Die vorliegende Arbeit ist ein Essay aus einer Hexalogie aus Essays und entstand in dem von der
Kommunikationswissenschaftlerin geleitetem Seminar „Zwischen
Individuation und Vergesellschaftung — Theoretische Perspektiven auf (Medien-)
Sozialisationsprozesse“ am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen
Wilhelms- Universität Münster. Die Essays wurden mit 1,3 bewertet:
1. Pierre Bourdieu: Sozialisation als Habitualisierung
2. Jürgen Habermas: Ich-Identität als Ziel der Sozialisation
3. George Herbert Mead: Sozialisation durch symbolische Interaktion
4. Klaus Hurrelmann: Sozialisation als produktive Verarbeitung der inneren
und äußeren Realität
5. Daniel Süss: Mediensozialisation zwischen gesellschaftlicher Entwicklung
und Identitätskonstruktion
6. Horst Niesyto: Kritische Theorie der Mediensozialisation
Die vorgestellten Autoren beschreiben das Heranwachsen in einer Gesellschaft als einen
Sozialisationsprozess, der Handlungsfähigkeit in einer immer komplexer werdenden Welt
ermöglicht. Obwohl Sozialisation ein lebenslanger Prozess ist, so nehmen die ersten
Lebensjahre einen besonderen Stellenwert in der Entwicklung ein — die ersten
Sozialisationsjahre nehmen nachhaltig Einfluss auf die Persönlichkeit.
Globalisierung, Digitalisierung, Ökonomisierung und Medialisierung sind Phänomene einer
sich immer schneller wandelnden Gesellschaft, in der sich Sozialisanten zurecht finden
müssen, was aufgrund der zunehmenden Anforderungen herausforderungsreicher zu
werden scheint. Die folgenden, aufeinander aufbauenden Essays zeigen Elemente von
Sozialisationsprozessen diskursiv auf und verdeutlichen die Positionierung des Menschen
im Sozialisationsprozess zwischen innerer und äußerer Realität, zwischen individueller
Entwicklung und gesellschaftlicher Anpassung sowie deren wechselseitige Beeinflussung.
Die Auseinandersetzungen mit Aspekten von allgemeinen Sozialisationstheorien führen
aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung und der daraus resultierenden
Relevanz zum Betrachten der spezifischen Mediensozialisation.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Die traditionelle Rollentheorie
3 Grundqualifikationen einer starken Ich-Identität
4 Sozialisation als Entwicklung der Ich-Identität
Literaturverzeichnis
1 EINLEITUNG
Die vorliegende Arbeit ist die zweite einer Hexalogie und entstand im Seminar „Zwischen Individuation und Vergesellschaftung — Theoretische Perspektiven auf (Medien-) Sozialisationsprozesse“ am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster. Die Essays wurden mit 1,3 bewertet:
1. Pierre Bourdieu: Sozialisation als Habitualisierung
2. Jürgen Habermas: Ich-Identität als Ziel der Sozialisation
3. George Herbert Mead: Sozialisation durch symbolische Interaktion
4. Klaus Hurrelmann: Sozialisation als produktive Verarbeitung der inneren und äußeren Realität
5. Daniel Süss: Mediensozialisation zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und
Identitätskonstruktion
6. Horst Niesyto: Kritische Theorie der Mediensozialisation Diese Arbeit beschäftigt sich mit folgenden Fragen:
Was ist unter den drei Theoremen der traditionellen Rollentheorie (›Integrationstheorem‹,
›Identitätstheorem‹ und ›Konformitätstheorem‹) zu verstehen? Was kritisiert Habermas hieran jeweils?
Welche Grundqualifikationen des Rollenhandelns zeichnen nach Habermas ein Individuum aus, das über eine starke Ich-Identität verfügt?
Was kennzeichnet nach Habermas die stufenweise Entwicklung einer starken Ich- Identität? Wie kann eine erfolgreiche Sozialisation zusammenfassend beschrieben werden?
2 DIE TRADITIONELLE ROLLENTHEORIE
Jürgen Habermas fasst die traditionelle Rollentheorie, wie sie von Parsons entwickelt worden ist, unter drei Aspekten zusammen: das Integrationstheorem, das Identitätstheorem und das Konformitätstheorem. Er kritisiert dabei vor allem den Entwurf eines falschen Rollenbildes und die Vernachlässigung möglicher Freiheitsgrade des Handelns. Die Rollentheorie gehe von verschiedenen Annahmen aus, auf denen sich die Sozialisation eines Menschen stütze, was seiner Meinung nach allerdings nicht den regulären Zuständen entspräche, sondern die Ausnahme bilde.
Das Integrationstheorem nach Parsons geht davon aus, dass eine Einheit zwischen den Wertvorstellungen im Allgemeinen und den eigenen Bedürfnissen im Speziellen innerhalb einer Interaktion besteht und daher für beide Seiten das Rollenspiel gleichsam befriedigend ist. Habermas stellt dem entgegen, dass aufgrund von empirischen Belegen davon auszugehen sei, dass bislang ein Missverständnis zwischen den interpretierten Bedürfnissen und den gesellschaftlich erlaubten Wertorientierungen bestanden habe. Daher sei die Übereinstimmung von Werten und Normen mit den Bedürfnissen nicht mehr von primärer Bedeutung, sondern das gegenseitige Verständnis der symbolischen Bedeutungen, dieses stelle das Gleichgewicht einer Interaktion her. Nur unter Zwang sei eine vollständige Übereinstimmung der Erwartungen möglich.
Dem Identitätstheorem wird von Parson zugrunde gelegt, dass eine Übereinstimmung zwischen Rollendefinition und Rolleninterpretation innerhalb einer Interaktion besteht. Habermas kritisiert, dass die Interpretation der individuellen Rolle nicht genügend Spielraum erhalte. Rollendefinition und –interpretation müssten auseinandergehalten werden. Nur in einem Raum ohne Selbstpräsentation könnten Rollen in Übereinstimmung mit den Interpretationen sämtlicher Interaktionspartner definiert werden.
Das Konformitätstheorem von Parson beruht auf der Übereinstimmung von geltenden Normen und deren kontrollierten Internalisierung in stabilen Interaktionen. Habermas hält dem entgegen, dass normenkonformes Verhalten nicht gleichbedeutend sei mit der Übernahme des normativen Gehaltes und deren Unterscheidung schwierig sei, da es vielerlei Gründe für den Schein der Übernahme von Wertorientierungen gäbe, wie Sanktionen und Konditionierungen. Nur in einem autonomen Rollenspiel wäre eine Grundqualifikationen einer starken Ich-Identität 3 Unterscheidung von Internalisierung der Rolle und nachträglicher Distanzierung von ihr möglich.
Das Interesse von Habermas liegt in der Mündigkeit, seiner individuellen und gesellschaftlichen Emanzipation. Die Idee der Freiheit geht ihm unter den Aspekten der traditionellen Rollentheorie verloren. Er spricht drei Grade der Handlungsfreiheit an, die er vernachlässigt sieht. Der Grad der Repressivität, das Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und individuellen Befriedigungen, der Grad der Rigidität, der Spielraum gesellschaftlich erlaubten Rolleninterpretationen und der Grad der Internalisierung, das Maß an Verinnerlichung von Normen und die jeweilige Distanz dazu. Habermas geht es vor allem um die Autonomie des Menschen, welche er durch ein starkes Ich gefördert sieht.
3 GRUNDQUALIFIKATIONEN EINER STARKEN ICH-IDENTITÄT
Jürgen Habermas stellt in seinem Text „Zur Entwicklung der Ich-Identität“ heraus, dass eine starke Ich-Identität geprägt sei von ihrer Sprach- und Handlungsfähigkeit, die sich in Interaktionen bilde. Diese Identität würde einerseits durch eine Vergesellschaftung gebildet, andererseits würde diese durch Individuation gesichert und habe so die Möglichkeit, sich zu entfalten. In diesen Interaktionen fänden Rollenspiele statt, in denen Grundqualifikationen erworben würden, die zum Erwerb der Ich-Identität notwendig seien. Habermas betont dabei die Fähigkeit, Rollenambivalenzen ertragen, sich selbst angemessen repräsentieren und verinnerlichte Wertorientierungen flexibel anwenden zu können.
Rollenambivalenzen mit einer starken Ich-Identität gegenüber zu treten bedeute, eine hohe Frustrationstoleranz zu erwerben. Ein Individuum sei dieser Situation gewachsen, wenn es die Komplementarität der Erwartungshaltungen aushalte. Eine starke Ich- Identität sei nur dann herauszubilden, wenn es diese Qualifikation erlerne und keine Abwehrhaltung gegenüber der Komplementarität der Erwartungshaltungen zeige.
Ein Individuum mit einer starken Ich-Identität verfüge ferner über den Erwerb einer kontrollierten Selbstdarstellung. Diese drücke sich darin aus, dass er ein angemessenes Verhältnis zur Rollenambiguität zwischen Rollendefinition und Rolleninterpretation bewahre und weder eine von sich aus übersteigerte, noch eine von außen bestimmte Selbstdarstellung zeige.
Der Erwerb der Grundqualifikation, sich autonom gegenüber der Internalisierung von Wertorientierungen und deren flexible Anwendung zu verhalten, bilde eine starke Ich- Identität. Dieses zeige sich, indem das Individuum verinnerlichte Normen nicht überbewerte und diese zwanghaft anwende oder dazu neige, Normen als Auferlegung wahrzunehmen und diese reaktiv anzuwenden.
Jürgen Habermas beschreibt eine starke Ich-Identität mit der Fähigkeit, Krisen zu lösen.
Nur durch eine Umstrukturierung der Ich-Strukturen sei eine Konfliktlösung möglich. Er orientiert sich dabei an der psychoanalytischen Stufenlehre von Freud, indem mit jeder erfolgreich gelösten Krise die nächsthöhere Stufe erreicht worden ist.
4 SOZIALISATION ALS ENTWICKLUNG DER ICH-IDENTITÄT
Den Entwicklungsprozess eines Menschen beschreibt Jürgen Habermas mithilfe einer Stufenlehre, welche an die Stufenlehren von Freud, Piaget und Kohlberg anlehnen. Nach erfolgreichem Abschluss des drei-stufigem Bildungsprozesses stehe das Individuum mit einer starken Ich-Identität und einer kommunikativen Kompetenz. Kognitive Fähigkeiten, Interaktionen sowie spezifische Handlungsmotivationen und Normenwahrnehmung lägen diesem Prozess zugrunde. Dieser Bildungsprozess würde durch verschiedene Eigenschaften gekennzeichnet, die sich ebenfalls in der analytischen Psychologie, in der kognitivistischen Entwicklungspsychologie und im symbolischen Interaktionismus wiederfinden würden. Die Sprach- und Handlungsfähigkeit eines Menschen sei das Ergebnis von Reifungs- und Lernprozessen, in denen in Verbindung von der Fähigkeit zu Interaktionen auch die motivationale Entwicklung stattgefunden habe. Dieses sei ein komplexer Vorgang, der sich stufenförmig vollziehe und nur die nächste Stufe, durch das Absolvieren der vorherigen erreichbar und irreversibel sei. Dieser Prozess sei nicht kontinuierlich, sondern durch Krisen geprägt, dessen Bewältigung die Voraussetzung für das Bewältigen späterer Krisen sei. Die Entwicklungsrichtung sei durch zunehmende Autonomie gekennzeichnet. Der Umgang mit Krisen, mit Schwierigkeiten mit verinnerlichten Gesellschaftsstrukturen, eigenen Bedürfnissen und der Realität würde kompetenter. Dem zugrunde liege ein wichtiger Mechanismus des Lernens und der Verinnerlichung, durch welchen der Mensch Unabhängigkeit gegenüber seiner Umwelt und sich selbst erlange.
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- Quote paper
- B.A. Alke Eva Caris (Author), 2016, Jürgen Habermas´ Ich-Identität als Ziel der Sozialisation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502820
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