet wurden, die dem Ideal des englischen Landschaftsgartens folgten, berief Friedrich Wilhelm II. mit Johann Gottfried Schadow (1764-1850) im Jahr 1788 einen Bildhauer, der das Metier nicht nur in Preußen über Jahrzehnte hinweg prägen sollte. Weiterhin ließ der König weitreichende Renovierungs- und Ausbauarbeiten des Nationaltheaters, an dessen Spitze er August Wilhelm Iffland (1759-1814) installierte, sowie der Königlichen Hofoper in Auftrag geben. Die weitreichenden Reformen der Akademie der Künste unter dem neu benannten Kuratoren Heinitz, hatten durch die verbesserte Ausbildung der Handwerker nicht nur einen Anstieg der heimischen Produktion, sondern gleichzeitig auch deren qualitativen Steigerung zur Folge, mit der zugleich auch die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) ihre Hochzeit erlebte.9
Es bleibt also festzuhalten, dass der Einfluss des dritten preußischen Königs Friedrich Wilhelm II., auf dem Gebier der künstlerischen Weiterentwicklung des Staates von entscheidender Bedeutung war. Durch ihn wurde die langanhaltende Epoche des friderizianischen Rokokos, der sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts herausgebildet und verfestigt hatte, abgelöst und eine frühe Phase der klassizistischen Stilentwicklung in Preußen begründet. Die Berufung des deutschen Architekten und Architekturtheoretikers Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff vom damaligen stilistischen Vorreiter, dem Fürstentum Anhalt-Dessau, spielte dabei zentrale Rolle. In seiner beratenden Funktion leitete er die künstlerische Erneuerung des preußischen Staates ein.
Der vorausgegangene Exkurs über die allgemeine politische und künstlerische Entwicklung des Preußischen Königreichs unter seinen Regenten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, führt nun unmittelbar zu einer näheren Betrachtung der Gesamtanlage des Marmorpalais und des Neuen Gartens am Heiligen See, die wie kein anderer Komplex, exemplarisch für den frühklassizistischen Stil unter Friedrich Wilhelm II. steht. Um einen möglichst genauen Einblick in das Bauwerk und den ihm anschließenden Garten zu ermöglichen, erfolgt im Anschluss eine kurze Einordnung des historischen Kontextes der Gesamtanlage.
3. Die Anlage am Heiligen See – Ein histroscher Einordnung
Die Geschichte der Anlage beginnt mit dem Ankauf erster Teile des Grundstücks durch den 42-jährigen König Friedrich Wilhelm II. im Jahr 1783, also bereits drei Jahre vor seinem Regierungsantritt als preußischer König. An der Stelle des heutigen Marmorpalais befand sich zu diesem Zeitpunkt ein kleines, zweigeschossiges Landhaus mit Mansarddach, dem sogenannten Punschelschen Haus. Der Saal im Inneren wurde vorwiegend für festliche Anlässe genutzt. In Anbetracht der Nähe zum Flussufer, ließ Friedrich Wilhelm II. eine Anlegestelle mit Bootshaus errichten, die jedoch nach wenigen Monaten wieder abgerissen wurde. Nachdem der ehemalige Thronfolger die Regierungsverantwortung im Jahr 1786 übernommen hatte, entstand der Plan eines Neubaus auf der Analage am Heiligen See, der zunächst lediglich dem Charakter einer Villa entsprechen sollte.10 Ab dem Jahr 1787 wurde hierfür der deutsche Architekt Carl von Gontard (1731-1791) beauftragt, der erste Entwürfe für die Gestaltung des Palais vorlegte. Es handelte sich dabei um einen zweigeschossigen, kubischen Bau mit den Maßen 70 x 70 rheinländischen Fußes, in Anlehnung an Lord Burlingtons Villa in Chiswick mit den gleichen Maßen, welche wiederum nach dem Vorbild der im 16. Jahrhundert entstandene Villa Rotonda Palladios (1508-1580), mit den Maßen 68 x 68 venezianischen Fußes, entstanden ist.11 Bereits kurz nach dem Abschluss der ersten Bauphase im Jahr 1790 wurde der deutsche Architekt und Errichter des Brandenburger Tores, Carl Gotthard Langhans (1732-1808) am Königshof verpflichtet und neben Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff für die Gestaltung und Einrichtung der Innenräume eingesetzt. Nicht zuletzt weil das Palais für das Leben am Hof zu klein geworden war, sondern auch aufgrund des sich zunehmend verschlechternden Gesundheitszustandes des Königs, setzte der deutsche Architekt Michael Philipp Daniel Boumann (1747-1803) dem kubischen Bau in den darauf folgenden Jahren, mit einer angefügten, eingeschossigen Zweiflügelanlagen, einen architektonischen Schlusspunkt.12 Noch vor dem Abschluss dieser letzen Bauphase verstarb Friedrich Wilhelm II. im Herbst des Jahre 1797.
Das Marmorpalais war die bevorzugte Sommerresidenz des Königs und der Öffentlichkeit unzugänglich – sofern sich Friedrich Wilhelm II. in Potsdam aufhielt. Die politischen und gesellschaftlichen Unruhen und die bevorstehenden Umbrüche, die aufgrund der kurz vor dem Ausbruch stehenden Französischen Revolution im Jahr 1789 heraufzogen, war für den neuen Regenten, der eine gegenaufklärerische und konterrevolutionäre Haltung einnahm, Grund genug sich ein privates Refugium zu schaffen. Es handelte sich demnach um eine Periode des Umbruchs, was sich zum einen auch in der grundlegenden programmatischen Ausrichtung der architektonischen Formengabe des Palais, aber auch in der Gestaltung der ihm anschließenden Parkanlage widerspiegeln sollte. Folgerichtig wandte sich Friedrich Wilhelm II. bewusst von dem, von seinem Onkel Friedrich II. bevorzugten Barockgarten ab, um so auch in der Gartenkunst eine neue progressive Kunstepoche im Preußischen Königreich einzuläuten, woraus unter anderem auch der richtungweisende Name des Neuen Garten hervorgeht.13 Die preußischen Gärten sollten aus ihrem starren Korsett von Einheitlichkeit und Symmetrie befreit, Parterres durch Rasenflächen ersetzt werden und geschnittene Hecken verschwinden. Grundsätzlich wurde die Orientierung am weniger formalen, klassischen englischen Landschaftsgarten in den Fokus gerückt.14 Ein Problem bei der kurz- und mittelfristigen Planung für die Gestaltung der Anlage war jedoch der schleppende Ankauf des Grundstücks, der sich aufgrund der zahlreichen Grundstückseigner, vom Jahr 1787, bis hin zum Jahr 1792 verzögerte. Ein weiteres Problem waren die Vorbehalte und die allgemeine Skepsis mit denen die Hofgärtner Friedrich Wilhelms II., seinen Plänen und Vorstellungen gegenüberstanden. Aus diesem Grund wurde der am Hof Anhalt-Dessau tätige, deutsche Gartenkünstler Johann August Eyserbeck (1734-1818) für die Ausarbeitung und Umsetzung der weitreichenden Pläne am preußischen Königshof verpflichtet.15 In Folge seiner Arbeit rief er zahlreiche unterschiedliche Bauformen auf, die auf Bauten aus nahezu allen europäischen Ländern und Zeiten rekurrierten, um so den Aufbruch in das Zeitalter einer neuen Stilepoche einzuleiten. Neben der palladianischen Formensprache des Hauptbaus, wies die Anlage auch antik-römische (Küchenruine), barocke (Grünes Haus), ägyptische (Pyramide), holländische (Kavaliershaus), gotische (Bibliothek) und maurische (Tempel) Modulationen auf.
Der spätere Thronnachfolger Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) zeigte nur wenig Interesse für das entstanden Marmorpalais, sowie den ihm anschließenden Neuen Garten und ließ lediglich den Rohbau der Zweiflügelanlagen vollenden.16 Die Residenz blieb daraufhin über vierzig Jahre unbewohnt. Erst seine Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) setzte den Innenausbau weiter fort. Die Funktionen des Schlosses während des 20. Jahrhunderts waren von zahlreicher unterschiedlicher Natur. Im Jahr 1932 wurde das Palais der breiten Öffentlichkeit als Museum zugänglich gemacht. Während des Zweiten Weltkriegs erlitt das Marmorpalais starke Schäden, sodass es im Anschluss langjähriger Renovierungsarbeiten zunächst als Offizierskasino der Roten Armee, später dann als Armeemuseum der DDR zweckentfremdet wurde. Nach weitreichenden Rekonstruktionsmaßnahmen und einer erneut langen Phase der Restauration, konnte das Marmorpalais, sowie der ihm anschließende Ufer- und Gartenbereich, zum Ende des 20. Jahrhunderts wieder nahezu vollständig hergestellt werden.17
Der repräsentative Komplex des Marmorpalais und das Areal des Neuen Gartens bilden den Prototypen des preußischen Frühklassizismus unter König Friedrich Wilhelm II.. Während die architektonische Formensprache auf Bauten nahezu sämtlicher Regionen und Zeitalter des europäischen Kontinents zurückgreift, wurde die Gartenalge nach dem allgegenwärtigen Vorbild Dessau-Wörlitz, in Stile des klassischen englischen Landschaftsgartens angelegt und mit stilpluralistischen Staffagebauten ausgestattet.
In Folge der vorausgegangenen Einordnung des historischen Kontextes der Gesamtanlage, wird nun eine detaillierte Aufnahme des baulichen Bestandes des Marmorpalais zu Zeiten seiner Entstehung im letzen Drittel des 18. Jahrhunderts erfolgen, um so weitere architektonische Erkenntnisse und etwaige Hinweise auf mögliche Formenbezüge in Anlehnung an andere deutsche oder europäische Bauten gewinnen zu können.
4. Das Marmorpalais
Das Refugium des Marmorpalais, inmitten des Neuen Gartens am Heiligen Seen, befindet sich im nord-östlichen Teil Potsdams und gilt als das erste preußische Schloss im klassizistischen Stil18 Es handelt sich dabei um einen kubischen, zweigeschossigen Bau mit einem Flachdach, das von einem mit goldenen Putten besetzen Belvedere bekrönt wird, welches als Aussichtsplattform genutzt werden konnte und so einen Blick auf die damals noch unbebaute Seenlandschaft ermöglichte. Mit den Flügeln fasst das Gebäude 98 Räume und besitzt eine Gesamtlänge von 240 Metern.19 Damit ist der Komplex viermal so lang wie Schloss Sanssouci. Die Außenfassade wurde aus Backsteinen nach niederländischem Vorbild gemauert20, blieb unverputzt und wurde anschließend mit schlesischem Marmor verkleideten, woher auch der Name Marmorpalais abzuleiten ist.21 Ursprünglich lag der Haupteingang des Palais, bis hin zum Wechsel der Oberbaudirektion von Carl von Gontard zu Carl Gotthard Langhans im Jahr 1789, auf der gegenüberliegenden Seeseite. Jedoch konnte erst durch die Verlagerung des Eingangs auf die Landseite, eine repräsentative Anfahrt die den damals gängigen Würdeformeln entsprach, ermöglicht werden. Die Säulengänge des Palais werden von Fresken geschmückt, die Motive und Szenen aus der Sage der Nibelungen aufweisen. Dabei beginnt der Zyklus auf der linken Seite des Rundgangs, am Nordflügel und endet auf der rechten Seite des Südflügels.
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1 Gehlen, Stefan: Das Marmorpalais im Neuen Garten. Berlin / München 2015 (= Königliche Schlösser und Gärten in Potsdam).
2 Otte, Wilma: Das Marmorpalais. Ein Refugium am Heiligen See. München / Berlin (et. al) 2003.
3 Neugebauer, Wolfgang: Friedrich III./I. (1688-1713). In: Preussens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II. [Hrsg.: Kroll, Frank-Lothar]. München 2006, S.113-134 (= Beck’sche Reihe, Bd.1683).
4 Baumgart, Peter: Friedrich Wilhelm I. (1713-1740). In: Preussens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II. [Hrsg.: Kroll, Frank-Lothar]. München 2006, S.134-160 (= Beck’sche Reihe, Bd.1683).
5 Kunscih, Johannes: Friedrich II., der Große (1740-1786). In: Preussens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II. [Hrsg.: Kroll, Frank-Lothar]. München 2006, S.160-179 (= Beck’sche Reihe, Bd.1683).
6 Barclay, David: Friedrich Wilhelm II. (1786-1797). In: Preussens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II. [Hrsg.: Kroll, Frank-Lothar]. München 2006, S.179-197 (= Beck’sche Reihe, Bd.1683).
7 Vgl. Schönemann, Heinz: Die Künste unter Friedrich Willhelm II. Architektur. In: Friedrich Wilhelm II. und die Künste. Preußens Weg zum Klassizismus. Katalog zur Ausstellung der Stiftung für Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg vom 20.07.1997 bis 14.09.1997 [Hrsg.: Burkhardt, Göres / Baer, Winfried]. Berlin 1997, S.99.
8 Vgl. Burkhardt, Göres: Vorwort. In: Friedrich Wilhelm II. und die Künste. Preußens Weg zum Klassizismus. Katalog zur Ausstellung der Stiftung für Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg vom 20.07.1997 bis 14.09.1997 [Hrsg.: Burkhardt, Göres / Baer, Winfried]. Berlin 1997, S.99.1997, S.9.
9 Vgl. ebd., S.10.
10 Vgl. Gehlen, Stefan / Bartoschek, Gerd (et al.): Das Marmorpalais. Die Architektur. In: Friedrich Wilhelm II. und die Künste. Preußens Weg zum Klassizismus. Katalog zur Ausstellung der Stiftung für Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg vom 20.07.1997 bis 14.09.1997 [Hrsg.: Burkhardt, Göres / Baer, Winfried]. Berlin 1997, S.357.
11 Vgl. ebd., S.357.
12 Vgl. Gehlen 2015, S.3.
13 Vgl. Heilmeyer, Marina / Bach, Hans: Die Gärten der Könige. Stimmungsbilder aus den preußischen Gärten in Berlin, Potsdam und der Mark Brandenburg. Berlin / München, / New York 2009, S.130.
14 Vgl. ebd., S,130.
15 Streidt, Gert / Frahm, Klaus (et al.): Potsdam. Die Schlösser und Gärten der Hohenzollern. Köln 1996, S.115.
16 Otte 2003, S.6.
17 Vgl. Dorgerloh, Hartmut / Scherf, Michael: Preußische Residenzen. Königliche Schlösser und Gärten in Berlin und Brandenburg. München / Berlins 2005, S.116ff..
18 Vgl. Gehlen 2015, S.3.
19 Vgl. Abenstein, Edelgard / Fiedler, Jeannine: Berlin. Königswinter 2009, S.432. (= Kunst & Architektur).
20 Diese in Potsdam übliche Bautradition versinnbildlichte die Verbindungslinie des Königshauses Preußen, mit dem niederländischen Haus Oranien. Vgl. Gehlen / Bartoschek 1997, S.358.
21 Vgl. Gehlen 2015, S.2.