Heranführung an die "Phänomenologie des Geistes" von Hegel. Die sinnliche Gewissheit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

18 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

A) Einleitung

B) Ausführungen
1) Warum Hegel mit der sinnlichen Gewissheit beginnt
2) Ärmster Reichtum
a) Erster Irrtum
b) Zweiter Irrtum
3) Erste Prüfung: Die Frage nach dem Jetzt und Hier
4) Zweite Prüfung: Vom Objekt zurück zum Subjekt
5) Die letzte Prüfung
a) These- Antithese- Synthese
b) Die letzte Erfahrung der sinnlichen Gewissheit

C) Schlussfolgerung

D) Literaturverzeichnis

A) Einleitung

Hegel zu lesen ist nicht einfach. Seine Philosophie zu verstehen ist noch weniger leicht. Bei dem Hegel-Biograph Karl Rosenkranz findet sich dazu eine interessante Geschichte. Der russische Baron Boris d’Uxkull aus Estland soll 1817 nach Heidelberg gekommen sein, um dort von Hegel eine Erfrischung seines Geistes zu bekommen. Er besorgte sich beim Buchhändler seine bisher veröffentlichten Schriften und begann sie daraufhin durchzulesen. Aber er stellte fest, dass je mehr er las und je aufmerksamer zu werden er sich bemühte, desto weniger verstand er und musste nach vergeblicher Lektüre das Buch enttäuscht weglegen.1

Der Baron hatte das Glück, dass er später Hegel selbst auf seinen Spaziergängen begleiten durfte und sich vom Autor seine Theorien erklären lassen konnte. Dieses Glück hat heute keiner mehr und wer sich mit Hegel beschäftigen will, der ist mehr oder weniger auf sich alleine gestellt.

Besonders die Phänomenologie des Geistes macht es dem Anfänger nicht einfach den Gedankengängen zu folgen und ohne Begleitliteratur erscheint dies fast als unmöglich. Aber trotzdem ist die darin ausgebreitete Philosophie hochinteressant und diese Qualität des Buches ist der Gegenpol zu den Schwierigkeiten, die es bereitet dem Stoff zu folgen. Ebenso war Hegel der Ansicht, dass es der eigentliche Fehler wäre, wegen der Furcht vor dem Irrtum keinen Versuch zu wagen, eine Theorie über etwas aufzustellen. Den Irrtum sah er als wesentliches Mittel an, um im Erkennen weiterzukommen. Hat man seinen Irrtum als solchen erkannt, kann man ihm auf den Grund gehen und ihn korrigieren. Wagt man keinen Versuch wegen der Angst vor dem Irrtum, hat dies laut Hegel nur die Folge, dass man auf seiner Erkenntnisstufe nicht weiter fortschreiten kann.

Man kann die Phänomenologie des Geistes kurz beschreiben als Betrachtung der Gestalten des Bewusstseins. Das Ziel dieser Untersuchungen, kann man vorwegnehmen, wenn man den Titel des letzten größeren Kapitels liest. Es handelt sich um das absolute Wissen. Diese Arbeit soll sich mit dem ersten Kapitel nach der Einleitung auseinandersetzen: Der sinnlichen Gewissheit. Denn in der Phänomenologie des Geistes ist das Grundproblem, die Entsprechung von Begriff und Gegenstand.2

Und wenn im Laufe des Buches dieses Problem immer weiter besprochen wird, braucht es einen Ausgangspunkt für diese Untersuchungen. Und bei Hegel bildet diesen Ausgangspunkt für alle späteren Ausführungen eben die sinnliche Gewissheit.

1) Warum Hegel mit der sinnlichen Gewissheit beginnt

Bereits die Überschrift des Kapitels stellt den Leser vor ein Problem. Wenn das Adjektiv sinnlich in der heutigen Zeit mit Leidenschaft assoziiert werden kann, hat das nichts mit der Bedeutung zu tun, die es in der Phänomenologie des Geistes erfährt. Kant gebrauchte dieses Wort, um die Gesamtheit der Sinne zusammenzufassen. Er hat damit unterschieden, was der Mensch mit seinen Sinnen aufnimmt und was der Verstand daran leistet. Aber auch damit kommt man in der Philosophie von Hegel nicht weiter. Man darf sich in diesem Kapitel nicht zu der Annahme verleiten lassen, dass darin eine Untersuchung der Sinneserkenntnisse gemacht wird.

Wenn wir vor die Tür treten und nahezu erschlagen werden von sinnlichen Eindrücken, kann man diese gar nicht richtig ordnen. Mann kann auflisten welche Objekte man sieht, welche Düfte man riechen kann oder ob ein kalter oder warmer Wind gerade weht. Was man eindeutig erkennen kann ist aber, dass sie alle da sind. Hegel geht es in diesem Schritt nicht darum, wie die einzelnen Sinneseindrücke beschaffen sind. Ihm geht es zuvorderst nur um das, was alle Sinneserkenntnis immer begleitet. Der Vorstellung, dass alles „ist“.3

Der Grund warum er diesen Schritt an den Anfang des Buches setzt, ist, weil er unmittelbar vollzogen wird. Der Vorteil daran ist, dass man dabei einen Startpunkt gewinnt, der nicht auf falschen Annahmen beruht. Man könnte auch an ganz anderer Stelle beginnen, die sehr viele andere Annahmen voraussetzt, aber das ist sehr riskant. Wenn Hegel also mit der sinnlichen Gewissheit beginnt, dann macht er das wegen der Primitivität dieses Schrittes. Auf dieser Stufe ist noch keine Theorie oder Reflexion nötig.4

„Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein, als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist.“

Der Grund warum hier noch keinerlei Theorien oder Reflexion nötig sind, liegt in der Unmittelbarkeit dieses Vollzuges. Und diese Unmittelbarkeit liegt in der Beziehung zwischen dem Bewusstsein, das mit seinen Sinnen aufnimmt und dem Gegenstand, der erfasst wird.5 Aber wieder darf man sich hier nicht dazu verleiten lassen, dass Hegel damit die Beziehung von den menschlichen Sinnen zu dem Gegenstand meint. Die sinnliche Gewissheit ist unmittelbar, dadurch dass sie Wissen des Unmittelbaren ist. Die Vorstellung der sinnlichen Gewissheit, die es über das Sein hat, ist auf dieser Stufe maximal unausgearbeitet. Das was mit den Sinnen wahrgenommen wird, ist einfach schlechthin da.6 Dass Hegel bei diesem Schritt nicht auf die menschlichen Sinne einzugehen braucht, macht ihn so besonders.

2) Ärmster Reichtum

a) Erster Irrtum

7 Was Hegel ebenfalls feststellen kann ohne die verschiedenen Sinne untersuchen zu müssen, ist, dass alles, was damit aufgenommen wird, in Raum und Zeit ausgebreitet ist. Er spricht von einer Erkenntnis „im Raume und in der Zeit“8 Dieser Punkt ist leicht nachzuvollziehen, weil jeder die Erfahrung macht, dass es nur Gegenstände in Raum und Zeit gibt. Aber ab diesem Punkt wird es knifflig für den Leser. Hegel schreibt in der Phänomenologie folgendes:

„Der konkrete Inhalt der sinnlichen Gewissheit lässt sie unmittelbar als die reichste Erkenntnis, ja als eine Erkenntnis von unendlichem Reichtum erscheinen […]. Sie erscheint ebenso als die wahrhafteste; denn sie hat von dem Gegenstande noch nichts weggelassen, sondern ihn in seiner ganzen Vollständigkeit vor sich.“9

Dieser Behauptung kann man zuerst nur zustimmen. Kaum machen wir die Augen auf, werden wir überflutet von Reizen. Gerüche, Geschmäcker und das Licht scheinen sich nur so vor uns aufzutürmen und uns zu bedrängen. Darüber hinaus erkennen wir auch vollständig. Wir nehmen jeden Gegenstand komplett und ohne irgendein Weglassen davon wahr. Deshalb hat es den Anschein als wäre die sinnliche Gewissheit die beste Erkenntnis. Aber auf diese Weise erscheint sie nur uns.10 Ganz anders verhält es sich, wenn die sinnliche Gewissheit sich selbst betrachtet. Denn wie wir oben bereits gesehen haben, ist sie ein Wissen vom Sein der Sinneswahrnehmung und sie kann nur aussagen, dass etwas ist. „Diese Gewissheit aber gibt in der Tat sich selbst für die abstrakteste und ärmste Wahrheit aus.“11 Sie kann nur von etwas aussagen, dass es „ist“.

Die sinnliche Gewissheit kann aber nicht selbst dieses Armutszeugnis von sich ablegen. Zu diesem Ergebnis kommt man nur, wenn man die Aussagen, die sie über das Sein zu machen im Stande ist, noch mal untersucht. Damit wird ihr nicht die Wahrhaftigkeit der Erkenntnisse abgesprochen. Hegel ging es darum herauszuarbeiten, dass die sinnliche Gewissheit in Bezug auf ihre Selbsteinschätzung, eine Täuschung enthält.12

Was für einen Sinn macht es, eine Täuschung zu entdecken? Hat Hegel hier einen Fehler gemacht, der in seiner Philosophie für diese Täuschung sorgt? Nein. Hegel ist weit entfernt hier einen Fehler zu machen. Er beginnt ja gerade bei diesem Punkt, weil er so einfach ist und beinahe keinen Spielraum für Fehler lässt. Wenn er von einer Täuschung spricht, dann macht er dies, weil das einer bestimmten Methode entspricht.

Hegels Absicht war es mit der Phänomenologie des Geistes eine Kritik an der bisherigen Metaphysik zu üben. Dabei ging es ihm um die bisherigen Entwürfe von dem Seiendem.

Um also die vorherrschende Ontologie aufbrechen zu können, hätte es nicht genügt an sie von außen eine Kritik heranzutragen. Die vorherrschende Ontologie muss durchgedacht werden und in ihrem Vollziehen, müssen dann die Widersprüche aufgedeckt werden.13 Wenn Hegel also von einer Täuschung spricht, dann hat er einen Widerspruch entdeckt. In diesem Fall hat Hegel das Seinswissen der sinnlichen Gewissheit einer ontologischen Prüfung unterzogen und dabei hat sich herausgestellt, dass sie in Bezug auf ihre Selbsteinschätzung eine Täuschung enthält.14

b) Zweiter Irrtum

Wie hat Hegel nun die sinnliche Gewissheit bis zu diesem Punkt charakterisiert. „dieses reine Sein oder diese einfache Unmittelbarkeit macht ihre Wahrheit aus.“15 Man könnte das Wort „rein“ auch mit „bloß“ ersetzen. Mit „Wahrheit“ ist hier auch noch nicht eine Übereinstimmung von Gegenstand und Wissen über diesen Gegenstand gemeint, sondern der Bereich in dem die sinnliche Gewissheit etwas aussagen kann.16 Sie macht Aussagen der Form: Ich, reiner Dieser, weiß reines Dieses.17 Die Gegenstände der Wahrnehmung bezeichnet Hegel als „Dieses“ und das Subjekt der Wahrnehmung ist das „Dieser“.

Jetzt gibt es noch sehr viel Beispielendes, das je nach Situation zum Diesen wird. Und was Objekt der sinnlichen Gewissheit ist, kann sich ja sehr schnell ändern. Ich stehe zu einem Zeitpunkt vor einem Haus und zu einem anderen Zeitpunkt vor einem Baum. Dieses Zufällige, vor dem ich stehe, ist das Einzelne von dem die sinnliche Gewissheit nur weiß, dass es ist.18 Überhaupt ist die sinnliche Gewissheit auf das Einzelne fixiert. Das Allgemeine will sie nicht. Aber weil sie nun das Einzelne als je ein Dieses denkt und je ein Dieser, der es aufnimmt, fallen aus dem bloßen Sein zwei Momente heraus: Das ich und der Gegenstand.19

Es findet also auf der Stufe der sinnlichen Gewissheit doch eine Vermittlung statt. Eine Sache kann nur gewusst werden, wenn es da ein Ich gibt, das den Gegenstand erfassen kann. Ein Baum kann sich nicht selbst als solcher bezeichnen. Gleichsam braucht das Ich den Gegenstand, von dem es etwas wissen kann.20

Aus dem bloßen Sein sind diese zwei Momente herausgetreten und weil dadurch eine Vermittlung stattfindet, ist die sinnliche Gewissheit gar nicht so unmittelbar, wie vorher festgestellt wurde.21 „Diesen Unterschied des Wesens und des Beispiels, der Unmittelbarkeit und der Vermittlung, machen nicht nur wir, sondern wir finden ihn an der sinnlichen Gewissheit selbst“22 Der sinnlichen Gewissheit geht es um das Wesen oder um das unmittelbar Seiende des Gegenstandes.23 Wenn sie auch nur das Sein des Gegenstandes erkennt, ohne dass sie etwas anderes von ihm weiß, ist sie doch auf ihn fixiert. Sie muss das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen, denn sie will das An-sich des Gegenstandes erkennen. Das An-sich des Gegenstandes unterscheidet sich vom Für-uns darin, dass es das Sein in seinem einfachen Bestehen ist und nicht die Erscheinung für uns. Um das An-sich zu erreichen, muss sich die sinnliche Gewissheit also von dem lösen, was den direkten Zugang zum Gegenstand verhindert. Und um diese Unmittelbarkeit zum Gegenstand zu erlangen, die die sinnliche Gewissheit vorher beansprucht hat, lässt sie das Ich gegenüber dem Gegenstand zurücktreten und erklärt es für unwesentlich. Mit diesem Schachzug hat die sinnliche Gewissheit ihre Erscheinung selbst verändert. Sie hat das subjektive Element, das den Zugang zum An-sich des Gegenstandes blockiert hat, zurücktreten lassen.

[...]


1 Vgl. Ludwig, 1997.

2 {Fink 1977 #8}

3 Vgl. Fink 1977, 60.

4 Vgl. Ludwig 1997, 47.

5 Vgl. Werner Becker 1971, 20.

6 Vgl. Fink 1977, 60.

7 Titel wurde entnommen aus Ludwig 1997, 45.

8 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 69.

9 Ebd.

10 Vgl. Fulda 1973, 71.

11 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich,69.

12 Vgl. Werner Becker 1971, 21.

13 Vgl. Fink 1977, 59.

14 Vgl. Fink 1977, 61.

15 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 69f.

16 Vgl. Fulda 1973, 73.

17 Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 70.

18 Vgl. Fink 1977, 64.

19 Ebd.

20 Ebd.

21 Vgl. Ludwig 1997, 48.

22 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 70.

23 Vgl. Fink 1977, 65.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Heranführung an die "Phänomenologie des Geistes" von Hegel. Die sinnliche Gewissheit
Hochschule
Hochschule für Philosophie München  (Philosophy)
Veranstaltung
Einführung in die Phänomenologie des Geistes
Note
1.3
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V503434
ISBN (eBook)
9783346043368
ISBN (Buch)
9783346043375
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hegel, Georg Friedrich Willhelm Hegel, Phänomenologie des Geistes, sinnliche Gewissheit, Deduktion, Logik, These, Antithese, Synthese, Idealismus, theoretische Philosophie, Philosophie
Arbeit zitieren
Simon Fischer (Autor:in), 2014, Heranführung an die "Phänomenologie des Geistes" von Hegel. Die sinnliche Gewissheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/503434

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