Die Minneproblematik in ausgewählten Kreuzliedern von Friedrich von Hausen und Albrecht von Johansdorf

Zwischen Gottesminne und Frauenminne


Seminararbeit, 2019

37 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der mittelalterliche Kreuzzug
2.1 Der dritte Kreuzzug (1189-1192)

3. Das Rittertum zur Stauferzeit
3.1 Das Lehnswesen
3.2 Der höfische Ritter
3.3 Der religiöse Ritter

4. Der Minnesang
4.1 Entstehung
4.1 Das Konzept der Hohen Minne
4.2 Das Kreuzlied

5. Analyse und Interpretation ausgewählter Kreuzlieder
5.1 Friedrich von Hausen
5.1.1 Sî darf mich des zîhen niet (MF 45,37)
5.1.2 Mîn herze und mîn lîp diu wellent scheiden (MF47,9)
5.1.3. Mîn herze den gelouben hât (48,3)
5.2 Albrecht von Johansdorf
5.2.1 Mîch mac der tôt von ir minnen wol scheiden (MF 87,5)
5.2.2 Ich und ein wîp (MF 87,29)
5.2.3 Guote liute, holt di gâbe (MF 94,15)

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit dem Christentum existierte im Mittelalter eine Religion, die zusammen mit der Institution der christlichen Kirche eine gesellschaftlich unangefochtene Vormachtstellung einnahm.1 Obgleich die Macht der Kirche zur Zeit des Mittelalters nicht größer hätte sein können, wurde das Christentum zunehmend von dem im Osten erstarkenden Islam bedroht. Diese sich von der arabischen Halbinsel ausbreitende religiöse Gewalt erstreckte sich nach nur einem Jahrhundert bis zur iberischen Halbinsel und drohte der Christenheit mit einem Krieg um ihre bis dato unangetastete Vormachtstellung im Westen. Als der Islam zudem das Heilige Land eroberte und Jerusalem unter seine Gewalt brachte, entbrannte ein Krieg zwischen den beiden religiösen Großmächten.2 Mit dem Aufruf Papst Urbans III. zur Rückeroberung Jerusalems, der Wirkungsstätte Jesu Christi, und der Forderung, ihrem obersten Lehnsherrn ihren Dienst zu erweisen und das Heilige Land aus den Fängen der Heiden zu befreien, nahmen unzählige Ritter und Gläubige das Kreuz im Namen Gottes. Die Idee des Kreuzzugs war geboren.3

Zur Zeit des dritten Kreuzzuges (1189-1192) bildete sich im Zuge der voranschreitenden Entwicklung des Minnesangs4 ein Liedtyp heraus, der eine Verbindung zwischen der Situation des Kreuzzugs und der Minnethematik des Hohen Sangs schuf. Das Kreuzlied, in dessen Mittelpunkt der höfische Ritter steht. Dieser war nach mittelalterlichen Vorstellungen zwei verbindlichen Treueverhältnissen zum Dienst verpflichtet. Dem Gottesdienst, in Form der Kreuznahme und des Kreuzzugs, und dem Minnedienst, in Form des Lobpreises und der Huldigung seiner Herrin. Der Konflikt zwischen diesen beiden Treueverhältnissen und die Überwindung dessen zugunsten eines Dienstes bildeten den Kern des Kreuzliedes.5

Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob sich der Ritter in den ausgewählten Kreuzliedern für den Gottesdienst oder den Minnedienst entscheidet. Dabei liegt dem Essay die Annahme zugrunde, dass sich der Ritter ausnahmslos für den Dienst an Gott, seinem obersten Lehnsherrn, entscheiden und in den Kreuzzug ziehen wird. Zunächst beschäftigt sich die Arbeit mit dem mittelalterlichen Kreuzzug, wobei speziell auf den dritten Kreuzzug eingegangen wird. Im Anschluss daran wird das Rittertum der Stauferzeit näher in den Fokus genommen, wobei nicht nur das Lehnswesen der damaligen Zeit, sondern auch die zwei gegensätzlichen Leitbilder des höfischen und des religiösen Ritters beleuchtet werden. Die Darstellung der Entstehung des Minnesangs, des Konzepts der Hohen Minne und der Untergattung des Kreuzliedes bilden den abschließenden Teil des theoretischen Rahmens. Im Zuge der Analyse und Interpretation sechs ausgewählter Kreuzlieder Friedrichs von Hausen und Albrechts von Johansdorf soll die der Arbeit zugrundeliegenden These untersucht werden. Folgende Kreuzlieder werden analysiert: Sî darf mich des zîhen niet (MF 45,37), Mîn herze und mîn lîp diu wellent scheiden (MF 47,9) und Mîn herze den gelouben hât (MF 48,3) von Friedrich von Hausen, und Mich mac der tôt von ir minne wol scheiden (MF 87,5), Ich und ein wîp (MF 87,29) und Goute liute, holt die gâbe (MF 94,15) von Albrecht von Johansdorf.

Ziel der Seminararbeit ist es, durch die Interpretation und Analyse der ausgewählten Kreuzlieder die These, dass sich der Ritter allen Forderungen der Frauenminne zum Trotz ausnahmslos für den Gottesdienst entscheiden und das Kreuz nehmen wird, zu überprüfen, um so einen persönlichen Beitrag zur Analyse und Interpretation der Kreuzlieder der beiden mittelhochdeutschen Dichter beizutragen.

2. Der mittelalterliche Kreuzzug

Der erste Kreuzzug war Folge des in Clermont stattfindenden Konzils im Jahr 1095.6 Papst Urban III. berief am 18. November 1095 ein Konzil ein, auf welchem er die Christenheit dazu aufrief, ins gelobte Land zu reisen, ihren bedrängten Brüdern im Osten zu Hilfe zu kommen und sie zusammen mit den Heiligen Stätten und dem gelobten Land Jerusalem aus der muslimischen Schreckensherrschaft zu befreien. Nach der ergreifenden Rede Urbans III. schlossen sich nicht nur der Bischof, sondern tausende Freiwillige mit dem Ruf „Deus lo vult“ – „Gott will es!“ seinem Aufruf an. Zum Zeichen ihres Gelübdes hielt der Papst die Menge an, sich Stoffkreuze auf ihr Überkleid zu heften.7 Als Lohn für die Teilnahme am Kreuzzug versprach die Kirche den Ablass aller Sünden, ewiges Seelenheil8 und die Bezeichnung aller im Krieg Gefallenen als Märtyrer.9 Den Gedanken der Bußleistung des Kreuzzugs entnahm man dem Pilgerwesen: Es herrschte die Vorstellung, dass eine Wallfahrt ins gelobte Land Jerusalem und zum Grab Christi eine heilende, sündentilgende Wirkung habe.10 Der Kreuzzug gewann in diesem Sinn den Charakter einer bewaffneten Pilgerfahrt, die nicht nur der Befreiung des Heiligen Landes, sondern auch der Sündentilgung diente.11 Im Sinne des Bibelwortes: „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig“12 (Mt 10,38), machte man sich auf nach Jerusalem.13

Da das kriegerische Vorgehen der Kirche grundsätzlich in Wiederspruch zu den friedlichen und gewaltlosen Lehren Jesu Christi stand, galt es, den Krieg „und das damit verbundene Töten“14 zu rechtfertigen. Die Legitimation für den bevorstehenden Kampf wurde durch den Kirchenlehrer Augustinus gegeben.15 Er bezeichnete die Verteidigung der Kirche gegen die Heiden gerechten Krieg, als bellum iustum. Augustinus sah in der Verteidigung oder Wiedererlangung geraubten Gutes gerechtfertigte Gründe, einen Krieg zu führen.16 Ziel des Krieges war es zum einen, das Heilige Grab zu befreien. Zum anderen sah man den Kreuzzug als Kampf um das rechtmäßige Erbe Gottes im Heiligen Land. Durch das Leben, Sterben und Auferstehen Christi war Jerusalem geweiht und gehörte rechtmäßig zum Besitz der katholischen Kirche. Die Verteidigung und Wiedererlangung Jerusalems als Kirchengut stellte als oberstes Ziel die ultimative Legitimation des Krieges dar.17

2.1 Der dritte Kreuzzug (1189-1192)

In der Zeit nach der Niederlage des zweiten Kreuzzugs begann im Orient die Verbindung aller islamischen Kräfte unter dem Feldherrn Saladin. Während die Hilferufe aus Jerusalem aufgrund politischer Streitigkeiten in Europa zunächst erfolgslos blieben, brachte die Niederlage in der Schlacht bei Hattin 1187 und die Eroberung Jerusalems durch Saladin ein Umdenken. Am 29. Oktober 1187 rief Papst Gregor VIII. den dritten Kreuzzug aus. Friedrich Barbarossa, der Kaiser des deutsch-römischen Reiches und Verbündeter des Papstes, rief am 27.3.1188 den Mainzer Hoftag, den Curia Jesu Christi aus, um den Kreuzzug zu beschwören. Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Kreuzzügen wurde dieser von einem weltlichen Herrscher angeführt. Die Kreuznahme des Kaisers ließ die Teilnahme am erneuten Kriegszug nach Jerusalem wieder aufflammen.18 Der dritte Kreuzzug stand ganz im Zeichen der nova devtio, worunter man die durch ein Gelübde gelobte restlose Hingabe und Aufopferungsbereitschaft verstand. Grundlage dieser Bewegung war die imitatio Christi. Jesus‘ Opfertod stellte die reinste Verwirklichung der bedingungslosen Hingabe an Gott dar. Durch die Nachahmung hatte der Mensch die Möglichkeit, ebenso große Hingabe zu üben, wodurch das Seelenheil gewährleistet wurde.19 Im Mai 1189 brach ein gewaltiges Heer unter der Führung Kaiser Friedrichs Barbarossa und Philipps von Frankreich nach Jerusalem auf. Unter ihren treuesten Vasallen befanden sich unter anderem ihre Hofdichter Friedrich von Hausen und Albrecht von Johansdorf.20 Als der Kaiser völlig unerwartet am 10. Juni 1190 bei der Überquerung des Flusses Saleph ertrank, brach das Heer auseinander und ging „in dem englisch-französischen auf, welches unter der Führung von Richard Löwenherz und Philipp II. von Frankreich stand“. Obgleich Richard, der als einziger Herrscher bis zum Ende des Heiligen Krieges in Jerusalem verweilte, am Sieg über die Muslime festhielt, musste er sich nach Monaten des Kämpfens eingestehen, dass sich die christlichen Kräfte gegen das Heer Saladins nicht durchzusetzen vermochten. Im September 1192 kam es zu einem Abkommen zwischen Richard und Saladin, indem ein dreijähriger Waffenstillstand und der freie Zugang christlicher Pilger zur Heiligen Stätte in Jerusalem ausgehandelt wurden.21

3. Das Rittertum zur Stauferzeit

3.1 Das Lehnswesen

Das Lehnswesen bezeichnet ein in Frankreich im 8. Jahrhundert entstandenes System, das ein durch das Lehnsrecht geregeltes Verhältnis zwischen Lehnsherrn und Vasallen (Lehnsmann) bezeichnete. Der Vasall war seinem Herrn gegenüber zu Gehorsam und Dienst, und vor allem zum Waffendienst verpflichtet, während der Herr einwilligte, seinem Lehnsmann Schutz und Unterhalt zu gewähren, meist durch die Verleihung eines Gutes (Lehen). Durch diesen Akt trat ein freier Mann in die Abhängigkeit eines anderen, wodurch sich ein starkes Abhängigkeitsverhältnis bildete. Ursprünglich endete diese vasallitische Bindung durch den Tod des Vasallen oder des Herren.22 Durch die Übernahme des Treueides aus dem Gefolgswesen und der Integration der Elemente gegenseitiger Treue aus der germanischen Gefolgschaft erfuhr dieses Verhältnis eine gesellschaftliche Aufwertung. Zudem führte „die Ausbreitung des Lehnswesens […] in der Wehrverfassung dazu“,23 dass das militärische Gewicht der Vasallen zunahm und nicht mehr das allgemeine Volk, sondern nur mehr die Lehnsmänner dem Kriegsdienst nachkommen mussten. Die Lehnsherren wiederum waren dazu verpflichtet, dem Aufgebot des Königs an der Spitze ihrer Lehnskrieger zu folgen.24

3.2 Der höfische Ritter

Das lateinische Wort miles stand im 12. Jahrhundert für die Bezeichnung des Ritters und hieß im klassischen Latein Soldat, Krieger. Daher wohnte miles im speziellen der Dienstgedanke inne, denn militare hieß „dienen“, vor allem aber „Kriegsdienst tun“. Ab dem 10./11. Jahrhundert traten diesem Wort zwei weitere Bedeutungen hinzu. Zum einen konnte man mit miles nun auch adlige Vasallen bezeichnen. Die Bedeutungserweiterung lässt sich vermutlich „mit der Verpflichtung der Vasallen zum militärischen Dienst“25 und der damit einhergehenden Aufwertung des Lehnsmanns erklären. Zum anderen wurden nur noch diejenigen als milites betitelt, die als schwergewappnete Reiter in den Kampf zogen. Die Verbindung zwischen der Ausbildung einer schweren Reiterei und der Entwicklung des Lehnswesens in der Karolingerzeit könnte eine Erklärung für die Bedeutungsveränderung sein.26 Durch den Treueid zwischen dem Lehnsherrn und dem Vasallen erfuhr deren Bindung eine gesellschaftliche Aufwertung. Auch die Vasallen gelangten durch ihre vermehrte Pflicht des Kriegsdienstes und der Waffenwehr zu steigendem Ansehen und zu höherer Wertigkeit.27 Diese Verpflichtung der Lehnsmänner zum militärischen Dienst brachte die Bildung eines neuen Berufsstandes, dem des berittenen Kriegertums hervor.28 Obgleich der Vasall noch immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem ihm übergeordneten Herren stand, führten gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen dieser Zeit zur Aufwertung seines „Standes“ und zur Ausbildung eines Rittertums, welches sich zusammen mit den Ministerialen, deren Bezeichnung militaris seit dem Ende des 12. Jahrhunderts als Synonym für miles galt, zum niederen Adel herausbildete.29

„Der Anfang des 13. Jahrhunderts wird dadurch zur Blütezeit des Ritterthums, daß der unfreie Dienstmann […] die Ritterwürde mit aller Anstrengung zu erreichen und würdig auszufüllen sucht. […] Er gelangt zur Ritterbürtigkeit und dadurch bald zum Adel.“30

Durch die radikale kulturelle Wende Mitte des 12. Jahrhunderts, die zur Bildung einer deutschen höfischen Kultur führte,31 stilisierte man den höfischen Ritter zum Leitbild.32 Dieses Gesellschaftsideal des Ritters manifestierte sich in äußerem Glanz, körperlicher Schönheit, vornehmer Abstammung, Reichtum und Ansehen mit edler Gesinnung und feinem Benehmen.33 Zu den ritterlichen Tugenden zählten unter anderem die triuwe, die im Einhalten sittlicher Verpflichtungen bestand, die staete, die sich in Beständigkeit äußerte und die mâze, die mäßigendes, zurückhaltendes Verhalten forderte.34 Der Begriff der hövescheit zeigt Charakteristika des Idealbildes des höfischen Ritters: dieser sollte nicht nur über Tapferkeit, Weisheit, Mäßigung und Gerechtigkeit verfügen und sollte nicht nur schön, vornehm und geschickt mit den Waffen sein, sondern auch die feinen Sitten des Hofes beherrschen, über Etikette, Anstand, und die richtigen Umgangsformen und den guten Ton verfügen.35 Hövescheit wurde zu einem Programmwort für ein Gesellschaftsideal.36 Eine wesentliche Aufgabe des Ritters am Hofe bestand zudem im Frauendienst.37 Der Ritter der Stauferzeit führte seinen Kampf im Zeichen seiner Herrin, war ihr völlig untertan und wurde durch ihre äußere und innere Zucht gelenkt.38 An diesem Punkt kommt der Minnedienst ins Spiel. Ovids Gedanke: „Jeder Liebende dient,…“, stand im Mittelpunkt des Dienstes an der höfischen Dame. Am deutlichsten wird der Frauendienst im Konzept der Hohen Minne sichtbar, indem sich der Mann einer höfischen Dame untergeordnet und ihr seinen Dienst angeboten hat. Dieser Dienst erwies sich im Lobpreisen und Besingen der Minnedame. Ihr zu Ehren wurden Lieder über ihre Tugendhaftigkeit und Schönheit verfasst und vorgetragen.39 Der erhoffte Lohn blieb aber aus.

3.3 Der religiöse Ritter

Dem weltlich höfischen, „rein nach irdischem Lohn strebenden Ritter“40, stellte die Kirche das Idealbild des Kreuzritters, den miles Christianus, gegenüber. Die militia Christi (Ritterschaft Christi) bestand ursprünglich aus Aposteln, Märtyrern und Mönchen, die mit ihren geistigen Waffen gegen den Teufel kämpften, und sahen sich immer in scharfem Gegensatz zur militia saecularis (weltliche Ritterschaft). Obgleich dies ein geistiges Weltbild war, das jahrhundertelang aufrechterhalten wurde, so fand am Ende des 11. Jahrhunderts, ausgehend von der Gottesfriedensbewegung und den bevorstehenden Kreuzzügen, die die Kirche dazu zwangen, zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Kriegsdienst eine Brücke zu schlagen, um den kriegerischen Adel für ihre weltlichen Ziele einsetzen zu können, eine revolutionäre Wende statt: Der Begriff der milites Christi wurde nun auch auf weltliche Herren und Ritter übertragen, womit die Verpflichtung einherging, ihre Waffen im Dienst der Kirche und des christlichen Glaubens zu führen.41 Der miles Christianus sollte sich von allen irdischen Zwecken befreien42 und sich der Gottesminne, dem Urbild der Minne zuwenden und im Dienst an Gott seine Erlösung und ewiges Seelenheil finden.43 Indem der Ritter das Schwert im Zeichen Gottes nahm, verpflichtete er sich ihm gegenüber der höfisch-ritterlichen Werte der staete, triuwe und minne, welche durch die Übertragung auf Gott und den christlichen Glauben eine Aufwertung erfuhren. Allein im Gottesdienst, dem höchsten aller Minnedienste, in der Bewährung vor Gott, konnte der Ritter zur inneren Vervollkommnung und ritterlichem Ideal gelangen. Ein Zustand, den ein höfisch-weltlicher Ritter niemals erreichen konnte.44 Die Gottesauffassung des Mittelalters sah in Christus den König und Herrscher des ständisch gegliederten Reiches und forderte daher „den Dienst an dem himmlischen König mit dem gleichen Ernst wie den Dienst an dem irdischen Lehnsherrn“ und mahnte die Ritter ihrer Treueverpflichtung Gott als obersten Lehnsherrn gegenüber.45 Die Kirche stilisierte den Kreuzritter als den wahren Ritter im Dienste Gottes, als Rächer Christi und Verteidiger der Christen und schuf ein Idealbild dessen: „Den Tod, den er zufügt, ist ein Gewinn für Christus, der den er erleidet, sein eigener Gewinn“.46 Dieser christliche Opfergedanke, im Sinne der nova devotio als Idealbild des milites Christi, dessen Kern die Hingabe des eigenen Lebens für Gott war, spiegelte sich im Lohnversprechen der christlichen Kirche wieder. Der Kreuzzug und die damit verbundene Opferung des eigenen Lebens waren geheiligt und gipfelten in der Vergebung aller Sünden und im Seelenheil.47 Anders als im Minnedienst zur Frau, führte der Dienst an Gott immer zum himmlischen Lohn.48 In einer feierlichen Zeremonie fanden die Segnung und Weihung des Schwertes für den Kampf statt.49 Der kirchliche Weiheakt des Schwertsegens verschmolz mit der weltlichen Schwertleite zu einem Ritual, wodurch der Ritter göttliche Aufwertung erfuhr.50 Neben dem Schwert wurden auch ein Stab und eine Tasche, als Attribute des Pilgers und zum Zeichen der sündentilgenden Wallfahrt, geweiht.51

4. Der Minnesang

4.1 Entstehung

Die europäische Literatur des Mittelalters war bis ins 8. Jahrhundert lateinische, geistlich bestimmte Literatur und obwohl es vereinzelt Aufzeichnungen volkssprachlicher Literatur gab, existierte diese fast ausschließlich hinter den Mauern der Klöster,52 da die christliche Kirche mit allen Mitteln versuchte, weltlich-erotische Literatur zu unterdrücken.53 Dieser Zustand sollte noch einige Jahrhunderte lang fortwähren, ehe der Beginn der Stauferzeit Veränderung brachte. Mit dieser fand eine Öffnung der weitgehend geistlichen Literaturszene für volkssprachliche weltliche Themen und Stoffe statt. Ein halbes Jahrhundert früher hatte sich diese Literaturentwicklung in Form der Trobadorlyrik (1100) bereits in Südfrankreich vollzogen.54 Der Durchbruch dieser neuen Literaturszene wurde zudem durch den zweiten Kreuzzug begünstigt, welcher zum einen eine starke Umpolung der Interessen mit sich brachte und zum anderen den Einblick in eine völlig andere Welt ermöglichte. All diese Umstände führten zu einer radikalen kulturellen Wende ab der Mitte des 12. Jahrhunderts. Mit dem Regierungsantritt Friedrichs I. Barbarossa „war an den deutschen Höfen eine Bereitschaft entstanden, sich von der geistlichen kulturellen Vorherrschaft zu lösen, nun auch eine weltliche Hofkultur zu begründen […], eine innerliche Ideen- und Wertewelt zu entwickeln […].“55 Kennzeichnend für die neue höfische Dichtung waren die Vorherrschaft der Minnethematik und die Subjektivität des Minnesangs, die Beseelung der Sprache durch das Ich.56

4.1 Das Konzept der Hohen Minne

Neben der vorherrschenden Werbesituation der Liebesdichtung trat in der Lyrik ab 1170/80 ein neues Verhältnis der Geschlechter auf, das den Minnesang zu einem einzigartigen, zeit- und mentalitätsgeschichtlichen Phänomen werden ließ. Die Hohe Minne. Das Attribut hôh verweist auf das komplexe und äußerst komplizierte Minneverhältnis zwischen Mann und Frau.57 Das mittelhochdeutsche Wort minne bedeutet Liebe, wobei der Begriff mehrere Bedeutungsebenen fasst. Vor allem aber wird der Begriff mit der verlangenden, begehrenden Liebe des Menschen zu Gott und zwischen den Geschlechtern assoziiert. Die Repräsentanten im Hohen Minnesang sind das ‚du‘ und ‚ich‘ in Form der Leitbilder des rîters und der vrouwe, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur höfischen Gesellschaft deren Normen und Konventionen unterliegen.58 Minnesang war also reine Rollenlyrik, niemals Erlebnislyrik.59 Die Grundsituation der Hohen Minne bestand darin, dass sich ein Ritter in den Dienst einer ihm übergeordneten höfischen Dame stellte, sich dieser vollkommen unterwarf und ihr in der Hoffnung auf Lohn diente, den er aber nie bekam. Der Dienst des werbenden Mannes wurde gleichgesetzt mit dem Dienst des Vasallen gegenüber seines Lehnsherren, mit dem Unterschied, dass der Minnende nicht den Herren-, sondern den Frauendienst verrichtete.60 Für den Adel des Mittelalters war die minne der Leitbegriff für die höfische Liebe. Ihr Idealbild zeigte sich im Spannungszustand zwischen individuellem Affekt und normgemäßen, höfischen Verzicht, der „sittliche Läuterung“61 brachte. Demnach konnte nur die unerfüllte Liebe veredelnd wirken, weshalb der ungelohnte Minnedienst als ästhetische Lebensform galt. Das Unermüdliche Werben des Mannes um die unerreichbare Frau gewährte hohes gesellschaftliches Ansehen, diente als Mittel zur Triebregulierung und Affektsteuerung62 und war Teil eines Zivilisationsprozesses der „Selbstveredelung und Vervollkommnung“.63

4.2 Das Kreuzlied

Beim mittelalterlichen Kreuzlied handelt es sich um eine Untergattung des Minnesangs, welche sich erstmals bei Friedrich von Hausen fand.64 Das Wort kriuzeliet erschien einmal, in der Mitte des 13. Jahrhunderts, bei Reinmar von Fiedeler.65 Im Kreuzlied fand die Verbindung der fiktionalen Minnethematik mit dem realhistorischen Kreuzzugsmotiv statt, womit sich dieses der Liebesleid-Thematik des Minnesangs anschloss und meist als Abschiedsklage verfasst wurde. Im Zentrum des ethisch-religiösen Konflikts des Ritters steht die Entscheidung zwischen dem Minnedienst und dem Dienst an Gott. Diese bilden die beiden existenziellen Treueverhältnisse des Minnesängers.66 Der eigentliche Konflikt bewegt sich aber zwischen den ‚ duo amores‘. Die Kreuzlieder leben von der Spannung zwischen den Forderungen der weltlichen und der himmlischen Minne, welchen sich der Ritter beide verpflichtet fühlt. Amor dei, die Liebe zu Gott führt zur Tugend und zur innerlichen Vervollkommnung, während amor mundi, die Liebe zur Welt, zu Laster und Verderbnis führt.67 Den Kern des Kreuzliedes bildet das Schwanken des Ritters zwischen den beiden Dienstverhältnissen und der Beseitigung der Disharmonie. Dabei kristallisieren sich drei Lösungsmöglichkeiten heraus: (1) Das lyrische Ich erkennt die Kreuzforderung an, kann sich aber nicht von der Minnebindung lösen. (2) Der Klagende bejaht die Weltminne, ist jedoch der höher stehenden Forderung der Kreuznahme untergeordnet. (3) Der Konflikt wird zugunsten des religiösen Auftrags überwunden.68 Grundsätzlich versteht der Sänger den Kreuzzug als oberste Ritterpflicht und Gott als höchsten Lehnsherrn69, weswegen das Kreuzlied dem einseitigen Minnesang der Hohen Minne in den meisten Fällen eine Absage erteilt und eine Minne der Gegenseitigkeit nach dem Vorbild der Gottesminne fordert.70

[...]


1 Leben im Mittelalter: https://www.leben-im-mittelalter.net/gesellschaft-im-mittelalter/religion-und-christentum-im-mittelalter.html

2 Planet Wissen: https://www.planet-wissen.de/geschichte/mittelalter/leben_im_mittelalter/pwiediekreuzzuegekriegumdieheiligestadt100.html

3 Melville & Staub, 2017, S. 373.

4 Schweikle, 1989, S. 81.

5 Schweikle, 1989, S. 142.

6 Mayer, 2005, S. 18.

7 Melville & Staub, 2017, S. 373-374.

8 Mayer, 2005, S. 27.

9 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 7.

10 Melville & Staub, 2017, S. 375.

11 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 13-14.

12 Bibel-online: https://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/matthaeus/10/#38

13 Melville & Staub, 2017, S. 374.

14 Melville & Staub, 2017, S. 275.

15 Mayer, 2005, S. 27.

16 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 3-4.

17 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 5.

18 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 131.-132

19 Theiss, 1974, S.10-11.

20 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 132.

21 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 133 ff.

22 Weddige, 1987, S. 164.

23 Melville und Staub, 2017, S. 55.

24 Melville und Staub, 2017, S. 54-56.

25 Bumke, 1997, S 65.

26 Bumke, 1997, S. 65.

27 Melville und Staub, 2017, S. 54-56.

28 Hechberger, 2004, S. 34.

29 Bumke, 1997, S. 65.

30 Bumke, 1977, S. 61.

31 Schweikle, S. 81.

32 Bumke, 1997, S. 381.

33 Bumke, 1997, S. 80.

34 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 148.

35 Bumke, 1997, S. 425.

36 Bumke, 1997, S. 80.

37 Hechberger, 2004, S. 36.

38 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 148

39 Bumke, 1997, S. 508.

40 Theiss, 1974, S. 12.

41 Bumke, 1997, S. 399.

42 Theiss, 1974, S. 13.

43 Ortmann, 1996, S. 81.

44 Theiss, 1974, S. 10-12.

45 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 146-147.

46 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 22-23.

47 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 5-6.

48 Weddige, 1987, S. 176.

49 Wentzlaff-Eggebert, 1960, S. 4.

50 Weddige, 1987, S. 176.

51 Mayer, 2005, S. 41.

52 Schweikle, 1989, S. 80.

53 Weddige, 1987, S. 243.

54 Schweikle, 1989, S. 81

55 Schweikle, 1989, S. 81

56 Weddige, 1987, S. 243-246.

57 Schweikle, 1989, S. 168-187.

58 Weddige, 1987, S. 254-255.

59 Melville & Staub, 2017, S. 267.

60 Weddige, 1987, S. 246; S. 255.

61 Schweikle, 1989, S. 172.

62 Weddige, 1987, S. 256 fff.

63 Weddige, 1987, S. 256 fff.

64 Schweikle, 1989, S. 141

65 Theiss, 1974, S. 3 ff.

66 Schweikle, 1989, S. 142.

67 Theiss, 1974, S. 16.

68 Theiss, 1974, S. 5.

69 Böhmer, 1986, S. 28.

70 Ortmann, 1996, S. 96.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Die Minneproblematik in ausgewählten Kreuzliedern von Friedrich von Hausen und Albrecht von Johansdorf
Untertitel
Zwischen Gottesminne und Frauenminne
Hochschule
Universität Salzburg
Note
1
Autor
Jahr
2019
Seiten
37
Katalognummer
V501669
ISBN (eBook)
9783346030573
ISBN (Buch)
9783346030580
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zwischen, gottesminne, frauenminne, minneproblematik, kreuzliedern, friedrich, hausen, albrecht, johansdorf
Arbeit zitieren
Josepha Stangassinger (Autor:in), 2019, Die Minneproblematik in ausgewählten Kreuzliedern von Friedrich von Hausen und Albrecht von Johansdorf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501669

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