Im Zentrum des Untersuchungsinteresses der vorliegenden Arbeit steht die politische Führung von Parteivorsitzenden in der SPD. Neuzeitliche Vertreter der Philosophie wie beispielsweise Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Auguste Comte und Karl Marx waren lange Zeit überzeugt davon, dass politische Führer lediglich austauschbare Symbole historischer Trends und keine treibenden Kräfte der Geschichte seien. Empirische Befunde legen eine gegenteilige Schlussfolgerung nahe: "Leadership matters“.
Politische Führung ist ein außerordentlich komplexes Phänomen – selbst für sozialwissenschaftliche Verhältnisse). Angesichts ebendieser Komplexität sowie der hinzukommenden Fragmentierung des Forschungsfeldes fehlen bisher allgemeingültige und verbindliche Definitionen sowie theoretisch fundierte Thesen über das Zusammenspiel der einzelnen relevanten Faktoren und Elemente, die politische Führung begründen. Ungeachtet dessen wird der Begriff der politischen Führung in der politischen Alltagspublizistik gern gebraucht, jedoch nur selten präzise verwendet. Er bietet eine probate Möglichkeit, Politik zu personalisieren. So werden Parteikrisen medial zu Führungskrisen stilisiert und in Kommentaren mit Vorliebe von der "Führungsschwäche" des einen Akteurs und der "Führungsstärke" des anderen geschrieben.
Persönlichkeitsbilder und Charakterfragen unterhalten das mediale Publikum besser als komplexe parteiorganisatorische Analysen. Gleichzeitig, so scheint es, haben sowohl die Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft als auch die Bildungsexpansion die Attraktivität und Wirkungsmacht der politischen Parteien verringert, das Selbstbewusstsein der Geführten in die eigenen Kompetenzen angeregt und dadurch die Strategiefähigkeit von Führungsakteuren untergraben. Die immer komplexer werdende Mediengesellschaft zeigt zudem zunehmend weniger Geduld gegenüber politisch Führenden, indem sie immer engere Zeitrahmen zur Lösung zuvor formulierter Probleme vorgibt. Durch die Dauerdurchleuchtung einer kritischen, und "sich selbst immer kompetenter wähnenden Öffentlichkeit" (Micus 2010: 10) schwindet zunehmend das Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen, was ein Bewahren der Handlungsfähigkeit der Führenden immer mehr erschwert.
In der politikwissenschaftlichen Forschung wurde der Faktor "Führung" lange Zeit vernachlässigt oder gänzlich ignoriert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Fragestellung
- Untersuchungsziele und inhaltlicher Aufbau
- Forschungsstand
- Methodisches Vorgehen
- Das leitfadengestützte Experteninterview als qualitative Erhebungsmethode
- Auswahl der Interviewpartner und Realisierung der Experteninterviews
- Auswertung der Experteninterviews durch die qualitative Inhaltsanalyse
- Grenzen des methodischen Vorgehens
- Theoretische und konzeptionelle Grundlagen
- Politische Führung als komplexes sozialwissenschaftliches Phänomen
- Definition, Zugänge und Funktionen politischer Führung
- Die hohe Kontextabhängigkeit politischer Führung
- Der interaktionistische Ansatz politischer Führung
- Interdisziplinäre gegenstandsbezogene Weiterentwicklung des interaktionistischen Ansatzes
- Parteienorganisationsforschung: Parteiinterne Organisationsstruktur als institutioneller Rahmen
- Sozialpsychologie: Die Rolle der Gefolgschaft und die Adressaten innerparteilicher Führung
- Soziologie: Handlungstheoretischer Ansatz zur Erklärung der Interdependenz von Handeln und Struktur
- Persönlichkeitsmerkmale von Parteivorsitzenden in Parteien aus interdisziplinärer Perspektive
- Analysezugang: Integration der theoretischen Vorüberlegungen
- Entwicklung eines gegenstandsbezogenen interaktionistischen Ansatzes zur Analyse politischer Führung
- Interaktionistisches Variablenmodell politischer Führung von Parteivorsitzenden in der SPD
- Einflussfaktoren politischer Führung von Parteivorsitzenden in der SPD: Ergebnisse der empirischen Untersuchung
- Strukturelle Ressourcen und Restriktionen
- Geschichte, Tradition, Werte und Programmatik der SPD
- Gesellschaftlicher Wandel und veränderte Rahmenbedingungen
- Mediengesellschaft und veränderte Medienlogik
- Personalisierung
- Innerparteiliche Alternativen und Rivalen
- Verhältnis zwischen Kanzlerkandidat und Parteivorsitzenden
- Institutionelle Ressourcen und Restriktionen
- Parteiorganisation der SPD: Formale und informelle Institutionen
- Das Willy-Brandt-Haus als Organisation in der Organisation
- Die Parteiflügel und Strömungen in der SPD
- Personenzentrierte Ressourcen und Restriktionen
- Strategische Führung: Strategiebildung, Richtungsbestimmung und Strategisches Zentrum
- Fähigkeit zur Entwicklung politischer Diskurse
- Politische Erfahrung
- Aufbau von persönlichem Vertrauen, Loyalitäten und Netzwerken
- Glaubwürdigkeit
- Kommunikation nach innen und außen: Die Ebenen der Politikherstellung und Politikdarstellung
- Charisma
- Erfolge
- Weitere personenzentrierte Merkmale und Eigenschaften
- Schlussbetrachtung
- Resümee der empirischen Untersuchung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Masterarbeit analysiert die Möglichkeiten und Formen politischer Führung von Parteivorsitzenden in der SPD, indem sie die Einflussfaktoren auf die politische Führung von Parteivorsitzenden im Kontext der modernen SPD untersucht.
- Die Rolle von strukturellen, institutionellen und personenzentrierten Ressourcen und Restriktionen im Kontext der politischen Führung von Parteivorsitzenden in der SPD
- Der interaktionistische Ansatz zur Analyse der komplexen Interdependenz von Handeln und Struktur in der Führungsforschung
- Die Analyse der Geschichte, Tradition, Werte und Programmatik der SPD als Einflussfaktoren auf die Führung von Parteivorsitzenden
- Die Untersuchung der Bedeutung von Mediengesellschaft und veränderter Medienlogik für die politische Führung von Parteivorsitzenden in der SPD
- Die Rolle von Personalisierung und innerparteilichen Alternativen und Rivalen in der politischen Führung von Parteivorsitzenden in der SPD
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung legt die Fragestellung, die Untersuchungsziele und den inhaltlichen Aufbau der Arbeit dar. Sie beleuchtet den Forschungsstand zur politischen Führung von Parteivorsitzenden in der SPD und stellt die Relevanz des Themas heraus.
Das zweite Kapitel widmet sich dem methodischen Vorgehen der Arbeit. Es erläutert die Wahl des leitfadengestützten Experteninterviews als qualitative Erhebungsmethode sowie die Auswahl der Interviewpartner und die Realisierung der Interviews. Die qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsmethode wird detailliert vorgestellt und die Grenzen des methodischen Vorgehens werden diskutiert.
Kapitel 3 legt die theoretischen und konzeptionellen Grundlagen der Arbeit dar. Es definiert politische Führung als ein komplexes sozialwissenschaftliches Phänomen, untersucht verschiedene Zugänge und Funktionen politischer Führung und beleuchtet die hohe Kontextabhängigkeit politischer Führung. Der interaktionistische Ansatz zur Analyse politischer Führung wird vorgestellt und aus interdisziplinärer Perspektive vertieft, wobei insbesondere die Rolle der Parteienorganisationsforschung, der Sozialpsychologie und der Soziologie sowie der Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf die politische Führung von Parteivorsitzenden diskutiert werden.
Kapitel 4 präsentiert die Ergebnisse der empirischen Untersuchung. Es analysiert die strukturellen, institutionellen und personenzentrierten Ressourcen und Restriktionen, die die politische Führung von Parteivorsitzenden in der SPD beeinflussen. Dabei werden die Geschichte, Tradition, Werte und Programmatik der SPD, der gesellschaftliche Wandel, die Mediengesellschaft, die Personalisierung, die innerparteilichen Alternativen und Rivalen sowie das Verhältnis zwischen Kanzlerkandidat und Parteivorsitzenden betrachtet. Des Weiteren werden die Parteiorganisation der SPD, das Willy-Brandt-Haus und die Parteiflügel und Strömungen untersucht. Die personenzentrierten Ressourcen und Restriktionen umfassen strategische Führung, die Fähigkeit zur Entwicklung politischer Diskurse, politische Erfahrung, den Aufbau von persönlichem Vertrauen, Loyalitäten und Netzwerken, Glaubwürdigkeit, Kommunikation nach innen und außen, Charisma, Erfolge und weitere personenzentrierte Merkmale und Eigenschaften.
Schlüsselwörter
Die Arbeit widmet sich den Themen politischer Führung, Parteivorsitzenden, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), interaktionistischer Ansatz, Ressourcen und Restriktionen, Struktur und Handeln, Parteienorganisationsforschung, Sozialpsychologie, Soziologie, Personalisierung, Mediengesellschaft, Geschichte und Tradition.
- Arbeit zitieren
- Bajram Dibrani (Autor:in), 2016, Möglichkeiten und Formen politischer Führung von Parteivorsitzenden in der SPD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502986