Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das European Recovery Program (ERP)
2.1 Historischer Kontext
2.2 Funktionsweise des ERP
2.3 Aufbau eines europäischen Marktes
2.3.1 Die “Organization for European Economic Cooperation” (OEEC)
2.3.2 Die Europäische Zahlungsunion (EZU)
3 Beitrag des ERP zur Wirtschaftsintegration Westeuropas
4 Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Das innereuropäische Handelsvolumen 1938-1950 (in Prozent)
Abb. 2: Abkommen in Bezug auf die europäische Wirtschaftsintegration
1 Einleitung
In seiner Rede, die er am 5. Juni 1947 auf der Absolventenfeier in Harvard hielt, beschrieb US-Außenminister George C. Marshall seine Pläne bezüglich einer Wiederaufbaupolitik für Europa nach dem zweiten Weltkrieg: Das Ziel dieser Politik „ist die Wiederbelebung einer leistungsfähigen Weltwirtschaft“. Die Hilfe soll „den Glauben der europäischen Völker an die wirtschaftliche Zukunft ihres eigenen Landes sowie Europas in seiner Gesamtheit [wiederherstellen]“.1
Die nachfolgende Arbeit untersucht zunächst, welche Motivationen die USA hatten, den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas im Rahmen des European Recovery Programs (ERP) mit über 13 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Im Anschluss daran wird erläutert, wie Marshalls Politik des ERP funktionierte, insbesondere wird hierbei die Funktionsweise der zwei für die europäische Entwicklung bedeutendsten Organisationen des ERP beleuchtet: Zum einen ist hier die Organization for European Economic Integration (OEEC) als Vereinigung der westeuropäischen Länder, die im Rahmen des ERP unterstützt wurden, zu nennen. Andererseits soll die wichtigste Unterorganisation der OEEC, die Europäische Zahlungsunion (EZU) betrachtet werden, welche zur Wiederherstellung der europäischen Währungskonvertibilität ins Leben gerufen wurde.
Im Rahmen dieser Analyse wird insbesondere herausgearbeitet, welchen Beitrag das European Recovery Program zur Wirtschaftsintegration Westeuropas leistete. Kasten definiert Wirtschaftsintegration als die „Überwindung nationalstaatlicher Grenzen durch den Zusammenschluss einzelner Volkswirtschaften zu einem großen Wirtschaftsraum“.2 Es wird betrachtet, durch welche Maßnahmen dieser Integrationsprozess vorangetrieben werden kann, und inwiefern sich diese im European Recovery Program erkennen lassen, um abschließend zu beurteilen, ob der Marshallplan tatsächlich als Motor für die Wirtschaftsintegration Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg diente. Da der Fokus der Ausarbeitung auf der Integration innerhalb Gesamt-Westeuropas liegt, werden die Entwicklung Westdeutschlands sowie der Ost-West-Konflikt nur kurz abgehandelt.
2 Das European Recovery Program (ERP)
2.1 Historischer Kontext
Die Ursprünge der Strategie, welche die Amerikaner mit dem European Recovery Program verfolgten, reichen bis in die dreißiger Jahre zurück:3 Nach der Großen Depression vollzog sich ein außenpolitischer Wandel in den USA, der auf der Erkenntnis beruhte, dass eine stabile internationale Wirtschaftsordnung geschaffen werden müsste, um die Erholung der amerikanischen Wirtschaft sicherstellen zu können.
Während des zweiten Weltkriegs konkretisierten die USA ihre Ideen zur weltweiten Wirtschaftsliberalisierung sowie dem Aufbau eines multilateralen Welthandelssystems: Im August 1941 vereinbarten sie mit Großbritannien die Atlantik-Charta, die unter anderem eine offene Zusammenarbeit im Welthandel zum Ziel hatte. Im Februar 1942 wurde das Lend-Lease-Abkommen mit Großbritannien geschlossen, welches die beiden Vertragspartner verpflichtete, sämtliche Arten von Diskriminierung im internationalen Handel zu beseitigen, sowie Zölle und andere Handelsbarrieren abzubauen. 1944 luden die USA zur Konferenz von Bretton Woods ein, in deren Rahmen die Einigung über die Schaffung eines internationalen Währungssystems mit festen Wechselkursen stattfand, welches mithilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) realisiert werden sollte. Außerdem sollte durch die Gründung der Weltbank der Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg gefördert werden.4 Die von den USA initiierte Errichtung einer internationalen Handelsaufsichtsbehörde (ITO) scheiterte zwar an der Zustimmung der Unterzeichnerstaaten im Jahr 1944, jedoch ebnete sie den Weg zum Abschluss des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) im Jahr 1947.5
Die Folgen des zweiten Weltkriegs für die Wirtschafslage Europas brachten die Pläne der USA jedoch zum Stocken: Die Produktion lag in allen westeuropäischen Ländern weit unter dem Durchschnitt der Vorkriegszeit. Der kalte Winter 1946/1947, die Dürreperiode im darauffolgenden Sommer, die Forderungen der Siegermächte nach Reparationen gegen die Verlierer Deutschland und Österreich, sowie die damit verbundene Demontage ganzer Industriezweige verschärften die Situation zwischen den westeuropäischen Ländern zusätzlich.
Da sich in den westeuropäischen Ländern während der Nachkriegszeit außerdem Bewegungen in Richtung der Sowjetunion formierten, fürchteten die USA den endgültigen Verlust wichtiger Abnehmerländer ihrer Exportprodukte an das kommunistische Lager. Die europäische Zahlungsbilanzkrise 1947, das Stocken des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in den ersten Nachkriegsjahren, sowie die Abwesenheit Deutschlands vom Welthandel trugen in der Folge ebenfalls dazu bei, dass die USA ihr Ziel einer multilateralen Weltwirtschaft immer weiter in die Ferne rücken sah.
Die USA versuchten von Anfang an, den europäischen Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg zu fördern.6 So wurden bereits ab 1945 bilaterale Hilfskredite an Frankreich und Großbritannien vergeben, für Großbritannien jedoch nur unter der Bedingung, dass die Konvertierbarkeit des Pfundes wiederhergestellt wird und eine Einbeziehung in das Bretton-Woods-System stattfindet. Als einzige Weltmacht, die gestärkt aus dem Krieg hervorging, waren die USA außerdem dazu in der Lage, Nahrungsmittel, Rohstoffe und Güter für den Wiederaufbau nach Europa zu exportieren. Da die amerikanische Produktion während dem zweiten Weltkrieg gesteigert wurde, mussten außerdem Absatzmöglichkeiten für die zusätzlichen Produkte gefunden werden. Schon vor der Einführung des ERP wurde im Hilfsprogramm GARIOA sowie im Rahmen der Truman-Doktrin Unterstützung für Europa in Form von Hilfslieferungen geleistet.
Dieser enorme Anstieg der Importe aus den USA, die geringe Produktion von Exportgütern in Europa sowie der durch den Krieg verringerte Bestand an Währungsreserven führten in Europa zu einem Mangel an Dollar für die Finanzierung der Importe aus Amerika. Verstärkt wurde der Effekt noch durch die Reduktion der realen Kaufkraft der europäischen Goldreserven sowie das wachsende bilaterale Handelsgeflecht in Europa.7 Dieses entwickelte sich aus der Devisenzwangswirtschaft im Handel mit Dollar-Ländern: Der Handel mit anderen Weichwährungsländern wurde intensiviert, da hier die Möglichkeit zum Handel bestand, ohne dass ein Rückgriff auf knapp vorhanden Dollarreserven notwendig wurde. Dadurch wurden allerdings auch keine neuen Dollarreserven auf den Markt gebracht. Diese sogenannte „Dollarlücke“ war 1947 in aller Munde und zeigte die Abhängigkeit Westeuropas von amerikanischen Hilfsleistungen.
Die Weltbank war nicht dazu in der Lage, die Situation zu verbessern, was schließlich zu der Erkenntnis der Amerikaner führte, dass ein Festhalten an ihrer Politik der Vorkriegszeit nicht direkt zur Erreichung ihrer Ziele führen würde: Der Wiederaufbau der intraeuropäischen Wirtschaft war notwendiger Zwischenschritt für eine spätere Eingliederung Westeuropas in das weltweite Handelsgeflecht.8
Auf der Außenministerkonferenz in Moskau im Frühling 1947 hofften die USA auf eine dringend notwendige Einigung mit den anderen Alliierten Siegermächten über die Friedensverträge mit Deutschland und Österreich. Die Verträge sollten aus Sicht der USA eine schnelle Stabilisierung der deutschen Wirtschaft durch Produktionssteigerungen beinhalten und erst im Anschluss den Forderungen nach Reparationen nachkommen. Als es den Alliierten jedoch zum wiederholten Male nicht gelang, sich auf eine gemeinsame Politik zu einigen, begann die amerikanische Regierung eigene Pläne für den Wiederaufbau Europas zu schmieden. Kern dieser Pläne war von Anfang an die Steigerung der europäischen Produktion, die Schaffung einer stabilen innereuropäischen Währung und die Schließung der Dollarlücke. Weiterhin sollten die Unterstützungspläne dazu beitragen, die bürgerlichen Kräfte in den Ländern zu stärken, um ein Abdriften ins kommunistische Lager zu verhindern und Entwicklungshilfe im griechischen Bürgerkrieg und in der Türkei zu leisten.9
2.2 Funktionsweise des ERP
Am 5. Juni 1947 machte US-Außenminister George C. Marshall diese Ideen bei seiner10 berühmten Rede auf der Harvard-Absolventenfeier publik und betonte zugleich, dass die Initiative für ein solches Programm von Europa kommen müsse, die USA aber finanzielle und anderweitige Unterstützung leisten würde.11
Im April 1948 stimmte der amerikanische Kongress einer entsprechenden Gesetzesvorlage, dem „European Cooperation Act“ zu.
Das Wiederaufbauprogramm sollte demnach vier Ziele verfolgen:
- Steigerung der Produktion
- Stabilisierung der Staatsfinanzen und Währungen in den Ländern
- Förderung der Kooperation zwischen den Teilnehmerländern
- Überwindung der Dollarlücke
[...]
1 Rede in: Bischof/Petschar (2017), S. 312-313.
2 Kasten (1978), S. 11.
3 Vgl. Buchheim (1990), S. 81-98.
Vgl. Bührer (1990), S. 139-147.
Vgl. Hardach (1994), S. 17-50.
2 Vgl. Wagener, u.a. (2014), S. 31-33
3 Vgl. Buchheim (1989), S. 169-178.
1 Zur Dollarlücke vgl. insbes. Buchheim (1989), S. 169-172.
2 Siehe hierzu auch Kapitel 2.3.2
1 Vgl. Buchheim (1989), S. 176-177.
2 Vgl. Hardach (1994), S. 43.
3 Vgl. Hardach (1994), S. 57-67.
Vgl. Wagener, u.a. (2014), S. 34
1 Vgl. Rede in: Bischof/Petschar (2017), S. 312-313.