Sozial problematische Auswirkungen und Tendenzen hinsichtlich Erwerbsarbeit und (Aus)-Bildung in der Risikogesellschaft


Diplomarbeit, 2005

123 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Teil I - Thema
1. Das Modell der Risikogesellschaft
2. Erwerbsarbeit in der Risikogesellschaft (Ulrich Beck)
2.1. Die Bedeutung der Arbeit im Wandel der Zeit
2.2. Systemwandel in der Risikogesellschaft
2.3. Ursachen für den Systemwandel
2.4. Für und Wider den Systemwandel
2.5. Aussicht
2.6. Erwerbsarbeit in der Risikogesellschaft (Richard Sennett)
2.6.1. Der flexible Mensch
2.6.2. Flexibilität als Machtsystem
2.6.3. Fazit
2.7. Zusammenfassung und Thesenformulierung
3. Bildung und Ausbildung in der Risikogesellschaft (Ulrich Beck)
3.1. Fahrkarten in die Zukunft
3.2. Das Ende des utopischen Zeitalters
3.3. Die Situation spitzt sich zu
3.4. Berufsgebildete für einen Arbeitsmarkt ohne Nachfrage
3.5. Die Verlagerung der statuszuweisenden Funktion aus dem Bildungs- in das Beschäftigungssystem
3.6. Hauptschule
3.7. Universitäten und Fachhochschulen
3.8. Fazit: Refeudalisierung
3.9. Zusammenfassung und Thesenformulierung

Teil II - Theorie
1. Soziale Probleme
2. Die prozessual-systemische Denkfigur nach Silvia Staub-Bernasconi
2.1. Umwelt intern (Ui) inklusive Reize (R): Der menschliche Organismus
2.2. Umwelt Extern (Ue)
2.3. Erkennen und Erleben oder wahrnehmungsmäßige Ausstattung (E)
2.4. Modelle (M)
2.5. Verhalten und Handeln oder Ausstattung mit Handlungskompetenzen (A)
2.6. Beziehungspotenzial
3. Soziale Verknüpfungsprobleme (Macht)
3.1. Die individuelle Perspektive
3.2. Die gesellschaftliche Perspektive

Teil III - Analyse
1. Erklärung zur Methodik
2. Prolog zum Thema Werte und Kriterien
3. Analyse
3.1. Umwelt extern (Ue)
3.1.1. Werte und Kriterien
3.1.2. Zuordnung
3.1.3. Erläuterung und Interventionshorizonte
3.2. Modell (M)
3.2.1. Werte und Kriterien
3.2.2. Zuordnung
3.2.3. Erläuterung und Interventionshorizonte
3.3. Erleben/Erkennen (E)
3.3.1. Werte und Kriterien
3.3.2. Zuordnung
3.3.3. Erläuterung und Interventionshorizonte
3.4. Verhalten und Handeln (A)
3.4.1. Werte und Kriterien
3.4.2. Zuordnung
3.4.3. Erläuterung und Interventionshorizonte
3.5. Umwelt Intern (Ui)
3.5.1. Werte und Kriterien
3.5.2. Zuordnung
3.5.3. Erläuterung und Interventionshorizonte
4. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Summary

Literaturliste

Anhang

„Das Problem des Charakters im modernen Kapitalismus ist: Es gibt eine Geschichte, aber keine gemeinsame Erzählung der Schwierigkeiten und daher kein geteiltes Schicksal.“

(Richard Sennett, 2000)

Vorwort

Will man Probleme einer Zeit erfassen, ist man aus mehreren Gründen vor große Schwierigkeiten gestellt: Zum einen ist „die Zeit“ ein umfassender Begriff, und man begegnet auf seinem Erkenntnisweg gleichsam allerorten der Forderung nach Eingrenzung und Konkretisierung, immer um den Preis, das Ganze aus den Augen zu verlieren. Aber selbst wenn man alles erfassen könnte, dann stünde immer noch das Problem der unterschiedlichen Perspektiven von Menschen einer Gesellschaft im Raum. Kritisch-pessimistische Diagnosen stehen neben analytisch-indifferenten bis hin zu positiv-enthusiastischen. Dennoch handelt es sich immer um dieselbe Zeit. Es soll nicht bestritten werden, dass es „wahrere“ und „falschere“ Aussagen über eine Zeit geben kann und wohl auch gibt, dennoch gilt: unterschiedliche Perspektiven haben sowohl mit unterschiedlichen Lebenswelten, als auch mit unterschiedlichen Werten zu tun, und diese wiederum werden von unterschiedlichen Bedürfnissen von Menschen begründet.

Der Satz von Richard Sennett wird aus den genannten Gründen wohl kaum ungeteilte Zustimmung finden, schon gar nicht wenn er behaupten wollte, die zentrale Problematik unserer Zeit auf den Punkt bringen zu wollen. Dennoch habe ich diesen Satz vorangestellt, und damit gleichzeitig ein Bekenntnis zu meiner Perspektive abgelegt. Sennetts Satz zeigt etwas sehr Wichtiges auf: Wenn es um den Begriff Risikogesellschaft geht, geht es auch um das „Schwer-Greifbare“. Früher einmal lagen die Probleme auf der Hand, und sie waren in der Regel Probleme der „materiellen Verteilung“. Armut ist zwar als Problem nicht verschwunden, im Gegenteil gibt es den Begriff der „neuen Armut“, aber es kommt noch etwas Wesentliches hinzu, etwas kollektiv Psychisches: Der Verlust der „großen Erzählungen“, die Individualisierung der Lebenswelten, der Verlust des „gemeinsamen Schicksals“ von Klassen, Schichten und Generationen scheint der Hintergrund des Gefühls einer „schleichenden Krise“ zu sein. Man kann das auch mit dem Verlorengehen von Hoffnung in Verbindung bringen. Menschen ertragen in der Regel schwierige Situationen leichter wenn sie das Gefühl haben, dass es im Allgemeinen besser werden wird. Das Fehlen eines solchen Gefühls kann auch aus dem Empfinden eines zeitlichen Zenits entspringen, dem Gefühl dass „die fetten Jahre“ wohl ein für allemal vorbei sein müssten. Als deutlichstes Zeichen dafür ist die Krise des Arbeitsmarktes auszumachen. Wenn junge Menschen schon in der Schule das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie nur noch eingeschränkte Chancen haben werden, einen Job zu bekommen, dann entsteht die Risikogesellschaft im Kopf. Eine offensichtliche Krise (als allgemeiner Konsens) ist jedoch nicht auszumachen. Jeder scheint lediglich selbst verantwortlich zu sein, und man muss eben schnell genug laufen.

Kein geteiltes Schicksal heißt, dass jeder für sein eigenes Glück oder Unglück verantwortlich ist, und dass die Krisen des Individuums gleichzeitig diffus werden. Mit meiner Arbeit möchte ich den Versuch machen, ein wenig Licht in dieses diffuse Dunkel zu bringen und anhand von ausgewählten Bereichen untersuchen, was soziale Probleme in der Risikogesellschaft ausmacht und worin sie begründet sind.

An dieser Stelle möchte ich allen, die mir bei der Erstellung dieser Arbeit in irgendeinem Sinne behilflich waren danken, im Besonderen meinem Erstbegutachter Bernhard Krämer. Weiters möchte ich folgende Personen hervorheben: Kerstin Langmann, für ihre wichtige Rolle in meinem Leben zu dieser Zeit, DSA Dagmar Welte, für wertvolle Anregungen im Rahmen interessanter Diskussionen, Gerhard Schett, für die Hilfe beim Summary, Mag. Ferdinand Lerbscher, Dr. Hermann Denz, Mag. Theresia Sagmeister und Dr. Michael Striebel für die fachliche Beratung bzw. hilfreiche Tipps.

Einleitung

Die Idee der Risikogesellschaft bildet den Kern der wissenschaftlichen Forschung des Münchner Soziologen Ulrich Beck. Das gleichnamige Buch[1] stellt sein bekanntestes Werk dar, das sehr kontroversiell diskutiert worden ist. Heute kann man es, glaube ich, guten Gewissens als Standardwerk in der Soziologie bezeichnen, das Bekanntheit und Anerkennung über die Grenzen der Fachsoziologie hinaus gefunden hat . Erwerbsarbeit und Bildung/Ausbildung sind nur ein Teil des komplexen Konzepts der Risikogesellschaft, das ökologische, technologische, wissenschaftliche, politische und wirtschaftlich-soziale Implikationen aufweist. Gerade aber in diesem Bereich, der Gegenstand dieser Diplomarbeit sein soll, können aus meiner Sicht grundlegende Problematiken der modernen Gesellschaft aufgezeigt werden, und zwar aus folgendem Grund: Risikogesellschaft hat als ein zentrales Merkmal den Wandel der Erwerbsarbeitsformen, und die zentrale These lautet, dass bei einem knapper werden des Erwerbsarbeitsvolumen als solchem sich die verbleibende Arbeit in den Dimensionen Zeit und Raum grundlegend verändert.

Das im 19. Jahrhundert entstandene Beschäftigungssystem beruhte auf einer hochgradigen Standardisierung in seinen wesentlichen Dimensionen: Arbeitsvertrag, Arbeitsort und Arbeitszeit. Auf der zeitlichen Ebene verändert sich das Beschäftigungssystem von einem System lebenslänglicher Vollzeitarbeit hin zu einem flexibler, pluraler Unterbeschäftigung mit allen Implikationen auf der Ebene der sozialen Sicherungssysteme. Räumlich gedacht hat vor allem die informationstechnologische Entwicklung einen Prozess in Gang gebracht, wo Firmen immer öfter in dezentral organisierten Einheiten oder Teams zusammenarbeiten, und die Einheit des Ortes der Produktion damit aufgelöst wird. Das erfordert einerseits hohe Flexibilität und andererseits hohe Mobilität von den Mitarbeitern. Eng verknüpft damit verändert sich Form und Sinn von Bildung und Ausbildung in der Risikogesellschaft. Becks These hier lautet, dass die institutionellen Bildungsträger hier die Entwicklung verschlafen, und nach wie vor für einen Arbeitsmarkt der Vollbeschäftigung ausbilden, den es so gar nicht mehr gibt. Sie vergeben Ausbildungszertifikate die in der Berufswelt immer weniger wert, weil inflationär sind, die eigentlichen Entscheidungen über die Vergabe von sozialen Chancen passieren nicht mehr über die öffentliche Bildungspolitik sondern in den Personalbüros der Firmen. Gleichzeitig gerät eine gewisse Art der Bildung zur quasi „Nonbildung“, nämlich wenn es um den Nur-Hauptschulabschluss geht. Ist ein solcher Abschluss einerseits die Minimalvoraussetzung um überhaupt noch ins Berufsleben eintreten zu können, bedeutet er gleichzeitig und in zunehmenden Maße die Marginalisierung ganzer gesellschaftlicher Gruppen, die zu den „Unteren“ werden, zu der Ungelernten. Hauptschulabschluss rückt historisch in die Nähe des Analphabetentums.

Teil eins ist der Beschreibung dieser Phänomene gewidmet, hauptsächlich Bezug nehmend auf Ulrich Beck. Daneben wird aber auch der amerikanische Soziologe Richard Sennett zu Wort kommen, wenn es um die Darstellung einer speziellen Seite von Risikogesellschaft geht, nämlich um „Flexibilisierung[2]“. Zunächst wird es aber einen eher kurz gehaltenen Abriss über das Konzept der Risikogesellschaft von Beck geben, um einen Überblick zu erhalten, was außer den ausgewählten Themen noch dazugehört. Dem interessierten Leser sei die Lektüre des Buches anempfohlen, da hier nur ein paar Grundgedanken formuliert werden können. Danach folgt gleich der Einstieg in das Hauptthema.. Obwohl Arbeit und (Aus)-Bildung separat abgehandelt werden, sind diese zwei Bereiche in sehr engem Zusammenhang zu sehen. Am Schluss jedes dieser Teile werden die zentralen Aussagen zusammengefasst und auf einige wenige zentrale Thesen reduziert. Dieses „Extrakt“ wird später dazu dienen, mit Hilfe der sozialarbeiterischen Brille Risikogesellschaft zu betrachten und zu analysieren.

In zweiten Teil wird diese soeben erwähnte „Brille“ vorgestellt und näher beschrieben. Es handelt sich um die prozessual-systemische Denkfigur (SDF) der Schweizer Sozialwissenschaftlerin Silvia Staub Bernasconi.

Im dritten Teil wird es schließlich darum gehen, die ersten beiden Teile zusammenzuführen. Mit Hilfe der SDF sollen die Aussagen von Beck und Sennett auf ihre soziale Problematik hin untersucht werden. In diesem Zusammenhang muss noch erwähnt werden, dass es sich bei der SDF um ein sozialarbeiterisches Diagnoseinstrument handelt, mit dem soziale Probleme und Ressourcen eines Individuums systemisch erfasst werden können. Ich werde die SDF jedoch dazu benutzen, um Becks (und Sennetts) Thesen über Gesellschaftsbereiche, die zu wichtigen sozialarbeiterischen Handlungsfeldern gehören, auf ihre Sozialproblematik hin zu untersuchen.

TEIL I

1. Das Modell der Risikogesellschaft

Ulrich Beck hat mit seiner „Risikogesellschaft“ ein viel beachtetes Modell entworfen, das aus meiner Sicht nur wenig von seiner Aktualität verloren hat. Seine Theorien beziehen sich in ihren Details zwar auf die Bundesrepublik Deutschland, lassen sich aber ohne weiteres in ihren großen Linien auf westliche Industrienationen im Allgemeinen ausweiten. Insbesondere in Bezug auf Österreich dürfte es durch die wirtschaftliche und kulturelle Nähe nur wenige Unterschiede geben. Wo es solche Besonderheiten und Unterschiede gibt, bzw. wo sie überhaupt feststellbar sind, soll darauf verwiesen werden. Die Grundannahmen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Risiken sind grundsätzlich kein neues Phänomen. Wahrscheinlich waren Menschen früher sogar noch wesentlich größeren Risiken ausgesetzt als heute, wo zumindest in den Industriestaaten ein hohes Maß an „sozialer Sicherheit“ verwirklicht worden ist. Heutige Risiken haben allerdings eine neue Dimension: Durch Technologie verursacht, und vom Menschen selbst hervorgerufen, haben sie ein globales Ausmaß angenommen. Das Entstehen und Anwachsen „zivilisatorischer Selbstgefährdungspotentiale“ bedroht die gesamte Menschheit und ist im Stande, das Leben auf der Erde zu vernichten. Dazu kommt die Angst (etwa vor einem atomaren Supergau) als ein Phänomen der Risikogesellschaft, und sie ist nicht gekoppelt an Arm oder Reich. Nationen- und Schichtzugehörigkeit, Klassenlage, Berufsstand, Geschlecht oder Alter spielen angesichts globaler Gefährdungslagen nicht länger eine Rolle. Jeder ist potentiell betroffen, das ist das Neue.

Die Risikogesellschaft wird selbstreflexiv, d.h. sie erkennt sich selbst als Problem, - Konventionen und herrschende Denkformen müssen neu überprüft, hinterfragt werden. Eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung dieser Risiken haben „neue soziale Bewegungen“ die sich vehement gegen Atomkraft und Umweltverschmutzung zur Wehr setzen. Sie halten das öffentliche Bewusstsein wach und verursachen Reformdruck auf Regierungen.

In der Risikogesellschaft bestimmt das Bewusstsein das Sein. Da Risiken sehr oft wissenschaftlich ermittelt und dadurch überhaupt erst wahrnehmbar werden, bestimmt das über Information gebildete Bewusstsein über den Grad der (vermeintlichen) Betroffenheit. Eine wesentliche Rolle dabei spielen die Medien, denn sie entscheiden über die Öffentlichkeit von Themen. Nur durch ein Bewusstsein der gemeinsamen Betroffenheit und durch internationale Regelungen kann etwas gegen diese globalen Bedrohungen unternommen werden. Letztlich geht es darum, die Überlebensfähigkeit von Mensch und Natur aufrecht zu erhalten.

Globale Risiken sind die eine Seite. Auf der anderen Seite sieht Beck das Phänomen der Individualisierung noch stärker hervortreten. Individualisierung als historische Entwicklung ließe sich sehr weit zurückverfolgen, manche sagen, sie habe mit der Aufklärung ihren Anfang genommen, manche gehen noch weiter zurück in der Geschichte. Wenn Beck allerdings von ihr redet, dann meint er noch einmal eine andere Dimension, sozusagen einen zusätzlichen Schub von Individualisierung seit 1945. Sie bedeutet eine Beschleunigung und gleichzeitig eine Art Umkehrung und vollzieht sich folgendermaßen: Herauslösung aus historischen vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhänge („Freisetzungsdimension“), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen („Entzauberungsdimension“) und - womit die Bedeutung des Begriffs gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird - eine neue Art der Einbindung (Kontroll- bzw. Reintegrationsdimension“)[3]. Der einzelne wird zwar aus traditionalen Versorgungsbezügen herausgelöst (Familie, soziale Klasse usw.) und kann sein Leben viel stärker nach eigenen Vorstellungen leben, genießt in diesem Sinne also mehr Freiheit und Unabhängigkeit, tauscht dafür aber die Zwänge des Arbeitsmarktes und der Konsumexistenz und die in ihnen enthaltenen Standardisierungen und Kontrollen ein. In diesem Zusammenhang spricht Beck von einer Reinstitutionalisierung des freigesetzten Individuums.

Die Unüberschaubarkeit und Nichtberechenbarkeit von Risiken, die Eigendynamik gesellschaftlicher Veränderungen und fehlende Lösungskonzepte verursachen einen Vertrauensverlust in das bestehende politische System. Beck nennt einige soziale Bedrohungspotentiale, die daraus entstehen könnten: Irrationalismus, Extremismus und Fanatismus - letztlich ist der Ausgang offen.

2. Erwerbsarbeit in der Risikogesellschaft Ulrich Beck

2. 1. Die Bedeutung der Arbeit im Wandel der Zeit

Arbeit in der Antike und im Mittelalter

Die Bedeutung der Arbeit in der Industriegesellschaft kennt keinen Vergleich in der Geschichte. In der Antike blieb die Arbeit, die als niedrig angesehen wurde, den Sklaven vorbehalten. Die freien Bürger widmeten sich den höheren Aufgaben der Philosophie oder den Künsten. Arbeit erfüllte im Wesentlichen den Zweck, die materiellen Grundlagen zu sichern, sie bewegte sich in der Reproduktion des immergleichen, sie zielte nicht über dieses Ziel hinaus. Im Mittelalter hatte die Arbeit, die noch Hände Arbeit war, ebenfalls einen völlig anderen Stellenwelt im Vergleich zur Industriegesellschaft. Dem Adel galt sie als unedel, niedrig und es bedeutete eine mittlere bis große Katastrophe, wenn ein Adelsspross einen bürgerlichen Beruf ergreifen musste. Dies galt auch für Berufe, die wir heute als hoch angesehen betrachten würden, wie beispielsweise Arzt oder Jurist.

Radikaler Wandel der Bedeutung von Arbeit am Übergang zur Industriegesellschaft

Mit dem Übergang der Industriegesellschaft beginnt ein radikaler Wandel der Bedeutung der Arbeit. Erwerbsarbeit ist nun die Basis der Existenzsicherung und der individualisierten Lebensführung. Zusammen mit der Familie als zweitem Eckpfeiler bildet sie das zweipolige Koordinatensystem, das die Biographie bestimmt und befestigt. Dies zeigt sich am idealtypischen Beispiel einer industriezeitalterlichen Familie, wo der Sohn den Beruf seines Vaters als überaus bedeutend erlebt. Auch seine eigene Ausbildung und die Berufsentscheidung bedeuten wesentliche Eckpunkte im Leben des Jugendlichen. Das Erwachsenensein steht ganz unter den Sternen der Erwerbsarbeit, und das Alter erfährt seine Definition nicht zuletzt aus dem Austritt aus der Erwerbsarbeit und dem Eintritt in den Ruhestand. Arbeit gibt die wesentlichen Stationen des Menschen vor und beeinflusst sie gleichzeitig. Mit welcher Selbstverständlichkeit, wie Beck feststellt[4], meinen wir mit der Frage „Was sind Sie?“ nichts anderes als den Beruf der betreffenden Person und nicht etwa andere Dinge im Leben eines Menschen, die für ihn subjektiv genauso bedeutsam sein könnten. Wir gehen automatisch davon aus, dass die Erwerbsarbeit eines Menschen gleichzeitig sein wesentlichstes Merkmal ist, und in der Tat gibt es unter den Bedingungen der Industriegesellschaft Weniges, das derart gebündelt Schlüsselinformationen über den Einzelnen verrät, wie beispielsweise Einkommen, Status, sprachliche Fähigkeiten, mögliche Interessen, Sozialkontakte usw.[5]

Familie und Beruf - Die zwei goldenen Sicherheiten, die geblieben sind.

Familie und Beruf sind die zwei goldenen Sicherheiten, die dem Menschen in der Moderne geblieben sind, ihm die notwendige Stabilität verleihen. Über den Beruf bekommt er Zugang zum gesellschaftlichen Zusammenhang, kann er an der Gesellschaft Teil haben, kann sie mitgestalten, mehr oder weniger. Oder wie Beck so schön sagt, der Berufsinhaber wird durch das Nadelöhr seines Arbeitsplatzes hindurch zum Mitgestalter der Welt im Kleinen. H. Schelsky[6] beschreibt die eminente Bedeutung des Zusammenhangs von Berufskontinuität und Lebenskontinuität. Während Menschen die soziale und regionale Umwelt viel leichter wechseln, wenn gleichzeitig die berufliche Kontinuität bewahrt bleibt, so bedeutet ein beruflicher Bruch (bzw. Arbeitslosigkeit) oftmals einen entscheidenden Einschnitt, der oftmals nicht so friktionsfrei verarbeitet werden kann.

2.2. Systemwandel in der Risikogesellschaft

Beck kommt nun zur Diagnose, dass mit dem Wandel in vielen Beschäftigungszweigen diese Sicherheiten der Menschen immer brüchiger werden. Der Beruf hat seine ehemaligen Sicherheiten und seine Schutzfunktion eingebüßt. Mit dem Beruf verlieren die Menschen das innere Rückgrad ihrer Lebensführung.

Die Probleme der Erwerbsarbeit durchstrahlen die gesamte Gesellschaft, da die Industriegesellschaft in ihrer Schematik der Biografien, in ihrem Begriff von Leistung, ihrer Rechtfertigung von Ungleichheit, ihrem Sozialrecht, in ihrer Machtbalance usw. durch und durch eine Erwerbsarbeitsgesellschaft ist .

Ein grundlegender Wandel der Arbeit bedeutet laut Beck einen Systemwandel, dessen Konturen erst allmählich sichtbar werden.

Im politischen Diskurs wird genau dieser Systemwandel allerdings negiert. Die Verantwortlichen gingen, was beispielsweise die Massenarbeitslosigkeit betrifft, schon in den 80er Jahren von einer Durststrecke aus, und man rechnete damit, dass sich die Lage in den 90iger Jahren wieder wesentlich verbessern würde, vor allem aufgrund von demografischen Gegebenheiten. Wie wir wissen, hat sich das Problem weiter verschärft. Diese Annahmen führten jedoch zu einer Politik des „Überwinterns“ und haben tiefgreifende Reformen verhindert, bis zum heutigen Tag.

Die Grundlagen des industriegesellschaftlichen Beschäftigungssystems

Diese „Überwinterungspolitik“ ging von ein paar wesentlichen Annahmen aus, die Beck wie folgt skizziert: Das im 19. Jahrhundert entstandene Beschäftigungssystem beruht auf einer hochgradigen Standardisierung in seinen wesentlichen Dimensionen: Arbeitsvertrag,

Arbeitsort und Arbeitszeit.

Die Arbeit unterliegt rechtlichen Musterverträgen, die für ganze Branchen abgeschlossen werden, wie beispielsweise die Tarifverhandlungen. Gleichzeitig gilt es als selbstverständlich, dass die Arbeit an einem bestimmten Ort, in einem Betrieb oder einer Firma stattfindet. Auch geht man von der Einheitsnorm lebenslanger Ganztagesarbeit aus, sowohl was die Planung im Betrieb betrifft, als auch im Hinblick auf biografische Lebensentwürfe. Dieses System ermöglicht eine klare Trennung zwischen Arbeit und Nichtarbeit, die sich räumlich und zeitlich fixieren lässt, aber auch rechtliche und soziale Normen, die ganz klar zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung unterscheiden.

Dieses „standardisierte Vollbeschäftigungssystem“ beginnt langsam ins Wanken zu geraten, verursacht in erster Linie durch Rationalisierungswellen. Die Grenze zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit beginnt zu verschwimmen, flexible, plurale Arbeitsformen nehmen zu. Das kann allerdings nicht einkommensneutral verlaufen. Generalisierung von Unterbeschäftigung bedeutet Umverteilung von Einkommen, sozialer Sicherung, Karrierechancen, Stellung im Betrieb nach oben und unten. Das bedeutet laut Beck kollektiven Abstieg.[7]

Aber auch die örtlichen Grenzen beginnen sich zu verwischen. An die Stelle einer sichtbaren, in Hochhäusern und Fabrikhallen zusammengeballten Betriebsförmigkeit treten dezentrale, „ortsdiffuse“ Arbeitseinheiten und Teams, die mit Hilfe fortschreitender, immer ausgeklügelter Kommunikationstechnik zusammenarbeiten. Anwesenheitsvorschriften werden gelockert, Teilfunktionen in Gestalt von Heimarbeit ausgelagert. Beck skizziert das Szenario von verwaisten großräumigen Arbeitsgebäuden, die wie Dinosaurier des Industriezeitalters an eine ausklingende Epoche erinnern. Gleichzeitig konzediert er allerdings, dass solche Flexibilisierungen nicht einheitlich vonstatten gehen, dass gewisse Branchen und Berufsgruppen mehr betroffen sein werden als andere, und dass es auch sein kann, dass diese Entwicklung irgendwann an eine sachliche Grenze stößt.

Flexible Formen der Unterbeschäftigung - geteilter Arbeitsmarkt

Flexible Formen der Unterbeschäftigung sind ambivalent. Aufgrund der gesteigerten Nachfrage vor allem von Frauen, um Erwerbsarbeit und Familie in Einklang bringen zu können, können solche Arbeitsformen durchaus auch als nützlich für eine Gesellschaft gesehen werden. Bei der räumlichen Flexibilisierung muss in Betracht gezogen werden, dass Souveränitätsgewinne der Arbeitenden über ihre Arbeit die Folge sein können. Auf der Gegenseite steht allerdings die Privatisierung von gesundheitlichen und psychischen Risiken der Arbeit. Arbeitsschutznormen entziehen sich in dezentralen Arbeitsformen der öffentlichen Kontrolle, die Kosten für Missachtung aber auch Einhaltung werden auf die Arbeitenden abgewälzt.

Beck nimmt an, dass das Problem der Arbeitslosigkeit sich auf diese Art „lösen“ könnte, indem sich ein System kollektiver, risikoreicher Unterbeschäftigung etablieren könnte, ein System, in dem sich die Arbeitslosigkeit sozusagen in Gestalt von Unterbeschäftigungsformen ins herkömmliche Beschäftigungssystem integrieren würde, wie wir es etwa in den USA beobachten können. In Europa scheint es hingegen so zu sein, dass wir beides haben: Relativ hohe Arbeitslosigkeit, bei gleichzeitigem Ansteigen von Unterbeschäftigung. Wie im 19. Jahrhundert zeigt die Entwicklung eine „prinzipielle Janusköpfigkeit“. Fortschritt und Verelendung greifen auf neue Weise ineinander.

Beck zeichnet das Szenario eines geteilten Arbeitsmarktes, wo es einerseits den gewohnten, einheitlichen und weitgehend abgesicherten Arbeitsmarkt gibt, und andererseits den wachsenden Bereich eines risikogesellschaftlichen flexibel-pluralen Marktes[8] für Unterbeschäftigungen.

2.3. Ursachen für den Systemwandel

Bislang ging man davon aus, dass mit steigendem Wirtschaftswachstum auch das Problem der Arbeitslosigkeit sich quasi von selbst lösen würde. Die Erfahrung zeigt allerdings das Gegenteil: Fast alle großen Industrieunternehmen haben in den vergangenen Jahren ihren Umsatz vergrößert – und gleichzeitig Personal abgebaut[9], vor allem durch die fortschreitende Entwicklung im technologischen Bereich. Ablesen lässt sich dieser Trend an den enormen Produktivitätssteigerungen etwa in Industrie und Bergbau[10]. Arbeitszeitverkürzung galt lange Zeit als ein mögliches Rezept gegen die Arbeitslosigkeit, deren Möglichkeiten scheinen allerdings begrenzt zu sein.

Unter den Bedingungen des standardisierten Vollbeschäftigungssystems muss der Abbau der Erwerbsarbeit zwangsläufig zu einer massenhaften Ausgrenzung von Menschen aus dem Arbeitsmarkt führen.

Entsprechend steigt der Druck auf die Politik zu Gegenmaßnahmen, die vor allem in Flexibilisierungsmaßnahmen gesehen werden. Aber nicht nur staatliche Instanzen werden zu Fürsprechern solcher Maßnahmen, sondern naturgemäß vor allem auch Vertreter der Wirtschaft, die im flexiblen Menschen den Arbeitnehmer der Zukunft sehen wollen. Laut Beck lässt sich der Kreis der Nachfrager nach flexibilisierten Beschäftigungsformen noch erweitern: Frauen und insbesondere jüngere Arbeitnehmer, die sich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder schlicht und einfach mehr „Zeitsouveränität“ wünschen.

Druck in Richtung Flexibilisierung versus gewerkschaftlicher Widerstand

So entsteht ein mächtiger Druck in Richtung Flexibilisierung, dem auf der anderen Seite verständlicherweise die Gewerkschaften gegenüberstehen, die sich vehement dagegen wehren. Die Gründe liegen auf der Hand: Sie verdanken ihre machtvolle Stellung in Europa und in Österreich dem standardisierten Vollbeschäftigungssystem, das es ihnen ermöglicht, ihre Mitglieder auf breiter Ebene zu organisieren. Mit der Flexibilisierung von Beschäftigung droht ihnen ein eklatanter Verlust von Macht, Einfluss und Bedeutung. „Versprengte Scheinselbständige“, um es etwas salopp zu formulieren, lassen sich nicht gut organisieren und vielleicht wollen sie es nicht einmal. Die Gewerkschaften verdanken nicht zuletzt dem alten Gegensatz der Arbeiterklasse mit dem sogenannten Kapital ihre Integrations- und Kampfkraft. Diese Grenzen beginnen sich im Zuge solcher Prozesse aufzulösen.

„Arbeitspolitischer Paradigmenwechsel“ im industriellen Sektor

Wenn wir uns die industriellen Kernsektoren anschauen, so gibt es hier eine interessante Entwicklung, die einen „arbeitspolitischen Paradigmenwechsel“[11] in den Betrieben bedeutet. Was ist damit gemeint? Es bedeutet eine Umkehrung des Prinzips der Arbeitsteilung in Richtung der Zusammenführung von Teilaufgaben auf einem höheren Niveau. Restriktive Grundtätigkeiten können von Maschinen oder Produktionsautomaten übernommen werden. Es bleiben Überwachungs-, Steuerungs- und Wartungsaufgaben, die von hoch qualifiziertem Personal übernommen werden. „An die Stelle der großen Zahl der Gering- oder Unqualifizierten tritt die kleine Zahl ‚ professionalisierter Automationsarbeiter’“.[12] Dadurch wird eine drastische Einsparung von Personal möglich.

Systematische Verwandlung von Vollzeit zu Teilzeit im Dienstleistungssektor

Wie sieht es nun im Dienstleistungssektor aus? Hier konstatiert Beck die systematische Verwandlung von Vollzeit- in unterschiedliche Teilzeitarbeitsverhältnisse. Die Vorteile für die Unternehmen liegen wiederum auf der Hand. Das unternehmerische Risiko wird durch zeitlich flexible Unterbeschäftigung teilweise auf die Arbeitnehmer ausgelagert, indem das Arbeitszeitvolumen flexibel am Auftragseingang ausgerichtet werden kann. Weiters kann dadurch das Produktionsarrangement dichter gestaltet werden, da Arbeitszeit und Produktionszeit voneinander getrennt werden. Zusätzlich wird die Flexibilität der Unternehmen bei ihrer Personalpolitik erhöht, indem Arbeitsumstellungen leichter durchgesetzt werden können, die Machtposition der Belegschaft geschwächt wird.

2.4. Für und Wider den Systemwandel

Die Produktivkräfte sprengen also nicht, wie Marx dachte, die Eigentumsverhältnisse, sondern es scheint darauf hinauszulaufen, dass die Verhältnisse des Arbeitsvertrages und Arbeitsmarktes gesprengt werden. Was dabei besonders brisant erscheint, ist, dass auf diese Weise völlig neue Machtverhältnisse zwischen den Arbeitsmarktkontrahenten und ihren Interessensvertretungen entstehen. Beck prophezeit daher, dass es erheblichen Widerstand geben dürfte.

Dabei haben die Befürworter schlagende Argumente, ist es doch möglich durch das neue System flexibler, pluraler Unterbeschäftigungsformen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Arbeitslosigkeit zu reduzieren und Produktivität zu steigern, ein Argument das immer noch siegt. Aus der Sicht der Arbeitnehmer konkurrieren unterschiedliche Bedürfnisse miteinander: Einerseits die aus der Unterbeschäftigung resultierenden Risiken und Gefährdungen, andererseits mehr an Freiheit und Souveränität, die sie für die Gestaltung ihres Lebens gewinnen.[13]

Ob die Rechnung aufgeht, ist allerdings fraglich, denn mit der Schaffung von flexiblen Unterbeschäftigungsformen brechen gleichzeitig die Dämme, die bisher noch Menschen vom Zugang zum Arbeitsmarkt abhielten, wie etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder von Studium und Beruf. Die in der „stillen Reserve“ wartenden Frauen und Jugendlichen könnten auf den Arbeitsmarkt strömen und eine gesteigerte Nachfrage nach Arbeit erzeugen.

2.5. Aussicht

Beck schließt sein Kapitel mit einer Vorausschau, die aktueller denn je sein dürfte. Sollten diese Beschäftigungsformen sich wirklich durchsetzen, droht eine Zukunft der Armut, wenn nicht gleichzeitig das soziale Sicherungssystem wesentlich erweitert wird. Als Möglichkeit nennt er die Schaffung eines rechtlich abgesicherten Mindesteinkommens für alle. Die Widerstände dagegen sind bekannt.

2.6. Erwerbsarbeit in der Risikogesellschaft

Flexibilisierung - die informelle Dimension (Richard Sennett)

2.6.1. „Der flexible Mensch“

Neben der Zerstörung formeller Regelungen der Arbeitsverhältnisse wandeln sich auch die informellen Anforderungen an die Arbeitskräfte. Mit den Auswirkungen dieser Transformation der Arbeitsbeziehungen auf die Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung der Individuen beschäftigt sich Richard Sennett in seinem Buch "Der flexible Mensch"[14]. Besonders das „Zeitregime“ des modernen Kapitalismus rückt ins Zentrum der Betrachtungen. Die fordistischen[15] Arbeitsverhältnisse waren aus der Sicht der Beschäftigten durch teilweise großzügige Sicherungen des sozialen Status, die lebenslange Bindung an ein Unternehmen und einen von Anfang an vorgezeichneten Berufsweg gekennzeichnet. Sie förderten die Erfahrung einer "linearen Zeit", innerhalb derer die Ereignisse zu einer klaren Lebensgeschichte geordnet wurden. Das Individuum erschien als Autor seiner Lebensgeschichte, seiner Erzählung. Das Ordnen des eigenen Lebens in eine zusammenhängende Erzählung ermöglichte in gewissen Maßen Handlungsfähigkeit: sie gestaltete die Bewegung der Zeit, stellte Gründe bereit, warum gewisse Dinge geschahen und ermöglichte die Einordnung der eigenen Person in die Geschehnisse.

Die neuen, „postfordistischen“ Arbeitsbeziehungen unterscheiden sich von der fordistischen Art. Die Konzepte der „Lean Production[16]“ verwandeln, wie wir bei Beck schon sahen, die alten Formen der bürokratischen Organisationen zunehmend in netzwerkartige Strukturen. Viele Aufgaben werden ausgelagert und von kleinen Firmen übernommen, die mit kurzfristigen Verträgen arbeiten. Für viele Arbeitende sind häufige Stellenwechsel und ungesicherte Arbeitsverhältnisse die Regel. "Nichts langfristiges" ist das Motto. Bindungen an bestimmte Ziele, Aufgaben oder Menschen werden relativiert, an ihre Stelle tritt das permanente Springen von einem Projekt/Job/Ort zum anderen; die einzelnen Tätigkeiten stehen allerdings in keinem sinnvollen Zusammenhang mehr miteinander. Das von Markttrends abhängende Driften tritt an die Stelle des bewussten Gestaltens des eigenen Lebens. Sennett beschreibt diese Entwicklung im Kontrast zu der Zeit der Blüte des Fordismus; die Herstellung eines bindungslosen, abstrakten Individuums liegt allerdings tendenziell in der Bewegung des Kapitalismus begründet und gelangt heutzutage nur zu neuer Intensität.

Wie kann ein Mensch in einer Gesellschaft, die aus Episoden und Fragmenten besteht, seine Identität und Lebensgeschichte zu einer Erzählung bündeln? fragt Sennett. Zumeist kann die Kohärenz der eigenen Erzählung nur über Hilfskonstruktionen geschaffen werden. Alle Ereignisse werden z.B. als persönliche Entscheidungen gedeutet. Es heißt nicht mehr "ich wurde entlassen", sondern "ich stand einer Krise gegenüber und musste eine Entscheidung treffen". Wo das Leben nur aus zusammenhanglosen Episoden besteht, muss paranoisch die Verantwortung für jedes kleinste Ereignis übernommen werden, um eine kohärente Identität zu bewahren. Das Individuum bläst sich auf, damit es nicht feststellen muss, dass es auf es gar nicht ankommt. Dieser scheinbare Individualismus geht allerdings oft durchaus parallel mit kulturkonservativen Ansichten; heftig beschworene, moralische Normen der Gemeinschaft sollen den Rahmen und den Zusammenhang des eigenen Lebens zusätzlich absichern.

2.6.2. Flexibilität als Machtsystem

Im modernen Gebrauch des Wortes „Flexibilität“ verbirgt sich nach Sennett ein Machtsystem, das nicht mehr so leicht durchschaubar ist: Es besteht aus drei Elementen:

- dem diskontinuierlichen Umbau von Institutionen,
- der flexiblen Spezialisierung der Produktion und der
- Konzentration der Macht ohne Zentralisierung.

Diskontinuierlicher Umbau

bezeichnet einen Veränderungsprozess, der sich durch einen Bruch vollzieht bei dem Institutionen entscheidend und unwiderruflich verändert werden, so dass keine Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit besteht. Der gewohnte Begriff dafür ist „Re-engineering“, und sein hervorstechendstes Merkmal sind Personaleinsparungen. Die unter diesem Oberbegriff praktizierten Verfahren schaffen häufig genau deshalb unwiderruflichen Wandel, weil Re-engineering ein äußerst chaotischer Vorgang sein kann.

Die gängige Managementideologie führt die Kampagne für institutionellen Wandel im Namen größerer Effizienz; vor allem beim Kampf gegen die Übel der Routine beruft sich die neue Ordnung auf Wachstum und Produktivität. Hat sie Erfolg gehabt? Studien besagen das Gegenteil. Sie fanden heraus, dass wiederholte Entlassungswellen zu „niedrigeren Gewinnen und sinkender Produktivität der Arbeitskräfte“ führten; Die Gründe dafür erklären sich zum Teil selbst: Arbeitsmoral und Motivation der Arbeitskräfte sanken im Laufe der verschiedenen Entlassungswellen rapide ab. Die verbliebenen Arbeiter warteten eher auf die nächsten „Axthieb“, als ihren Sieg im Konkurrenzkampf über die Gefeuerten zu genießen.

Flexible Spezialisierung

Dabei geht es darum, eine breitere Produktpalette schneller auf den Markt zu bringen. Ziel ist es, schnell auf eine veränderte Nachrage zu reagieren, als Gegenmodell zum Produktionssystem des Fordismus. Das unendlich lange Fließband wird von Inseln der spezialisierten Produktion, die blitzschnell auf veränderte Marktbedingungen reagieren können, abgelöst. Flexible Spezialisierung verträgt sich gut mit Hochtechnologie. Dank Computern können Maschinen schnell umprogrammiert werden, durch moderne Kommunikationsmittel können Firmen globale Daten der Märkte sofort verfügbar machen. Außerdem fordert diese Produktionsform schnelle Entscheidungen und passt gut zu kleinen Arbeitsgruppen. Sennett wirft die Frage nach der „Biegsamkeit“ des Menschen auf: Gibt es Grenzen, wieweit Menschen verbogen werden dürfen?

Die Form der flexiblen Produktion in einer Gesellschaft hängt wesentlich von der Organisation der Macht in dieser Gesellschaft ab. In Europa teilen sich die Macht die Unternehmen, die Gewerkschaft und der Staat. In Amerika, wo die Gewerkschaften traditionell schwach sind, gibt es eine Unterordnung der staatlichen Bürokratie unter die Wirtschaft. Deshalb ist der Flexibilisierungsprozess und die Geschwindigkeit des Umbaus in der Arbeitswelt in den USA noch viel dramatischer als in Europa. Allerdings scheint auch in Europa die Entwicklung unaufhaltsam in diese Richtung zu gehen.

Konzentration ohne Zentralisierung

Zugunsten der neuen Organisationsform der Arbeit wird behauptet, sie gebe den Menschen auf den niedrigeren Ebenen von Unternehmen mehr Kontrolle in die Hand, die Hierarchien würden abgeflacht. In Wirklichkeit liefern die neuen Informationssysteme der Führungsetage ein umfassendes Bild, so dass der einzelne wenige Möglichkeiten hat, sich innerhalb des Netzwerks zu verstecken. Sie ersetzen die Verhandlungen, die er früher mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten führte, und die ihn auch schützen konnten. Auch hat es wenig mit Dezentralisierung zu tun, vielmehr gibt es ein „Festland der Macht in der Inselgruppe flexibler Macht“. Irgendjemand auf dem Festland muss entscheiden, wer welche Aufgaben zusätzlich übernehmen muss. Die jeweilige flexible, dezentrale Einheit wird sich wohl nicht selber zusätzliche Lasten auferlegen.

2.6.3. Fazit:

Auch Sennetts Analyse der modernen Arbeitswelt zeichnet ein ernüchterndes, pessimistisches Bild. Die „alten Arbeiter“ wussten wo sie standen, hatten ein klares Bild, ob nun richtig oder falsch, von ihren Freunden und von ihren Feinden. „Es war eine Gewohnheit des Marxismus, Verwirrung als falsches Bewusstsein dazustellen; in unseren Umständen ist das eine präzise Widerspiegelung der Realität. Daher rührt auch die persönliche Verwirrung angesichts der Frage: „Wer in dieser Gesellschaft braucht mich?“ Apathie ist die logische Reaktion auf das Gefühl nicht gebraucht zu werden. Und weiter: dies ist das Problem des Charakters im modernen Kapitalismus. Es gibt eine Geschichte, aber keine gemeinsame Erzählung der Schwierigkeiten und daher kein geteiltes Schicksal. „Ein Regime, das Menschen keinen tiefen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten.“[17]

2.7. Zusammenfassung und Thesenformulierung:

These 1 (Arbeitslosigkeitsthese):

Unter den Bedingungen des standardisierten Vollbeschäftigungssystems muss der Abbau der Erwerbsarbeit zwangsläufig zu einer massenhaften Ausgrenzung von Menschen aus dem Arbeitsmarkt führen.

„…die Sorge um den Arbeitsplatz ist überall eingedrungen, löst das Selbstwertgefühl auf, zerrüttet Familien, zersetzt Gemeinschaften und verändert die Atmosphäre am Arbeitsplatz.[18]

„Die Sorge ist eine auf die Zukunft bezogene Furcht, die in einem Klima entsteht, das ständige Risiken betont.“[19]

These 2 (Flexibilisierung: zeitliche und rechtliche Dimension):

Die Grenze zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit, zwischen Arbeit und Nichtarbeit beginnen zu verschwimmen. Dies betrifft die zeitliche Fixierung, aber auch die rechtliche und soziale Normierung von Arbeitsverhältnissen. An deren Stelle treten vermehrt flexible, plurale Arbeitsformen.

These 3 (Flexibilisierung: örtliche Dimension):

Örtliche Grenzen beginnen sich zu verwischen. An die Stelle einer sichtbaren, zusammengeballten Betriebsförmigkeit treten dezentrale, „ortsdiffuse“ Arbeitseinheiten und Teams.

These 4 (Flexibilisierung: „informelle“ Dimension):

Im Zuge der Flexibilisierung gerät der Mensch in einen „Drift“. Die Erfahrung einer zusammenhanglosen Zeit bedroht die Fähigkeit der Menschen, ihre Charaktere zu durchhaltbaren Erzählungen zu formen.

Starre Formen der Bürokratie stehen ebenso unter Beschuss wie die Übel blinder Routine. Mit dem Verlust der Routine verliert der Mensch aber auch das Gefühl des Zusammenhangs für sein Leben. „Nichts langfristiges“ desorientiert auf lange Sicht jedes Handeln, löst die Bindungen von Vertrauen und Verpflichtung und untergräbt die wichtigsten Elemente der Selbstachtung.

„Das Problem des Charakters im modernen Kapitalismus ist: Es gibt eine Geschichte, aber keine gemeinsame Erzählung der Schwierigkeiten und daher kein geteiltes Schicksal.“[20]

3. Bildung und Ausbildung in der Risikogesellschaft (Ulrich Beck)

Strukturelle Massenarbeitslosigkeit verändert die Situation in den Ausbildungslehrgängen radikal, vor allem ihren Sinnbezug. Junge Menschen wissen oder ahnen bereits in ihrer Ausbildung, dass ihnen Arbeitslosigkeit droht. Das heißt: „Durch externe Arbeitsmarkteinbrüche wird die bildungsimmanente Sinngrundlage berufsorientierter Ausbildung gefährdet bzw. zerstört“, sie erhalten, wie Beck es nennt „einen Grundkurs in Irrationalität“.[21]

3.1. Fahrkarten in die Zukunft

Menschen bleiben länger im Bildungssystem, machen Zusatzausbildungen um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Je länger sie jedoch darin verweilen, desto mehr stellt sich die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Ausbildungsstätten werden zu einer Art „Wartesaal“, berufsorientierte Lehrinhalte gleiten in die Irrealität ab. Beck zeichnet ein ebenso drastisches wie anschauliches Bild: „In nur geringfügiger Übertreibung und Zuspitzung kann man sagen, dass die von Arbeitslosigkeit betroffenen Teilbereiche des Bildungssystems heute mehr und mehr einem Geisterbahnhof gleichen, in dem Züge nicht mehr nach Fahrplan verkehren. Dennoch läuft alles nach den alten Mustern ab. Wer verreisen will – und wer will schon zu Hause bleiben, wo das Zuhausebleiben Zukunftslosigkeit bedeutet-, muss sich in irgendwelche Warteschlangen zu den Schaltern einreihen, an denen Fahrscheine für Züge vergeben werden, die meist sowieso überfüllt sind oder nicht mehr mit der ausgezeichneten Zielrichtung abfahren. Als sei nichts geschehen, verteilen die Bildungsbeamten hinter den Fahrkartenschaltern mit großem bürokratischem Aufwand Fahrkarten ins Nirgendwohin und halten die sich vor ihnen bildende Menschenschlange mit der ‚Drohung’ in Schach: ‚Ohne Fahrkarten werdet ihr nie mit dem Zug fahren können!’ Und das Schlimme ist, sie haben auch noch recht...!“

3.2. Das Ende des utopischen Zeitalters

Hier zeigt sich ein wichtiger Aspekt des atmosphärischen Gehalts von Risikogesellschaft. Sie ist wesentlich auf mehr oder weniger schlimmen Vorahnungen begründet, die allerdings ihre Berechtigung in der Gegenwart finden. Die Zukunft ist in der Tat offen und unsicher. Risikogesellschaft in diesem Kontext bedeutet das Bewusstsein der Krisenhaftigkeit der Gegenwart projiziert in eine mehr als unsichere Zukunft. Bildung und Ausbildung sind die brüchig werdenden Grundpfeiler einer „gesicherten“ Zukunft, ohne die einerseits nichts mehr geht, und mit denen immer weniger geht. Das Damoklesschwert des Scheiterns baumelt über dem Individuum, und scheitern heißt unter den Bedingungen der Arbeitsgesellschaft nichts anderes als scheitern im Beruf. Das Krisenbewusstsein ist ein weitgehend medial determiniertes Bewusstsein, denn Medienkonsum ist wesentlicher Teil des Rezeptionsspektrums von Individuen in der Risikogesellschaft: Die permanente Beschwörung der Krise als Dauerberieselung für den Bürger äußert sich in solchen und ähnlichen Schlagworten: Sozialstaat, Gesundheitssystem, Pensionssystem (ob wir noch eine Pension kriegen werden?), nichts ist mehr finanzierbar, eine alternde Gesellschaft der die Arbeit ausgeht, regelmäßige Veröffentlichungen steigender Arbeitslosenzahlen, von Massenentlassungen, Armut und sozialer Abstieg als immer realistischer werdende Fiktion für immer weitere Teile der Gesellschaft, dies alles aufbereitet durch unterschiedlichste mediale Plattformen. Optimismus scheint angesichts dieser Szenarien unangebracht, und in der Tat ist das kollektive Bewusstsein der Risikogesellschaft ein pessimistisches.

Kann es als Abrundung oder gar Grundierung dieses Bildes betrachtet werden, dass sich das alles in einer Zeit ohne Alternativen abspielt. Seit 1989 und dem Zusammenbruch des Kommunismus leben wir erstmalig in einer Zeit, wo es zum gegenwärtigen Gesellschaftsentwurf keine Alternative, kein Anderes, keine große Erzählung einer besseren Welt mehr gibt. Man mag den Kommunismus in seiner realen Existenz beurteilen wie man will, faktisch bewirkte seine Existenz eine Optionsmöglichkeit sowohl jenseits als auch diesseits des eisernen Vorhangs, sei es auch nur im Theoretischen. Er öffnete sozusagen einen geistig-intellektuellen Spielraum, er ermöglichte es Menschen, ihre inneren geistigen Räume ab und zu von der abgestandenen Luft kapitalistischer oder sozialistischer Realität zu durchlüften, und vielleicht neue Inspiration zu schöpfen. Heute gibt es nur mehr das, was bereits existiert. Als mehr als unbefriedigende Vision, allenfalls noch ein bisschen mehr vom Gleichen. Es ist eine Zeit ohne Utopie[22], ohne Idee von einer „besseren Gesellschaft“, was erreicht wurde, scheint die beste aller möglichen Gesellschaften zu sein.

Das letztendliche Urteil über diese Tatsache mag offen bleiben. Joachim Fest sieht im Ende des utopischen Zeitalters einen Segen, weil letztlich alle Versuche, Utopien in die Realität umzusetzen, nicht nur kläglich gescheitert sind, sondern auch und vor allem in mehr oder wenige großen Katastrophen für die Menschheit geendet haben.

3.3. Die Situation spitzt sich zu

Vor allem für weniger gebildete wie Schulabbrecher und Hauptschulabgänger ohne zusätzliche Ausbildung spitzt sich die Lage zu. Arbeitsplätze für Menschen aus diesem Bildungssegment haben radikal abgenommen und alle Schätzungen gehen davon aus, dass sich in Zukunft das Problem für diese Gruppe weiter verschärfen wird, indem hier ein wachsender Sockel von Dauerarbeitslosen ohne Beschäftigungsperspektiven produziert wird[23]. Auch am anderen Ende der Bildungspyramide verschärft sich die Situation. Die überwiegende Mehrzahl der Höherqualifizierten wurde in der Vergangenheit nicht von der Wirtschaft, sondern vom in den siebziger Jahren stark expandierenden öffentlichen Sektor absorbiert. Die Nachfrage nach Arbeitskräften in diesem Sektor ging allerdings in den 80er Jahren stark zurück und kam in den 90er Jahren nahezu zum erliegen. Einsparungen in der öffentlichen Verwaltung und ganz allgemein im öffentlichen und halböffentlichen Bereich führten zu einer Verschlechterung von Beschäftigungsperspektiven für Jungakademiker. Aufgrund der Charakteristik von universitären Ausbildungen stehen im privaten Sektor kaum Alternativen zur Verfügung.

Enttäuschung und Hoffnung

So wächst auf allen Stufen der Bildungshierarchie der Druck und gleichzeitig die Tendenz, in Zusatz- und Weiterbildungen auszuweichen, in der Hoffnung, dem drohenden beruflichen Abseits noch einmal ein Schnippchen zu schlagen. Wenn es nicht gerade Arbeitslosigkeit ist, die immer häufiger einer Lehre vorangeht, dann werden Jugendliche in speziellen Berufsvorbereitungskursen untergebracht. Das alles wird von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erstaunlich ruhig hingenommen, mit einem Gemisch aus Enttäuschung und Hoffnung ertragen viele die pauschale Entwertung ihrer Bildungsabschlüsse. Gleichzeitig schöpfen sie immer wieder neuen Mut, und sind auch bereit, vorerst einmal, jeden Job anzunehmen, um nur irgendwie in das Beschäftigungssystem integriert zu werden. Dabei droht ihnen allerdings, dass sie bei allzu langem Verbleib in einer solchen Anstellung durch die normative Kraft des Faktischen endgültig auf das niedere Niveau unterqualifizierter Arbeit verbannt werden könnten.[24]

3.4. Berufsgebildete für einen Arbeitsmarkt ohne Nachfrage

Das Arbeitsvolumen schrumpft also, der Übergang von Ausbildung in Beschäftigung wird zunehmend unsicher. Eine Grauzone risikoreicher Unterbeschäftigung etabliert sich.

Der berufsimmanente Sinn von Ausbildung geht verloren. Während Bildungseinrichtungen weiterhin in ihrer Organisationsstruktur starr an diesem „Sinn“ festhalten, kommt ihnen von außen her, von der Berufswelt, das Gegenstück dazu abhanden. Sie produzieren, um es pointiert zu formulieren, Berufsgebildete für einen Arbeitsmarkt ohne Nachfrage. Studierende reagieren darauf mit einer subjektiven Neudefinition von Bildung, indem sie sie in einem klassischen Sinn selbstreferentiell deuten, die Bildung als Selbstzweck. Beck meint das Ansteigen der Belegungszahlen von so genannten Orchideenfächern sei ein Hinweis darauf. Ob diese Einschätzung Becks stimmt, kann hier nicht nachgewiesen werden. Jedenfalls scheint die Entwicklung noch eine andere Richtung zu nehmen. Die Bildungspolitik schafft in letzter Zeit vermehrt spezialisierte, marktflexible Fachhochschullehrgänge auf einem hohen Selektionsniveau, bedingt durch schwierige Studieneinganstests und einen Numerus clausus. Zielgruppe ist ein ehrgeiziges, karriereorientiertes „Publikum“, Menschen die später in der Berufswelt die Gruppe der sogenannten „kreativen Vorleister“ werden sollen.[25]

Beck, ganz im Gegensatz dazu, erachtet ein „Zurückschrauben des Berufsbezuges“ in der Ausbildung für notwendig. Im Zentrum sollte dabei eine gezielte Auseinandersetzung mit den vielfältigen Anforderungen an Individuen für ihr (Über)leben und Handeln in der Risikogesellschaft stehen.

3.5. Die Verlagerung der statuszuweisenden Funktion aus dem Bildungs- in das Beschäftigungssystem

Das Bildungssystem hat schon in den siebziger Jahren seine statusverteilende Funktion eingebüßt. „Ein Abschluss allein reicht nicht mehr hin, um eine bestimmte Berufsposition und damit ein bestimmtes Einkommen und Ansehen zu erreichen“[26]. Ausbildung ist allerdings alles andere als überflüssig geworden, ihre Funktion hat sich aber verändert. Qualifizierende Ausbildungsabschlüsse sind zwar immer weniger hinreichend, zugleich aber immer notwendiger, um die knappen Beschäftigungspositionen erobern zu können. Die in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts beschworene Bestimmung von Bildung - öffentlich kontrollierbare Verteilung sozialer Chancen! - geht verloren, und es stellt sich nunmehr die Frage, anhand welcher Kriterien die Zuteilung sozialer Chancen erfolgt.

Die tatsächlich statuszuteilende Funktion hat sich verlagert, von den staatlichen Bildungseinrichtungen hin zu den Personalbüros der Firmen. Übrig bleibt eine „Negativauswahl der Nichtteilnahmeberechtigten am Konkurrenzkampf um Status“[27], den die Bildungsstätten übernehmen. Anders gesagt: „Während das Bildungssystem die tatsächliche Zuteilungsfunktion an die betrieblichen Personalabteilungen bzw. -chefs verloren hat, ist die öffentliche Kontrolle der Chancenverteilung im Bildungssystem zurückgeführt worden auf eine Negativauslese des Statusvorenthaltens.“ Und Beck weiter: „Hintergrund für diese Funktionsverschiebung ist das Brüchigwerden des Zusammenhangs von Bildung und Beschäftigung.“[28] In Zeiten der Vollbeschäftigung, wo es eine starke Nachfrage nach Menschen mit knappen staatlichen Bildungszertifikaten gab, bedeutete ein Bildungsabschluss nahezu die Garantie für den Eintritt in eine gute Position. Heute hat sich die Situation verdreht, und einem knappen Stellenangebot steht ein inflationäres Überangebot an Bildungsabschlüssen gegenüber. Ein Bildungszertifikat ist nicht länger der Schlüssel zum Beschäftigungssystem sondern lediglich zu den Vorzimmern, um ein Bild von Beck zu benutzen. Das eigentliche Auswahlverfahren beginnt erst dort, mit betriebsinternen Eignungstests.

[...]


[1] Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Bd. 365: Neue Folge. Frankfurt 1986.

[2] Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. 7. Aufl. o.O., 2000.

[3] Vgl. Beck (wie Anm. 1), S. 206.

[4] Beck (wie Anm. 1), S. 221.

[5] Vgl. U. Beck, M. Brater, H.-J. Daheim, Soziologie der Arbeit und der Berufe, Reinbek 1980.

[6] Beck (wie Anm. 1), S. 222 zitiert nach Schelsky, H.: Die Bedeutung des Berufs in der modernen Gesellschaft, in: Luckmann/Sprondel (Hg.): Berufssoziologie, Köln 1942, S.32.

[7] Parallel dazu haben wir die aktuellen Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnabgeltung was auf Lohnkürzungen hinausläuft. Bei allen Varianten geht es im Grunde darum, die Aufwendungen von Unternehmen für Löhne zu senken.

[8] Vgl. Beck (wie Anm. 1), S. 228.

[9] Ebd., S. 229.

[10] Vgl. ebd., S. 229.

[11] Beck (wie Anm. 1), S. 232. Zitiert nach: Kern, H. u.a.: Ende der Arbeitsteilung? München 1984, S. 149.

[12] Ebd., S. 232.

[13] Beck (wie Anm. 1), S. 235.

[14] Vgl. Sennett (wie Anm. 2).

[15] Fordismus, Bezeichnung (benannt nach Henry Ford) für eine Phase des Kapitalismus und moderner Produktionsmethoden, die gekennzeichnet sind durch serienmäßige Massenproduktion, tayloristische Produktionsverfahren und Arbeitsteilung. Massenherstellung ermöglicht niedrige Produktpreise, höhere Produktivität, höhere Reallöhne: damit entstand u. a. eine der Voraussetzungen für den Massenkonsum. (Microsoft Encarta Enzyklopädie 2005)

[16] Lean Production (englisch: schlanke Produktion), Verschlankung des gesamten Produktionsaufwands mit dem Ziel, Kosten zu senken und gleichzeitig das Produktionsergebnis zu erhöhen. Der Begriff ist neueren Datums und wurde von James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Ross in ihrem 1992 erschienenen Buch „Die zweite Revolution“ in der Automobilindustrie geprägt. Auf der Basis empirischer Untersuchungen der japanischen Automobilindustrie stellen die Autoren die These auf, dass die Welt der Industrie derzeit einen radikalen Wandel erlebt, der ähnlich bahnbrechend ist wie die industrielle Revolution und die damit einhergehende Ablösung der Handfertigung durch die Massenproduktion. Ein wesentlicher Aspekt von „Lean Production“ ist die Auslagerung von Ressourcen (Mitarbeiter und Material) an Subunternehmen, die sowohl Produktionsbestandteile (Bauteile, Maschinen etc.) wie auch Dienstleistungen (z. B. Buchhaltung, EDV-Management) anbieten. Die Umsetzung dieser Ziele bedeutet in der Konsequenz einen Abbau aufgeblähter Verwaltungsstrukturen, die straffere Koordination der Zulieferindustrie (Just-in-time-Lieferung gegen hohe Lagerbestände), die Reorganisation des Fertigungsablaufes im Teamwork bzw. in Werkstätten sowie die flexible Anpassung der Produktion an neue Kundenbedürfnisse. Sie soll bei Realisierung der Idealvorstellung zur Halbierung der Kosten bei Verdoppelung des Produktionsergebnisses führen. (Detsch, Roland: Lean Production. In: Microsoft Encarta Enzyklopädie 2005 ©)

[17] Sennett (wie Anm. 2) S. 203

[18] Ebd. S. 129.

[19] Ebd.

[20] Ebd. S. 203.

[21] Beck (wie Anm. 1), S. 238.

[22] Vgl. Fest, Joachim: Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters. Berlin:Siedler 1991.

[23] Beck (wie Anm. 1), S. 239.

[24] Ebd. S. 242.

[25] Robert Reich unterscheidet drei Typen von Arbeit: Routinearbeiten, persönliche Dienstleistungen und kreative Vorleistungen. Es scheint unbestreitbar dass Routinearbeiten im Rückgang begriffen sind, vor allem bedingt einerseits durch die fortschreitende Automatisierung und Rationalisierung in den Betrieben, andererseits durch den scharfen Wettbewerb mit Niedriglohnländern. Aber nicht nur Routinearbeiten, auch so genannte persönliche Dienstleistungen geraten zunehmend unter Druck, bedingt vor allem durch Sparmaßnahmen in den öffentlichen Haushalten. Dazu kommt, dass Konsumenten von persönlichen Dienstleistungen sehr oft Personengruppen sind, die ihrerseits über wenig Kaufkraft verfügen (Alte, Kranke, Behinderte usw.). Theoretisch könnte dieser Markt in einer überalternden Gesellschaft immer weiter wachsen, doch die Möglichkeiten sind begrenzt denn die Finanzierung muss zu einem überwiegenden Teil über öffentliche Haushalte geschehen, die ihrerseits vom Steueraufkommen abhängig sind. Bleiben also noch die so genannten kreativen Tätigkeiten. Sie können sorglos in die Zukunft schauen, so lange sie am Weltmarkt wettbewerbsfähig sind. Die Produkte der kreativen Vorleister - im wesentlichen Ideen - werden weltweit bekannt und lassen sich global vermarkten. Ihre Wertschöpfung und damit einhergehend ihre Löhne sind in der neuen Weltwirtschaft mit Abstand die höchsten. Diese äußerst unterschiedlichen Marktbedingungen für die verschiedenen Typen von Arbeit sind mit ein Grund für die wachsenden Einkommensunterschiede. Vgl. Blanpain, Roger. Sadowski, Dieter: Habe ich morgen noch einen Job? Die Zukunft der Arbeit in Europa. München : Beck 1994, S. 76-85. Zitiert nach: Reich, R. B.: The work of Nations. Prepearing ourselves for 21st Century Capitalism. New York 1992.

[26] Beck (wie Anm. 1), S. 244.

[27] Ebd.

[28] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 123 Seiten

Details

Titel
Sozial problematische Auswirkungen und Tendenzen hinsichtlich Erwerbsarbeit und (Aus)-Bildung in der Risikogesellschaft
Hochschule
Akademie für Sozialarbeit Vorarlberg
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
123
Katalognummer
V50305
ISBN (eBook)
9783638465502
ISBN (Buch)
9783638680196
Dateigröße
1103 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeit, Bildung, Risikogesellschaft, Auswirkungen, Tendenzen, Erwerbsarbeit, Bedingungen, Risikogesellschaft
Arbeit zitieren
DSA Thomas Schett (Autor:in), 2005, Sozial problematische Auswirkungen und Tendenzen hinsichtlich Erwerbsarbeit und (Aus)-Bildung in der Risikogesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50305

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