Das Erzieherinnenideal bei Maria Montessori zwischen Mütterlichkeit und Profession


Hausarbeit, 2015

14 Seiten, Note: 1,3

Helena Westendorf (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die innere Vorbereitung der Lehrerin

3. Die Lehrerin als Hüterin und Wächterin der Umgebung

4. Vorbereitung und Gebrauchserklärung des Materials durch die Lehrerin

5. Die Lehrerin als Beobachterin

6. Fazit

7. Bibliographie

1. Einleitung

Maria Montessori (italienische Ärztin, Reformpädagogin, Philosophin und Philanthropin) und ihr pädagogisches Handeln und Denken waren geprägt von der Überzeugung, dass sich Kinder selbst, aus sich heraus, entwickeln können. Bei der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, welches das oberste Erziehungsziel darstellt, folgt das Kind einem inneren Aufbauplan. Montessori selbst stellte bei Beobachtungen von Kindern fest, wie intensiv Kinder sich in Tätigkeiten vertiefen können. Dieses Phänomen nannte sie die „Polarisation der Aufmerksamkeit.“ Sie folgerte aus dieser Beobachtung, dass alle Kinder lernwillig seien, wenn sie nur hinreichend Anregung vorfinden und zugleich nie gegen ihren Willen bestimmte Lernanforderungen bewältigen. Ihre Auseinandersetzung mit Schriften der Ärzte Edouard Seguin und J.M. Gaspard Itard stärkte sie in ihrer Annahme, wie sehr staatliche Institutionen Kinder an einer möglichen positiven Entwicklung hindern.

Da das Kind sich aus sich selbst heraus entwickelt, kann Erziehung nur darauf ausgerichtet sein, die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit zu unterstützen. Montessori forderte hierfür eine „neue Lehrerin“. Diese erkennt zum einen, dass die Methoden herkömmlicher Lehrer begrenzt und nicht auf die eigenständige Entwicklung des Kindes ausgerichtet sind. Zum anderen weist die neue Lehrerin durch eine spezifische pädagogische Grundhaltung Eigenschaften wie Geduld, Zurückhaltung und Passivität auf, sodass sie die Kinder ihren eigenen Beschäftigungen überlässt.

Ein oberflächliches Urteil über die „neue Lehrerin“ lautet allzu oft, dass dieses Modell zu geringe Anforderungen an die Lehrerin stelle. Dem Professionsprofil einer Lehrerin kommen nach Montessori aber wichtige und notwendige Aufgaben für die Entwicklung der eigenständigen Persönlichkeit eines Kindes zuteil. Montessoris Anforderungen bewegen sich hier zwischen Mütterlichkeit und Profession. Nach Montessori habe das weibliche Geschlecht einen besseren Zugang zu Kindern. Aus diesem Grund spricht sie auch immer von der „Lehrerin“. Wenn Kinder eine Lehrerin ähnlich wie eine Mutter als würdig und anziehend ansehen, können sie aus dieser mütterlichen Kraft Entwicklungspotenzial schöpfen. Dennoch wird von Montessori dem Erzieherinnenideal eine klare Profession zugeschrieben, da es sich ohne diesen Bestandteil nicht um eine Reformpädagogik handeln würde.

Wie sich diese Profession im Erzieherinnenleitbild ausdrückt, werde ich im Folgenden untersuchen, indem ich die Aufgaben der Lehrerin skizziere, erläutere und analysiere und so das genannte oberflächliche Urteil revidieren kann. Alle Tätigkeiten der Lehrerin sind das Ergebnis aktiver Vorbereitung und Anleitung und ihre spätere „Untätigkeit“ ist ein Zeichen des Erfolgs - sie stellt die erfolgreiche Erfüllung der Aufgabe dar: „ Ob ich anwesend bin oder nicht, die Klasse macht weiter.“

2. Die innere Vorbereitung der Lehrerin

Der erste Schritt den man bewältigen muss um eine „neue Lehrerin“ nach Montessoris Maßstäben zu werden, ist die eigene Selbstvorbereitung. Damit ist nicht die berufliche Vorbereitung als solche gemeint. Montessori negiert nämlich, dass eine Lehrerin ausschließlich mithilfe eines Studiums und reiner Anhäufung von Wissen ihren Aufgaben gewachsen ist. Eine herkömmliche Lehrerin, die allein diese Ausbildung erhalten hat, kann nicht so einfach in eine Montessori-Lehrerin umgewandelt werden. Dies geschieht erst, nachdem sie sich von pädagogischen Vorurteilen befreit und von vorgefassten Meinungen gegenüber dem Kind und ihrem Beruf gelöst hat. Es geht um eine neue Besinnung, eine neue Einstellung und um ein neues Vorstellungsvermögen. Das Kind bleibt unverstanden, wenn man es nach einem Erwachsenen beurteilt und ihm keine Kindheit zuspricht.1

Statt Bildung zu vermitteln, muss sie bei der Entwicklung behilflich sein, statt ihrer eigenen Aktivität steht die Aktivität des Kindes im Fokus. Sie schweigt statt zu reden und statt stolzer Würde muss sie Demut zeigen - nach den Worten Johannes des Täufers: „Es ist notwendig, dass er wächst und ich abnehme.“2

Montessori fordert somit eine ganz neue Haltung gegenüber den Kindern. Die Lehrerin muss das Positive im Kind sehen, welches sich erst durch das Vertrauen des Kindes in die Lehrerin und durch die eigene Arbeit des Kindes (Polarisation der Aufmerksamkeit) offenbart. Somit hat die Lehrerin sozusagen zunächst ein Kind vor Augen, das noch gar nicht da ist. Ihre Aufgabe besteht darin, die wahre Natur des Kindes zum Vorschein zu bringen, durch die vorbereitete Umgebung, die Gebrauchserklärung des Materials und ihrer passiven Rolle als Beobachterin. Die Lehrerin ist ein Bindeglied zwischen Umgebung und Material und interagiert auf diese Weise mit dem Kind.3

Des Weiteren muss sie methodisch sich selbst und ihr Handeln studieren, um so Mängel zu beseitigen, die eben diese Beziehung zwischen ihr und dem Kind verhindern. Das bedeutet nicht, dass die Lehrerin frei von Fehlern sein muss, aber sie darf dem Kind keinen Zorn und keinen Hochmut entgegenbringen, da dies den Zugang zum Kind versperrt. Der Erwachsene gilt für Kinder „als uneinnehmbare Festung der anerkannten Autorität, die er ganz einfach deswegen besitzt, weil er erwachsener ist.“ Zorn und Hochmut müssen somit klar von sich selbst erkannt und bekämpft werden.4

Insgesamt ist die „innere Offenheit für Spontanität und Niveauveränderung bei Kindern“5, die nicht vorauszusehen ist, zu respektieren. In der Selbstvorbereitung stellt sich die Lehrerin bewusst ein auf das, was sie erwarten wird. Wenn die Lehrerin nicht den Anforderungen ihrer Pädagogik entspricht, ihre Grundprinzipien nicht verinnerlicht hat, dann kann ihre Arbeit nicht zum Erfolg führen. Wenn sie sich diese Grundlagen aber aneignet, kann sie souverän alle Schwierigkeiten beseitigen.6

3. Die Lehrerin als Hüterin und Wächterin der Umgebung

Die Lehrerin erzieht nur indirekt durch die vorbereitete Umgebung, da von ihr die Anziehungskraft, die die Aufmerksamkeit des Kindes kanalisiert, ausgehen soll. Die vorbereitete Umgebung nimmt daher eine zentrale Stellung in der Montessori-Pädagogik ein und so wird wiederum eine große Bedeutung der Lehrerin beigemessen, da diese die Lernumgebung entsprechend der sensiblen Perioden vorzubereiten hat. Sensible Perioden sind nach Maria Montessori bestimmte Perioden der Empfänglichkeit, Schöpfung und Ausweitung in der kindlichen Entwicklung, die von vorübergehender Dauer sind. Sie dienen dazu bestimmte Fähigkeiten zu erwerben.7 Der erfolgreiche Erwerb dieser Fähigkeiten gelingt jedoch nur durch eine entsprechend vorbereitete Umgebung. Es gilt also als notwendig auf diese einzuwirken, um dem Kind eine freie und selbstständige Entwicklung zu ermöglichen. Anstatt dem Kind also Erklärungen und Kenntnisse aufzudrängen, die dieses eventuell in diesem Moment gar nicht ansprechen und entsprechen, dient die Lehrerein dem Kind. Sie ist nur aktiv, wenn sie das Kind mit der Umgebung in Beziehung bringt, also Konzentration gebündelt und Aufmerksamkeit auf bestimmte Materialien in der Umgebung gelenkt werden muss. Dafür entwickelte Montessori Sinnesmaterialien, die den inneren Bedürfnissen des Kindes im jeweiligen Alter und im jeweiligen Moment entsprechen. Um die Aufmerksamkeit zu fokussieren, muss die Lehrerin motivierend sein und jedes Mittel, außer der körperlichen Gewalt nutzen, um das Interesse der Kinder zu gewinnen. Die Lehrerin verhält sich wieder passiv, wenn die Beziehung zwischen Kind und Umgebung erfolgt ist.8

Zwar liegt das Hauptaugenmerk der Lehrerin auf der Umgebung anstatt auf dem Kind, dennoch muss bei allen Entscheidungen zur Gestaltung der Umgebung das Kind und seine Anforderungen in den Mittelpunkt gestellt werden. Montessori ging davon aus, dass der Wille des Kindes darauf ausgerichtet ist, Anforderungen selbstständig zu bewältigen. Die Lehrerin begleitet diesen Prozess. „Hilf mir es selbst zu tun.“9 Diese Forderung muss in die Tat umgesetzt werden und die Gestaltung der Umwelt eines Kindes ist für Maria Montessori so selbstverständlich wie „einen Zweig in einem Vogelkäfig zu befestigen.“10

So muss die Schuleinrichtung in den Proportionen des Kindes gestaltet werden, da die Umgebung des Erwachsenen keine anreizende Umwelt für das Kind ist. Die Lehrerin muss Mobiliar bereitstellen, welches die Kinder selbst bewegen und umstellen können. Leichte, kleine Tische, Stühle und leicht bewegliche Sessel bieten dem Kind die Möglichkeit sich die angenehmste Position zum Lernen auszusuchen.11 Hier wird auch das psychische Prinzip der Bewegungsfreiheit deutlich. Dem Kind wird Freiheit in seiner Bewegung, in seiner Aktivität und in seiner Spontanität zugesprochen um die Möglichkeit zu haben „die kindliche Seele spontan zu offenbaren.“ Unbeweglichkeit und Stille machen es dem Kind unmöglich mit der Umwelt in Kontakt zu treten, es findet keine Polarisation statt und das Kind kann nicht lernen. So bleiben auch die Bedürfnisse und die Neigungen der Kinder verborgen, die es jedoch zu entfalten gilt - mit Hilfe einer entsprechenden Umgebung.12

Die Lehrerin muss zudem auch für die Ästhetik in der Umgebung sorgen, wie zum Beispiel durch Bilder von Kindern an den Wänden, Pflanzen und Blumen. Die Lehrerin als Teil der Umgebung muss nach Montessori „selber anziehend sein, vorzugsweise jung und hübsch, charmant gekleidet, nach Reinlichkeit duftend, glücklich sowie auf anmutige und gütige Weise würdevoll.“13 Als passive Lehrerin muss sie Hindernisse, wie die eigene Autorität oder Tätigkeit beiseite räumen bzw. auf ein Mindestmaß reduzieren. Der Erwachsene muss sich allein den Bedürfnissen des Kindes verschreiben und ihm so zur Unabhängigkeit verhelfen. So lernt das Kind sich selbst zu genügen in einer Umgebung, die es bewahrt und beherrscht.

Hierfür muss auch das didaktische Material in seiner Menge, sowie Anordnung und Einzelheiten seiner Darbietung richtig geordnet sein. Diese aktive Aufgabe übernimmt die Lehrerin, da sie so nicht auf das Kind einwirkt und es stört. Die Aufmerksamkeit der Lehrerin wird auf die materielle Ordnung gelenkt. Sie muss alle Materialien und den Raum sauber halten, geordnet darstellen und die Folgen der Abnutzung durch den Gebrauch beheben. Des Weiteren hat sie die Vollständigkeit der Materialen zu überprüfen und sie anbietend zu positionieren. Das Kind besitzt jedoch auch selbst den Wunsch, die Gegenstände wieder an ihren Platz zu bringen und Unordnung zu beheben, da dies als anziehende Beschäftigung gilt. Dann muss sich die Lehrerin auch hier passiv verhalten und das Kind gewähren lassen.14

Die vorbereitete Umgebung ist somit eine Basis und bedingt die Entfaltung der Persönlichkeit, denn wenn man das Kind sich selbst überlässt, überlässt dieses sich seiner Intelligenz. Der Lehrerin als Hüterin und Wächterin der Umgebung kommen so große Anforderungen zuteil, wie Verantwortung und Gestaltungswillen, die man sich nur professionell aneignen kann - durch eine neue Haltung gegenüber dem Kind und seiner Entwicklung.

4. Vorbereitung und Gebrauchserklärung des Materials durch die Lehrerin

Neben der wichtigen Aufgabe, die Umgebung in perfekter Ordnung zu halten, indem die Lehrerin wie beschrieben, das Material in einem guten Zustand erhält und dafür sorgt, dass „jeder Gegenstand seinen festen Platz hat und jeder Gegenstand an den Platz zurückgestellt wird, an den er gehört“, besteht die Aufgabe der Lehrerin darin, die Kinder Schritt für Schritt in den Gebrauch aller Gegenstände, die sich in der Umgebung befinden, einzuführen.15

In aktiver Vorbereitung setzt die Lehrerin sich mit den Materialien auseinander, die Montessori selbst entworfen hat, um gezielt die Chance der Polarisation der Aufmerksamkeit zu erhöhen. Die Materialbereiche im Überblick wären: Das Sprachmaterial (z.B. Sandpapierbuchstaben), Sinnesmaterial (z.B. Farbtafeln), Mathematikmaterial (z.B. Bruchrechenkreise), Kosmisches Material (z.B. Tierpuzzle) und die Übungen des täglichen Lebens (z.B. Schuhe zubinden).

Durch die Bereitstellung wird die Aufgabe der Lehrerin aktiv. Sie muss das Material zur Überschaubarkeit mengenmäßig begrenzen und die typischen Charakteristika des Materials gewährleisten. Dies beinhaltet die Ästhetik, den Aktivitätsmoment (Kind kann mit Material handeln) und die Fehlerkontrolle. Erst dann ist das Material autodidaktisch und fördert einen eigenständigen Umgang. Dies wiederum führt zu Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.16

Auch wenn Kindern Materialien mit Aufforderungscharakter und Anziehungskraft in ihrer konkreten Umwelt zur Verfügung stehen und sie wünschen selbst zu handeln, kennen Kinder den Gebrauch der meisten Gegenstände in ihrer Umgebung nicht und können ihre konkrete Anwendung auch nicht erraten. Es besteht also die Notwendigkeit, den Kindern alles zu zeigen und diese in jede Handlung und Arbeit einzuführen. Somit wird die Zahl der Lektionen zunächst sehr groß sein.17

[...]


1 Oswald, Paul / Schulz-Benesch, Günther ( Hrsg.): Grundgedanken der Montessori-Pädagogik. 21. Auflage. Freiburg 2008, S. 105.

2 Montessori, Maria: Praxishandbuch der Montessori-Methode. In: Harald Ludwig ( Hrsg.) : Maria Montessori. Gesammelte Werke Band 4. 2. Auflage. Freiburg 2010, S. 10.

3 Holtstiege, Hildegard : Erzieher in der Montessori-Pädagogik. Freiburg 1991, S. 67.

4 Montessori, Maria: Kinder sind anders. 16. Auflage. Stuttgart 2012, S.207 ff.

5 Erzieher in der Montessori-Pädagogik 1991, S. 67.

6 Montessori, Maria: Dem Leben helfen. Hrsg. von Schulz-Benesch, Günther. o.A. 1992, S.67.

7 Hedderich, Ingeborg: Einführung in die Montessori-Pädagogik. München, Basel 2001, S. 139.

8 Grundgedanken der Montessori-Pädagogik 2008, S. 105 f.

9 Montessori, Maria: Zehn Grundsätze des Erziehens. Hrsg. von Becker-Textor, Ingeborg. 2. Auflage. Freiburg 2008, S. 61.

10 Grundgedanken der Montessori-Pädagogik 2008, S. 102.

11 Ebd. S. 106.

12 Ebd. S. 100.

13 Ebd. S. 106.

14 Kinder sind anders 2012, S. 156.

15 Praxishandbuch der Montessori-Methode 2010, S. 29.

16 Einführung in die Montessori-Pädagogik 2001, S. 41.

17 Dem Leben helfen 1992, S. 62.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das Erzieherinnenideal bei Maria Montessori zwischen Mütterlichkeit und Profession
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
14
Katalognummer
V499667
ISBN (eBook)
9783346020802
ISBN (Buch)
9783346020819
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erzieherinnenideal, maria, montessori, mütterlichkeit, profession
Arbeit zitieren
Helena Westendorf (Autor:in), 2015, Das Erzieherinnenideal bei Maria Montessori zwischen Mütterlichkeit und Profession, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/499667

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