Kardiovaskuläres Risikomanagement. Eine ganzheitliche Herausforderung


Doktorarbeit / Dissertation, 2012

49 Seiten, Note: summa cum laude


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Grundsätzliches zur Pathophysiologie kardiovaskulärer Erkrankungen

2. Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen

3. Hintergrund und wesentliche Inhalte der in die Dissertation aufgenommenen Arbeiten

4. Zusammenfassung und Diskussion

5. Referenzen

6. In die Promotionsarbeit aufgenommenen Arbeiten

7. Angaben zum Eigenanteil

1. Grundsätzliches zur Pathophysiologie kardiovaskulärer Erkrankungen

Kardiovaskulären Erkrankungen liegt die Atherosklerose zugrunde, eine Erkrankung von mittleren und größeren Blutgefäßen. Sie ist charakterisiert durch die Ablagerung von Lipiden, im Besonderen von Cholesterin, von Kalzium und von nekrotischem Material in der Gefäßwand, was zur Einengung des Gefäßlumens und damit zur Obstruktion des Blutflusses führt 1. Atherosklerose ist grundsätzlich ein diffuser Prozess, der verschiedene Gefäß-Territorien betreffen kann. Je nach betroffener Blutstrombahn manifestiert sich die Atherosklerose klinisch als koronare Herzerkrankung (KHK; bei Befall der Herzkranzarterien), als ischämischer Schlaganfall (bei Befall der hirnversorgenden Gefäße), oder als peripher-arterielle Verschlusskrankheit (bei Befall der Extremitätenarterien).

Die Atherosklerose beginnt bereits sehr früh im Leben. Schon bei Kindern kommt es zur Ablagerung von Lipiden in den Gefäßwänden. Diese Ablagerung von Lipiden wird wesentlich begünstigt durch eine Dysfunktion des Endothels, der Innenauskleidung der Gefäße. Wenngleich diese Dysfunktion selbst reversibel ist, wird sie doch als erster Schritt in der Atherogenese gesehen 2. Ursache für die Dysfunktion des Endothels wiederum sind schädigende Einflüsse wie oxydierte LDL-Partikel, Hypoglykämie, arterielle Hypertonie oder Toxine aus dem Zigarettenrauch, also die klassischen Risikofaktoren für eine kardiovaskuläre Erkrankung 3.

Nach der initialen Endothelschädigung folgt eine Entzündungsantwort, die Endothelien produzieren Zytokine, exprimieren Adhäsionsmoleküle wie ICAM-1, VCAM und Selektine. Es kommt zum Andocken von Leukozyten an die Gefäßwand und zum Eindringen dieser Zellen in den subendothelialen Raum. Monozyten nehmen Lipide auf und bilden die charakteristischen Schaumzellen der frühen Atherosklerose 4,5. Diese Läsionen erscheinen klinisch als fatty streaks; diese Strukturen sind bereits bei Kindern zu beobachten 6. Der Progress der Erkrankung ist begleitet von einer reaktiven Bindegewebsvermehrung an der Stelle der Gefäßschädigung. Es bildet sich eine fibröse Plaque. Glatte Muskelzellen proliferieren und migrieren von der Tunica media in die Tunica adventitia. Angetrieben wird dieser Prozess durch Mediatoren der beschädigten Endothelzellen 7,8. Die Kalzifikation bei Atherosklerose geschieht parallel intrazellulär (Mikrokalzifizierungen in glatten Muskelzellen) und extrazellulär, letzteres als Reaktion auf die Ablagerung nekrotischen Zellmaterials 9.

Diese Prozesse führen zunächst zur Einlagerung von pathologischem Material in das Innere der Gefäßwand, das Gefäß reagiert darauf initial mit einer Erweiterung, das Lumen bleibt normal; man spricht von vascular remodelling 10 -12. In diesem Stadium tritt noch keine Lumeneinengung auf. Im weiteren Verlauf (wenn der Kompensationsmechanismus des vascular remodelling ausgereizt ist) kommt es zur progredienten Lumeneinengung und letztlich zu funktionellen Problemen beim versorgten Endorgan. Ein akutes kardiovaskuläres Ereignis tritt auf, wenn eine atherosklerotische Plaque rupturiert 1. Es kommt dann nämlich zu einem direkten Kontakt des stark thrombogenen Inhalts des Atheroms mit dem Blutstrom. Das führt zur Thrombusformation, welche in sehr kurzer Zeit das Gefäß partiell oder komplett verschließt.

Nicht alle atherosklerotischen Plaques haben das gleiche Rupturrisiko 13. Besonders gefährlich sind Plaques mit einem großen lipidreichen Kern und einer dünnen fibrösen Kappe, die entzündet sind, man nennt solche Plaques unstabile Plaques 1. Wichtig ist, dass nicht nur Plaques, die starke Gefäßverengungen verursachen instabil sein können 14. Es ist deshalb möglich, dass ein Patient einen Herzinfarkt erleidet, der bislang noch keinerlei Beschwerden durch eine Gefäßverengung verspürt hat.

Zusammenfassend gibt es zwei grundsätzliche Mechanismen in der Pathophysiologie kardiovaskulärer Erkrankungen: die Atherosklerose und die Thrombose. Die Atherosklerose ist eine langsam über Jahrzehnte progrediente Erkrankung, die Thrombose ein akutes Ereignis auf dem Boden der Atherosklerose. Klinisch manifestiert sich die die progrediente Atherosklerose typischerweise als stabile Angina pectoris, oder als progrediente peripher-arterielle Verschlusskrankheit. Ein akutes Ereignis wie ein Myokardinfarkt oder ein ischämischer Schlaganfall widerspiegelt typischerweise die Thrombose auf dem Boden der Atheromatose. Man spricht deshalb auch von einem atherothrombotischen Ereignis.

2. Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen

Als diagnostische Kategorie schließt der Begriff kardiovaskuläre Erkrankungen (neben selteneren Manifestationen wie Nierenarterien-Stenosen oder Stenosen der Mesenterialarterien vier Hauptkategorien ein: Die KHK (diese wird klinisch manifest als Myokardinfarkt, Angina pectoris, Herzinsuffizienz oder als letztlich als koronar bedingter Todesfall), die zerebrovaskuläre Erkrankung (dies wird klinisch manifest als Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke), die periphere arterielle Verschlusskrankheit (die sich klinisch als claudicatio intermittens manifestiert) und die Atherosklerose der Aorta (mit den potentiellen Folgen eines thorakalen oder abdominellen Aortenaneurysmas). Mehr als die Hälfte aller Fälle von kardiovaskulären Erkrankungen gehen zu Lasten der koronaren Herzerkrankung. Das Lebenszeitrisiko für eine koronare Herzerkrankung liegt bei Männern bei annähernd 50%, bei Frauen bei 32% 15. Die koronare Herzerkrankung ist die Hauptursache für Sterbefälle in den meisten entwickelten Ländern, ihre Häufigkeit nimmt auch in Entwicklungsländern stark zu 16 -18.

Da den kardiovaskulären Erkrankungen die Atherosklerose bzw. die atherothrombotische Erkrankung zugrunde liegt, entspricht die Frage nach den Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen der Frage nach der Ursache für die Atherosklerose.

Zahlreiche große Studien haben die Ursachen für kardiovaskuläre Erkrankungen untersucht. Zum Beispiel hat die weltweit durchgeführte INTERHEART Studie gefunden, dass über 90% des Herzinfarktrisikos vorhergesagt werden können durch neun potentiell modifizierbare Faktoren: Rauchen, Dyslipidämie, arterielle Hypertonie, Diabetes, abdominelle Adipositas, psychosoziale Faktoren, der tägliche Konsum von Früchten und Gemüse (viel ist gut, wenig schlecht), regelmäßiger Alkoholkonsum (ist günstig) und regelmäßige körperliche Aktivität (ist ebenfalls günstig) 19. Im Folgenden sollen wichtige etablierte Risikofaktoren bzw. Risikomarker für kardiovaskuläre Erkrankungen kurz besprochen werden.

Diabetes mellitus

Patienten mit Diabetes haben ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen 20, die überwiegende Mehrheit von Patienten mit Diabetes stirbt letztlich an einem kardiovaskulären Ereignis 21. In Anbetracht des sehr hohen kardiovaskulären Risikos von Patienten mit Diabetes wird dieser in den aktuellen Leitlinien als Risikoäquivalent einer koronaren Herzerkrankung betrachtet 22. Das bedeutet, dass davon ausgegangen wird, dass ein Patient mit Diabetes aber ohne koronare Herzerkrankung die gleich ungünstige Prognose hat wie ein Patient der bereits an einer koronaren Herzerkrankung leidet. Neuere Arbeiten zeigen, dass das Risiko eines Patienten mit Diabetes nicht wirklich ganz so hoch ist wie das eines Patienten mit koronarer Herzerkrankung; Diabetes mellitus bleibt jedoch ein Hauptrisikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse 23,24. In der INTERHEART Studie war Diabetes verantwortlich für 10% aller ersten Myokardinfarkte 19.

Erwähnenswert ist, dass die den Diabetes mellitus definierende erhöhte Glukose nicht die Hauptursache für das erhöhte kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit Diabetes zu sein scheint. Eine aggressive Glukosesenkung löst nämlich nicht das Problem der makrovaskulären Komplikationen bei Patienten mit Diabetes 25 -27. Wichtiger scheinen die Lipide zu sein: Bei Patienten mit Diabetes ist eine Dyslipidämie mit niedrigem HDL-Cholesterin, hohen Triglyceriden und kleinen LDL-Partikeln ein sehr starker Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse 28,29, und eine aggressive Senkung des LDL-Cholesterins kann die Prognose von Patienten mit Diabetes entscheidend verbessern 30.

Chronische Nierenerkrankungen

Auch eine chronische Nierenerkrankung (definiert als eine glomeruläre Filtrationsrate <60 ml/min pro 1.73m² Körperoberfläche) wird in den aktuellen Leitlinien als Risikoäquivalent einer koronoren Herzerkrankung betrachtet 31. In der Tat ist eine eingeschränkte Nierenfunktion ein überragender Prädiktor kardiovaskulärer Ereignisse32. Es ist jedoch nicht unbedingt die Niereninsuffizienz die Ursache der Atherosklerose. Vielmehr erscheint es wahrscheinlich, dass eine eingeschränkte Nierenfunktion bereits das Vorhandensein von Atherosklerose widerspiegelt: Die Mehrzahl der Patienten mit Niereninsuffizienz leidet an einer vaskulären Nephropathie, die eben eine Folge der Atherosklerose ist.

Alter und Geschlecht

Mit zunehmendem Alter wird die Wahrscheinlichkeit für ein kardiovaskuläres Ereignis höher 33. Das liegt vor allem an einer weiter fortgeschrittenen Atherosklerose bei älteren Menschen. Während auch bei Frauen kardiovaskuläre Erkrankungen die häufigste Todesursache sind, ist das kardiovaskuläre Risiko bei Frauen deutlich niedriger als bei Männern. Der relative Unterschied im KHK-Risiko zwischen Männern und Frauen ist bei jüngeren Patienten am stärksten ausgeprägt. Der absolute Unterschied jedoch wird mit zunehmendem Alter noch größer 33. Fast die Hälfte des Risikounterschiedes zwischen Männern und Frauen ist erklärbar durch geschlechtsbedingte bzw. mit dem Geschlecht assoziierte Unterschiede in kardiovaskulären Risikofaktoren, im Besonderen das HDL Cholesterin zu Gesamtcholesterin-Ratio und des Rauchverhaltens 33.

Positive Familienanamnese für kardiovaskuläre Erkrankungen

Eine positive Familienanamnese für KHK ist ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse, vor allem bei jüngeren Menschen 34 -38. Eine relevante Familienanamnese kann angenommen werden, wenn ein Myokardinfarkt oder KHK-bedingter Todesfall bei einem erst-gradigen Verwandten (das bedeutet bei einem Elternteil oder Geschwister) vor dem Alter von 50 Jahren bei Männern bzw. vor dem Alter von 60 Jahren bei Frauen aufgetreten ist.

Arterielle Hypertonie

Die arterielle Hypertonie erklärte in der INTERHEART Studie 18% des Risikos für einen ersten Myokardinfarkt 19. Den aktuellen Leitlinien gemäß wird eine arterielle Hypertonie diagnostiziert bei einem Blutdruck von >140 mmHg systolisch und/oder einem diastolischen Blutdruck von >90 mmHg 39,40. Das erhöhte Risiko von Patienten mit arterieller Hypertonie erklärt sich zum einen durch direkte Belastung und Schädigung des Endothels durch den erhöhten Gefäßinnendruck, zum anderen durch mit arterieller Hypertonie assoziierte Risikofaktoren wie Diabetes mellitus oder metabolisches Syndrom 41

Lipide und Lipoproteine.

Lipide, im Besonderen das Cholesterin, spielen eine entscheidende Rolle in der Pathogenese der Atherosklerose. Eine sehr breite Evidenzbasis zeigt eine deutliche Risikoreduktion durch eine Senkung des LDL-Cholesterins mit Statinen 42. Nicht alle LDL-Partikel sind gleich atherogen. Kleinere, dichtere LDL-Partikel dringen leicht in die Gefäßwände ein, sind leichter oxydierbar und glykierbar als größere Partikel und bedingen deshalb ein besonders stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Kleine, dichte LDL-Partikel sind eng assoziiert mit niedrigem HDL-Cholesterin und erhöhten Triglyzeriden. Diese Kombination von Lipidstoffwechselstörungen tritt besonders häufig bei Diabetes mellitus und metabolischem Syndrom auf. Sie wird auch als diabetische Dyslipidämie bezeichnet 43.

Ein niedriges HDL-Cholesterin ist ein sehr starker Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse 28,29. Die Funktionen des HDL in der Pathogenese der Atherosklerose sind komplex: zum einen mediieren HDL-Partikel den reversen Cholesterintransport (also den Transport von Cholesterin aus der Peripherie, etwa aus der Gefäßwand, zurück zur Leber), zum anderen haben HDL-Partikel antioxydative und antiinflammatorische Eigenschaften, wirken antiapoptotisch, und schützen so die Gefäßinnenwände 44. Besondere Erwähnung verdient auch das Lipoprotein(a), welches strukturell ein modifiziertes LDL-Partikel mit einem zusätzlichen Glykoprotein, dem Apo(a) darstellt. Lipoprotein(a) ist stark atherogen; es ist im wesentlichen erblich determiniert. Lipoprotein(a) ist der wichtigste erbliche kardiovaskuläre Risikofaktor 45

Nikotinabusus

Rauchen ist ein sehr wichtiger und grundsätzlich reversibler Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Bei Rauchern ist das Herzinfarktrisiko um das Dreifache erhöht, bei Raucherinnen um das sechsfache (wenn zumindest 20 Zigaretten pro Tag geraucht werden, im Vergleich zu Menschen, die nie geraucht haben) 46,47. In der INTERHEART Studie erklärte das Rauchen etwa 36% des Myokardinfarktrisikos 19. Ein Nikotinstopp hat sehr deutliche günstige Auswirkungen auf das kardiovaskuläre Risiko. In einer Studie sank das Risiko auf einen erneuten Myokardinfarkt innerhalb eines Jahres um 50% nach dem Aufhören mit dem Rauchen und ähnelte dem Risiko von Nichtrauchern bereits nach zwei Jahren 48.

Ernährung

Der Konsum von Obst und Gemüse ist invers mit dem kardiovaskulären Risiko assoziiert 19,49 -54. In der INTERHEART Studie erklärt das Fehlen von Obst und Gemüse im Speiseplan etwa 14% des Risikos für einen ersten Myokardinfarkt 19. Auch eine erhöhte Ballaststoffaufnahme ist mit einem niedrigeren kardiovaskulären Risiko assoziiert (minus 19% Risiko pro 10g mehr Ballaststoffe) 49,50.

Körperliche Bewegung

Bereits ein geringes Ausmaß an körperlicher Bewegung hat günstige Auswirkungen auf das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse 19,55 -57. Das hat mehrere Gründe: Bewegung führt zu einem Anstieg des HDL-Cholesterins, zu einer Reduktion des Blutdrucks, und zu Gewichtsverlust. Die Insulinsensitivität wird erhöht, Diabetes wird verhindert bzw. die Stoffwechseleinstellung bei Patienten mit Diabetes wird verbessert. In der INTERHEART Studie erklärte ein Mangel an regelmäßiger körperlicher Aktivität 12% des Risikos für einen ersten Myokardinfarkt 19.

Alkoholkonsum

Epidemiologische Daten zeigen, dass ein moderater Alkoholkonsum mit einem niedrigeren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert ist 58. Betont muss allerdings werden, dass ein moderater Alkoholkonsum eine tatsächlich geringe Menge ist (max. 2/8 Wein für einen Mann bzw. 1/8 Wein für eine Frau) und dass dies nicht Ergebnisse aus randomisierten Studien sondern eben Beobachtungen aus epidemiologischen Studien sind. Ein Teil der günstigen Auswirkungen des moderaten Weinkonsums könnte durch nicht kontrollierte confoundig Variablen erklärt sein, wie etwa Sozialstatus oder Ernährungsverhalten.

Psychosoziale Faktoren

Die Forschung der letzten Jahre und Jahrzehnte hat die besondere Bedeutung psychosozialer Risikofaktoren unterstrichen 59. Psychisch bedingter Stress und Atherosklerose können sowohl direkt (via Endothelschädigung) als auch indirekt, über eine Verstärkung konventioneller Risikofaktoren wie Rauchen, Hypertonie oder Dyslipidämie miteinander verknüpft sein.

Depression

Die Major Depression nach DSM IV ist charakterisiert durch depressive Stimmung - eine länger andauernde, sehr intensive Form der Niedergeschlagenheit; der Lust-, Antriebs- und Interessenlosigkeit, sowie das Vermeiden von (besonders sozialen) Aktivitäten. Zu den körperlichen Symptomen zählen Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und Erschöpfungszustände. Diese sind oft nur schwer vom Erscheinungsbild einer organischen Erkrankung zu trennen, was die eindeutige Zuordnung zu einer psychischen Störung erschwert. Die depressiven Symptome von Koronarpatienten sind zumeist aber weniger direkt zuzuordnen und weniger typisch ausgeprägt wie jene der psychiatrischen Patienten 60. Umgekehrt finden sich oft auch primär kardiale Beschwerden bei Vorliegen einer Depression.

Wie andere psychosoziale Risikofaktoren ist die Depression sowohl als Ursache als auch als Folge der KHK anzusehen. Viele Studien haben gezeigt, dass depressive Störungen - auch solche, die nicht der strengen DSM IV Klassifikation entsprechen - einen Risikofaktor für die Entstehung einer KHK bei gesunden Menschen darstellen. Bei depressiven Patienten mit bestehender KHK 61,62 ist das Risiko erneuter kardialer Komplikationen erhöht.

Der negative Einfluss der Depression auf die Prognose von Koronarpatienten ist zumindest teilweise durch die der Depression zugrunde liegende Symptomatik zu erklären: Aufgrund Veränderungen des Verhaltens, wie der Antriebslosigkeit, bleiben gesundheitsfördernde, etwa körperliche Aktivitäten vermehrt aus. Vielfach wird darüber hinaus von exzessivem Alkohol- und Nikotinabusus berichtet; diese kommen im psychologischen Verständnis einer Selbstbestrafung gleich. Prospektive Studien konnten ferner den Nachweis erbringen, dass depressive Störungen auch ein Risiko für die Entwicklung von Bluthochdruck darstellen 63.

Eine wichtige Studie von Rafanelli et al. zeigte, dass bei 30% der Patienten die zum ersten mal einen Herzinfarkt erlitten hatten, ein Jahr zuvor bereits eine oder mehrere Episoden einer Major Depression nach DSM IV diagnostiziert wurden 62. Bei einem von fünf Patienten, die aufgrund eines Herzinfarktes oder einer Angina pectoris hospitalisiert sind, liegt eine Depression vor 64. Hermann-Lingen gibt die Prävalenz einer Depression nach einem Herzinfarkt ebenfalls mit 15-20% an, bei mehr als 1/3 der Patienten liegt eine nennenswerte depressive Symptomatik vor. Zudem ist das Vorliegen einer depressiven Störung die psychologische Komponente, die am stärksten mit Morbidität und Mortalität bei einer KHK verbunden ist. Depressive Postinfarktpatienten versterben früher als nicht depressive Patienten 65 Im klinischen Alltag sollte somit auf jeden Fall geklärt / untersucht werden, ob beim Koronarpatienten eine depressive Störung vorliegt und, wenn ja, wie diese zu behandeln ist.

Typ D Persönlichkeit

Die Typ D (D steht für distressed) Persönlichkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass negative Emotionen dauerhaft erlebt werden; anders als bei der Depression, die hauptsächlich in Phasen verläuft 66. Denollet et al. haben für diesen Persönlichkeitstyp zwei globale und stabile (lebenslange) Persönlichkeitsmerkmale bzw. Verhaltensmuster identifiziert 67: die negative Affektivität und die soziale Inhibition:

Bei negativer Affektivität (negative affectivity) werden negative Emotionen verstärkt empfunden und vermehrt erlebt. Depressive Verstimmungen, Ängstlichkeit, Wut, Stress, feindselige Gefühle, körperliche Symptome und ein negatives Selbstbild bestehen situations-unabhängig und halten an. Im Vordergrund besteht eine pessimistische Grundhaltung den Menschen und der Umwelt gegenüber. Daraus resultiert schließlich die soziale Gehemmtheit (social inhibition): Soziale Kontakte und gesellschaftliche Aktivitäten werden gemieden. Insbesondere Gefühlsregungen werden im Austausch mit anderen Menschen unterdrückt. Dies hat zur Folge, dass Ärger und negative Emotionen verstärkt nach innen gerichtet werden 67.

Die erste Studie die zeigen konnte, dass die Typ D Persönlichkeit ein unabhängiger Prädiktor für kardiale Ereignisse bei KHK Patienten darstellt, wurde von Denollet et al. 1995 durchgeführt: es wurden 105 Herzinfarktpatienten eingeschlossen; Patienten mit Typ D Persönlichkeit hatten ein 6-fach erhöhtes Risiko für kardiale Mortalität verglichen mit Patienten, bei welchen keine Typ D Persönlichkeit bestand. Bei 73% der Todesfälle lag eine Typ D Persönlichkeit vor. Hierbei ist zu betonen, dass keine der beiden Persönlichkeitsstile für sich allein das Resultat erklären konnte, die Kombination von hoher negativer Affektivität und hoher sozialer Gehemmtheit hatte gesundheitsschädliche Konsequenzen 68.

Um eine Neigung zur Typ D Persönlichkeit erfassen zu können entwickelte Denollet die DS14 Skala. Die deutsche Version der DS14 Skala beinhaltet zwei Subskalen, die negative Affektivität und die soziale Gehemmtheit. Jede Skala besteht aus 7 Items / Fragen, die vom Patienten mit 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis zu 4 (trifft voll und ganz zu) zu beantworten sind 69.

Kopp et al. untersuchten die Typ D Persönlichkeit mittels DS14 bei der ungarischen Allgemeinbevölkerung. Typ D Persönlichkeit zeigte sich als Risikofaktor für Herzinfarkt und kardiovaskuläre Mortalität; dies vor allem in der Patientengruppe, die keine klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren (wie Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Rauchen etc.) aufwies 70.

Typ D Persönlichkeit beeinflusst den Verlauf der KHK direkt und indirekt negativ. Zum einen beeinflusst die Typ D Persönlichkeit die Lebensqualität direkt, zum anderen zeigen gerade KHK Patienten mit Typ D Charakteristik die geringste compliance in der Therapie (bzw. in der Befolgung gesundheitsfördernder Maßnahmen) 67.

Zusammenfassend zeigen die Forschungsergebnisse, dass KHK Patienten mit Typ D Persönlichkeit die schlechteste Prognose nach einem Herzinfarkt haben. Es zeigt sich ein massiv erhöhtes Risiko von Sterbefällen, erneuten Herzinfarkten, oder dem plötzlichem Herztod 71,72.

Angst und Ängstlichkeit

Etliche Studien belegen, dass erhöhte Ängstlichkeit mit kardialen Ereignissen assoziiert ist 73. Erhöhter Blutdruck und gesteigerter Puls können aus Angstgefühlen resultieren und ungünstige kardiovaskuläre Auswirkungen haben 74.

3. Hintergrund und wesentliche Inhalte der in die Dissertation aufgenommenen Arbeiten

Saely CH, Drexel V, Drexel H. The fate of fat: A response, Gerontology 2012; 58:123-5.

Eine Hauptursache für kardiovaskuläre Erkrankungen in der entwickelten Welt ist die Adipositas 75. Adipositas ist stark mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert, sie ist im Besonderen auch kausal hauptverantwortlich für die Entwicklung von Diabetes mellitus, der wie erwähnt einen Hauptrisikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen darstellt. Die Prävalenz der Adipositas hat in den letzten Jahrzenten epidemieartig zugenommen, etwas zeitgesetzt, im wesentlichen aber parallel dazu stieg die Diabetesprävalenz 76 .

Die Therapie des Übergewichts ist deshalb von allergrößter Bedeutung. Die bisher verfügbaren Maßnahmen (Diät, Bewegung und einzelne Medikamente) waren allerdings nicht besonders erfolgreich. Neue Optionen werden deshalb gesucht. In diesem Zusammenhang erscheint das braune Fettgewebe von besonderem Interesse.

Grundsätzlich können zwei Arten von Fettgewebe unterschieden werden, die im wesentlichen antagonistische Funktionen haben 77. Das weiße Fettgewebe speichert Energie in Form von Triglyzeriden und das braune Fettgewebe setzt Energie als Wärme frei. Braunes Fettgewebe kommt bei kleinen Säugetieren und bei Neugeborenen in beträchtlichen Mengen vor und hilft ihnen, kalte Außentemperaturen zu überleben. Lange glaubte man, dass bei Erwachsenen kein braunes Fettgewebe vorkomme bzw. dass das braune Fettgewebe beim Erwachsenen zumindest keine Bedeutung habe. Neuere Forschungsarbeiten zeigten jedoch, dass auch Erwachsene metabolisch aktives braunes Fettgewebe haben und dass dieses bei Erwachsenen eine wichtige Rolle in der Energiehomöostase haben könnte. Klinisch ist deshalb braunes Fettgewebe sehr interessant als mögliches Ziel für die Behandlung der Adipositas oder assoziierter metabolischer Störungen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Kardiovaskuläres Risikomanagement. Eine ganzheitliche Herausforderung
Hochschule
Universität Liechtenstein, früher Hochschule Liechtenstein
Veranstaltung
Doktor scientiae medicinae
Note
summa cum laude
Autor
Jahr
2012
Seiten
49
Katalognummer
V500665
ISBN (eBook)
9783346030597
ISBN (Buch)
9783346030603
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Koronare Herzerkrankung
Arbeit zitieren
Veronika Drexel (Autor:in), 2012, Kardiovaskuläres Risikomanagement. Eine ganzheitliche Herausforderung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/500665

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