Über Ernst Tollers "Hinkemann" von 1923. Der Kriegsinvalide als Allegorie auf die Zeit


Hausarbeit, 2019

14 Seiten, Note: 2,3

Jan Filip (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kriegsinvaliden nach dem ersten Weltkrieg

3. Darstellung und Schicksal des Hinkemanns in „Der Hinkemann“

4. Vergleich des Hinkemanns mit den Kriegsinvaliden

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit setzt sich mit der Fragestellung auseinander, inwiefern das expressionistische Drama „Der Hinkemann“ von Ernst Toller als eine Allegorie für die Nachkriegszeit und die Weimarer Republik verstanden werden kann.

Toller widmet diese Sätze nicht dem Drama, sondern einer Vorabszene in der Volksbühne. Sein poetischer Appell beinhaltet die Botschaft an ein heranwachsendes Solidaritätsgefühl in der Gesellschaft:

„Dir widme ich dieses Drama, namensloser Prolet, Dir, namensloser Held der Menschlichkeit, von dem kein Ruhmesbesuch meldet, keine Revolutionsgeschichte, kein Parteilexikon. Nur irgendein Polizeibericht im Winkel der Presse weiß von dir unter der leidenschaftslosen Rubrik: „Unfälle und Selbstmorde“ zu sagen. Eugen Hinkemann ist dein Symbol. Immer littest Du, in jeder Gesellschaft, in jedem Staat und wirst vom dunklem Schicksal gezeichnet, selbst leiden müssen, wenn in hellerer Zeit die sozialistische Gesellschaft erkämpft und gewachsen ist. Immer wirst du zertreten, irgendwo, in einer alltäglichen Stube, an einem alltäglichen Weg.

Immer. Von den Herren, die dich und deine Not nicht kennen und dich erdrücken. (Und so Du in Deutschland lebst, wirst du verdürsten und verhungern, lieblos verhöhnt, lieblos verlacht.)“[1]

Es wird deutlich, dass der Protagonist die Kritik an der Gesellschaft darstellt und das Paradebeispiel darstellen soll. Ist die Allegorie Ernst Toller gelungen? Diese Fragestellung soll in dieser Hausarbeit beantwortet werden. Es wäre wichtig zu beachten, ob das Gefängnis, in dem das Stück vom Autor verfasst worden ist, einen Einfluss auf die Handlung und die Psyche des Autors haben könnte.

Die Hausarbeit stellt das allgemeine Verständnis eines Kriegsheimkehrer aus dem ersten Weltkrieg und die Darstellung von Eugen Hinkemann dar. Im weiteren Verlauf wird ein Vergleich der beiden vorherigen Kapitel gezogen.

Der „Hinkemann“ beschäftigt sich mit dem am meisten diskutierten Thema der zwanziger Jahre und setzt sich mit diesem Thema auf seine eigene Art und Weise auseinander[2].

2. Kriegsinvaliden nach dem ersten Weltkrieg

Der erste Weltkrieg gehört zu den größten Kriegen der Weltgeschichte. Er fand von 1914 bis 1918 statt und brachte auf der ganzen Welt um die siebzehn Millionen Opfer. Auslöser waren das Attentat auf den Thronfolger Österreich – Ungarns Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Geliebten in Sarajevo und die darauffolgende Julikrise[3].

Mächte wie das Deutsche Kaiserreich, Frankreich, Großbritannien oder Österreich-Ungarn waren am ersten Weltkrieg beteiligt. Viel mehr Menschen wurden in den Ersten Weltkrieg einbezogen als in den vorherigen Kriegen. Neben der hohen Opferzahl kamen viele Kriegsverletzte in ihre Heimatländer zurück.

„Die Zahl unser Kriegsinvaliden ist kürzlich vom Fürsten Hatzfeld auf eine Million geschätzt worden. Je länger der Krieg dauert, desto mehr wird sich das Heer der verstümmelten vergrößern. Wie sollen diese Opfer des Weltkrieges nun ihren Platz im Berufsleben wieder finden? Wo sollen sie untergebracht werden?(...) Die Arbeitslosenquote steigt derweilen an[4].

Kriegsversehrte mussten nach dem ersten Weltkrieg in irgendeiner Art wieder in das soziale Leben und in die Gesellschaft integriert werden. Es entstand ein extremer Kontrast zwischen den Kriegsheimkehrern und den gefallenen Soldaten. Die gefallenen Kriegssoldaten, welche auch als Kriegshelden betitelt worden sind, erlangten in der Gesellschaft eine nationale Identität und wurden stark heroisiert. Die Überlebenden des ersten Krieges problematisierten die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Die Gesellschaft sah diese Menschen als eine Last an, da das Auftreten der Kriegsheimkehrer das Stadtbild verschlimmerte[5].

Das Zitat spricht eine weitere Problematik an. Die Kriegsinvaliden waren nicht mehr in der Lage einen normalen Beruf auszuüben, sodass die Zahl der Bettler stetig anstieg. Dies führte dazu, dass die Invaliden ihre Verletzungen der Gesellschaft offenbarten und in den Menschen Ekel hervorbrachten. Die Abneigung gegenüber den Invaliden wuchs enorm.

Ein weiterer Grund für die Inakzeptanz von den Kriegsinavliden in der Gesellschaft, war die Erinnerung an die Niederlage an den Ersten Weltkrieg[6].

Durch die schwierigen Verwundungen waren die Invaliden auf eine fremde Hilfe angewiesen. Folglich änderte sich das Machtverhältnis in den Liebesbeziehungen. Die männliche Dominanz verlor an Wert und das Ende einer erotischen Beziehung nahm seinen Lauf. In den Medien setzte man den Kriegsheimkehrer äquivalent zu einem Kind, sodass ein Bild der fürsorglichen Mutter vermittelt wurde, welche sich um ihr krankes Kind kümmern muss. Für viele der Frauen musste ersichtlich gemacht werden, dass sie nun der Hauptverdiener in der Beziehung sind[7]. Die Zeitungen appellierten stark an die Frauen der Kriegsinvaliden, dass es kein Scheidungsgrund sei, Männer zu verlassen, welche körperliche sowie/oder psychische Schäden aufweisen. Durch die starke Benachteiligung strebten die Kriegsinvaliden nach einem moralischen Ausgleich in der Gesellschaft[8]. Sie wollten ein höheres Ansehen und die erneute Eingliederung in der Gesellschaft erlangen. Die Hoffnungen wurden nicht umgesetzt, sodass die Abneigung weiterhin gegen über ihnen stieg. Demütigung, Betrug, Armut, Hunger und Krankheiten gehörten zur Tagesordnung.

Viele der Verstümmelten wurden als Simulanten betitelt und die Möglichkeiten zur Hilfe und zur einer gerechten Behandlung, wies sich als sehr gering auf. Nicht desto trotz entwickelte sich durch die Hilfebedürftigkeit der Kriegsinvaliden vieles in der Medizin. Die erste moderne Prothese wurde auf dem Markt eingeführt und ermöglichte den wenig glücklichen Menschen Bewegungen auszuführen. Sie wurden als „Menschenmaterial [9] vorgeführt und für Experimente genutzt. Natürlich bestand nicht die Möglichkeit auf eine komplette Heilung. Ziel war es wenigstens sie als reparabel zu beschreiben. In der Kunst wie z.B. an Ottos Dix Kunstwerk „Die Skatspieler“ aus dem Jahr 1920 sollte das Bild einer fürsorglichen Gesellschaft kund gegeben werden. Jedoch ist seine Intuition nicht gelungen, wodurch stärker die Gefühle von Leere, Depressionen und Trauer überbracht wurden. Waren die Kriegsheimkehrer die neuen Roboter?

Schlussendlich ist es den zahlreichen Kriegsheimkehrern nicht gelungen, sich in die Gesellschaft der Weimarer Republik zu integrieren. Die Hoffnungen von Anerkennung, Respekt und Wohlstand sind ihnen im weitesten Sinne verflogen. Einige der Kriegsheimkehrer konnten sich mit ihrer vergangenen Lage zufrieden geben, jedoch vollzogen mehrere den Suizid[10].

Wie wurden Kriegsinvalide in der Literatur dargestellt?

Allgemein kann man sagen, dass Kriegsinvalidität ein wichtiges Thema der Nachkriegsliteratur ist. Die Existenz von Invaliden wird in den meisten literarischen Werken als defektiv angesehen und das Dilemma der defekten Sexualität spielt eine große Rolle[11]. Die Invaliden stellten eine Personifikation für politische Zustände sowie für ein beschädigtes Selbstbewusstsein dar[12]. Der Heroismus der Invaliden wurden vermieden. Deshalb wurde der Einsatz von Kriegsinvaliden in Werken genutzt, um eine gesellschaftsorientierte Kritik auszuüben[13].

3. Schicksal des Hinkemanns im Drama von Ernst Toller „Der Hinkemann“

„Ich habe die Kraft nicht mehr. Die Kraft nicht zu kämpfen, die Kraft nicht mehr zum Traum. Wer keine Kraft zum Traum hat, hat keine Kraft zum Leben. Der Schuß, der war wie eine Frucht, vom Baum der Erkenntnis... . Alles Sehen wird mir Wissen, alles Wissen Leid. Menschen, die alles Leid leben und dennoch wollen... Ich will nicht mehr.“[14]

Dieses Zitat stammt aus dem Ernst Tollers expressionistischen Drama „ Hinkemann “, welches im Jahre 1923 am Alten Theater Leipzig uraufgeführt worden ist. Der Protagonist Hinkemann erweckt in seinem Bewusstsein die grauenhafte Erkenntnis über die Gesellschaft seiner Zeit. Er stellt fest, dass er psychisch am Ende seiner Kräfte angekommen ist . Aber wie kommt es dazu, dass ein Mensch von einer derartigen Verzweiflung geprägt ist? Hat die Gesellschaft und seine Sozialisation einen starken Einfluss auf ein Individuum?

Die Tragödie vom Kriegsheimkehrer Eugen Hinkemann spielt in Deutschland um das Jahr 1921. Dem Protagonisten wurden im ersten Weltkrieg seine Genitalien abgeschossen. Er ist verheiratet mit seiner Frau Grete, welche ihn im Verlauf des Dramas mit Paul Großhahn hintergeht. Um einen Arbeitsplatz wieder zu erlangen, bewirbt sich der Hinkemann auf einem Rummelplatz. Seine Aufgabe besteht darin, vor den Augen der Zuschauer die Kehle von Mäusen und Ratten durchzubeißen. Grete und Paul Großhahn kommen zufälligerweise zu einem seiner Auftritte, woraufhin Paul ihn vor Grete beleidigt und schlecht macht. Grete ist vor lauter Enttäuschung geplagt, sodass sie sich entscheidet, Paul zu verlassen. Am Ende der Tragödie möchte Grete zu Hinkemann zurückkehren, woraufhin er sie ablehnt. Aus diesem Grund stürzt sie sich aus einem Fenster in den Tod.

[...]


[1] Bebendorf, Klaus: Tollers - Expressionistische Revolution. Frankfurt am Main. 1990 S. 137.

[2] Vgl. Bebendorf. Revolution S. 139.

[3] Vgl. https://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/der_erste_weltkrieg/index.html. (09.02.2019, 10:22)

[4] Beil, Christine: Zwischen Hoffnung und Verbitterung. Selbstbild und Erfahrungen von Kriegsbeschädigten in den ersten Jahren der Weimarer Republik. In: Zeitschrift für Geisteswissenschaft 2 (1998). S. 152.

[5] Vgl. Kienitz, Sabine: Der Krieg der Invaliden. Helden Bilder und Männlichkeitskonstruktionen nach dem ersten Weltkrieg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 (2001), S. 376-379.

[6] Vgl. Kienitz, Sabine: Der Krieg der Invaliden. Helden Bilder und Männlichkeitskonstruktionen nach dem ersten Weltkrieg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 (2001), S. 378.

[7] Vgl. https://kurier.at/thema/1914/erster-weltkrieg-als-aus-maennern-kinder-wurden/45.190.588 (09.02.2019, 11:40).

[8] Vgl. Kienitz, Sabine: Beschädigte Helden: Kriegsinvalidität und Körperbilder 1914 – 1923. Padeborn 2008. S. 19.

[9] https://kurier.at/thema/1914/erster-weltkrieg-als-aus-maennern-kinder-wurden/45.190.588 (09.02.2019, 11:50).

[10] Vgl. Bebendorf. Revolution S. 140.

[11] Hölter, Achim: Die Invaliden. Die vergessene Geschichte der Kriegskrüppel in der europäischen Literatur bis zum 19. Jahrhundert. Stuttgart/Weimar (1995). S. 570.

[12] Vgl. Hölter: Geschichte der Kriegskrüppel S. 575.

[13] Vgl. Hölter: Geschichte der Kriegskrüppel S. 575-576.

[14] Toller, Ernst, Hinkemann. Eine Tragödie. S. 53.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Über Ernst Tollers "Hinkemann" von 1923. Der Kriegsinvalide als Allegorie auf die Zeit
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
2,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V501955
ISBN (eBook)
9783346022790
ISBN (Buch)
9783346022806
Sprache
Deutsch
Schlagworte
über, ernst, tollers, hinkemann, kriegsinvalide, allegorie, zeit
Arbeit zitieren
Jan Filip (Autor:in), 2019, Über Ernst Tollers "Hinkemann" von 1923. Der Kriegsinvalide als Allegorie auf die Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501955

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