'Unser Dasein' ist das letzte Buch, das Alfred Döblin vor seiner Emigration 1933 noch in Deutschland veröffentlichte. Vom Verlag wird es heute als „Sammlung größerer und kleinerer Essays“ präsentiert, in denen der Autor „mit Witz und Akribie“ zu „naturwissenschaftlichen, künstlerischen, sozialen, psychologischen und politischen Fragen der Zeit“ Stellung nehme.
Dass Döblin sich in 'Unser Dasein' all diese Fragen – sowie kosmologische und metaphysische – stellt, macht er selbst auf der allerersten Seite des Buches klar:„Wie ich lebe, wer ich bin, was mit mir ist, was mit dem Leben ist, mit unserem Einzelleben, mit unserem Zusammenleben, mit unserem Zusammenleben mit der Erde und den Gestirnen und dem Weltall, das sind größere und sehr große Fragen und, wenn es gute Antworten darauf gibt, größere und sehr große Wahrheiten.“
Dass Döblins Antworten darauf persönlich sind, lässt er auch von vornherein wissen. „Hier nun wird gedacht und betrachtet“, kündigt er an. Die „großen umfassenden“ Wahrheiten „werden gefunden durch Denken.“ Ihnen misst er betont einen größeren Wahrheitsgehalt zu als (objektiven) Tatsachen.
Dass Döblins Stellungnahmen zu diesen Fragen der Zeit nicht nur „mit Witz und Akribie“, sondern auch mit einer Vielfalt literarischer Momente anschaulich gemacht werden, muss man hingegen erst herauslesen. Hierzu liefert der Autor in seinem ‚Vorspruch’ keinen Schlüssel. Dabei bergen die „Essays“ mancherlei vergnügliche und sinntragende Überraschungen, wenn man sich die Mühe gibt, kontinuierlich Geschriebenes als Verse zu rekonstruieren. Dann erkennt man gleich am Anfang des ersten Buches wie der Denkprozess der Ichsuche in ein typographisch zwar nicht sichtbar gemachtes aber dennoch zweifellos kleines Gedicht einfließt.
So ergab sich aus der von Döblin angekündigten Themenausrichtung der Wahrheitssuche und der Beobachtung, dass sie u. U. literarisch verarbeitet wird, die selbstverständliche, dennoch bislang nicht gestellte Frage: Wie verhalten sich Wahrheitssuche und -findung und literarische Gestaltung zueinander in Döblins 'Unser Dasein'?
Die folgende Studie zu jener Frage in dieser atypischen Schrift Döblins, geht in drei Schritten vor. Zunächst werden Stellen und Formen literarischer Prägung auf dem Wege zu den großen Wahrheiten ausgemacht; dann wird die Frage nach dem Stellenwert von Kunst im Kontext der Wahrheitssuche aufgeworfen; zuletzt wird anhand einiger Beispiele der Frage nach dem künstlerischen Wert literarischer Passagen nachgegangen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Literarische Stellen und Formen auf dem Wege zu großen Wahrheiten
- 1.1. Literarische Passagen auf dem Wege zu großen Wahrheiten
- 1.1.1. Literarische Passagen, die Erkenntnisse wiederholen
- 1.1.2. Literarische Passagen, die zu Erkenntnissen weiterführen
- 1.2. Literarische Motive der Wahrheitssuche und -findung
- 1.2.1. Das Motiv der Wanderung
- 1.2.2. Das Motiv des Vogels
- 1.2.3. Das Motiv des Traums
- 1.3. Was mag die Goethe-Intertextualität für die Wahrheitssuche und -findung bedeuten?
- 1.1. Literarische Passagen auf dem Wege zu großen Wahrheiten
- 2. Die Frage nach dem wahrheitsbezogenen Stellenwert der Kunst
- 2.1. Der relativ bestimmte Stellenwert der Kunst den wahrheitssuchenden Wissenschaften gegenüber
- 2.2. Der absolut bestimmte Stellenwert der Kunst
- 3. Die Frage nach dem künstlerischen Wert der literarischen Passagen
- 3.1. Bemerkungen zur „Einführung“ der literarischen Passagen
- 3.2. Beispiele von literaturgestalterischen Ausführungen
- Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die literarische Gestaltung in Alfred Döblins "Unser Dasein" und deren Verhältnis zur Wahrheitssuche. Der Fokus liegt auf der Analyse der literarischen Passagen und ihrer Funktion im Kontext des Gesamtwerks. Es wird untersucht, wie Döblin literarische Mittel einsetzt, um seine philosophischen und erkenntnistheoretischen Ideen zu vermitteln.
- Die Funktion literarischer Passagen in Döblins "Unser Dasein"
- Das Verhältnis von Wahrheitssuche und literarischer Gestaltung
- Der Stellenwert der Kunst in Döblins Philosophie
- Analyse verschiedener literarischer Formen und Motive
- Die Rolle von Intertextualität
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die zentrale These des Werks ein: „Nur durch das Tor des Ich betritt man die Welt.“ Sie beschreibt Döblins Ansatz, große Wahrheiten durch Denken zu finden, und kündigt die Untersuchung des Zusammenspiels von Wahrheitssuche und literarischer Gestaltung in "Unser Dasein" an. Die Unterscheidung zwischen „geringen, größeren und großen Wahrheiten“ wird eingeführt, wobei der Fokus auf den „großen umfassenden Wahrheiten“ liegt, die durch Denken gefunden werden.
1. Literarische Stellen und Formen auf dem Wege zu großen Wahrheiten: Dieses Kapitel analysiert die literarischen Passagen in Döblins Werk und deren Funktion im Prozess der Wahrheitssuche. Es unterscheidet zwischen illustrativen und konstruktiven Einsätzen literarischer Elemente und untersucht, wie diese Passagen Erkenntnisse wiederholen oder zur Entwicklung neuer Erkenntnisse beitragen. Die Analyse umfasst verschiedene literarische Formen wie Reime und Gedichte sowie deren Rolle im Kontext der philosophischen Argumentation.
2. Die Frage nach dem wahrheitsbezogenen Stellenwert der Kunst: Dieses Kapitel befasst sich mit dem Verhältnis von Kunst und Wahrheitssuche bei Döblin. Es untersucht den Stellenwert der Kunst im Kontext der wahrheitssuchenden Wissenschaften und erörtert Döblins eigene Kunsttheorie, die im Werk selbst entfaltet wird. Die Analyse konzentriert sich auf die Frage, wie Döblins Kunstverständnis seine Darstellung von Wahrheit beeinflusst und wie sich beide Aspekte gegenseitig bedingen.
3. Die Frage nach dem künstlerischen Wert der literarischen Passagen: Das Kapitel untersucht den intrinsischen literarischen Wert der Passagen unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Es analysiert die sprachliche Gestaltung und die literarischen Mittel, die Döblin einsetzt, und betrachtet sie im Hinblick auf ihre ästhetische Qualität. Die Untersuchung vermeidet eine feste Definition von „Literarität“ und konzentriert sich auf die sprachlichen und geistigen Prozeduren in Döblins Text.
Schlüsselwörter
Alfred Döblin, Unser Dasein, Literarische Gestaltung, Wahrheitssuche, Kunsttheorie, Intertextualität, Philosophie, Erkenntnistheorie, literarische Motive, Lyrik, Dialog, Ich, Sein.
Häufig gestellte Fragen zu Alfred Döblins "Unser Dasein"
Was ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit?
Die Arbeit analysiert die literarische Gestaltung in Alfred Döblins "Unser Dasein" und deren Verhältnis zur Wahrheitssuche. Der Fokus liegt auf der Analyse der literarischen Passagen und ihrer Funktion im Kontext des Gesamtwerks. Untersucht wird, wie Döblin literarische Mittel einsetzt, um seine philosophischen und erkenntnistheoretischen Ideen zu vermitteln.
Welche Themen werden im Buch behandelt?
Die Arbeit behandelt die Funktion literarischer Passagen in Döblins Werk, das Verhältnis von Wahrheitssuche und literarischer Gestaltung, den Stellenwert der Kunst in Döblins Philosophie, die Analyse verschiedener literarischer Formen und Motive sowie die Rolle der Intertextualität.
Welche Kapitel umfasst das Buch und worum geht es in ihnen?
Das Buch gliedert sich in eine Einleitung, drei Hauptkapitel und eine Schlussbetrachtung. Die Einleitung führt in die zentrale These ein und beschreibt Döblins Ansatz, große Wahrheiten durch Denken zu finden. Kapitel 1 analysiert literarische Passagen und deren Funktion in der Wahrheitssuche, differenziert zwischen illustrativen und konstruktiven Elementen und untersucht verschiedene literarische Formen. Kapitel 2 befasst sich mit dem Verhältnis von Kunst und Wahrheitssuche bei Döblin, seinem Kunstverständnis und dessen Einfluss auf die Darstellung von Wahrheit. Kapitel 3 untersucht den intrinsischen literarischen Wert der Passagen unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, analysiert die sprachliche Gestaltung und die verwendeten literarischen Mittel.
Welche Arten von literarischen Mitteln werden analysiert?
Die Analyse umfasst verschiedene literarische Formen wie Reime, Gedichte, sowie deren Rolle im Kontext der philosophischen Argumentation. Es werden auch literarische Motive wie die Wanderung, der Vogel und der Traum untersucht. Die Arbeit betrachtet die sprachliche Gestaltung und die literarischen Mittel, die Döblin einsetzt, im Hinblick auf ihre ästhetische Qualität.
Welche Rolle spielt die Intertextualität?
Die Rolle der Intertextualität, insbesondere die Goethe-Intertextualität, wird im Kontext der Wahrheitssuche und -findung untersucht. Die Arbeit hinterfragt den Einfluss und die Bedeutung von intertextuellen Bezügen auf Döblins Werk und dessen Aussagekraft.
Wie definiert die Arbeit den Stellenwert der Kunst?
Die Arbeit untersucht den Stellenwert der Kunst sowohl im Verhältnis zu den wahrheitssuchenden Wissenschaften (relativ bestimmter Stellenwert) als auch absolut betrachtet (absolut bestimmter Stellenwert). Sie erörtert Döblins eigene Kunsttheorie, die im Werk selbst entfaltet wird und wie sein Kunstverständnis seine Darstellung von Wahrheit beeinflusst.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Inhalt?
Schlüsselwörter sind: Alfred Döblin, Unser Dasein, Literarische Gestaltung, Wahrheitssuche, Kunsttheorie, Intertextualität, Philosophie, Erkenntnistheorie, literarische Motive, Lyrik, Dialog, Ich, Sein.
Welche zentrale These wird im Buch vertreten?
Eine zentrale These lautet: „Nur durch das Tor des Ich betritt man die Welt.“ Die Arbeit untersucht, wie Döblin diese These durch literarische und philosophische Mittel in seinem Werk "Unser Dasein" umsetzt.
Welche Art von Wahrheiten stehen im Mittelpunkt der Analyse?
Die Arbeit konzentriert sich auf „große umfassende Wahrheiten“, die durch Denken gefunden werden, im Gegensatz zu „geringen“ oder „größeren“ Wahrheiten.
- Quote paper
- Andrea Tam (Author), 2002, Literarische Gestaltung in Alfred Döblins "Unser Dasein", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50333