Die Beschreibungen phantastischer Wesen und ganzer monströser Völker spielen seit der Antike eine zentrale Rolle und nehmen seit jeher Einzug in Enzyklopädien, Historiographien, in Landkarten, Kosmographien und zahlreichen weiteren Wissenschaften ein. Diese Wunder, von denen der griechische Arzt Ktesias erstmals im 5. Jh. v. Chr. berichtete, wurden in Indien und Äthiopien verortet und bestimmten fast 2000 Jahre lang die westliche Vorstellung des Ostens. Die damaligen Gelehrten des Abendlandes hatten noch keine Vorstellung von der asiatischen Welt, sodass über realgeographische und -ethnographische Strukturen so gut wie nichts bekannt war. Um die weißen Flecken auf den mappae mundi, die so deutlich über die mangelnden Kenntnisse ferne Länder zeugten füllen zu können, bedienten sich die alten Kartographen der Wundererzählungen, die durch ihre monströse Physis ein geeignetes Signum für die abnehmende Menschlichkeit symbolisierten, je ferner sich etwas von der Ordnung im Zentrum bewegte. Auffallend ist jedoch, dass selbst Reiseberichte, die sich zur Orientierung gerade nicht an den mappae mundi bedienten, von diesen Wundervölkern ebenfalls immer zahlreicher berichteten.
„Es wohnen gar wundersame Leute jenseits des fließenden Gewässers, [...] die so groß wie Riesen sind, die ganz leicht über einen Elefanten springen, der doch ein großes Tier ist. Es gibt auch kleine Menschen, die nicht viel länger als eine Elle lang sind. Es gibt auch Frauen, die gebären einmal grauhaarige Nachkommen. Und wenn die Nachkommen lang leben, dann wird ihr Haar im Alter schwarz. (...) Andere Leute gibt es, die rohen Fisch essen und das salzige Meerwasser trinken. (...) Es gibt auch Leute, die haben die Fersen an den Füßen nach vorne gedreht. Hieronymus [...] sagt von Leuten, die er cynocephalos nennt, dass sie Hundsköpfe haben, scharfe krumme Nägel an den Gliedmaßen haben und beharrt sind und nicht sprechen, sondern bellen wie die Hunde. (...) Es gibt Leute, die nur einen Fuß haben und sehr schnell laufen können. Und der Fuß ist so breit, dass er ihnen in der Sonne großen Schatten gibt, und sie ruhen unter ihrem Fuß wie unter einem Dach.“
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Marco Polo. Leben und Werk
- 3. Jean de Mandeville. Leben und Werk
- 4. Fremderfahrung im Mittelalter
- 4.1 Das Fremde im Mittelalter und die Bedeutung von Reiseberichten
- 4.2 Das Topos- und Erfahrungswissen und die Bedeutung der auctoritas
- 5. Monstra und monströse Völker
- 5.1 Die Ursprünge der monstra und ihre Situierung in der Antike
- 5.2 Die Situierung der monstra im Mittelalter
- 5.2.1 Die Problematik der monstra mit der christlichen Schöpfungslehre
- 5.2.2 Der Ordo-Gedanke
- 6. Untersuchungen zu Marco Polos Reisebericht
- 6.1 Marco Polos Intention
- 6.2 Marco Polos monstra
- 6.2.1 Die Hundsköpfigen
- 6.2.2 Die Pygmäen
- 6.2.3 Das Einhorn
- 6.3 Auswertung
- 7. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rezeption von Reiseberichten im Mittelalter, insbesondere im Hinblick auf die Darstellung monströser Völker. Im Mittelpunkt steht ein Vergleich zwischen Marco Polos Reisebericht und dem Bericht Jean de Mandevilles. Die Arbeit analysiert, welche Faktoren die Glaubwürdigkeit von Reiseberichten beeinflussten und warum Marco Polos Bericht, im Gegensatz zu dem von Mandeville, weniger Akzeptanz fand.
- Glaubwürdigkeitsfaktoren mittelalterlicher Reiseberichte
- Die Rolle monströser Völker in der mittelalterlichen Vorstellungswelt
- Vergleich der Darstellung monströser Völker bei Marco Polo und Jean de Mandeville
- Analyse von Marco Polos Reisebericht in verschiedenen Übersetzungen
- Der Einfluss von Topoi und Erfahrungswissen auf die Rezeption der Berichte
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der monströsen Völker in mittelalterlichen Reiseberichten ein und stellt die Forschungsfrage nach dem Zusammenhang zwischen der Erwähnung solcher Völker und der Glaubwürdigkeit der Berichte. Sie kündigt den Vergleich zwischen Marco Polo und Jean de Mandeville an und skizziert den methodischen Ansatz der Arbeit.
2. Marco Polo. Leben und Werk: Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über das Leben und die Reise von Marco Polo. Es beschreibt seine Reise nach China, seinen Dienst am Hof des Großkhans und seine spätere Gefangenschaft in Genua, wo er seinen Reisebericht diktierte. Der Fokus liegt auf der Biografie als Kontext für die spätere Analyse seines Berichts und seiner Rezeption.
3. Jean de Mandeville. Leben und Werk: Dieses Kapitel bietet eine kurze Biographie von Jean de Mandeville und stellt seinen Reisebericht als Gegenstück zu dem von Marco Polo vor. Die Darstellung fokussiert auf die Bekanntheit und Akzeptanz seines Berichtes, welcher im Gegensatz zu Polos Werk, ausführlich über monströse Völker berichtet. Dies dient als Ausgangspunkt für den Vergleich der beiden Berichte.
4. Fremderfahrung im Mittelalter: Dieses Kapitel beleuchtet den Kontext der Fremderfahrung im Mittelalter. Es untersucht die Bedeutung von Reiseberichten als Quelle der Information über ferne Länder und die Rolle von Topoi und Erfahrungswissen in der Rezeption dieser Berichte. Der Abschnitt behandelt die Bedeutung von "Auctoritas" und wie diese die Glaubwürdigkeit von Berichten beeinflusste. Der Fokus liegt auf dem Verständnis des Fremden im Mittelalter und dem Einfluss von Weltkarten auf die Vorstellung von fernen Ländern.
5. Monstra und monströse Völker: Dieses Kapitel untersucht die Ursprünge und die Rolle monströser Völker in der Antike und im Mittelalter. Es analysiert die Problematik der Darstellung solcher Völker im Kontext der christlichen Schöpfungslehre und den "Ordo"-Gedanke, welcher die Ordnung in der Welt betonte und Abweichungen von dieser Ordnung als "monströs" einstufte. Hier wird die historische Perspektive auf die Vorstellung von monströsen Völkern etabliert.
6. Untersuchungen zu Marco Polos Reisebericht: Dieses Kapitel analysiert Marco Polos Reisebericht im Detail, insbesondere die Darstellung monströser Völker. Es vergleicht verschiedene Versionen des Berichts und untersucht die Intention des Autors. Die Analyse konzentriert sich auf ausgewählte Beispiele wie die Hundsköpfigen, Pygmäen und das Einhorn, um die These zu überprüfen, dass die geringe Erwähnung monströser Völker die Akzeptanz des Berichts beeinflusste. Der Vergleich mit Mandevilles Bericht soll diese These untermauern.
Schlüsselwörter
Reiseberichte, Mittelalter, Marco Polo, Jean de Mandeville, monströse Völker, Glaubwürdigkeit, Topoi, Erfahrungswissen, Auctoritas, Ordo-Gedanke, Fremderfahrung, Ethnographie, Phantastik.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Mittelalterliche Reiseberichte - Marco Polo vs. Jean de Mandeville
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese wissenschaftliche Arbeit untersucht die Rezeption von mittelalterlichen Reiseberichten, insbesondere im Hinblick auf die Darstellung „monströser Völker“. Im Fokus steht ein Vergleich zwischen den Reiseberichten von Marco Polo und Jean de Mandeville, um zu analysieren, welche Faktoren die Glaubwürdigkeit dieser Berichte beeinflussten und warum Marco Polos Bericht im Gegensatz zu dem von Mandeville weniger Akzeptanz fand.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende zentrale Themen: Glaubwürdigkeitsfaktoren mittelalterlicher Reiseberichte, die Rolle monströser Völker in der mittelalterlichen Vorstellungswelt, einen Vergleich der Darstellung monströser Völker bei Marco Polo und Jean de Mandeville, eine Analyse von Marco Polos Reisebericht in verschiedenen Übersetzungen und den Einfluss von Topoi und Erfahrungswissen auf die Rezeption der Berichte.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel: Einleitung, Marco Polo (Leben und Werk), Jean de Mandeville (Leben und Werk), Fremderfahrung im Mittelalter, Monstra und monströse Völker, Untersuchungen zu Marco Polos Reisebericht und Fazit. Jedes Kapitel wird in der Zusammenfassung detailliert beschrieben.
Wie wird Marco Polo in der Arbeit behandelt?
Das Kapitel über Marco Polo gibt einen Überblick über sein Leben und seine Reise nach China. Es beschreibt seinen Dienst am Hof des Großkhans, seine Gefangenschaft in Genua und die Entstehung seines Reiseberichts. Die Analyse seines Berichts konzentriert sich auf die Darstellung monströser Völker (z.B. Hundsköpfige, Pygmäen, Einhorn) und den Vergleich mit Mandevilles Bericht.
Wie wird Jean de Mandeville in der Arbeit behandelt?
Das Kapitel über Jean de Mandeville bietet eine kurze Biographie und stellt seinen Reisebericht als Gegenstück zu dem von Marco Polo dar. Der Fokus liegt auf der Bekanntheit und Akzeptanz seines Berichts, der im Gegensatz zu Polos Werk ausführlich über monströse Völker berichtet. Dies bildet die Grundlage für den Vergleich beider Berichte.
Welche Rolle spielen „monströse Völker“ in der Arbeit?
„Monströse Völker“ sind ein zentrales Thema. Die Arbeit untersucht deren Ursprünge in der Antike und im Mittelalter, ihre Problematik im Kontext der christlichen Schöpfungslehre und den „Ordo“-Gedanke. Der Vergleich der Darstellung dieser Völker bei Polo und Mandeville ist essentiell für die Analyse der Glaubwürdigkeitsfaktoren der Berichte.
Welche Faktoren beeinflussten die Glaubwürdigkeit mittelalterlicher Reiseberichte?
Die Arbeit analysiert verschiedene Faktoren, die die Glaubwürdigkeit mittelalterlicher Reiseberichte beeinflussten, darunter die Berücksichtigung von Topoi und Erfahrungswissen, die Autorität des Autors ("Auctoritas") und die Einhaltung des „Ordo“-Gedanken (Ordnung in der Welt). Die geringe Erwähnung monströser Völker bei Marco Polo wird in diesem Kontext diskutiert.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Arbeit?
Das Fazit fasst die Ergebnisse der Analyse zusammen und beantwortet die Forschungsfrage nach dem Zusammenhang zwischen der Darstellung monströser Völker und der Glaubwürdigkeit mittelalterlicher Reiseberichte. Es wird ein Vergleich zwischen Marco Polos und Jean de Mandevilles Reiseberichten gezogen und deren unterschiedliche Rezeption erklärt.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Reiseberichte, Mittelalter, Marco Polo, Jean de Mandeville, monströse Völker, Glaubwürdigkeit, Topoi, Erfahrungswissen, Auctoritas, Ordo-Gedanke, Fremderfahrung, Ethnographie, Phantastik.
- Arbeit zitieren
- B.Ed. Barbara Lampert (Autor:in), 2014, Marco Polos Beschreibung der Welt. Die Glaubwürdigkeit seines Augenzeugenberichts in Bezug auf die monströsen Völker des Erdrandes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501992