Die Haube als Leitmotiv im "Helmbrecht"


Hausarbeit, 2017

16 Seiten, Note: 2,0

Helena Westendorf (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Inhalt des „Helmbrechts“

3. Einführung der Haube

4. Haubenbeschreibung

5. Haubeninterpretation und -analyse
5.1 Kleiderordnung für Bauern
5.2 Die Haubenmotive und ihre Bedeutung
5.3 Kritik am Ritterstand
5.4 Missachtung göttlicher Ordnung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Hauptproblem bei der Interpretation und der Analyse mittelalterlicher Texte stellt die andersartige Erfahrungs- und Lebenswelt dar, die den Menschen früherer Jahrhunderte gegenwärtig war. Literarische Werke des Mittelalters zu verstehen, bedeutet auch immer, die sozialen und religiösen Hintergründe zu durchleuchten. Eine angemessene Interpretation kann ohne ein fundiertes Vorwissen nicht gelingen.

So auch im vorliegenden Werk „Helmbrecht“ bei der Bedeutung und Interpretation des Gegenstandes Haube. Der moderne Rezipient ist zwar aufmerksam was ihm bekannte stilistische Elemente angeht, aber dennoch wird er nicht verstehen, was diese in dem damaligen Kontext bedeuten und darstellen. Was sagt diese Haube aus? Was bezweckt der Autor mit dieser? Ist sie als Leitmotiv für die Geschehnisse im „Helmbrecht“ zu verstehen?

Unter einem Leitmotiv versteht man ein künstlerisches Mittel, welches an einen zunächst außerkünstlerischen Inhalt gekoppelt ist und in der Gesamtheit des Werkes immer wieder zu finden ist. So können Farben, Stimmungen, Symbole, Personen, Tonfolgen, Sätze und vieles mehr als Leitmotiv verwendet werden.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, die genannten Fragen zu beantworten und die Funktion der „huabe“ zu deuten, um somit das Verständnis Wernhers des Gärtners „Helmbrecht“ zu erleichtern.

Beginnend werde ich die Handlung des „Helmbrecht“ darstellen, um eine kurze Rahmung und Kontextualisierung vorzunehmen, damit das Verständnis der Erzählung gewährleistet und ein Überblick vorhanden ist. Anschließend werde ich die Verse 1 -130 herausgelöst analysieren und somit die Haubenschilderung darstellen. Nach der textimmanenten Behandlung werden schließlich verschiedene Ansätze aus der Forschungsliteratur dargestellt, auch wenn sich die Forschung selten so einvernehmlich wie im Falle der Haube des Bauernburschen Helmbrecht äußerte: Das reich verzierte Kleidungsutensil wird in zahlreichen Darstellungen in den Rang eines Leitmotivs erhoben, welches das Heldenschicksal selbst verkörpert.

2. Inhalt des „Helmbrechts“

Die mittelhochdeutsche Versnovelle Helmbrecht wurde vermutlich zwischen 1250 und 1280 im bayrisch/österreichischen Raum von Wernher dem Gärtner verfasst und thematisiert in 1934 Verszeilen die Standessüberschreitung eines Bauernsohnes und sein anschließendes sündhaftes Leben.

Über die Herkunft oder die soziale Stellung des Dichters Wernher der Gärtner lassen sich keine Aussagen treffen, da keine urkundlichen Zeugnisse existieren. Der Name des Autors erschließt sich lediglich aus den Schlussversen des Märe. Diese Namensnennung veranlasste die Forschung zu vielfältigen Mutmaßungen und aus diesem Grund existieren über die Bedeutung des Namens unterschiedliche Erklärungsversuche: So wird der Name Wernher der Gärtner als realer Beruf, als Familienname, mit der Herkunft oder aber auch schlichtweg als Künstlername interpretiert. Aufgrund seiner reichen Kenntnisse über die geistliche Morallehre und die weltliche Literatur geht die jüngere Forschung jedoch von der Annahme aus, dass es sich um einen fahrenden Berufsdichter gehandelt hat.[1]

Ein weiteres Problem stellt die Frage nach der Datierung der Dichtung und so lassen sich über den Entstehungszeitraum des Werkes auch nur Mutmaßungen anstellen. In der Verszeile 217 beklagt Wernher jedoch den Tod des Dichters Neidhart. Somit muss die Versnovelle nach dessen Tod in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, sprich nach 1237, entstanden sein.[2]

Überliefert ist die Dichtung sowohl in einer Papierhandschrift aus dem 15. Jahrhundert als auch im Ambraser Heldenbuch, einer Pergamenthandschrift, die Hans Ried im Auftrag Kaiser Maximilians I von 1504-1515 schrieb. Diese beiden Handschriften weichen jedoch so stark voneinander ab, dass die Erstellung einer kritischen Textausgabe mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. „Während J.Bergmann im Jahre 1839 lediglich die Pergamenthandschrift veröffentlichte, erschien 1844 die erste kritische Ausgabe von M. Haupt.“[3]

Die vorliegende Ausgabe, herausgegeben, übersetzt und erläutert von Fritz Tschirch, gibt die Versnovelle wie folgt wieder : Hauptfigur und „Held“ der Dichtung ist der junge, gutaussehende Helmbrecht, Sohn des Gutsverwalters Meier Helmbrecht, welcher allen Ermahnungen und Warnungen seines Vaters zum Trotz, sich mit seinem bäuerlichen Stand nicht weiter identifizieren möchte und beschließt, die Standesgrenze zu überschreiten.[4] So beschafft er sich übermäßig prächtige Kleidung, dazu zählt auch eine kostbare, bestickte Mütze, und zieht mit einer Bande von jungen Burschen plündernd, raubend und mordend als Raubritter durch die Lande. Nach einem Jahr schließlich kehrt er für eine Woche zu seiner Familie zurück. Schnell sehnt er sich jedoch wieder nach seinen Untaten als Raubritter und nach den gegenwärtigen Geschehnissen am Hof, die geprägt sind von Trunksucht statt Minnesang und Schmeichelei statt Aufrichtigkeit. So verlässt er die Familie, diesmal mit seiner Schwester, die er an einen seiner Kumpanen verheiraten möchte. Nach der Hochzeit ereilt Helmbrecht dann die Strafe, die ihm der Vater vorausgesagt hat: Von einem Richter und vier Schergen wird er aufgrund seiner Freveltaten verstümmelt und geblendet, um ein Jahr später von Bauern, die er selbst in seinem „Ritterdasein“ beraubt und misshandelt hat, gehängt zu werden. Die kostbare und prächtige Haube, die er zuvor auf seinem gelockten Haar trug, liegt dabei vor ihm im Dreck.[5] Somit bildet die Haube den äußeren Rahmen für die Gesamtdichtung, da diese sowohl im Prolog, als auch im Epilog genannt wird.

3. Einführung der Haube

Bereits im prologus ante rem wird der Bauernbursche mit langer Haarpracht und einer kunstvollen gearbeiteten Mütze eingeführt. Der Prolog, der die Dichtung eröffnet, hat die Aufgabe, das Publikum attentus (aufmerksam), benevolens (wohlwollend gegenüber Autor und Textinhalt) und docilis (belehrbar) zu machen.

Inhaltlich erfährt der Rezipient zunächst, dass Helmbrecht lediglich durch glückliche Fügungen zu einer prächtig bestickten Mütze gekommen ist: Diese ist von einer Nonne angefertigt worden, die vom Glauben abgefallen und aus dem Kloster entflohen ist und sich nun, sozial entwurzelt, als alleinstehende Frau, ihren Lebensunterhalt mit Nähen verdienen muss.[6] Im Hinblick auf die moralische Bildfunktion der Haube sind also schon deren Herkunft und Fertigung mit einem Makel behaftet. Denn die Nonne konnte wie Helmbrecht nicht den Verlockungen des weltlichen Genusslebens widerstehen und wollte Privilegien und Errungenschaften eines anderen Standes nutzen und für sich beanspruchen. Somit verstößt sie, wie Helmbrecht, gegen die göttliche Ordo.[7]

Die Bildmotive der Haube, die die Nonne auf die Haube stickte, sind für das gebildete Publikum sofort wahrnehmbar und lassen auf eine adelige, für den Bauernstand unangemessene, Herkunft schließen. Sie weckt in Helmbrecht "hoffärtige" Gedanken und Träume vom leichten und angenehmen Leben als Ritter. Als er von seiner Mutter und der Schwester zudem noch feine Kleider und ein Schwert erhält, beschließt er seine Familie zu verlassen und das Ritterhandwerk zu erlernen. Diese Kleiderschilderung ist ein geschlossener Abschnitt. Im anschließenden Wechselgespräch schwingt die Kleidung als Auslöser für Meinungsverschiedenheiten zwischen Vater und Sohn weiter mit: Der Sohn rechtfertigt mit ihr seine Aufstiegspläne, der Vater übernimmt das Bild der zerrupften Haube in seine Warnungen – jedoch ist die Entscheidung Helmbrechts längst gefallen, in seiner Verkleidung fühlt er sich bereits als Ritter.[8] Seine Bestreben gehen aber nicht über die Festkultur des Ritterdaseins hinaus. Das bedeutet, dass er sich nicht an die ethischen Verpflichtungen dieses Standes binden will. Somit verstößt er eindeutig gegen schichtspezifische Ideale, denn der „mittelalterliche Ritter definiert sich gerade durch ein tätiges aktives Leben im Dienste humanitärer politischer und religiöser Werte.“[9] Im prologus ante rem wird jedoch nicht nur deutlich, dass Helmbrecht jegliche ritterlicher Bewährung scheut, sondern auch jede Form von bäuerlichen Arbeiten.

Dem Leser wird dadurch die Diskrepanz und Unstimmigkeit zwischen der größtenteils kostbaren Kleidung und dem Träger transparent gemacht. Dies geschieht durch die kritisch- ironische Beschreibung der Kleidung, indem der Autor mit traditionellen deskriptionsstilistischen Topoi, z.B. Wahrheitsbeteuerung, übertrieben agiert. Die Beteuerung, der Rock sei vom besten „seit“ entspräche heute etwa dem Lob auf die Stoffqualität einen Sackleinenkleides, da „seit“ ein besonders grobes Gewebe ist. Die vorgetäuschte Kostbarkeit und Seltenheit des Materials steht somit im deutlichen Widerspruch zu seiner wirklichen Art. „Der Dichter zeigt die fehlende Harmonie deutlich: Bäuerliche Machart neben stutzerhaften Schnitt, höfische Zierart neben groben Material.“[10] Der Dichter will also zu Anfang durch auflockernde Kommentare und Wertungen und durch Miteinbeziehung des Publikums bei der Beschreibung der Kleidung die Aufmerksamkeit und das Interesse auf die Bedeutung dieses Abschnittes für die Erzählung und das Geschehen lenken.

Zusammenfassend bleibt die Haubenschilderung im prologus ante rem zunächst ohne unmittelbaren Zusammenhang zur Handlung. Sie erfüllt jedoch zwei wichtige Funktionen: Die Haltung des Publikums gegenüber dem folgenden Geschehen wird im Voraus festgelegt und die Kleiderschilderung dient als Veranschaulichung von Helmbrechts Wesen und Charakter. Keine Sprache und auch keine Bemerkung des Dichters gibt über das Denken und Fühlen des jungen Mannes Auskunft- dies geschieht lediglich über die Beschreibung der Haube.

4. Haubenbeschreibung

In epischer Breite beschreibt Wernher der Gärtner die Haube und die Mühen die mit dieser Beschreibung verbunden sind. Auf welche Art und Weise er dies tut, wurde bereits oben erläutert. Doch wie sieht die Haube nun aus? Sie ist äußerst aufwendig gestaltet, so wird zweimal erwähnt, dass die Stickerei mit Seidenfäden ausgeführt wurde. Dies verstärkt den Eindruck der Kostbarkeit und sie nimmt einen höheren Stellenwert ein als die übrige Kleidung. Auch die bildlichen Motive sind besonders auffallend: Auf dem Scheitel ist die Haube mit verschiedenen Vögeln besetzt. Auf der rechten Seite sind die szenische Darstellung der Belagerung und Eroberung Trojas und die Flucht des Aeneas abgebildet. Die Belagerung und Eroberung Trojas geht auf den Raub Helenas durch Paris zurück, was für die spätere Analyse noch von Relevanz ist. Auf der linken Seite der Haube befindet sich der Kampf Karl des Großen im Verbund mit Roland und dessen Gefährten gegen die Heiden. Somit ist auf der Haube sowohl die griechische als auch die deutsche Heldenepik vertreten. Hinzu kommt, dass der hintere Rand die Schlacht bei Ravenna, auch als Rabenschlacht bekannt, darstellt und der vordere Rand mit einer höfischen Tanzszene bestickt ist.[11] Diese Aufteilung lässt die Forschung vermuten, dass die Haube ursprünglich dazu diente, den Druck eines Ritterhelmes zu lindern und zu vor Hitze und Rost zu schützen.[12]

[...]


[1] Lehmann-Langholz, S. 194.

[2] Ebd., S. 195.

[3] Lehmann-Langholz, S. 194 f.

[4] Wernher der Gärtner, V. 195 ff.

[5] Ebd., V. 1875 ff.

[6] Weben und Nähen gehörten seit jeher zum alltäglichen Tätigkeitsbereich der Frau. Im Spätmittelalter gewinnt diese Rolle jedoch neue Dimensionen, da die Frauen als Gewerbetreibende in den Städten immer mehr Einfluss erlangen.

[7] Raudszus, S. 164.

[8] Prasse, S. 166.

[9] Raudszus, S. 167.

[10] Prasse, S. 167.

[11] Wernher der Gärtner, V. 20 ff.

[12] Wirtz, S. 445.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Haube als Leitmotiv im "Helmbrecht"
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
16
Katalognummer
V499713
ISBN (eBook)
9783346020390
ISBN (Buch)
9783346020406
Sprache
Deutsch
Schlagworte
haube, leitmotiv, helmbrecht
Arbeit zitieren
Helena Westendorf (Autor:in), 2017, Die Haube als Leitmotiv im "Helmbrecht", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/499713

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