"Muhammad und die Juden". Das Verhältnis des Propheten zu den arabischen Juden im Lichte der Sira


Hausarbeit, 2019

24 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die historische Ausgangslage – Mekka zur Zeit des Propheten

3. Die Banu Qaynuqa-Episode (BQay)

4. Die Banu n-Nadir-Episode (BN)

5. Die Banu Qurayza-Episode (BQur)

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit bemüht sich darum, den Beginn der koranischen Offenbarung besser zu verstehen. Dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass der Autor mit den Augen des christlich-katholischen Theologen auf - ihm zwar aus der Literatur vertraute - letztlich aber doch auch fremde religiöse Traditionen blickt. Diese Arbeit versteht sich somit als Versuch aus einer klaren theologischen Positionierung heraus die drei monotheistischen Traditionen ins Gespräch zu bringen. Dabei soll es in Anlehnung an P. Christian Troll SJ1 und P. Tobias Specker SJ nicht darum gehen, die Gemeinsamkeiten der Traditionen zu betonen, sondern vielmehr einer „Hermeneutik der Differenz“2 Raum gegeben werden, um Missverständnissen und Konflikten durch theologische Differenzen von vornherein den Nährboden zu entziehen3. Dass eine solche Hermeneutik auch aus der islamischen Tradition gut zu begründen ist, zeigt Sure 5:48:

Für jeden von euch haben Wir ein (verschiedenes) Gesetz und eine Lebensweise bestimmt. Und wenn Gott es so gewollt hätte, Er hätte euch alle sicherlich zu einer einzigen Gemeinschaft machen können: aber (Er wollte es anders,) um euch zu prüfen durch das, was Er euch gewährt hat. Wetteifert denn miteinander im Tun guter Werke!4

Demnach sind die Differenzen Gott gewollt und böten eine Chance zu gegenseitigem Wachstum, sofern man dem Anruf zum Wetteifer folgte.

Dass aus christlicher Sicht an dieser Stelle zwei Jesuiten-Theologen zur Sprache kommen ist kein Zufall. Ermutigt doch besonders deren ignatianische Spiritualität - zurück gehend auf den Ordensgründer Ignatius von Loyola – in den Geistlichen Übungen, „bereitwilliger […] die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen“ 5. Einer Hermeneutik der Differenz tritt also eine Hermeneutik des Vertrauens hinzu. Diese Haltung soll auf den folgenden Seiten die Basis für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik bilden. Sie konterkariert damit eine Vorgehensweise, die vor allem mit dem Namen Thilo Sarrazin verbunden ist. Der Volkswirt, ehemalige SPD-Politiker und Autor vielgelesener 6 „islam- kritischer“ Bücher nimmt sich in seinem neuesten Werk „Feindliche Übernahme“ den Koran selbst vor. Dabei setzt er voraus, dass es einem „verständigen Laien ohne Kenntnisse des Arabischen“ 7 wie ihm, möglich ist, sich dem Text des Koran wissenschaftlich objektiv zu nähern. Skepsis gegenüber einer solchen Hermeneutik ist jedoch angebracht. Hartmut Bobzin weist darauf hin, dass dies selbst Muslimen, die immerhin mit dem Wortlaut des koranischen Textes vertraut sind, Schwierigkeiten bereite. Von nicht-muslimischen Lesern ganz zu schweigen.8 Damit wird nach Bekim Agai der koranische Text,

seinem historischen und sozialen Kontext, seiner 1400-jährigen Interpretationsgeschichte, seiner vielen inneren Spannungen und Mehrdeutigkeiten entrissen, […] zu wenig mehr als dem Spiegel seines Interpreten.9

Wenngleich

Nichtmuslime […] vor noch größeren Schwierigkeiten [stehen], wenn sie den Koran lesen und verstehen wollen10

ist eine Beschäftigung unter den eingangs erwähnten Voraussetzungen natürlich nicht unmöglich. 11 Ansonsten wäre auch die vorliegende Arbeit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Abgesehen davon, dass die Auseinandersetzung mit dem Islam theologisch reizvoll sein kann12, seit der Konzils-Erklärung „über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate “, nicht sogar geboten ist, ist auch durch den oft feindseligen öffentlichen Diskurs über den Islam eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik dringend notwendig.13

Dass sich das Thema der vorliegenden Arbeit schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis Muhammads bzw. des frühen Islam mit dem Judentum befasst, ist mehreren Gesprächen mit angehenden christlich-katholischen Theologen zum Thema islamischer Antisemitismus zu schulden. Hierin wurde offensichtlich, wie groß die Gefahr ist, den Koran „als die schlechtere Bibel“14 zu missverstehen, und ihm das Eigene und Unverwechselbare, das ihm einmalig-zukommende, abzusprechen. Dieses einmalige ästhetische Erleben der Offenbarung im Koran 15 - die nämlich hörbar- gemachte Liebe Gottes - kann mit Klaus von Stosch auch dann gelten, wenn man an den in Jesus Christus unüberbietbar und endgültig inkarnierten Logos Gottes glaubt.16

Die Themenwahl gründet auch in der festen Überzeugung, dass die drei monotheistischen Traditionen, die hier ins Gespräch kommen sollen, aufeinander verwiesen sind. Nochmal Klaus von Stosch:

Das Spezifikum der muslimischen Offenbarung […] ist jedoch ebenso wie das Spezifikum der christlichen […] im jüdischen Denken angelegt. […] Der jüdische Offenbarungsglaube würde somit als Nährboden für Christentum und Islam verständlich, und eine Aussöhnung zwischen Islam und Christentum und eine gegenseitige Würdigung wäre leichter, wenn diese gemeinsame Wurzel im Dialog im Blick behalten würde.17

Ausdrückliches Ziel der Arbeit ist demnach, den Koran mit all seinen Widersprüchlichkeiten und inneren Spannungen ernst zu nehmen, ihn in seinem historischen Kontext zu belassen, aber den Versuch zu unternehmen, seine Entstehung nachzuvollziehen, und darin besonders die Berührungspunkte mit dem Judentum zu markieren.

Da die koranische Offenbarung organisch mit dem Leben des Propheten Muhammad verbunden ist, und der Islam traditionell eine eigene literarische Gattung kennt, die dieses [das Leben Muhammads] verarbeitet, soll ebenjene, die so genannte Sira oder Prophetenbiografie, auf Hinweise bezüglich des Verhältnisses Muhammads zu den Juden untersucht werden. Da innerhalb der Sira historischer Stoff mit Hagiografischem auf das engste verwoben ist 18, bedarf es des Heranziehens quellenkritischer Untersuchungen. Hier soll vor allem auf die Dissertationsschrift von Marco Schöller Bezug genommen werden.

Kern des Überlieferungsmaterials über die arabischen Juden bilden die Ereignisse, die als BQay-, BN- und BQur-Episode in die Forschung eingegangen sind. Dabei handelt es sich um den historischen (Erst-)Kontakt Muhammads mit den medinensisch- arabischen19 Judenstämmen der Banu Qaynuqa (BQay), Banu n-Nadir (BN) und Banu Qurayza (BQur). 20 Sie bilden das historisch-inhaltliche Gerüst der Arbeit, anhand dessen das Verhältnis Muhammads zu den Juden im Lichte schwerpunktmäßig der Sira, sekundär des Koran näher in den Blick genommen werden soll. Die Historie vor, nach oder zwischen diesen Episoden soll nur insofern Erwähnung finden, als sie zum Vorverständnis oder der historischen Einordnung beiträgt.

Die genannte drei Episoden fallen allesamt in die so genannte medinensische Periode, also der Zeit nach dem Auszug Muhammads aus Mekka nach Medina, hidjra genannt. Um sie überhaupt verstehen zu können, bedarf es zunächst eines kurzen historischen Rückblicks auf die Zeit vor der hidjra, der mekkanischen Periode im Leben Muhammads.

2. Die historische Ausgangslage – Mekka zur Zeit des Propheten

Muhammads Verkündigung in Mekka trifft eine Adressatenschaft, die die jüdisch- biblischen Geschichten gekannt haben musste, wenngleich offenbleiben muss, wie genau, und in welcher Form die jüdisch-christliche Offenbarungsbotschaft ihren Weg in die mekkanische Gemeinde Muhammads gefunden hat. 21 Arabisch-sprechende jüdische oder christliche Gemeinden existierten in Mekka nicht22, geschweige denn eine arabische Bibel-Übersetzung. 23 So hatte auch Muhammad selbst keine schriftlichen Quellen vorliegen, sondern stützte sich auf mündlich-überlieferte Traditionen.24 Sein Wissen über jüdisches Traditionsgut erlangte er nach Bouman vom Hörensagen.25 Gleichsam war Muhammads Heimat keineswegs von der übrigen Welt abgeschnitten. Vielmehr handelte es sich um einen bedeutsamen Wallfahrtsort und wichtigen Handelsplatz 26 mit „einer beachtlichen städtischen Kultur“ 27. Sowohl Schöller als auch Kuschel verweisen auf die Geringschätzung der „Wüstenaraber“ in Sure 9:97-9928, die außerdem in den Suren 49:14 („Noch-Ungläubige“), 48:11 („zu beschäftigt für Allah“) 48:16 („haben Allah den Rücken gekehrt“), 9:90 („waren falsch gegen Allah und Seinen Gesandten“) und 9:101 („Heuchler“) sichtbar wird. Diese Tendenz des Korans plausibilisiert die Annahme, dass die Anhänger Muhammads wohl einem religiös-pluralen, soziologisch-gemischten, jedenfalls aber städtischen Milieu entstammen29, also keine Wüsten-Araber oder Beduinen waren.

Auch was das religiöse Umfeld anbelangt, ist eine große Heterodoxie festzustellen, die der in diesem Zusammenhang oft benutzte Begriff „Heidentum“ nur sehr unzureichend einfängt. Kuschel nennt mit Reza Aslan eine vielgestaltige religiöse Tradition als Kennzeichen vorislamischer arabisch-beduinischer Religiosität.30 Diese ist jedoch in jedem Fall ausdrücklich polytheistisch, kennt also eine Vielzahl von Gottheiten.31

In gesellschaftlicher Hinsicht ist schließlich noch wichtig zu erwähnen, dass der pagane Kult um die Ka‘ba das ökonomische Zentrum Mekkas bildete.32 Dass dieser Vielgötter-Kult und der daraus resultierende „Halsabschneider-Kapitalismus“33 der mekkanischen Eliten sich fundamental mit der monotheistischen 34 und sozialkritischen35 Botschaft Muhammads spießte, ist offensichtlich. Auch vonseiten der Mekkaner vom Stamme der Qurayschiten – Muhammads eigenem Stamm – lässt sich eine gewisse Ausweglosigkeit feststellen, wenn es um die Frage geht, ob diese die Botschaft Muhammads hätten annehmen können. Denn, so Kuschel,

[...]


1 Wie P. Troll SJ im Interview mit der Herder Korrespondenz einräumt, braucht es in einem interreligiösen Dialog den unbedingten Willen einander zu verstehen, gleichzeitig aber auch eine klare eigene Position. (Vgl. Troll, Keine Alternative, 16-17).

2 Specker, Im Gegenüber, 182.

3 Vgl. a.a.O., 181.

4 Asad, Botschaft, 212.

5 Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, 37 und vgl. Troll, Islam begegnen, 9.

6 Sarrazins erste Veröffentlichung „Deutschland schafft sich ab“ gehört gemäß Wikipedia.de mit 1,5 Millionen verkauften Exemplaren bis Anfang 2012 zu den meistverkauften Hardcover-Sachbüchern seit Gründung der BRD und war 21 Wochen lang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. (Vgl. Wikipedia, Deutschland schafft sich ab).

7 Sarrazin, Feindliche Übernahme, 21.

8 Vgl. Bobzin, Koran, 8.

9 Agai, Homo Koranicus.

10 Bobzin, Koran, 8.

11 Noch weniger für christliche Theologen, zumal nach Stephan Schreiner gerade biblisches Vorwissen zum besseren Verständnis des Islam und seiner Offenbarungsschrift beiträgt. (Vgl. Kuschel, Bibel im Koran, 229).

12 Klaus von Stosch nennt in seinem theologischen Essay „Befruchtendes Denken“ unter Anderem das Lernen über das eigene Weltverhältnis, eigene Stärken und Schwächen, die eigene Identität, im eigenen Denken verhaftete Plausibilitätsmuster, aber auch über Denkwege des Anderen und letztlich – wenn auch mit Fragezeichen - über Gott. (Vgl. Von Stosch, Denken, 64).

13 Der deutsche Journalist und Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer Hasnain Kazim antwortet in seinem Buch „Post von Karlheinz“ auf humorvolle Art und Weise auf so genannte Hassmails. Er stellt darin einleitend eine Verrohung der öffentlichen Debatte fest, die er mit guten Gründen mit der ersten Veröffentlichung Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ zum Thema „Islam in Deutschland“ in Zusammenhang bringt. (Vgl. Kazim, Post, 14).

14 Bobzin, Koran, 15.

15 Vgl. Kuschel, Bibel im Koran, 101. Hinzuweisen sei außerdem auf Navid Kermanis Dissertationsschrift „Gott ist schön“, in der er sich schwerpunktmäßig mit dem „ästhetischen Erleben des Koran“ auseinandersetzt.

16 Vgl. Von Stosch, Offenbarung, 119-120.

17 Von Stosch, Offenbarung, 120.

18 Vgl. Schöller, Exegetisches Denken, 6-7.

19 Medina ist der moderne Name der damaligen Oasen-Siedlung Yathrib im heutigen Saudi-Arabien.

20 Vgl. Schöller, Exegetisches Denken, 14.

21 Vgl. Kuschel, Bibel im Koran, 157.

22 Vgl. a.a.O., 159.

23 Vgl. a.a.O., 27.

24 Vgl. ebd.

25 Vgl. Bouman, Der Koran, 21.

26 Vgl. Kuschel, Bibel im Koran, 159.

27 Schöller, Mohammed, 24; Kuschel, Bibel im Koran, 160.

28 Vgl. ebd.

29 Vgl. Kuschel, Bibel im Koran, 164.

30 Vgl. a.a.O., 161.

31 Vgl. Schöller, Mohammed, 19.

32 Vgl. Schöller, Mohammed, 24 und vgl. Kuschel, Bibel im Koran, 160.

33 Armstrong, Geschichte, 26.

34 Dass jedoch der strenge Monotheismus auch für Mohammed am Beginn seiner Verkündigung keine Selbstverständlichkeit war, sich vielmehr erst in der Auseinandersetzung mit seinen ungläubigen Landsleuten, herauskristallisierte, darauf weist der Islamwissenschaftler Rudi Paret hin. (Vgl. Paret, Mohammed, 103).

35 Mohammeds Botschaft ergreift, gegen den Widerstand der Reichen und Mächtigen, Partei für die Armen und Bedürftigen, wie auch Sure 69,34 verdeutlicht. (Vgl. Bouman, Der Koran, 30).

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
"Muhammad und die Juden". Das Verhältnis des Propheten zu den arabischen Juden im Lichte der Sira
Hochschule
Universität Salzburg  (Systematische Theologie)
Veranstaltung
Christliche Koranhermeneutik
Note
1,00
Autor
Jahr
2019
Seiten
24
Katalognummer
V504061
ISBN (eBook)
9783346037237
ISBN (Buch)
9783346037244
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Muhammad, Mohammed, Koran, Christlich-islamischer Dialog, Islam, Judentum, arabische Juden, Sira, Prophetenbiografie
Arbeit zitieren
Sebastian Riedel (Autor:in), 2019, "Muhammad und die Juden". Das Verhältnis des Propheten zu den arabischen Juden im Lichte der Sira, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/504061

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