Philosophische und politische Ethik von Albert Camus und seine Auseinandersetzung mit der kolonialen bzw. revolutionären Wirklichkeit der Algérie francaise


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

36 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung
1.1 Spannungsfeld 1: das Absurde
1.2 Spannungsfeld 2: eine biographische Zerrissenheit
1.3 Spannungsfeld 3: Philosophie und Prosa
1.4 Spannungsfeld 4: Philosophie und Politik

2. Eignet sich Fiktion zur Deutung politischer Positionen? Camus als petit blanc colonialiste ?
2.1 Der Mord des „ Fremden“ am Araber in l’Étranger
2.2 Camus’ „politische Biographie“
2.3 Camus Philosophie ist eine politische – seine Ethik auch
2.3.1 „Rettung des Menschen“
2.3.2 Kampf gegen die „injustice éternelle“
2.3.3 Revolte vs. Revolution
2.3.4 Mord
2.4 Verflechtung Werk – Epoche, literarische Produktion – theoretisches Werk

3. Camus und die Anfänge des algerischen Freiheitskampfes

3.1 Algerienwahrnehmung in Frankreich vor den Événements
3.1.1 Universalismus – Anspruch
3.1.2 Gerechtigkeit: eine Frage der Verteilung von Gütern
3.1.3 Der algerische Freiheitskampf
3.2 Die Position Camus bis 1945

4. Tränen und Schüsse im Land „qui invite au bonheur“
4.1 Warum wird Meursault verurteilt?
4.2 Meursaults defizitäre Revolte

5. Schlusswort

6. Bibliographie

7. Anhang Schaubild

1. Einleitung

Vor allem nach 1945 war Camus jemand der polarisierte und selbst zwischen allen Stühlen saß. Auffällig ist das Moment eines Spannungsverhältnisses zwischen zwei Kraftfeldern in vier Bereichen, die zusammengenommen (damit wird die These vorangestellt) doch Kohärenz und Schlüssigkeit liefert – nämlich dort, wo Inkohärenz nicht Defekt oder Unausgereiftheit sind, sondern selbst Teil einer komplexen, vielschichtigen und viele Sichtweisen zulassenden Konzeption; in seiner politische Ethik.

1.1 Spannungsfeld: das Absurde

Das "Absurde" bzw. die "Absurdität" ist der Schlüsselbegriff zum Verständnis von Camus’ Philosophie. Für Camus befindet sich der Mensch in einer absurden Situation. Das Absurde besteht für ihn aus dem Spannungsverhältnis zwischen der absoluten Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens (und des Todes) einerseits und der nie erfüllten Sehnsucht des Menschen nach einem Sinn bzw. sinnvollem Handeln. Der Mensch ist in eine sinnlose Welt geworfen und aus der Sinnlosigkeit gibt es kein Entrinnen. Absurdität und Geworfensein gehen parallel zu Sartre, der (zunächst) den Étranger folgerichtig als wichtiges Werk für den Existentialismus würdigt. Von dem Existentialismus Sartres allerdings hat sich Camus schon sehr früh distanziert.

Die permanenten Revolte ist die normative Antwort auf das menschliche So-Sein. Zwar gibt es keinerlei "Ausweg" aus der absurden Situation, dennoch kann das Absurde überwunden werden durch die – aporetische - Annahme eben dieser absurden Situation durch den Menschen und die Ablehnung der scheinbaren Lösung im Suizid. Vielmehr strebt er trotz allem (und auch das ist absurd) nach vorne[1]. Der Mensch ist genau wie bei anderen Vertretern des Existentialismus ein handelnder, drängender Mensch. Sinnbild für diesen "absurden Menschen" ist die mythologische Gestalt des Sisyphos (Essay: "Der Mythos von Sisyphos"). Dennoch löst sich der Widerspruch des Absurden durch diese „permanente Revolte“ nie ganz auf. Die Revolte ist notwendig, führt aber in gewisser Weise nie zum Ziel. Diese Sicht der Revolte entzweit Camus und Sartre, der die Revolte als (marxistische) Antwort auf die Geschichte mit der gegen die Absurdität des Menschseins in dieser Geschichte verknüpft. Sartres Heilsversprechen (Parallele Marxismus/Christentum?[2] ) führt aus dieser Spannung heraus. Camus Philosophie des Absurden verbleibt in ihr. Die Revolte ist eine emanzipatorische Selbstbehauptung des Menschen, allerdings eine zwar „immer erweiterte, doch nie vollendete Selbstbehauptung.“[3]

1.2 Spannungsfeld 2: eine biographische Zerrissenheit

Der zweite Bereich betrifft die Herkunft und die Lebenswege von Camus, die von Zerrissenheit geprägt sind. Wie die autobiographische Figur in Der erste Mensch bezahlt Camus den Aufstieg aus dem Elend „mit einer sozialen und kulturellen Schizophrenie“ unter der er „lebenslänglich zu leiden hatte, auf die aber auch seine Immunität gegenüber Ideologien zurückgeführt werden kann“[4]: auf der einen Seite die algerienfranzösische Bildungskarriere, der Reichtum, das Sprechen, die elitär-intellektuellen (und meist marxistischen) Zirkel im frz. Mutterland[5], die Würde des Résistance-Kämpfers – auf der anderen Seite die Armut[6], das Schweigen und der Analphabetismus (als Gegenpol vereint in der Person seiner Mutter), die tiefe Würde des Einfachen, Naturhaften und Demütigen[7] sowie die Sentimentalität für ein Algerien, in dem er sich unentrinnbar auch immer, wenigstens anteilig, auf der Seite der (antimarxistischen) Unterdrücker identifizieren und wiederfinden musste. Dem Schweigen kommt im Werk und Leben Camus’ eine besondere Rolle zu – nicht nur in Bezug auf das „Nicht-mehr-reden-wollen“ oder „Nicht-mehr-reden-können“ im Algerienkonflikt nach 1959 und seiner Erklärung in einer gescheiterten Philosophie und gescheiterten politischen Ethik, von der noch die Rede sein wird, sondern auch in Bezug auf ein bewusstes Schweigen als Antwort auf eine intellektuelle selbstverliebte Geschwätzigkeit, die unter ihrer Eloquenz das Wesenhafte des Lebens begräbt: Es ist kein programmatischer Anti-Intellektualismus[8], sondern eher eine bewusste Rückführung des Intellekts auf eine Sensibilisierung für die „Wahrheit“, die Camus im Vorwort zur Neuauflage von L’envers et l’endroit sagen lässt, im Widerwillen zur vanité und zum Rummel um die réputation seiner Zunft im Tout-Paris:

« Devant le compliment, ce n’est pas la fierté qui me donne cet air cancre et ingrat, que je connais bien, mais … un sentiment singulier qui me vient alors : ‘Ce n’est pas cela’. (…) Au contraire, relisant L’Envers et l’Endroit après tant d’années,…, je sais instinctivement…, que c’est cela. Cela, c’est-à-dire cette vielle femme, une mère silencieuse, la pauvreté, la lumière sur les oliviers d’Italie, l’amour solitaire et peuplé, tout ce qui témoigne, …, de la vérité »[9]

Die politische Tragödie Algeriens hat für Camus eine philosophisch-politische und eine private Dimension: eindeutige Parteilichkeit ist ihm doppelt unmöglich und so wird dieses innere Spannungsfeld auch zu einem äußeren: das Spektrum der Interpretation seines politischen und literarischen Wirkens reicht von der des aufrechten Kämpfers für die Rechte der Unterdrückten colonisés bis zu der des „moderaten Ultra-Kolonialisten“[10].

1.3 Spannungsfeld 3: Philosophie und Prosa

Hier schon beginnt sich ein drittes Spannungsfeld zu entfalten: Zu der unterschiedlichen Auslegung der Rolle Camus’ im Algerienkonflikt kommt eine dichotomische Rezeption seines gesamten Oeuvres hinzu. Camus’ Erfolg als Dichter steht in krassem Kontrast zu einem weitverbreitetem Urteil des „relativen Scheiterns als Philosoph“[11]. Während Rupert Neudeck[12] die bekannten Zuordnungsketten Sartre-Marx-Sartre und Camus-Nietzsche-Kierkegaard-Camus weiterverfolgt, belegt und herausstellt, wie Camus’ gesamtes Oeuvre philosophisch „imprägniert“ ist, erinnert Altwegg an die Vorurteile der Epoche, die Camus als „mittelmäßigen Moralisten“ und „Philosophen für Abiturklassen“[13] verhöhnte und selbst die glühende Camus-Anhängerin Germaine Brée macht deutlich: “Philosophische und ethische Probleme als solche interessieren ihn nicht“. Dies schließe allerdings philosophisches Bemühen nicht per se aus, aber meine mehr ein „Verstehen der Erfahrungen“, die für die künstlerische Umsetzung notwendig sei: Das Durchleuchten und Gestalten war Camus’ Ziel, „nicht um endgültige Antworten erteilen zu können, sondern um aus dem Chaos und der Gewalttätigkeit rings um ihn den Stoff herauszuschälen, .. der zu einem gültigen Kunstwerk gestaltet werden konnte“[14]. Ähnlich der Tenor bei Helmut Scheffel[15]: Zwar erinnert auch er an den berühmten Satz von Camus: „Ein Roman ist immer nur eine in Bildern umgesetzte Philosophie“[16] aber gleichzeitig relativiert er diese Aussage mit der „Verweigerung zu Transzendenz“ und „bedingungsloser Diesseitigkeit“, die nicht hedonistisch motiviert ist sondern „Liebe zum Leben in der Verzweiflung am Leben“. Das philosophische Bild – scheint Scheffel sagen zu wollen – wird gewissermaßen in dem zu Kunst gewordenen Gefühl des Absurden „erlöst“. Ähnlich gelagert ist die These Barilier’s, die philosophisches und literarisches Schaffen bei Camus in einem komplementären bzw. kompensatorischen Verhältnis sieht. Camus philosophisches System sei widerspruchsgeladen und inkohärent – die „Philosophie sei für den Autor des Homme revolté im Grunde genommen nur Vorwand („prétexte“) für die rein literarische Produktion“. In dieser aber erfülle Camus – „im abstrakten Denken in Systemen und Konzepten nicht zu Hause“ – die Forderung nach einer „Pluralität der Sinngebung“, nämlich in der „Bestrebung und Fähigkeit, der Absurdität der Welt und der menschlichen Existenz einen Sinn abzugewinnen. (...) Er negiert die historische Funktion der Literatur zugunsten ihrer metaphysischen Dimension“[17]. Diese These Bariliers wirkt dann plausibel, wenn man unterstellt, dass das Philosophisch-sinngebende sich nicht leichterhand aus der Prosa herauskristallisiert, sondern die Sinnstiftung sich durch eine Sinnentleerung, Sinnverwirrung und eines nachfolgenden „Trotzdem“ vollzieht, für das freilich auch keine metaphysischen Deutungen angeboten werden, allenfalls metaphysische Fragestellungen, die verschlüsselt bleiben und dem Leser nicht aufgedrängt werden. Die „Verweigerung von Transzendenz“, die Scheffel feststellt, müsste dann so formuliert werden: ein (trotzdem) möglicher Wert und Sinn im Leben liegt im Diesseits, im Leben selbst, im Nicht-Transzendentalen, aber die Begründung oder Erklärung hierfür könnte eine transzendentale sein.

Plausibel erscheint Bariliers These[18], dass eine Philosophie, die sich mit der gelebten und konkreten Existenz befasse, sich einen Schritt auf die Literatur zubewege, welche sich ihrerseits in ihrem metaphysischen Anspruch der Philosophie nähere. Mindestens Camus’ politische Philosophie könne heute nicht mehr „Gegenstand jener herablassen Verachtung sein“, stellt Altwegg abschließend fest und eben jene manifestiere sich deutlich im Premier Homme, in einem Werk, das überwiegend dem dichterischem Oeuvre zugeordnet wird.

1.4 Spannungsfeld 4: Philosophie und Politik

Der vierte Bereich, Camus politische Philosophie, bewegt sich im Spannungsfeld von Utopie und Realität (letztere im wesentlichen das Leben selbst). Sie ist gekennzeichnet durch das Verneinen von bloßer entwicklungshafter selbsterklärender Geschichtlichkeit und folglich - durch das Ablehnen von Herleitungen von Wahrheiten aus dieser Geschichte - eine politische Philosophie, die par excellence antitotalitär, ja überhaupt antiideologisch oder antisystemisch „denkt“. Diese musste zwangläufig so widersprüchlich und verletzbar bleiben, wie das (absurde) Leben selbst (und gerade deshalb kann von einem philosophischem Scheitern nicht gesprochen werden), aber vor allem bewegte sie sich gegen den Zeitgeist. Camus’ Eintreten gegen das „Einnisten der Utopie in der Realität“, gegen die Radikalisierung des politischen Denkens führte so auch zwangsläufig zum Bruch mit Sartre, der, die „linke“ intellektuelle Szene dominierend, möglicherweise gerade die Uneindeutigkeiten zu seiner Person im besetzten Paris mit aktionistischem Engagement und dauerrevolutionärer, mehr und mehr marxistischer, Rhetorik kompensierte[19]. Camus selbst beschreibt die Wirkungen dieses Spannungsfeldes in seinem Essay „ Ni bourreau, ni victime[20]:

„(...) Mit Ausnahme einiger Betrüger finden alle, von der Rechten bis zur Linken, ihre Wahrheit sei geeignet, die Menschen glücklich zu machen. Und doch führt die Gesamtheit dieses guten Willens zu unserer infernalischen Welt, in der die Menschen immer noch getötet, bedroht, deportiert werden, in welcher der Krieg vorbereitet wird und in der es unmöglich ist, ein Wort zu sagen, ohne sogleich beschimpft oder verraten zu werden. Man muss also daraus schließen, dass zwar Leute wie wir im Widerspruch leben, dass wir aber nicht die einzigen sind und dass jene, die uns der Utopie bezichtigen, vielleicht in einer, zwar zweifellos anderen, aber schließlich kostspieligeren Utopie leben.“

[...]


[1] Deutlich wird in diesem Zusammenhang das Modell Kierkegaards, das „Sich-Selbst-Aufraffen“ aus den Abhängigkeiten der Umwelt in eine „emanzipatorische Selbstreflexion“, das er in seinem Werk Entweder – Oder aufzeigt.

[2] In der Aufrechterhaltung des Primats der Geschichtlichkeit gegen die griechisch-antike Naturanschauung sieht Camus eine „verblüffende“ Einigkeit zwischen Christentum und Marxismus. Vgl. hierzu: Neudeck, politische Ethik, 184.

[3] Vgl. hierzu Neudeck, politische Ethik, 182. Während das revolutionäre (also auch revolutionär-marxistische) Individuum die Tat (und folglich auch den Menschen; eig. Anm.) nach einer Idee formen will, „um eine Welt in theoretischem Rahmen zu erschaffen“ (Camus, Mensch in Revolte, 88) führt die revoltierende Bewegung des Einzelnen von der Erfahrung zur Idee. Sie bleibt immer an den Tatsachen orientiert, zu denen auch die Erfahrung einer unveränderbaren menschlichen Natur gehört sowie die zyklische Natur der Zeitgeschichte.
Vgl. hierzu auch Löwith, Abhandlungen, 160.

[4] Altwegg, Vichy, 194.

[5] Möglicherweise denkt Camus auch an sie, wenn er im Dezember 1954, auf Reisen im wunderbar „diesseitigen“ Italien, in sein Tagebuch notiert: „Ich bereue hier die stumpfsinnigen und schwarzen Jahre, die ich in Paris gelebt habe. Es gibt eine Vernunft des Herzens, von der ich nichts mehr wissen will, denn sie dient niemandem und hat mich an den Rand meines eigenen Verderbens gebracht“. Und an anderer Stelle: „Schon die Italiener im Zug ... hatten mir das Herz erwärmt. Ein Volk, das ich immer geliebt habe und das mich mein Exil (eig. Hervorhebung) in der ewig schlechten Laune der Franzosen spüren lässt“. (Tagebuch März 51 – Dezember 59, in: Camus, Licht und Schatten, 52, 61).

[6] Als der Vater 1914 gleich bei Kriegsbeginn in der Marneschlacht verwundet wird und stirbt, zieht die Mutter mit Albert und seinem älteren Bruder Lucien zurück zu ihrer spanischstämmigen verwitweten Mutter nach Algier in das Kleine-Leute-Viertel Belcourt. Hier trägt sie, zusammen mit ihrem unverheirateten, sprechbehinderten Bruder, einem Böttchergesellen, zuerst als Fabrikarbeiterin, später als Putzfrau zum Unterhalt der Familiengemeinschaft bei, die unter der Fuchtel der strengen Großmutter steht.

[7] „Ein Mensch macht so etwas nicht.. ein Mensch hält sich im Zaum ... und die Franzosen, die sich nicht im Zaum halten, sind auch keine Menschen“, lässt Camus Jacques Cormery in Der erste Mensch sagen, angesichts eines grässlich zugerichteten Kameraden. Altwegg (Vichy, 185) bemerkt hierzu: „In diesen Szenen, die der angeborenen Menschlichkeit der Analphabeten ein Denkmal setzen, steckt der Schlüssel zu Albert Camus’ politischer Philosophie“.
Brée (Gestalt und Werk, 73f) betont an vielen Stellen eine gewisse „demütige Schlichtheit“ bei Camus und zitiert aus dem Vorwort zur Neuauflage (1954) des Erstlingswerkes L’Envers et l’Endroit: „(...) jene Welt der Armut und des Lichts, in der ich lange Zeit gelebt habe und die mich dank der Erinnerung heute noch vor zwei gegensätzlichen ...Gefahren bewahrt, nämlich dem Ressentiment und der Sattheit.(...) Ich habe nach Kräften versucht, meine Natur den Forderungen der Moral entsprechend zu bessern. Aber ach, gerade das ist mir am schwersten gefallen! .. Der Mensch erscheint mir manchmal wie die wandelnde Ungerechtigkeit - ich sage dies in Gedanken an mich“.

[8] Wie beispielsweise in einer mystisch verbrämten, heuchlerischen Art eines Hermann Göring: „Wenn ich das Wort Esprit höre, lade ich den Revolver.“ Allerdings scheint Camus in späteren Jahren seine Herkunft aus sehr „einfachen Verhältnissen“ nicht ganz frei von Koketterie auch in Kontrast zum „totalen Intellektuellen“ Sartre (Bourdieu) zu betonen.

[9] L’envers et l’endroit, 24, 25.

[10] Für Wolf-Dietrich Albes etwa (Algerienkrieg, S. 81) wird aus einer anfänglichen Divergenz zwischen dem „colonisateur de bonne volonté“ des engagierten Journalisten Camus und dem konservativ-kolonialistischen Dichter Camus letztendlich eine sich in der „kolonialistischen Familiensaga“Le Premier Homme herausstellende Konvergenz.

[11] Vgl. z.B. das Urteil des Romanciers Étienne Barilier. In: Altwegg, Republik, 243.

[12] Vgl. Politische Ethik, 9ff.

[13] Vichy, 193.

[14] Gestalt und Werk, 17,18. Man könnte zustimmend hinzufügen, dass eine Philosophie des Zweifels und des Absurden, also ohnehin nicht erklärbaren, sich von dem Anspruch des systematischen philosophischen Durchdringens gewissermaßen freikauft. Der Widerspruch, über das denken zu müssen, was nicht denkbar sei, bleibt. Vergleichbar die Feststellung Sloterdijks, der Mensch könne nicht außerhalb seiner Person denken, ermöglicht doch erst das personale Wesen des Seins überhaupt das Denken (Kritik der zynischen Vernunft.)

[15] In seinem brillanten Nachwort zur Fischer-Ausgabe von Der Fremde, 119,120.

[16] Veröffentlicht im Alger Républicain in einer Besprechung von Sartres La Nausée, 1938.

[17] In: Altwegg, Republik, 243.

[18] Ebenda.

[19] Altwegg (Republik 73-83) stellt sich die berechtigte Frage, bis zu welchem Grad Sartre eben auch den „ideologischen Überbau“ für die erfolgreiche Verdrängung der Kriegs- und Kollaborationszeit lieferte – und zwar in mehrerer Hinsicht. Der Existentialismus wurde zur „offiziösen Philosophie des Résistance-Mythos“ durch eine gewisse Intellektualisierung und Abstrahierung des Problems der Verantwortung und des Handelns, welche die Helden der Résistance glorifizierte, den Nicht-Helden (auch Sartre) aber die Chance zu einem radikalen Neubeginn, einer seconde chance, offerierte. Diese findet sich im „de la Résistance à la Révolution “ wieder, der bewussten Verknüpfung der Zeit vor und nach 1944 („Wer waren die Münchner damals und heute“, fragt Sartre). Man darf allerdings auch fragen (Altwegg, Vichy, 190,191) inwiefern auch Camus den Prozess der Verdrängung der Kollaboration paradoxerweise zu seiner Ethik förderte, indem seine Dekonstruktion der Werte, und eine prinzipielle Unmöglichkeit von Gut und Böse in einer Welt, die an nichts glaubt, in einem ersten Denkschritt alles relativiert: „Eine Nation ist für ihre Helden und Verräter verantwortlich. Das gilt auch für die Zivilisationen. In dieser Hinsicht sind wir alle für den Hitlerismus verantwortlich“ (Die Krise des Menschen, 1946).

[20] Erschienen in der Zeitschrift Combat, dessen Chefredakteur er war, 1946, ein Jahr vor dem Erscheinen von La peste. Zit. Nach Altwegg, Vichy, S.189.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Philosophische und politische Ethik von Albert Camus und seine Auseinandersetzung mit der kolonialen bzw. revolutionären Wirklichkeit der Algérie francaise
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Romanistisches Institut)
Veranstaltung
Hauptseminar 17017
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
36
Katalognummer
V49970
ISBN (eBook)
9783638462945
ISBN (Buch)
9783656804048
Dateigröße
666 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Philosophie, politische Ethik und literarische Produktion finden sich bei Camus eng verzahnt bzw. sind sie zwangsläufig untrennbar. Diese Arbeit untersucht einigermaßen weit ausholend (Französischkenntnisse vorteilhaft - viele Zitate im Original) aber gleichzeitig fokussierend auf die "lecture coloniale" des L'étranger, unter anderem auch, ob der Vorwurf, unser "maître de conscience", der Nobelpreisträger Camus, sei nur ein "colonialiste de bonne volonté", zu rechtfertigen ist.
Schlagworte
Philosophische, Ethik, Albert, Camus, Niederschlag, Werk, Camus, Auseinandersetzung, Wirklichkeit, Algérie, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Bernhard Nitschke (Autor:in), 2005, Philosophische und politische Ethik von Albert Camus und seine Auseinandersetzung mit der kolonialen bzw. revolutionären Wirklichkeit der Algérie francaise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49970

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