Von mittelalterlichen Geschlechterhierarchien und gottgewollten Ordnungen

Eine Untersuchung zur göttlichen Ordnung in ausgewählten Ehemären des Strickers


Seminararbeit, 2018

33 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschlechterhierarchie des Mittelalters
2.1 Das biblische Frauenbild
2.2 Das mittelalterliche Frauenbild

3. Der Stricker
3.1 Strickers Märe-Typus

4. Analyse und Interpretation ausgewählter Ehemäre des Strickers
4.1 Das heiße Eisen
4.2 Der kluge Knecht
4.3 Der begrabene Ehemann
4.4 Das erzwungene Gelübde
4.5 Die eingemauerte Frau

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Gesellschaft im Mittelalter war gekennzeichnet durch den Feudalismus aus dem sich eine Ständeordnung ergab, die die Gesellschaft in Klerus, Adel und Bauern einteilte. Während im Frühmittelalter neben der Kirche noch andere germanische Kulte und Traditionen existierten, so änderte sich dies im Laufe des Hochmittelalters, indem sich die Kirche und das Christentum behaupteten und die Führungsposition in der mittelalterlichen Gesellschaft einnahmen.1 Als irdische Vertreter Gottes prägten sie das gesellschaftliche Miteinander und beeinflussten den Alltag und das Leben der Menschen maßgeblich. Ihre Autorität und die Macht, die sie durch ihre Führungsposition innehatten, zweifelte niemand an. Den Klerikern, die das Wort Gottes auf Erden verkündeten, schenkten die Menschen ihren Glauben. So war man im Mittelalter auch der Ansicht, dass es eine Hierarchie zwischen den Geschlechtern, eine von Gott gewollte Ordnung gab, die aufrechterhalten werden müsse. Die Kirchenväter begründeten diese patriarchale Gesellschaftsordnung mit Aussagen der Heiligen Schrift zu den Geschlechterrollen und vereinten diese mit bereits bestehenden gesellschaftlichen Konventionen und ihrem eigenen Verständnis von Kirche und Gesellschaft, wodurch die Ungleichheit zwischen Mann und Frau und die Unterordnung des weiblichen Geschlechts gerechtfertigt wurde. Diese göttliche Ordnung zwischen den Geschlechtern bildete jahrhundertelang die Grundlage für eine Gesellschaft, die vom Patriarchat gekennzeichnet war.2

In der Zeit des Hochmittelalters, in der die Kirche zu großer Macht gelangt war und ihr Einfluss auf die Menschen nicht größer hätte sein können, lebte der Stricker. Der Stricker war einer der produktivsten Dichter des Mittelalters und obgleich nur wenig über ihn bekannt ist wissen wir, dass er in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gelebt hat und seine Schaffenszeit in den Jahren von 1220 – 1250 anzusiedeln ist.3 Mit seinem umfangreichen literarischen Repertoire an Gattungen, Themen und Formen gilt er als einer der wesentlichen Wegbereiter für die spätmittelalterliche Literatur. Was die Mären des Strickers betrifft, so gelten diese als die ersten typbildenden Mären mit gemeinsamen Charakteristika.4 Ein wesentliches Merkmal Strickers Erzählungen ist die göttliche Ordnung zwischen Mann und Frau, eine von Gott gewollte gesellschaftliche Hierarchie. In beinahe allen seinen Mären beschäftigt er sich mit der Störung und Wiederherstellung dieser Ordnung.

Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob die Störung der göttlichen Ordnung in Strickers Ehemären immer von der Frau herbeigeführt, oder ob diese auch von den Männern in den Mären ausgelöst wird. Diesem Essay liegt die Annahme zugrunde, dass Ersteres der Fall ist, und dass die weiblichen Protagonistinnen in den Erzählungen diejenigen sind, die diesen gottgewollten Zustand stören. Zunächst beschäftigt sich die Seminararbeit mit der Geschlechterhierarchie des Mittelalters, wobei im Speziellen auf das biblische und das mittelalterliche Frauenbild eingegangen wird und diese näher dargestellt werden. Da sich dieser Essay mit ausgewählten Ehemären des Strickers beschäftigt, werden in einem zweiten Abschnitt der Dichter und sein Märe-Typus vorgestellt. Im Zuge der Analyse und Interpretation fünf ausgewählter Mären soll die der Arbeit zugrunde liegende These untersucht werden. Folgende Mären werden analysiert: Das heiße Eisen, der kluge Knecht, der begrabene Ehemann, das erzwungene Gelübde sowie die eingemauerte Frau. Zu Beginn der Analyse der einzelnen Erzählungen folgt eine inhaltliche Zusammenfassung, während in einem weiteren Schritt dargestellt wird, wie die göttliche Ordnung in den jeweiligen Mären gestört wird, wer der Urheber dieser Störung ist und wie die Restitution des ordnungsgemäßen Zustandes erfolgt. Ziel dieser Seminararbeit ist es, durch die Interpretation und Analyse einzelner Mären die These, dass die Frauen in den Ehemären diejenigen sind, die die gottgewollte Ordnung zwischen Mann und Frau stören, zu überprüfen, um so einen – wenn auch nur kleinen – Beitrag zur Analyse und Interpretation Strickers Mären zu leisten.

2. Geschlechterhierarchie des Mittelalters

Das europäische Mittelalter war eine christlich geprägte Ära, in der der Alltag der Menschen in allen Lebensbereichen maßgeblich durch die Religion beeinflusst wurde. Nicht zuletzt aufgrund der Ständegesellschaft, die im Mittelalter herrschte, verfügten Kleriker über eine große Macht innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft. Katholische Lehrmeinungen und christliche Werte wurden von der Kirche als unabdingbar für ein christliches Leben propagiert. Der Mensch als gläubiger und guter Christ hatte sich an diesen Werten zu orientieren und danach zu leben.5

Ebenso das Frauenbild der damaligen Zeit wurde im Wesentlichen von den Aussagen der katholischen Kirche über ihren Wert, ihre Funktion und ihre gesellschaftlichen Rolle geprägt. Diese Haltung gründete sich dabei zum Großteil auf der Deutung entsprechender Bibelstellen und den Aussagen der Kirchenvertreter.6 Biblische Aussagen zu der gesellschaftlichen Ordnung und den Geschlechterrollen waren lange Zeit Grundlagen für die Hierarchie zwischen Mann und Frau und ebenso prägend für deren rechtliche und weltliche Stellung. Die katholische Kirche vermengte patriarchalische Normen mit den Aussagen der Bibel und ihrem Verständnis des Christentums und schaffte so ein theologisches Fundament, mit dem die Ungleichheit zwischen Mann und Frau gerechtfertigt werden konnte.7 Die Unterordnung der Frau unter den Mann wurde zu einem zentralen Bestandteil der göttlichen Ordnung.8

2.1 Das biblische Frauenbild

Das Buch Genesis beinhaltet die Schöpfungsgeschichte und enthält wesentliche anthropologische Grundaussagen zum Menschen und den Geschlechtern. Laut der Überlieferung schuf Gott den Menschen als sein Abbild, als Mann und Frau.9 Obgleich Gott sie als vermeintlich ebenbürtig schuf, herrschte schon zu Beginn der Schöpfung ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, denn Adam war der erste Mensch auf Erden, danach erst wurde Eva gemacht, und das aus der Rippe Adams:

„Gott, der Herr, baute die Rippe, die er dem Menschen entnommen hatte, zu einer Frau aus und führte sie ihm zu […]. Diese soll man Männin heißen; denn vom Manne ist sie genommen.“10

Sowohl die Erschaffung Adams, als auch die Entnahme der Rippe, die als Grundlage für die Entstehung Evas diente, galten als Legitimation für die Höherstellung des Mannes und die damit verbundene Geschlechterhierarchie. Die Schöpfung der Frau aus dem Mann gestand Adam das „Erstgeburtsrecht“ zu und kann als erste hierarchische (Unter-) Ordnung zwischen den Geschlechtern gedeutet werden.11 Als Gott Mann und Frau geschaffen und sie in göttlicher Vollendung im Paradies vereint hatte, hielt die Sünde Einzug in die Welt:

„Da sah die Frau, daß der Baum gut sei zum Essen und eine Lust zum Anschauen und begehrenswert, um weise zu werden, Sie nahm von seiner Frucht, aß und gab auch ihrem Manne neben ihr, und auch er aß.“12

Obgleich der Sündenfall oftmals als Vergehen beider Geschlechter beschrieben wird, steht im Buch Genesis ausdrücklich geschrieben, dass Eva die Erste war, die die Früchte vom verbotenen Baum aß und anschließend Adam dazu verführte, dasselbe zu tun, weswegen sie als „erste Angriffsfläche für das Böse“13 bezeichnet wird. Deshalb gilt sie als moralisch labiler und leichter verführbar. Durch die Abkehr von Gott und ihr Handeln ist allein Eva der Urgrund aller Sündhaftigkeit auf Erden. Aufgrund dessen wurde die Frau als schwach, dem Mann unterlegen und sündhaft bezeichnet und aufgefordert, sich dem stärkeren Geschlecht unterzuordnen.14 Mit ihrem Vergehen hat Eva nicht nur die Ordnung der Geschlechter sondern auch das Schicksal aller Frauen besiegelt, da man der Ansicht war, dass alle Töchter von Eva abstammten. Die Heilige Schrift beinhaltet zahlreiche Belege, die die gesellschaftliche Hierarchie zwischen Mann und Frau zugunsten der Männer auslegen oder aber auch die Sündhaftigkeit des weiblichen Geschlechts anprangern. So steht beispielsweise im Buch Jesus Sirach geschrieben: „Die erste Sünde kam von einer Frau“.15 Im Brief an die Epheser wird explizit von den Frauen gefordert, sich ihren Männern unterzuordnen und sich diesen zu unterwerfen:

„Die Frauen seien ihren Männern untertan wie dem Herrn; denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt ist der Kirche […]. Wie aber die Kirche Christus untertan ist, so seien es auch die Frauen ihren Männern in allem.“16

All diese Belege aus dem Alten Testament sind klare Hinweise dafür, dass bereits zu dieser Zeit eine patriarchale Ordnung zwischen den Geschlechtern herrschte, in der der Frau als sekundärer Schöpfung ein niederer Rang zugesprochen wurde.

2.2 Das mittelalterliche Frauenbild

Wie zuvor erwähnt war das Mittelalter eine Zeit, die maßgeblich von der katholischen Kirche, deren Werten und Lehrmeinungen geprägt war. Das zu mittelalterlichen Zeiten herrschende Frauenbild und die patriarchale Gesellschaftsordnung wurden den Menschen von der Kirche aufgezwungen. Da sie diese Konventionen den Lehren der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, entnahmen, welche die Grundlage des katholischen Glaubens, und somit auch die Lebensgrundlage der Menschen bildete, blieb diese unangetastet. Im Mittelalter herrschte die Ansicht, dass die Frau als das schwächere Geschlecht zur Unterwerfung prädestiniert sei, weswegen die Gesellschaft vom Patriarchat gekennzeichnet war.17 Die Rollen von Mann und Frau waren klar definiert. Der Mann als Oberhaupt der Familie war für die Versorgung dieser, die Wahrung und Vergrößerung des Eigentums, die Zeugung von Nachkommen und den Schutz seiner Familie zuständig. Was die Macht des Mannes innerhalb der Ehe angeht, hatte dieser kaum Einschränkungen hinzunehmen. Im Gegensatz dazu wurden von der Frau absolute Unterordnung und Gehorsam gefordert. Sie war mit ihrem Verhalten für das Eheglück- und Unglück verantwortlich. Mittelalterlichen Ansichten zufolge war eine harmonische Partnerschaft nur dann gewährleistet, wenn sich die Ehefrau ihrer Rolle und Stellung bewusst war und sich dementsprechend verhielt. Eine Ehe, in der sich die Frau nicht der patriarchalischen Ordnung unterwerfe, würde nicht funktionieren.18

Ein wesentlicher Aspekt, der zu diesem negativen Frauenbild beitrug, war der Sündenfall Evas, der im Buch Genesis überliefert ist. Aufgrund der Geschlechtertrennung, nach der der Mann Geist, Vernunft und Stärke verkörpert, die Frau hingegen mit Natur, Körper und Schwäche gleichgesetzt wird, verwies Augustus auf die starke Verbindung zwischen Erbsünde, und Körper und sexueller Lust der Frau, wodurch der Fall der Menschen im Paradies als sexueller Sündenfall interpretiert19 und die Frau als Werkzeug des Teufels bezeichnet wurde.20 Unter diesem Blick wurde Sexualität als Urgrund für das Verderben der Menschheit, als fleischliche Sünde und Abkehr von Gott von der Kirche und der Gesellschaft angeprangert, weswegen sie diese strikt ablehnten und verdammten.21 Alle körperlichen und weltlichen Lüste vereinigten sich, so die theologische Ansicht, im weiblichen Geschlecht, weshalb dieses als menschgewordene Sünde gesehen wurde. Aus diesem Grund kam man zu der Einsicht, dass die Frau vom stärkeren Geschlecht domestiziert und beherrscht werden müsste. Aus der Stärke des Mannes und der Schwäche der Frau leiteten Theologen der damaligen Zeit auch eine geistig-moralische Schwäche und Fragilität der Frau ab.22

Doch nicht nur die katholische Kirche trug dazu bei, dass das negative Frauenbild fortbestand und die Misogynie und Unterdrückung der Frauen weiter geschürt wurde. Zeitgenössische Philosophen wie beispielsweise Thomas von Aquin waren von der Unterlegenheit der Frau dem Mann gegenüber überzeugt und versuchten, diese naturwissenschaftlich zu erklären. Er griff Aristoteles‘ Prinzip der Passivität der Frau auf.23 Demnach schrieb er dem Mann die Elemente Luft und Feuer zu, die gleichbedeutend mit Aktivität und Überlegenheit waren. Dem weiblichen Geschlecht ordnete er Wasser und Erde zu, woraus er Passivität ableitete. Diese Verteilung der Elemente begründete er mit dem Geschlechtsakt zwischen Mann und Frau. Demnach zufolge sei die Frau bei der Reproduktion vollkommen passiv und verhalte sich wie ein Gefäß, das den Samen des Mannes empfängt, welcher diesen aktiv in sie „hineinpumpt“. Deshalb kam er zu dem Schluss, dass die Abhängigkeit der Frau vom Mann größer sei als umgekehrt.24 Thomas übernahm diese Ansichten, verschärfte die Behauptung ihrer Unterlegenheit dem Mann gegenüber und begründete damit letztendlich seine These, die Frau sei nichts anderes als ein unvollständiger, defekter Mann, ein mas occasionatus. Dies sei auch der Grund dafür, dass das weibliche Geschlecht keinesfalls klüger sein könne, als das Männliche. Im Anschluss daran stellte er die These der doppelten Unterwerfung der Frau auf. Demnach könne man die Überlegenheit des Mannes nicht nur mit der moralischen, sondern auch mit der biologischen Fehlerhaftigkeit der Frau begründen.25

All diese theologischen, naturwissenschaftlichen und biologischen Ansichten und Aussagen der damaligen Zeit führten letzten Endes zur Bestärkung des negativ konnotierten Frauenbildes, wodurch die gesellschaftliche Stellung der Frau weiterhin sekundär blieb und die hierarchisch patriarchalische Ordnung zwischen Mann und Frau aufrechterhalten wurde.

3. Der Stricker

Der Stricker war einer der produktivsten mittelhochdeutschen Dichter der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, über den bedauerlicherweise nur wenig Konkretes bekannt ist.26 Er nennt sich in seinen Werken mehrfach selbst „Der Strickaere“ und auch Autoren seiner Zeit, wie Rudolfs von Ems, war er unter diesem Namen bekannt. Aufgrund der Reime und Mundart seiner überlieferten Texte wird Rheinfranken als Herkunftsraum des Dichters vermutet. Die Jahrzehnte zwischen 1220 und 1250 werden als seine Schaffenszeit datiert. Was seinen sozialen Stand angeht ist man sich einig, dass er von niederer Herkunft gewesen sein muss und als fahrender Berufsdichter durch die Lande gezogen ist. Außerdem lassen Themen einiger seiner Werke, sowie Ortsanspielungen und andere Gegebenheiten darauf schließen, dass er sich einige Zeit in Österreich aufgehalten hat.27

3.1 Strickers Märe-Typus

Die Mären des Strickers sind Erzählungen, die ein konkretes Geschehnis aufgreifen und aus der Sicht eines auktorialen Erzählers vorgetragen werden. Ein erstes Charakteristikum bilden die Textanfänge der Mären:28

Ein man sprach ze sînem wîbe[29] (Das erzwungene Gelübde)

Ein ritter tugend rîche, nam ein wîp êlîche[30] (Die eingemauerte Frau)

Ein man sprach wider sîn wîp[31] (Der begrabene Ehemann)

Wie hier sichtbar wird, sind die Situationen modellhaft konstruiert: Ein Mann und eine Frau stehen einander als Ehepaar gegenüber. Ort und Zeit, sowie Attribute zur genaueren Charakterisierung sind nicht bekannt. Die namenlosen Figuren der Stricker-Märe dienen als Handlungsträger. Sie setzen die Aktionen in den Mären, wodurch der Sinn der Erzählungen zum Vorschein gebracht wird. Dabei handeln sie immer als Einzelne, nie als Typen. Durch das Fehlen der Namen und die bloße Benennung einer gesellschaftlichen Gruppe (Ehemann, Bauer, Ritter, etc.) erscheinen ihre Handlungen nicht als individuelle, sondern als rahmenhaft-gruppenspezifische Verhaltensweisen.32

Ein zentraler Aspekt in Strickers Mären ist das Motiv der gottgewollten Ordnung, einer Welt, in der alles nach Gottes Willen eingerichtet ist. Ausganspunkt beinahe aller Mären bildet die Störung dieser göttlichen Ordnung. Ziel ist es, diesen ordnungsgemäßen Zustand und somit das göttliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Restitution erfolgt durch das Erzwingen von Einsicht mittels körperlicher oder verbaler Gewalt, in den meisten Fällen besteht sie aber in der schrittweisen Hinführung zur Vernunft mittels einer List. Die Restitution kann in der direkten Wiederherstellung des als ordnungsgemäß angesehenen Ausgangszustandes, oder aber auch verdeckt erfolgen, indem der Störer der Ordnung Schande und Spott ausgesetzt wird, den Verlust der eheliche Liebe zu erleiden hat oder im Extremfall sogar mit dem Tod bestraft wird. Für das Wiedereinlenken in den ordnungsgemäßen Zustand werden die Mären-Figuren mit einem glücklichen Leben belohnt.33

Ein weiterer Aspekt der Mären bildet die (Handlungs-)Pointe, die als Erkenntnis stiftendes Element in den Mären fungiert. Darunter wird eine im ersten Erzählabschnitt entstandene Provokation verstanden, die sich plötzlich gegen ihren Urheber wendet. Dadurch findet ein Wechsel der Handlungshoheit statt, wodurch die Unterlegenen zu Überlegenen werden und sich das Blatt wendet.34 Des Weiteren beinhalten Mären in den meisten Fällen eine Moralisatio, eine Lehre, die am Ende aus der Erzählung gezogen wird. Diese kann bei den Mären von Stricker verschiedene Funktionen übernehmen. Zu guter Letzt bleibt noch ein wesentlicher Aspekt zu nennen. Das richtige Verhalten. Denn zentral ist in Strickers Mären ist nicht das einfach Befolgen von Ordnungsregeln, sondern das „Wie des Handelns“:

In der Welt der Stricker-Mären ist das erfolgreiche Verhalten das richtige Verhalten. […] es ist […] die didaktische Ausformulierung des Modells einer wohlgeordneten Welt: die Aufforderung, die Welt als eine von Gott eingerichtete und gelenkte zu erkennen und sich den Regeln dieses göttlich garantierten „Ordo“ zu fügen.“35

Dem Stricker war es wichtig, richtiges von falschem Verhalten zu unterscheiden und dies in seinen Mären sichtbar zu machen, indem er richtiges Verhalten mit Erfolg und Ansehen belohnt, und falsches mit Schmach und Misserfolg bestraft.

4. Analyse und Interpretation ausgewählter Ehemäre des Strickers

Der Stricker war einer der bedeutendsten Dichter des Mittelalters, und obgleich er den Menschen seiner Zeit weit voraus war, fand er sich in einer Gesellschaft wieder, in der konservative, von der katholischen Kirche geprägte Ansichten und Normen herrschten. Er lebte in einer Zeit, in der die Menschen der festen Überzeugung waren, dass es zwischen den Geschlechtern eine von Gott gewollte Hierarchie gab, in der die Frau als sekundäre Schöpfung, als fehlerhaftes Wesen den niedrigeren Rang einzunehmen hatte. Dieses Motiv der göttlichen Ordnung zwischen Mann und Frau stellt einen zentralen Aspekt in den Mären des Strickers dar. Die folgende Analyse und Interpretation fünf ausgewählter Ehemären des Strickers verfolgt das Ziel, die der Arbeit zugrundeliegenden These, dass die Störung der gottgewollten Ordnung in seinen Mären immer von den Frauen ausgeht, zu untersuchen und zu überprüfen.

4.1 Das heiße Eisen

In Strickers Das heiße Eisen verlangt eine Frau von ihrem Ehemann einen Treuebeweis. Zum Zeichen seiner Liebe und Ehrlichkeit soll er für sie ein heißes Eisen tragen. Dieser willigt sofort in ihre Forderung ein und kommt ihrer Bitte nach. Um sich aber vor den verräterischen Brandwunden zu schützen, bedient er sich einer List und versteckt ein Holzscheit unter dem heißen Eisen. Im Anschluss daran bittet er seine Frau, ihm ebenfalls diesen Treuebeweis zu liefern und das Eisen für ihn zu tragen. Als sie sich jedoch weigert und der Ehemann sie daraufhin zwingt, gesteht sie ihm zunächst eine Affäre. Ihr Mann aber beharrt weiterhin auf seiner Forderung. In der Hoffnung ihrem schmerzhaften Schicksal zu entkommen, gesteht sie ihm fünf weitere Männer und drei Pfund, die sie ihm vorenthalten hat. Als dieser ihr droht, sie umzubringen, wenn sie nicht sofort das heiße Eisen trage, zieht sie sich schreckliche Brandwunden zu. Als ihr Mann ihr die Wunden verbinden möchte, bedauert sie in ihrem Zorn einzig und allein den Verlust ihrer händischen Fertigkeiten. Daraufhin versichert ihr ihr Mann, dass er alles dafür tun werde, um ihr lebenslang Schmach und Schande zuzufügen und prophezeit ihr auf ewig Hass und Leid.36

Im Mittelalter herrschte eine klar definierte Gesellschaftshierarchie. Auch die Ordnung zwischen Mann und Frau war hierarchisch geregelt. Demnach wurde dem Mann als starkem Geschlecht die herrschende Position zugestanden, die Frau hatte sich dieser unterzuordnen. Man war der Ansicht, dass diese Geschlechterhierarchie eine von Gott gewollte Ordnung sei, die nicht gestört werden dürfe. Im Märe Das heiße Eisen verlangt die Frau von ihrem Mann einen Treuebeweis. Indem sie die Erwartungen, die zur damaligen Zeit an eine Frau gestellt wurden nicht erfüllen und den Anforderungen, die mit ihrer Rolle als Ehefrau einhergehen nicht gerecht werden kann, führt sie die Störung der ehelichen Ordnung herbei:

„ob du mir ein gerihte tuost,

des ich dich will bewîsen:

trac mir daz heize îsen,

als liep ich dir ze vriunde sî!

dâ will ich rehte kennen bî,

welhe liebe du zuo mir hâst,

ob du âne schulde bestâst.

des will ich von dir niht enbern.

wil du mich des niht gewern

(daz ist ein ewiger haz.“)37 (38-47)

Indem die Frau von ihrem Mann einen Treuebeweis fordert, ihm sogar droht und ihn unter Druck setzt, zeigt sie ein Verhalten, das ihrer Rolle nicht gerecht wird. Sie zweifelt an seiner Ehrlichkeit, Treue und Liebe ihr gegenüber und greift somit seine unangetastete Rolle als Mann, als Spitze der ehelichen Beziehung an. Dies steht ihr, laut mittelalterlichen Ansichten nicht zu, wodurch sie die Störung der gottgewollten Ordnung herbeiführt. So wie die Stellung der Frau innerhalb einer Ehe definiert ist, hat auch der Mann als starkes Geschlecht gewisse Erwartungen zu erfüllen. Diesen Anforderungen scheint er aber auf den ersten Blick nicht nachzukommen:

„ich tuon vil gerne allez daz,

dâ mit ich dir gedienen mac.

ichn will weder naht noch tac

dir dînen willen versagen.

ich will daz îsen iezuo tragen.“[38] (54-58)

Der Mann als Repräsentant des starken Geschlechts dürfte sich den mittelalterlichen Ansichten nach niemals seiner Frau unterordnen. Indem er aber einwilligt, sich ihrer Prüfung zu unterziehen, geschieht genau das. Hier entsteht kurzweilig der Eindruck, der Mann würde durch sein Handeln die von der Frau herbeigeführte Störung bekräftigen, was ihn somit ebenfalls zu einem Störer der gottgewollten Ordnung machen würde. Wie sich im weiteren Verlauf des Märe aber herausstellt, verfolgt der Mann mit seinem Handeln ein höheres Ziel und willigt mit voller Absicht in die Forderung seiner Ehefrau ein. Dadurch, dass er der Bitte seiner Frau nachkommt und als Zeichen seiner Liebe und Treue das heiße Eisen für sie trägt, kann auch er von ihr verlangen, ihre Treue unter Beweis zu stellen:

[...]


1 Leben im Mittelalter: https://www.leben-im-mittelalter.net/gesellschaft-im-mittelalter.html.

2 Ketsch, 1984, S. 30-31; 42-44.

3 Böhm, 1995, S. 11.

4 Böhm, 1995, S. 11-12.

5 Leben im Mittelalter: https://www.leben-im-mittelalter.net/gesellschaft-im-mittelalter/religion-und-christentum-im-mittelalter.html

6 Ketsch, 1984, S. 27.

7 Ketsch, 1984, S. 42.

8 Ketsch, 1984, S. 30.

9 Hamp, Stenzel, Kürzinger, 1984, S. 2.

10 Hamp, Stenzel, Kürzinger, 1984, S. 3.

11 Angenendt, 2009, S. 261.

12 Hamp, Stenzel, Kürzinger, 1984, S. 3.

13 Hamp, Stenzel, Kürzinger, 1984, S. 3.

14 Angenendt, 2009, S. 261.

15 Hamp, Stenzel, Kürzinger, 1984, S. 807.

16 Hamp, Stenzel, Kürzinger, 1984, S. 222.

17 Duby, 1989, S. 37.

18 Laner, 2015, S. 55-56.

19 Seitz, 2008, S. 126-127.

20 Goetz, 1987, S. 51.

21 Seitz, 2008, S. 20.

22 Kochskämper, 1999, S. 17.

23 Brinker-von der Heyde, 1999, S. 54.

24 Leben im Mittelalter: https://www.leben-im-mittelalter.net/gesellschaft-im-mittelalter/frauen/thelogische-stellung.html

25 Seitz, 2008, S. 12-13.

26 Böhm, 1995, S. 11.

27 Ziegler, 1995, S. 418-419.

28 Grubmüller, 2006, S. 81.

29 Fischer, 2000, S. 11.

30 Fischer, 2000, S. 50.

31 Fischer, 2000, S. 28.

32 Grubmüller, 2006, S. 81-82.

33 Grubmüller, 2006, S. 83-85.

34 Grubmüller, 2006, S. 86-88.

35 Grubmüller, 2006, S. 88.

36 Grubmüller, 2014, S. 44-55.

37 Grubmüller, 2014, S. 46.

38 Grubmüller, 2014, S. 46

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Von mittelalterlichen Geschlechterhierarchien und gottgewollten Ordnungen
Untertitel
Eine Untersuchung zur göttlichen Ordnung in ausgewählten Ehemären des Strickers
Hochschule
Universität Salzburg
Veranstaltung
Novellistisches Erzählen im Mittelalter
Note
1
Autor
Jahr
2018
Seiten
33
Katalognummer
V502093
ISBN (eBook)
9783346039057
ISBN (Buch)
9783346039064
Sprache
Deutsch
Schlagworte
geschlechterhierarchien, ordnungen, eine, untersuchung, ordnung, ehemären, strickers
Arbeit zitieren
Josepha Stangassinger (Autor:in), 2018, Von mittelalterlichen Geschlechterhierarchien und gottgewollten Ordnungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502093

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