Der arbeitsscheue Dieb, die geheimnisvolle Wahrsagerin, die verführerische Tänzerin, bunte Planwagen und Musik am Lagerfeuer. All das sind wohlbekannte Typisierungen des „Zigeuners“ in der Literatur, die eine lange Tradition hinter sich haben, aber bis heute kaum hinterfragt werden. Dabei ist die Bezeichnung „Zigeuner“ überaus problematisch. Der Begriff referiert auf das Volk der Sinti und Roma und wird seit Anbeginn ihres Aufkommens in Europa negativ verwendet. Die Sinti und Roma haben sich selbst nie als „Zigeuner“ bezeichnet, das Wort gibt es in ihrer Sprache nicht. Aufgrund der diskriminierenden Fremdbezeichnung, wird in dieser Arbeit der Begriff „Zigeuner“ immer in Anführungsstrichen gestellt sein.
Während die „Zigeuner“-Figuren in der Literatur sowohl mit positiven, als auch mit negativen Klischees ausgestattet werden, so werden die Sinti und Roma von der Mehrheitsgesellschaft durchgängig negativ betrachtet. Besonders während des Nationalsozialismus hat sich die Diskriminierung gegenüber ihnen in ein unermessliches Ausmaß entwickelt. Aufgrund ihrer von der Mehrheitsgesellschaft zugeschriebenen Darstellung, wurden sie wie andere Minderheiten deportiert und in Konzentrationslager gebracht. Dabei prägen nicht nur historiographische Texte das Bild einer Gruppe, literarische Darstellungen tragen ebenfalls maßgebend dazu bei. In diesem Zusammenhang kommt der Kinder- und Jugendliteratur (fortan: KJL) eine besondere Relevanz bei der Thematisierung von Minderheiten während und nach dem Nationalsozialismus zu. Denn die erschienen Bücher verstehen sich als authentische Erzählungen, mit der Absicht, die historische Wahrheit zu repräsentieren. Die Wichtigkeit der KJL liegt darin, dass „Kinderbücher, einen effektiven Beitrag zur Entstehung des Geschichtsbildes leisten. In jeder Kultur nimmt die Kinderliteratur bei der Schaffung des Geschichtsbildes und dessen Darstellung eine zentrale Funktion ein.“
Die vorliegende Arbeit soll die Entwicklung des „Zigeuner“-Bildes auslegen und seinen Einzug in die KJL darstellen und erklären. Weshalb besitzt das Klischee des „Zigeuners“ so eine Standfestigkeit und wie werden sie in der KJL dargestellt? Die Gefahr beruht darauf, dass durch jeweilige Darstellungen, Vorurteile bestätigt oder sogar noch verstärkt werden können. Gleichzeitig besteht dabei jedoch die Hoffnung, dass Klischees durch literarische Darstellungen beeinflussbar seien und somit abgebaut werden können.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Konstruktion von Stereotype und Vorurteilen
- Die historische Entwicklung des „Zigeuner“-Stereotyps
- „Zigeuner“-Bild während des Nationalsozialismus und deren Auswirkungen
- „Zigeuner“-Bild nach 1945: Die „vergessenen“ Opfer
- Literarische Konstruktion des „Zigeuner“-Bildes
- „Zigeuner“-Bilder in der KJL und ihre Relevanz
- Literarische Darstellung von „Zigeunern“ in „Jenö war mein Freund“
- Literarische Darstellung von „Zigeunern“ in „Nebel im August“
- „Zigeuner“-Bilder in der KJL und ihre Relevanz
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Entstehung und Verbreitung des „Zigeuner“-Stereotyps sowie seiner Darstellung in der Kinder- und Jugendliteratur (KJL) nach 1945. Ziel ist es, zu untersuchen, wie dieses Stereotyp historisch entstanden ist, welche Auswirkungen es auf die Sinti und Roma hatte und wie es in der KJL perpetuiert oder gegebenenfalls durchbrochen wird.
- Die Konstruktion von Stereotypen und Vorurteilen als Mechanismen der Ausgrenzung
- Die historische Entwicklung des „Zigeuner“-Stereotyps und seine Verfestigung während des Nationalsozialismus
- Die Rolle der KJL bei der Perpetuierung oder Durchbrechung von „Zigeuner“-Stereotypen
- Analyse von zwei ausgewählten Kinder- und Jugendbüchern zur Darstellung von „Zigeuner“-Figuren
- Die Bedeutung der KJL bei der Gestaltung von Geschichtsbildern und der Förderung von Toleranz.
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Das „Zigeuner“-Stereotyp in der Literatur wird beleuchtet, wobei der problematische Begriff „Zigeuner“ als Fremdbezeichnung für Sinti und Roma erklärt wird. Die Diskriminierung der Sinti und Roma während des Nationalsozialismus und die Rolle der KJL bei der Thematisierung von Minderheiten werden hervorgehoben.
- Die Konstruktion von Stereotypen und Vorurteilen: Dieses Kapitel analysiert die Entstehung von Stereotypen und Vorurteilen und zeigt ihre Wirkung auf die Ausgrenzung von Minderheiten auf. Vorurteile werden als rational nicht begründbare, aber tief sitzende Zuschreibungen beschrieben, die zu Ressentiments und Diskriminierung führen können.
- Die historische Entwicklung des „Zigeuner“-Stereotyps: Das „Zigeuner“-Bild während des Nationalsozialismus und seine Auswirkungen auf die Sinti und Roma werden dargestellt. Die Bedeutung der KJL bei der Konstruktion von Geschichtsbildern wird betont.
- Literarische Konstruktion des „Zigeuner“-Bildes: Dieses Kapitel analysiert die Darstellung von „Zigeunern“ in der KJL und beleuchtet die Relevanz der Thematik. Die Untersuchung der literarischen Darstellung von „Zigeunern“ in zwei ausgewählten Büchern „Jenö war mein Freund“ und „Nebel im August“ zeigt, wie Stereotype in der Literatur verstärkt oder durchbrochen werden können.
Schlüsselwörter
Sinti und Roma, „Zigeuner“-Stereotyp, Antiziganismus, Kinder- und Jugendliteratur (KJL), Vorurteile, Diskriminierung, Nationalsozialismus, Geschichte, Literaturanalyse, Stereotypenforschung.
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- B.Ed. Barbara Lampert (Author), 2016, Die Entwicklung des "Zigeuner"-Stereotyps und sein Einzug in die Kinder- und Jugendliteratur nach 1945, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502099