Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis I
1. Einleitung
2. Das Problem der Lebensmittelverschwendung
2.1. Begriffsbestimmungen
2.2. Dimension der Lebensmittelverschwendung entlang der Wertschöpfungskette
2.3. Auswirkungen von Lebensmittelverschwendung
2.4. Ursachen und Treiber von Lebensmittelverschwendung
3. Ansätze zur Verminderung der Lebensmittelverschwendung durch Endverbraucher
3.1. Klassische Instrumente
3.2. Der verhaltensökonomische Ansatz
3.3. Beeinflussung des Verbraucherverhaltens mit Hilfe verhaltensökonomischer Interventionen
3.3.1. Das Konzept des Nudging
3.3.2. Nudging als Instrument zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung durch Konsumenten
4. Empirische Befunde
4.1. Akzeptanz von Nudges durch die Konsumenten
4.2. Erinnerungs-Nudges
4.3. Defaults
4.4. Soziale Normen
5. Diskussion
6. Ausblick
7. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Lebensmittelverluste und -verschwendung nach Regionen
Abb.2: Internalitäten
1. Einleitung
Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehen weltweit rund ein Drittel der produzierten Lebensmittel verloren, d.h. sie werden nicht von Menschen verzehrt. Dabei verteilen sich die Einbußen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg auf Landwirtschaft, Industrie, Handel, Großverbraucher und Konsumenten[1] (FAO 2011, S. 9). Dadurch werden in hohem Maß unnötig Ressourcen verbraucht. Die Auswirkungen sind ökologischer, ökonomischer sowie sozialer Natur (Young et al. 2018, S. 1).
Der Lebensmittelsektor ist sehr komplex: Einerseits sind Teile der Welt charakterisiert durch Unterernährung, unsichere Nahrungsversorgung und durch Bevölkerungswachstum und Klimawandel belastete Ressourcen. Andererseits stehen die industrialisierten Regionen, in denen nur ein kleiner Teil des Haushaltseinkommens für Ernährung ausgegeben wird, vor Herausforderungen durch Überernährung und Fettleibigkeit (Aschemann-Witzel et al. 2017, S. 34). Insgesamt gibt aber die Größenordnung der verschwendeten Lebensmittel Anlass für eine genauere Betrachtung der Problematik.
In der Literatur werden verschiedene Ansätze zur Erreichung dieses Ziels diskutiert. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu untersuchen, ob der aus der Verhaltensökonomie stammende Ansatz des Nudging ein zielführendes Instrument darstellt, die Lebensmittelverschwendung auf der Ebene der Konsumenten zu verringern. Zuvor werden das globale Ausmaß der Lebensmittelverluste und die Verteilung entlang der Wertschöpfungskette dargestellt. Im Anschluss daran erfolgt eine theoretische Einführung in das Konzept des Nudgings und eine Abgrenzung zu anderen Instrumenten zur Steuerung des Konsumentenverhaltens. Durch Auswertung vorliegender Studien zum Einsatz von Nudges zur Prävention von Lebensmittelverschwendung soll die Wirksamkeit des Konzepts untersucht werden. Dabei wird das Konsumentenverhalten sowohl in privaten Haushalten als auch in der Außer-Haus-Verpflegung betrachtet. Die Betrachtung beschränkt sich hierbei auf Selbstbedienungs-Einrichtungen wie Buffet-Restaurants, Schul-Cafeterias, oder Universitäts-Mensen.
Die Forschungsfrage lautet: Können Konsumenten durch den Einsatz von Nudges zu einem bewussteren und ressourcenschonenderen Umgang mit Nahrungsmitteln motiviert werden und kann so die Lebensmittelverschwendung reduziert werden? Darüber hinaus wird untersucht, welche Nudges gegebenenfalls zu diesem Zweck eingesetzt werden können.
2. Das Problem der Lebensmittelverschwendung
2.1. Begriffsbestimmungen
Im Folgenden werden die dieser Arbeit zugrunde liegenden Definitionen zentraler Begriffe dargestellt.
Lebensmittel
Für den Begriff der Lebensmittel folgt die vorliegende Arbeit der Definition aus der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren:
„Im Sinne dieser Verordnung sind ‚Lebensmittel‘ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Zu ‚Lebensmitteln‘ zählen auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe — einschließlich Wasser —, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Wasser zählt hierzu unbeschadet der Anforderungen der Richtlinien 80/778/EWG und 98/83/EG ab der Stelle der Einhaltung im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie 98/83/EG“ (Europäisches Parlament 2002, Artikel 2).
Die Begriffe Nahrungsmittel oder Speisen und Getränke werden in dieser Arbeit synonym zum Begriff Lebensmittel verwendet.
Lebensmittelverschwendung
Eine einheitliche Definition, was unter Lebensmittelverschwendung zu verstehen ist, existiert nicht. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) unterscheidet zwischen Lebensmittelverlusten („food loss“) und Lebensmittelverschwendung („food waste“) (FAO 2011, S. 2). Dabei bezieht sich der Begriff Lebensmittelverluste auf den Teil der Wertschöpfungskette, der in die Erzeugung von für den menschlichen Verzehr bestimmter Nahrung mündet. Geschehen diese Verluste erst auf der Handels- oder Konsumentenebene, sind also bestimmt durch das Verhalten der Konsumenten oder des Handels, spricht die FAO von Lebensmittelverschwendung.[2]
Die Unterscheidung zwischen Lebensmittelverlusten auf der Anbieterseite und Lebensmittelverschwendung auf der Nachfragerseite ist nicht immer trennscharf. Auch könnte im Extremfall ein Lebensmittelverzehr, der über bestimmten Referenzwerten liegt, als Lebensmittelverschwendung bezeichnet werden. In der Folge müssten alle übergewichtigen Menschen als Lebensmittelverschwender betrachtet werden (Rutten 2013, S. 2). In weiteren Verlauf dieser Arbeit bezieht sich der Begriff Lebensmittelverschwendung bzw. Lebensmittelabfall auf die Reste von Mahlzeiten aus Privathaushalten sowie rohe und verarbeitete Lebensmittel, welche genusstauglich sind und dennoch vernichtet werden. Außerdem werden Tellerreste in der Außer-Haus-Verpflegung einbezogen. Dabei kann unterschieden werden zwischen vermeidbaren, teilweise vermeidbaren und nicht vermeidbaren Lebensmittelabfällen (Kranert et al. 2012, S. 12-13). Unter den vermeidbaren Lebensmittelabfällen verstehen die Autoren diejenigen Lebensmittelabfälle, die zum Zeitpunkt ihrer Entsorgung noch uneingeschränkt genießbar sind oder die bei rechtzeitigem Verzehr genießbar gewesen wären. Als „teilweise vermeidbare Lebensmittelabfälle“ werden Lebensmittelabfälle bezeichnet, die aufgrund von unterschiedlichen Gewohnheiten von Verbrauchern als teilweise vermeidbar eingestuft werden können, wie z.B. Brotrinden oder Apfelschalen. Diese Kategorie umfasst auch Mischungen aus vermeidbaren und nicht vermeidbaren Abfällen, wie Speisereste oder Kantinenabfälle. Die nachfolgenden Betrachtungen beschränken sich auf die vermeidbaren Lebensmittelabfälle.
Nachhaltiger Konsum
Der Nachhaltigkeitsbegriff wurde bereits 1987 im so genannten Brundtland-Report der Vereinten Nationen wie folgt definiert:
"…to make development sustainable to ensure that it meets the needs oft he present without compomising the ability of future generations to meet their own needs" (World Comission on Environment and Development 1987, S. 24).
Das bedeutet, künftige Generationen dürfen nicht schlechter gestellt sein als die heutigen. Es wird aber nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine gerechtere global räumliche Verteilung von Wohlstand und Wachstum angestrebt. Mit diesem Prinzip sind vermeidbare Lebensmittelverluste aus ethischer und ökologischer Sicht nicht vereinbar.
2.2. Dimension der Lebensmittelverschwendung entlang der Wertschöpfungskette
Nach Schätzungen der FAO geht rund ein Drittel der weltweit für den menschlichen Verzehr produzierten Lebensmittelmenge – ungefähr 1,3 Billionen Tonnen jährlich – verloren oder wird weggeworfen (FAO 2011, S. 4). Diese Verminderung der Menge an von für den menschlichen Verzehr bestimmten Nahrungsmitteln verteilt sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der landwirtschaftlichen Erzeugung bis hin zu den privaten Haushalten. In Ländern mit hohen bis mittleren Einkommen werden besonders viele Lebensmittel durch die Endverbraucher weggeworfen, die noch für den menschlichen Verzehr geeignet sind, während in ärmeren Ländern die Verluste überwiegend in den frühen und mittleren Stadien der Wertschöpfungskette auftreten und die Lebensmittelverschwendung auf der Konsumentenebene deutlich geringer ist.
Allerdings gibt es erhebliche Datenlücken bei der Erhebung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung, so dass die genannten Werte zum Teil auf Schätzungen und Annahmen beruhen. Insbesondere die Messung der Lebensmittelverschwendung auf Konsumentenebene ist problematisch, da Verbraucher in der Regel das Ausmaß ihrer eigenen Verschwendung in Befragungen unterschätzen (HLPE 2014, S. 47). Regelmäßig sind die von Konsumenten selbst in Befragungen dokumentierten Mengen geringer als die Mengen, die bei anonymen Untersuchungen der tatsächlichen Abfallmengen anfallen (Langen/ Göbel/ Waskow 2015, S. 73).
Die FAO-Studie ist bislang die einzige globale, alle Stufen der Wertschöpfungskette und alle Produktionssektoren umfassende Studie zu Lebensmittelverlusten und -verschwendung. Die Größenordnung von Verlusten und Verschwendung in Höhe von rund einem Drittel der produzierten Nahrungsmittel und die Unterschiede zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sind jedoch kohärent mit verschiedenen regionalen oder nationalen Studien bzw. mit Untersuchungen einzelner Sektoren (HLPE 2014, S. 28).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Lebensmittelverluste und -verschwendung nach Regionen (FAO 2011, S. 5)
Die Autoren der FAO-Studie beziffern die Lebensmittelverschwendung auf der Konsumentenebene in Europa und Nordamerika auf 95-115 kg pro Kopf und Jahr, während dieser Wert in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara und in Süd-/Südostasien lediglich bei 6-11 kg pro Kopf und Jahr liegt (FAO 2011, S. 5). Stenmarck et al. (2016, S. 4) sehen in den Ländern der Europäischen Union die Konsumenten als die Hauptverantwortlichen für die Lebensmittelverschwendung. Ihren Untersuchungen zufolge sind in den EU-Staaten die privaten Haushalte für rund 53 Prozent der verschwendeten Lebensmittel verantwortlich. In Deutschland entsorgt jeder Bundesbürger im Schnitt ca. 82 kg Lebensmittel pro Jahr (Waskow 2018, S. 7). Abbildung 1 illustriert die regionale Verteilung der Lebensmittelverluste und -verschwendung pro Kopf der Bevölkerung.
2.3. Auswirkungen von Lebensmittelverschwendung
Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten bei der Quantifizierung der Lebensmitteleinbußen im Verlauf der Wertschöpfungskette kann angesichts der Größenordnung davon ausgegangen werden, dass der mit dem Übergang von der Mangel- zur Überflussgesellschaft in den Industrieländern veränderte Umgang mit Nahrungsmitteln Folgen ökonomischer, ökologischer, sozialer und ethischer Natur hat (Young et al. 2018, S. 1). Vor diesem Hintergrund haben die Europäische Union, die Vereinten Nationen und verschiedene nationale Regierungen bereits Programme zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung aufgelegt (Hebrok/ Boks 2017, S. 381). Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat im Jahr 2015 die so genannte Agenda 2030 mit 169 Unterzielen für eine nachhaltige globale Entwicklung einstimmig verabschiedet. Unterziel 12.3. fordert, „bis 2030 die weltweite Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren…“ (Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015, S. 24).
Der monetäre Wert gekaufter und nicht verzehrter Lebensmittel wird in Großbritannien für den durchschnittlichen Haushalt auf ₤470 (ca. 530 €) pro Jahr geschätzt, für Familien mit Kindern sogar auf bis zu ₤700 (ca. 787 €) jährlich (Young et al. 2018, S. 2). Andere Studien haben Werte von ca. 1.600 US-Dollar (ca. 1.375 €) jährlich für eine vierköpfige Familie in den USA, 430 € pro Kopf und Jahr in Frankreich oder 310 € pro Kopf und Jahr in Deutschland ermittelt (Ponis et al. 2017, S. 1269). Diese Berechnungen zeigen, dass die Budgets der einzelnen Haushalte durch einen sorgsameren Umgang mit Nahrungsmitteln eine deutliche Entlastung erfahren könnten.
Die Verschwendung von verzehrfähigen Lebensmitteln wird zudem mit verantwortlich gemacht für die weltweit ansteigenden Preise für Nahrungsmittel. In der Folge können sich die Ärmsten immer weniger Nahrung leisten und die Zahl der mangelernährten Menschen steigt an. Damit hat Lebensmittelverschwendung direkte soziale Auswirkungen (Young et al. 2017, S. 2).
Die gravierendsten negativen Effekte der globalen Lebensmittelverschwendung sind aber möglicherweise die daraus resultierenden Umweltschäden. Waldflächen werden für die Lebensmittelerzeugung abgeholzt, zudem trägt insbesondere die Produktion tierischer Lebensmittel durch die Emission von Treibhausgasen zum Klimawandel bei (Young et al. 2017, S. 2). Schätzungen zufolge ist die Produktion von Lebensmitteln für 20 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich und 92 Prozent des globalen Wasser-Fußabdrucks, also des Süßwasserverbrauchs, sind der Landwirtschaft zuzuschreiben. Hinzu kommen Probleme wie Bodenverschlechterung, Überfischung und lokale Luft- und Wasserverschmutzung durch die Produktion von Nahrungsmitteln (Kallbekken/ Sælen 2013, S. 325). Vor dem Hintergrund, dass nach den FAO-Schätzungen weltweit ein Drittel der für den menschlichen Verzehr produzierten Lebensmittel verdirbt oder vernichtet wird, kann davon ausgegangen werden, dass Lebensmittelverschwendung einen substanziellen Beitrag zu Umweltveränderungen leistet, auch wenn dieser bisher wenig beachtet wurde (FAO 2011, S. 4). Würde die Erzeugung von Nahrungsmitteln, die niemals zum Verzehr gelangen, minimiert, könnte folglich ein Beitrag zum Erhalt der natürlichen Ressourcen geleistet werden.
Das Wegwerfen verzehrfähiger Lebensmittel hat also auf der einen Seite negative externe Effekte in Form der oben beschrieben ökologischen und sozialen Auswirkungen. Andererseits kommt es zu Internalitäten durch selbst getragene Kosten eines höheren Verbrauchs, welche jedoch zum Zeitpunkt der (Kauf-)Handlung nicht vollständig bedacht werden. Von Internalitäten wird gesprochen, wenn heute getroffene Entscheidungen eines Individuums negative Auswirkungen auf dessen Wohlbefinden, Wohlfahrt, etc. in der Zukunft haben (Schnellenbach 2014, S. 6). Neben den negativen ökonomischen Konsequenzen für das Haushaltsbudget durch zu viel gekaufte und nicht konsumierte Nahrungsmittel können zu den Internalitäten auch durch das eigene Verhalten hervorgerufene negative Emotionen gezählt werden. Konsumenten berichten, dass die Vergeudung von Lebensmitteln zuhause oder im Restaurant häufig von negativen Gefühlen wie Ärger, Scham oder Schuld begleitet wird (Jagau/ Vyrastekova 2017, S. 888).
2.4. Ursachen und Treiber von Lebensmittelverschwendung
Wie in Abschnitt 2.2 bereits gezeigt wurde, tritt Lebensmittelverschwendung durch Konsumenten in erster Linie in Industrieländern auf. Allerdings sehen sich auch Schwellenländer in zunehmendem Maß mit der Problematik konfrontiert. Einkommenszuwächse und demographischer Wandel haben über die letzten zwei Jahrzehnte zu einer Veränderung der Essgewohnheiten geführt. Dies zeigt sich u.a. in einem stark angestiegenen Verzehr verarbeiteter Nahrungsmittel und wachsendem Übergewicht in der Bevölkerung (HLPE 2014, S. 47). Insbesondere in Verbindung mit speziellen Ernährungsformen z.B. zur Gewichtsreduktion oder aus gesundheitlichen Motiven können Zielkonflikte auftreten. Einerseits erfordert der Diätplan Zurückhaltung bei der Nahrungsaufnahme, andererseits sollen aus dem Motiv der Nachhaltigkeit heraus, möglichst wenig Lebensmittelreste übriggelassen werden.
Lebensmittelverschwendung tritt in vielfältigen, häufig miteinander verknüpften Bereichen des alltäglichen Lebens auf. Einkaufsgewohnheiten spielen ebenso eine Rolle wie Lagerung, Zubereitung und Essverhalten (Hebrok/ Boks 2017, S. 382). Durch den Überfluss an preiswerten Lebensmitteln in wohlhabenden Ländern sinkt die Wertschätzung für diese Lebensmittel. Niedrige Preise für Nahrungsmittel können daher als ein möglicher Treiber für Lebensmittelverschwendung angesehen werden. Der Einfluss des Haushaltseinkommens hingegen ist unklar. Ein signifikanter Einflussfaktor auf das Verbraucherverhalten ist das Alter: In Großbritannien konnte gezeigt werden, dass Konsumenten über 65 Jahre weniger Lebensmittel verschwenden als alle anderen Altersgruppen (Hebrok/ Boks 2017, S. 383). Zumindest für die Industrieländer kann gesagt werden, dass Konsumenten genusstaugliche Lebensmittel wegwerfen, weil sie es sich leisten können, schlecht zu planen, zu viel zu kaufen und zu kochen oder Essen wegzuwerfen, das gerade nicht ihren aktuellen Konsumpräferenzen entspricht (Jagau/ Vyrastekova 2017, S. 882).
Das High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition (HLPE) der FAO hat die häufigsten Gründe für Lebensmittelverschwendung zusammengefasst (HLPE 2014, S. 48):
- Mangelnde Planung der Einkäufe führt oft dazu, dass mehr gekauft wird, als benötigt;
- Lebensmittel werden weggeworfen, weil Verbraucher Verfallsdaten bzw. Verbrauchsdaten nicht richtig interpretieren;
- Das häusliche Vorratsmanagement ist unzureichend;
- Es werden größere/mehr Portionen zubereitet als gegessen;
- Mangelhafte Zubereitungsmethoden bzw. fehlende Kenntnisse über Nahrungszubereitung und -verwertung.
Kameke und Fischer (2018, S.33) beschreiben, dass häufig die Motivation der Konsumenten, Lebensmittelabfälle zu vermeiden, zwar hoch ist, jedoch die dafür erforderlichen Kenntnisse im Umgang mit Lebensmitteln nicht in ausreichendem Maß vorhanden sind. Als wichtigste Kompetenz in diesem Zusammenhang nennen sie die Planung der Lebensmitteleinkäufe. Hier sehen die Autoren das größte Potenzial, um überschüssige Einkäufe zu vermeiden. Die Planung der Einkäufe umfasst dabei die Planung der Mahlzeiten, die Prüfung der Vorräte und die Benutzung einer Einkaufsliste.
Ein häufiges Phänomen ist auch, dass Reste einer Mahlzeit in den Kühlschrank gestellt werden, um sie später zu verzehren. Dies geschieht jedoch häufig nicht, sondern die Reste werden später weggeworfen. Sind sie verdorben, werden die mit dem Wegwerfprozess verbundenen Schuldgefühle reduziert. (Hebrok/ Boks 2017, S. 385). Auch der Ablauf des Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatums kann als Rechtfertigung dienen, über den tatsächlichen Bedarf hinaus bevorratete Lebensmittel ohne schlechtes Gewissen zu entsorgen (Langen/ Göbel/ Waskow 2015, S. 74).
Rund 25-30 Prozent der von Konsumenten verursachten Lebensmittelabfälle sind Tellerreste in der Außer-Haus-Verpflegung (Hartmann/ Hawes/ Simons 2016, S. 13). Als mögliche Gründe werden die Portionsgröße, der Geschmack der Speisen, Zeitdruck im Zusammenhang mit dem Kantinenbesuch, die Einstellung zu Lebensmittelabfällen, empfundene soziale Normen und die empfundene eigene Verhaltenskontrolle im Hinblick auf Lebensmittelabfälle genannt.
Neben Einstellungen, Werten und Präferenzen der Konsumenten spielen also auch die Entscheidungssituation und die bestehenden Handlungs- und Produktoptionen eine entscheidende Rolle. Systematisch werden zudem Konsumentscheidungen - auch für oder gegen ein nachhaltiges Konsumverhalten - durch systematische Fehlentscheidungen, so genannte Heuristiken und Biases, beeinflusst. Die Folge ist, dass eigentlich positive Einstellungen gegenüber nachhaltigem Konsumverhalten häufig nicht in reales Konsumverhalten übersetzt wird. Diese Kluft zwischen Einstellungen und tatsächlichem Verhalten wird als Attitude-Behavior-Gap bezeichnet (Thorun et al. 2017, S. 19). Auf Heuristiken und Biases wird in Kapitel 3 näher eingegangen.
Es muss betont werden, dass Konsumenten in der Regel nicht willentlich Lebensmittelverschwendung betreiben. Untersuchungen in Griechenland und Österreich haben gezeigt, dass Verbraucher durchaus willens sind, Lebensmittelabfälle zu vermeiden und im Zusammenhang mit dem Wegwerfen von Lebensmitteln negative Gefühle wie Schuld verspüren (Abeliotis/ Lasaridi/ Chroni 2014, S. 238). Zudem unterschätzt ein Großteil der Verbraucher die Menge der eigenen Lebensmittelabfälle. Häufig entstehen Lebensmittelabfälle im Zusammenhang mit Verhaltensweisen, die nicht als Verursacher von Lebensmittelverschwendung empfunden werden oder die nicht ohne weiteres verändert werden können, da sie Teil eines komplexen Lebensstils sind (HLPE 2014, S. 63). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Menschen öfters spontan außer Haus essen und folglich Schwierigkeiten haben, ihre Einkäufe darauf abzustimmen.
Nichtsdestotrotz ist die Ernährung häufig mit habitualisierten, wenig reflektierten Verhaltensweisen verknüpft (Kameke/ Fischer 2018, S. 34). Hier scheint sich ein interessanter Ansatzpunkt für den Einsatz verhaltensbasierter Methoden zu bieten. Daher wird im Folgenden die Anwendung von Nudges in diesem Zusammenhang näher betrachtet.
[...]
[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Endung bzw. Doppelung verzichtet. Der Plural bezeichnet grundsätzlich beide: Bürgerinnen und Bürger, Verbraucherinnen und Verbraucher, Konsumentinnen und Konsumenten.
[2] Andere Autoren unterscheiden die Begriffe Lebensmittelverluste und Lebensmittelverschwendung hingegen nach der Art oder dem Grund der Einbußen. Sind die Gründe verhaltensbedingt, freiwillig oder das Resultat einer bewussten Entscheidung, wird von Lebensmittelverschwendung gesprochen, andernfalls von Lebensmittelverlusten (HLPE 2014, S. 21). Aufgrund der besseren Abgrenzbarkeit folgt die vorliegende Arbeit jedoch der Definition der FAO.