Lijphart und die direkte Demokratie


Hausarbeit, 2014

16 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Direkte Demokratie in der vergleichenden Politikforschung

3. Mehrheitsdemokratie und Konsensusdemokratie nach Lijphart

4. Kritische Untersuchung der Studie

5. Aufarbeitung der Studie
5.1.Aufarbeitung der Studie nach Jung
5.2. Veto-Punkte
5.3. Konzeptualisierung der direkten Demokratie

6. Einbettung der direkten Demokratie in die Mehrheitsdemokratie und Konsensusdemokratie

7. Fazit

1. Einleitung

Die direkte Demokratie gewinnt immer mehr an politischer Bedeutung. In Ländern, in denen direktdemokratische Verfahren ohnehin schon einen hohen Stellenwert einnehmen, werden sie weiterausgebaut, namentlich in der Schweiz, in Kalifornien und in Italien. Auch der Trend, direktdemokratische Institutionen in die Verfassung aufzunehmen, steigt weiter an. So verfügen über drei Viertel aller EU-Staaten über die Möglichkeit nationaler Volksentscheide (Jung 2001, 9). Die Politikwissenschaft kommt der rasanten Entwicklung der direkten Demokratie aber nicht hinterher. In der vergleichenden Demokratieforschung wird der direkten Demokratie nur wenig Beachtung geschenkt und die Akteure stoßen weitläufig auf große Probleme, direktdemokratische Elemente in ihren Typologien einzugliedern. So postuliert Arend Lijphart, Begründer einer der derzeit elaboriertesten Typologien von Regierungssystemen (Abromeit 2006, 36), „direct democracy is a foreign instrument in both majoritarian and consensus democracy“ (Lijphart 1984, 31). Wie vielen anderen Akteuren der vergleichenden Politikwissenschaft gelingt es ihm nicht, einen klaren Zusammenhang zwischen seiner Typologie und der direkten Demokratie herzustellen. Im Folgenden wird analysiert, ob und wenn ja wie sich direktdemokratische Verfahren in die Typologie Lijpharts einbetten lassen. Zunächst werden elementare Gründe für den fehlerhaften Umgang mit der direkten Demokratie in der vergleichenden Politikforschung herausgestellt. Danach wird sich explizit der Studie Lijpahrts zugewandt. Sie wird einer kritischen Analyse unterworfen und geringfügig modifiziert, um direktdemokratische Verfahren in die Typologie aufzunehmen zu können.

2. Direkte Demokratie in der vergleichenden Politikforschung

Einen Zusammenhang zwischen der direkten Demokratie und Regierungstypologien zu erschließen ist in der vergleichenden Politikwissenschaft von wenig Erfolg gekrönt (Vatter 2000, 171). Es gibt diverse Gründe warum dies den Akteuren bisher noch nicht gelungen ist.

Ein erster Grund ist die fehlende oder fehlerhafte Konzeptualisierung der direkten Demokratie. Die direkte Demokratie wird in der vorherrschenden Literatur oft als eigenständiger Demokratietypus verstanden und meist antithetisch zur repräsentativen Demokratie betrachtet (Jung 1994, 624; Jung 2001, 15). Aus dieser Betrachtungsweise heraus stellt sich die Frage nach einer Eingliederung direktdemokratischer Institutionen in Regierungstypologien, welche einer repräsentativen Ordnung unterliegen, also erst gar nicht. Des Weiteren wird der direkten Demokratie oft eine zu einsichtige Wirkungsweise unterstellt. Sie würde die „Tyrannei der Mehrheit“ fördern und eine Mehrheitsherrschaft darstellen, welche Minderheiten nicht berücksichtigt. Sartori unterstellt ihr weiterhin einen Nullsummen-Entscheidungsmechanismus. „Bei jeder Frage bekommt die gewinnende Mehrheit alles und die verlierende Minderheit verliert alles“ (Sartori 1992, 127).

der Entscheidungsphase verläuft ein Verfahren immer nach einer ja/nein Abstimmung und unterliegt demnach immer der Mehrheitsregel (Luthardt 1994, 160). Die Entscheidungsphase lässt keine Verhandlungen und keine Kompromisslösungen zu (Luthardt 1994, 159). Diese Beurteilung fällt jedoch zu einseitig aus. Es werden wesentliche Punkte wie Quoren und die Richtung der Initiation der Referenden übersehen. So wird im Laufe der Arbeit herausgestellt, dass Referenden zu konsensuellen Entscheidungen beitragen können und demnach auf beiden Seiten des Spektrums verankert sind.

Ein weiterer Grund warum die Einbettung der direkten Demokratie in Regierungstypologien scheitert, liegt in der Logik, die bei der Typenbildung verfolgt wird. So ist vielen Studien ein induktives Vorgehen zu eigen. Dies soll exemplarisch anhand der Parlamentarismus – Präsidentialismus Typologie veranschaulicht werden. Grundlage zur Unterscheidung zwischen den beiden Regierungstypen bilden die historischen Vorbilder Großbritannien und die USA (Steffani 1980, 391). Sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für England spielten Referenden auf Bundesebene aber nie eine Bedeutung und dem entsprechend wurden direktdemokratische Verfahren von Autoren, welche sich stark an den historischen Vorbildern orientierten, außer Acht gelassen (Jung 2001, 32). Ein weiteres Problem stellen allgemeinere Defizite der Typologien selbst dar. Auch diese sollen exemplarisch an der Parlamentarismus - Präsidentialismus Typologie veranschaulicht werden. Die Eindimensionalität der Studie sorgt dafür, dass vielen Institutionen, wie beispielsweise die der direkten Demokratie, keine Beachtung geschenkt wird und die Typenbildung im Wesentlichen anhand des Verhältnisses von Regierung und Parlament erfolgt (Jung 2001, 33). Ein methodisches Problem, generalisierte Wirkungsweisen der direkten Demokratie zu erfassen, ergibt sich aus der begrenzten Anzahl von empirischen Fällen, die für eine Untersuchung zu Verfügung stehen (Luthardt 1994, 18). In der Forschung zur direkten Demokratie kann oft nur auf die Schweiz oder Kalifornien zurückgegriffen werden. Durch die begrenzte Anzahl an Fällen wird eine Generalisierung also erheblich erschwert (Luthardt 1994, 19). Dieses Problem schwindet jedoch angesichts der rasanten Entwicklung der direkten Demokratie.

Die drei wesentlichen Gründe sind also namentlich die fehlerhafte Konzeptualisierung der direkten Demokratie, die induktive Vorgehensweise und allgemeine Defizite der Studien. Ein methodisches Problem ergibt sich nur geringfügig. Nach einer Vorstellung der Studie Lijpharts soll untersucht werden, welche Defizite die Typologie der Mehrheits- und Konsensusdemokratie aufweisen. Im Anschluss soll die Studie modifiziert werden und direktdemokratische Elemente eingebettet werden.

3. Mehrheitsdemokratie und Konsensusdemokratie nach Lijphart

Arend Lijpharts Studie „Patterns of democracy“ ist die zurzeit elaborierteste Studie von Regierungssystemen (Abromeit 2006, 36) und wird als „the single most influential typology of modern democracies“ angesehen (Mainwaring 2001, 171). Lijpahrt analysiert 36 Demokratien auf ihre Struktur und Leistungsfähigkeit hin. Er stützt sich bei der Analyse auf zwei Idealtypen, der Mehrheitsdemokratie und der Konsensusdemokratie. Die 10 Merkmale der beiden Idealtypen sind aus der Frage abgeleitet wer regieren soll: „the majority of the people“ oder „as many people as possible“ (Lijphart 1999, 2).

Tabelle 1.: vgl. Schmidt 2010, 319-320

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zusammenfassend lässt sich die Mehrheitsdemokratie als Staat der Machtkonzentration bezeichnen: „The majoritarian model concentrates political power in the hands of a bare majority“ (Lijphart 1999, 2). Dagegen ist die Konsenusdemokratie ein Staat der Machtaufteilung: „ The consensus model tries to share, disperse, and limit power in a variety of ways“ ( Lijphart 1999, 2). Die Mehrheitsdemokratie ähnelt stark dem Westminster Modell Englands. Demnach bezeichnet

Lijphart das Regierungsmodell Englands auch als Idealtypus der Mehrheitsdemokratie (Lijphart 1999, 9). Die Schweiz und Belgien stellen demgegenüber das Paradebeispiel der Konsensusdemokratie dar (Lijphart 1999,33). Da nicht alle Merkmale zusammenhängend auftreten, unterscheidet Lijphart zwischen zwei Dimensionen: Der Exekutiv-Parteien Dimension und der Föderalismus-Unitarismus Dimension. Die ersten 5 der oben aufgelisteten dichotomen Merkmale werden operationalisiert und gehören zur Exekutiv-Parteien Dimension. Zu ihr zählen der Grad der Konzentration der Machtaufteilung, das Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Legislative, die Fragmentierung des Parteiensystems, das Ausmaß der wahlrechtsbedingten Disproportionalität von Stimmen und Parlamentssitzverteilung und der Pluralismusgrad. Die letzten 5 Merkmale werden in der Föderalismus-Unitarismus Dimension operationalisiert und beinhalten die Aufteilungsgrad der Machtstruktur, Einkammersystem vs. Zweikammersystem, die Schwierigkeit einer Verfassungsänderung, das Letztentscheidungrecht über die Gesetzgebung und den Grad der Zentralbankautonomie (Schmidt 2010, 322). Letztere beinhaltet im Wesentlichen Instanzen, die zur Zügelung der Mehrheitsherrschaft führen und die Macht der Exekutive und Legislative beschränken (Schmidt 2010, 330). Durch die Unterteilung in Dimensionen ergeben sich dann 4 Grundtypen: Die unitaristische Mehrheitsdemokratie, die föderalistische Mehrheitsdemokratie, die unitaristische Konsensusdemokratie und die föderalistische Konsesnusdemokratie (Schmidt 2010, 323).

4. Kritische Untersuchung der Studie

Bei der kritischen Untersuchung ist es zuallererst wichtig, die Vorgehensweise der Typenbildung genauer zu untersuchen. Lijphart betont eine deduktive Vorgehensweise immer wieder und verweist darauf, dass alle Merkmale der beiden Typen jeweils von einem Grundprinzip abgeleitet sind.

Für die Mehrheitsdemokratie ist das Prinzip wie schon erwähnt „the principle of concentrating as much political power as possible in the hands of the majority“ (Lijphart 1984, 207) und für die Konsensusdemokratie, dass „political power should be dispersed and shared in a variety of ways“ (Lijphart 1984, 208). Dabei lässt sich eine induktive Vorgehensweise aber nicht von der Hand weisen. Nach eigenen Angaben erstellte Lijphart zuerst den Typus der Mehrheitsdemokratie (Jung 2001, 36). Ihre Merkmale ähneln sehr stark dem Westminster Modell Großbritanniens. Er benutzt die beiden Begriffe Westminster Modell und Mehrheitsdemokratie auch synonym und erklärt England zum besten Beispiel dieses Typus (Lijphart 1999, 9). Ähnlich wie bei der Parlamentarismus - Präsidentialismus Typologie erscheint es also nahe liegend, dass Lijphart seine Typologie unter anderem am historischen Vorbild Großbritanniens entwickelt hat und aus diesem Grund auch keinen Zusammenhang zur direkten Demokratie herstellt. Er verweist darauf, dass England das Paradebeispiel der Mehrheitsdemokratie, ein System der Parlamentssouveränität, ist und dies logisch einem System der Volkssouveränität zuwider läuft (Lijphart 1989, 38). So erklärt Lijphart, dass eine Repräsentativverfassung Merkmal der Mehrheitsdemokratie ist, entwickelt aber keinen Gegenspieler in der Konsensusdemokratie sondern postuliert, dass dieses Merkmal beiden Typen zugrunde liegt. Beide Typen unterliegen dem „concept of representative instead of direct democracy“ (Lijphart 1984, 31f.).

Nun ist zu prüfen, ob allgemeine Defizite in der Studie einen weiteren Grund für die von Lijphart postulierten Inkompatibilität von direkter Demokratie und seiner Typologie darstellen. Lijphart weicht während seiner Studie weit von seinen erstellten Grundprinzipien ab und erstellt ein „round about power-massacre“ (Jung 2001, 42). Dies verwehrt ihm den Blick auf seine Grundprinzipien, aus denen sehr wohl ein Bezug zu direkten Demokratie hergestellt werden kann (Jung 2001, 44). Ein weiteres Problem wird deutlich, wenn die tatsächlichen konsensuellen Verhältnisse in den beiden Typen betrachtet werden. So fällt auf, dass es sowohl in der Konsensusdemokratie als auch in der Mehrheitsdemokratie zu konsensuellen Entscheidungen kommen kann. Der wesentliche Unterschied zur Konsensudemokratie ist, dass die Mehrheit entscheiden kann, mit wem sie wann und in welchen Umfang in Verhandlungen tritt (Kaiser 1997, 433). Dies trifft auch auf die Initiation von direktdemokratischen Elementen zu. In der Konsensusdemokratie sind konsensuelle Elemente institutionalisiert (Kaiser 1997, 433) und wesentlich stärker vertreten. Dieser Gedanke, der von Lijphart zu wenig Beachtung erfährt, wird bei der später folgenden Modifizierung noch von Bedeutung sein.

Lijphart wagt trotz der von ihm immer wieder betonten Inkompatibilität von direkter Demokratie und repräsentativer Demokratie den Versuch, direkte Demokratie in einen Zusammenhang mit seinen Typologien zu bringen. Jenes Vorhaben scheitert aber schon daran, dass Lijphart keine Klassifizierung der direkten Demokratie vornimmt und dies obwohl er sehr wohl erkennt, dass direktdemokratische Verfahren sowohl konsensuelle als auch mehrheitsdemokratische Wirkungsweisen haben können. Referenden müssen nicht zwangsweise ein „...blunt majatorian instrument...“ (Lijphart 1989, 38) sein, sie können in Verbindung mit einer Gesetzesinitiative wie in der Schweiz auch ein konsensuelles Instrument darstellen (Lijphart 1989, 38). Er untersucht 9 Länder anhand der Häufigkeit von abgehaltenen Referenden. Ausgeschlossen sind dabei die auf nationaler Ebene vorgesehenen Volksbegehren. Eine Differenzierung zwischen verschiedenen Referenden wird wie schon erwähnt auch nicht vorgenommen (Gebhardt 1991, 21). Nach der rein quantitativen Analyse stellt er fest, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Direktdemokratie und seinen Typologien gibt. Weder die Mehrheitsdemokratie noch die Konsensusdemokratie weisen eine Affinität für Referenden auf (Gebhardt 1991, 22). So kommt Lijphart letztendlich zu dem

Fazit „that referendums fail to fit any clear universal pattern“ (Lijpahrt 1984, 206). Das dieses Vorhaben scheitert, ist wie schon angedeutet der fehlenden Konzeptualisierung der direkten Demokratie anzurechnen.

5. Aufarbeitung der Studie

Nachdem nun die grundlegenden Fehler herausgearbeitet worden sind, soll die Studie noch einmal von Grund auf untersucht werden. Zur Aufarbeitung der Studie sollen zunächst alle Merkmale, die sich aus den Grundprinzipien ableiten lassen, auf neue Art und Weise erschlossen werden. Im Anschluss wird sich den Veto-Punkten gewidmet, um dann eine Konzeptualisierung der direkten Demokratie entwickeln zu können.

5.1.Aufarbeitung der Studie nach Jung

Die Merkmale der Mehrheitsdemokratie sind nach Lijphart der Antwort auf die Frage, wer regieren soll, entsprungen. Für die Mehrheitsdemokratie ist dies „the majority of the people“ (Lijphart 1999, 2). Lijphart zufolge eine Repräsentativverfassung grundlegendes Merkmal der Mehrheitsdemokratie. (Lijphart 1989, 34). Jung unterscheidet hier zwei Bedeutungsebenen. Auf der ersten Ebene muss der Wille der Mehrheit, welcher durch Wahlen bestimmt wurde, uneingeschränkte Gültigkeit zukommen. Auf einer zweiten Ebene muss den Repräsentanten des Volkes ein Höchstmaß an Macht gegeben werden (Jung 1996, 627). Anhand der ersten Bedeutungsebene lassen sich einige Merkmale der Mehrheitsdemokratie ableiten. Namentlich sind dies die Konzentration der Exekutivmacht, ein unitaristischer und zentralisierter Staat, sowie Machtfusion der Parlamentsmehrheit, das Einkammersystem und das Mehrheitswahlrecht. Die Parlamentssouveränität lässt sich jedoch nicht klar von diesem Grundprinzip ableiten. Denn eine Sachentscheidung, die nicht von einer gewählten Regierung entschieden wird, sondern von der Mehrheit des Volkes, hat einen viel höheren mehrheitsdemokratischen Charakter (Jung 1996, 627). Demnach ist der von Lijphart behauptete Widerspruch zwischen Mehrheitsdemokratie und Volkssouveränität schon mal entkräftet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Lijphart und die direkte Demokratie
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
1,3
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V501045
ISBN (eBook)
9783346030740
ISBN (Buch)
9783346030757
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lijphart, demokratie, direkte, Mehrheitsdemokratie, Konsensdemokratie
Arbeit zitieren
Anonym, 2014, Lijphart und die direkte Demokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501045

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