Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse als Prävention sexuellen Missbrauchs


Bachelorarbeit, 2018

52 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.Kindesmisshandlung
2.1 Definition und Misshandlungsformen
2.2 Sexueller Missbrauch
2.3 Statistische Häufigkeit und Dunkelziffer 9

3.Täter
3.1 Typologie
3.2 Strategien

4.Opfer
4.1 Risikofaktoren
4.2 Folgen sexuellen Missbrauchs

5.Prävention sexuellen Missbrauchs
5.1 Schutzkonzept des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
5.2 Selbstverteidigungs- / Selbstbehauptungskurse für Kinder
5.3 Qualitätsmerkmale
5.4 Beispiel für Kursprogramme
5.5 Weitere Präventionsangebote
5.6 Wirksamkeit

6.Fazit

Verwendete Literatur und Internetquellen

1.Einleitung

Wird ein Kind Opfer sexuellen Missbrauchs, so stürzt nahezu jeder Erwachsene in eine tiefe Betroffenheit. Ein solcher Vorfall hat fatale Auswirkungen auf das restliche Leben des betroffenen Kindes. Der sexuelle Missbrauch ist einer der einschneidensten, negativsten Er-fahrungen, die einem Menschen widerfahren können.

Sexueller Missbrauch gilt in der Gesellschaft als empfindliches The-ma. Eltern stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihr Kind über die Ge-fahren sexuellen Missbrauchs aufzuklären und sie möglichst effektiv vor einer Opferwerdung zu schützen. Dennoch ist die Sorge groß, ihr Kind mit der Thematik zu verängstigen oder ihnen gefährliches Halb-wissen zu vermitteln. Eine weitere Schwierigkeit stellt der Schutz von Kindern dar, die durch ihre Mütter und / oder Väter keine oder nur wenig Fürsorge erfahren (wodurch das Risiko der Opferwerdung ohnehin stark erhöht ist) oder die im innerfamiliären Kreis bereits wiederholt sexuell missbraucht worden sind. Gerade hier fehlt es oft an einer notwendigen Vertrauensperson, an die sich das Kind im Missbrauchsfall wenden kann.

Deutschlandweit gibt es unterschiedliche Präventionsangebote, die Kinder nachhaltig vor sexuellem Missbrauch und Gewalt schützen sollen. Seit etwa 20 Jahren zählen sogenannte Selbstverteidigungs- und / oder Selbstbehauptungskursen für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen dazu. Neben einem umfangreichen, altersgerechten Wissen rund um die Thematik der Kindesmisshandlung, werden den Teilnehmern Verteidigungstechniken vermittelt sowie ihr Selbst-bewusstsein anhand gezielter Übungen gestärkt. Die Kinder sollen lernen, Gefahrensituationen zu erkennen bzw. zu vermeiden, sich durch ein selbstsicheres Auftreten vor sexuellen Übergriffen zu schützen und werden darin bestärkt, sich im Ernstfall Hilfe bei einem Erwachsenen zu suchen.

In der nachfolgenden Ausarbeitung soll überprüft werden, ob sich Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse als Prävention gegen sexuellen Kindesmissbrauch eignen. Innerhalb der ersten Kapitel soll dem Leser zunächst ein Basiswissen über das Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs vermittelt werden. Hierzu wird der Begriff Kindesmisshandlung definiert und die vier möglichen Miss-handlungsformen voneinander abgegrenzt. Es folgt die Darstellung der Häufigkeit sexueller Übergriffe auf Kinder mit Hilfe deraktuellen Ergebnisse der PKS NRW sowie Einschätzungen der tatsächlich zu erwartenden Dunkelziffer (Gesamtaufkommen polizeibekannter und nicht bekannt werdender Fälle). Abschließend werden Tätertypen und ihre Vorgehensweise erläutert sowie Risikofaktoren potentieller Missbrauchsopfer und die Folgen eines Übergriffs dargestellt. Im Hauptteil der Arbeit wird das sogenannte Schutzkonzept des Unab-hängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vorgestellt und die Inhalte sowie Qualitätsmerkmale eines seriösen Angebotes für einen Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungs-kurs veranschaulicht. Anhand zweier Anbieter für derartige Trainings soll ein Einblick in den Ablauf und die Inhalte ermöglicht werden. Zum Abschluss wird der Versuch unternommen, die Wirksamkeit von Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskursen als Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs zu belegen.

2. Kindesmisshandlung

2.1 Definition und Misshandlungsformen

Kindesmisshandlung ist eine „nicht zufällige, gewaltsame psychische und / oder physische Beeinträchtigung oder Vernachlässigung des Kindes durch Eltern / Erziehungsberechtigte oder Dritte, die das Kind schädigt, verletzt, in seiner Entwicklung hemmt oder zu Tode bringt“, definieren Blum-Maurice et al. (2000).

Kindesmisshandlung muss in vier verschiedene Formen abgegrenzt werden: Die körperliche Misshandlung, die seelische Gewalt, die Vernachlässigung sowie der sexuelle Missbrauch (Deegener, 2005).

Körperlichen Misshandlungen sind an Grausamkeit keinerlei Gren-zen gesetzt. Beginnend bei einer Ohrfeige oder einem Schlag mit der flachen Hand oder einem Gegenstand, erleiden Kinder regelmäßig Verbrennungen mit Zigaretten oder heißem Wasser. Sie werden auf Herdplatten gesetzt, Treppen heruntergestoßen, als Säugling ge-schüttelt oder in Türen eingeklemmt. Auch das Pieksen mit Nadeln, Setzen des Kindes in eiskaltes Wasser und dessen Untertauchen sind neben dem Zwingen den eigenen Kot zu essen, dem Vergiften und Würgen keine Seltenheit (Deegener, 2005).

Eine besondere Form der körperlichen Misshandlung stellt das soge-nannte Münchhausen-by-Proxy-Syndrom dar. Hierbei werden Krank-heitssymptome des Kindes künstlich hervorgerufen oder vorgespielt. In der Regel ist es die Mutter, die sich durch die Behandlung ihres Kindes durch Ärzte Aufmerksamkeit erhofft. Um Krankheitssympto-me hervorzurufen, werden dem Kind bspw. Medikamente und / oder Abführmittel verabreicht, Fäkalien in die Blutbahn gespritzt, es wird absichtlich verletzt, Nahrung wird vorenthalten sowie Laborbefunde verfälscht (Deegener, 2005).

Unter seelischer Gewalt wird die „Beeinträchtigung und Schädigung der Entwicklung von Kindern verstanden auf Grund z.B. von Ableh-nung, Verängstigung, Terrorisierung und Isolierung“, erklärt Psycho-therapeut Prof. Dr. phil. Günther Deegener (2005). Die betroffenen Kinder werden von ihren Eltern beschimpft, erniedrigt und verspottet. Ihnen wird dauerhaft jegliche Form von Liebe entzogen. Einige Kinder werden zudem eingesperrt, von anderen Kindern isoliert und übernehmen die „Sündenbockrolle“ innerhalb ihrer Familie. Seelische Gewalt kann zudem massive Bedrohungen sowie Todesdrohungen beinhalten (Deegener, 2005).

Eine weitere Form der psychischen Gewalt ist die Überflutung mit Fürsorge. Das Kind bekommt keinerlei Gelegenheit, sich selbst zu entfalten, was zu Unsicherheit, Ängstlichkeit und Ohnmacht führt. Aber auch das Drängen in eine Erwachsenenrolle tritt nicht selten auf. In diesen Fällen überladen die Eltern ihr Kind mit Haushalts-pflichten, erwarten die Versorgung der Geschwister oder fordern ihre eigene Pflege bei gegebener Bedürftigkeit ein (Deegener, 2005).

Vernachlässigung ist „die ausgeprägte (d.h. andauernde oder wie-derholte) Beeinträchtigung oder Schädigung der Entwicklung von Kindern durch die sorgeberechtigten und -verpflichteten Personen“ (Deegener, 2005). Sie liegt vor, wenn die Versorgungsleistung über einen längeren Zeitraum ausbleibt. Somit handelt es sich bei dieser Form der Kindesmisshandlung um einen „chronischen Zustand der Mangelversorgung des Kindes“, betonen Güthoff et al. (2012).

Eine Vernachlässigung kann sich körperlich, kognitiv, emotional und in Form unzureichender Beaufsichtigung oder erzieherischer Ver-nachlässigung äußern (Schone et al., 1997). Unter die körperliche Vernachlässigung fällt bspw. unzureichende Pflege und Kleidung, mangelnde Ernährung und gesundheitliche Fürsorge sowie keine ausreichende Hygiene. Kognitiv vernachlässigt wird ein Kind, das z.B. nicht hinreichend angeregt wird und weder die motorischen, emotionalen noch sozialen Fähigkeiten gefördert werden. Engage-ment der Eltern für die schulische Entwicklung des Kindes fehlt gänz-lich. Emotionale Vernachlässigung erfahren Kinder bspw. durch den Mangel an Zuwendung und Wärme in der Beziehung, das Fehlen jeglicher Zärtlichkeit und häufig wechselnde Bezugspersonen. Unzu-reichende Beaufsichtigung oder erzieherische Vernachlässigung äußert sich z.B. durch fehlende Beachtung kindlichen Fehlverhal-tens, Gleichgültigkeit oder Nichtwissen der Eltern bzgl. Abwesenheit oder Umgang des Kindes, das Alleinlassen über einen längeren Zeit-raum und mangelnder Schutz vor Gefahren (Schone et al., 1997).

Die letzte Misshandlungsform, die sexuelle Misshandlung, „umfasst jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind auf Grund seiner körperlichen, emotionalen, geistigen oder sprachlichen Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann bzw. bei der es deswegen auch nicht in der Lage ist, sich hinreichend wehren oder verweigern zu können“. Die Täter sind sich ihrer Machtposition ge-genüber dem Kind bewusst. Sie nutzen die kindliche Abhängigkeit und das Verlangen nach Liebe aus, um sexuelle Befriedigung zu erlangen sowie das Schweigen des Kindes zu erpressen (Deegener, 2005).

Zu beachten ist, dass die unterschiedlichen Misshandlungsformen sich in der Regel überlagern und selten isoliert auftreten. Ein Kind, das bspw. durch seine Eltern sowohl vernachlässigt als auch kör-perlich misshandelt wird, befindet sich täglich in einer Opferrolle. Eine der Folgen dieser Handlungen ist ein starkes Minderwertig-keitsgefühl. Das Kind fühlt sich von seiner Familie nicht geliebt und nutzlos. Das Risiko, das ein solches Kind nun Opfer eines sexuellen Übergriffs wird, ist hoch. Die Täter sind auf der Suche nach Kindern, die sich von Geschenken und einer besonderen Aufmerksamkeit ansprechen lassen. Sie bauen Druck auf, reden dem Kind sexuelle Bedürfnisse ein und erpressen das Schweigen mit dem Aufführen von Konsequenzen für das Kind, dessen Familie und den Peiniger (Deegener, 2005). Kindesmisshandlung ist ein unaufhörlicher Teu-felskreis, der sich auf das ganze Leben des betroffenen Kindes aus-wirken wird.

2.2 Sexueller Missbrauch

Wenn es unter Erwachsenen ohne beidseitige Zustimmung zu einer sexuellen Handlung kommt, so handelt es sich um eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, erklärt Psychotherapeut Prof. Dr. phil. Günther Deegener (1998). Ein Kind ist jedoch auf Grund seiner Unerfahrenheit, fehlender Kenntnisse und seiner „psycho-sexuellen Entwicklungsstufe“ (Deegener, 1998) nicht in der Lage, einer sexuellen Handlung zuzustimmen. Zudem herrscht ein enor-mes Gefälle zwischen Macht, Alter und Reife zwischen einem Kind und einem Erwachsenen. Kinder sind auf emotionaler, rechtlicher, sozialer und finanzieller Ebene von Erwachsenen abhängig und kön-nen keinen gleichberechtigten Partner darstellen (Deegener, 1998). Wann liegt also ein Fall sexuellen Missbrauchs vor? Es erweist sich oftmals als schwierig, einzuschätzen, ob der sexuelle Kontakt zwischen einem Kind und einem Erwachsenen gewollt oder ungewollt war und ebenso schwierig gestaltet sich daher die Suche nach einer allgemeingültigen Definition. Als Hilfestellung orientieren sich viele Forscher am vorliegenden Altersunterschied, um mit Sicherheit sagen zu können, dass das herrschende Macht- und Wissensgefälle ein Einverständnis des Kindes ausschließen lässt. Bspw. soll demnach ein Kind bis zum 12. Lebensjahr in der Lage sein, dem Sex mit einer maximal 5 Jahre älteren Person zuzustim-men und ältere Kinder dem Sex mit einer maximal 10 Jahre älteren Person. Eine solche Definition des sexuellen Missbrauchs grenzt jedoch automatisch eine Missbrauchshandlung durch gleichaltrige oder jüngere Kinder aus (Deegener, 1998). Andere Wissenschaftler verstehen den sexuellen Missbrauch als rein körperliche Handlung. Ihre Theorie ist, dass bspw. exhibitionistische oder auch voyeuris-tische Handlungen keine oder nur sehr geringe Schädigungen beim Kind hervorrufen, wodurch das Vorliegen einesMissbrauchs ausge-schlossen wird. Kommt es durch solche Taten dennoch zu negativen Folgen für das Kind, erklärt man diese mit der Überreaktion des sozialen Umfeldes auf den Vorfall. Diese Definitionkonnte jedoch im Laufe der Jahre regelmäßig wiederlegt werden, da Opfer von Miss-brauchshandlungen durch Exhibitionisten und Voyeuristen angaben, stark verängstigt worden zu sein.

Der Psychotherapeut Prof. Dr. phil. Günther Deegener (1998) ist der Meinung, dass sexueller Missbrauch auch allein durch Blicke und Worte (also nonverbal) vorliegt. Durch das Handeln des Täters wird das Kind zu einem Sexualobjekt und dient der sexuellen Befriedi-gung eines Erwachsenen.

Durch dieses Bewusstsein entstand eine weitere Definition. Dessen Anhänger vertreten die Meinung, dass ein sexueller Missbrauch im-mer dann vorliegt, wenn ein Kind durch eine sexuelle Handlung ge-schädigt wird, negative Folgen müssen ersichtlich sein. Da sich die Folgen einer Missbrauchstat jedoch teilweise erst Jahre später be-merkbar machen, kann auch diese Definition nicht ausnahmslos an-gewandt werden (Deegener, 1998).

Zusammenfassend stellt jede Handlung, die an oder vor dem Kind gegen dessen Willen oder auf Grund von Unterlegenheit (körperlich, geistig, seelisch oder verbal) vorgenommen wird, einen sexuellen Missbrauch dar. Die Täter nutzen ihre Macht und Autorität gegen-über dem Kind aus, um es als Sexualobjekt zur eignen Befriedigung auszunutzen (Deegener, 1998).

2.3 Statistische Häufigkeit und Dunkelziffer

Die PKS des Landes NRW erfasste 2017 2.337 Fälle sexuellen Miss-brauchs. 1.867 Fälle konnten aufgeklärt werden sowie 1.830 Tatver-dächtige ermittelt werden. Die ermittelten Tatverdächtigen waren zu 95,7 % männlich und es befanden sich unter ihnen 742, die bereits polizeilich bekannt waren. 88,9% unter ihnen handelten alleine, 79% der Tatverdächtigen hatten die deutsche Staatsbürgerschaft. 76,4 % der Opfer waren Mädchen. In 524 Fällen war der Tatverdächtige ein Familienangehöriger, 401 Opfer lebten mit dem Tatverdächtigen in einem Haushalt.

Deutschlandweit liegen die angezeigten Fälle konstant bei ca. 12.000 jährlich. Lediglich ein Teil aller Missbrauchsfälle führt tatsächlich zu Gerichtsverhandlungen und nur ein Teil der Tatverdächtigen wird tat-sächlich verurteilt. Unklar ist, ob sie aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt werden können oder ob falsche Verdächtigungen vorlagen, die durch das Gericht enthüllt werden konnten (Berner, 2013). 1986 führte Finkelhor eine Umfrage über sexuelle Übergriffe vor dem 18. Lebensjahr in einem repräsentativen Kollektiv der Bevölkerung durch. 20-25% der Frauen und 8-10% der Männer gaben an, Opfer sexuellen Missbrauchs geworden zu sein. Eine weitere Studie von Finkelhor in Kooperation mit Russel ergab 1984, dass 25% der Jun-gen und 13% der Mädchen durch eine Frau missbraucht worden sind. Im Jahr 1997 führte Wetzels mit 1.580 Männern und 1.661 Frauen in Deutschland zwei Umfragen durch. Diese unterschieden sich durch einen bestimmten und erweiterten Missbrauchsbegriff. Den Körperkontakt durch einen Erwachsenen vor dem 16. Lebens-jahr bejahten 8,6% der Frauen und 2,5% der Männer. Die unklar definierte Missbrauchshandlung vor dem 16. Lebensjahr bejahten 18,1% der Frauen und 6,2% der Männer. In den USA kommt man zu nahezu gleichen Ergebnissen bei einem erweiterten Missbrauchs-begriff (Berner, 2013). Hier wird noch einmal deutlich, dass es bei einem Missbrauchsopfer nicht zwingend zu Körperkontakt mit dem Täter gekommen sein muss, um als Missbrauch eingestuft zu wer-den.

Auf Grund dieser und weiterer Studien wird davon ausgegangen, dass auf einen angezeigten Fall mindestens fünf nicht angezeigte Fälle kommen. Es wird davon ausgegangen, dass ein Drittel der Missbrauchshandlungen im engeren Familienkreis vorkommen und die Bereitschaft gegen den Täter auszusagen sinkt, je näher ihm das Opfer steht (Berner, 2013). Wissenschaftler sind sich einig, dass die Dunkelziffer (zu erwartende Summe der polizeibekannten und -unbekannten Fälle) 10- bis 30-mal höher liegt (Gallwitz & Paulus, 2000).

3. Täter

3.1 Typologie

Täter eines sexuellen Missbrauchs werden von den meisten Men-schen als Pädophile eingestuft. Es gibt jedoch sowohl Begrifflichkei-ten als auch Beweggründe, die voneinander differenziert werden müssen. Die Forscher der klinischen Psychologie Raymond A. Knight, Ruth Rosenberg sowie Beth Schneider grenzen 1985 drei Tätergruppen voneinander ab: Echte Pädophile, Ersatzobjekt- bzw. Inzesttäter und aggressiv-sadistische Täter.

Der echte Pädophile ist in der Regel ein Mann, der eine sowohl emo-tionale als auch erotisch-sexuelle Beziehung zu einem Mädchen, Jungen oder allgemein zu einem Kind sucht (Knight, Rosenberg & Schneider, 1985). Man spricht von einer sogenannten primären Pädophilie, was bedeutet, dass ein erwachsenes Erscheinungsbild keine oder nur sehr geringe Attraktion auslöst (Beier, 1998). Frauen konnte bislang in keinem Fall eine zweifelsfreie Pädophilie nachge-wiesen werden, weshalb von einer anderweitigen Motivation aus-gegangen wird. Pädophilie darf nicht als Sexualstörung verstanden werden, sondern ist mit einer hetero-, homo- oder bisexuellen Se-xualform gleichzusetzen. Es handelt sich dabei um eine Personen-eigenschaft und es darf nicht automatisch mit einem pädosexuellen Kontakt, also dem sexuellen Missbrauch eines Kindes, in Verbindung gebracht werden. Viele Pädophile verhalten sich abstinent, leben ihre Sexualität nur in Gedanken oder anhand von Bildmaterial aus. Kommt es dennoch zu pädosexuelle Praktiken, beschränken sich Pädophile weitestgehend auf das Liebkosen, Streicheln oder Mastur-bieren. Dennoch gibt es auch Fälle massivster Gewalteinwirkungen auf das Kind (Vogt, 2006).

Die Ursache für die Festlegung dieser Sexualform wird vermutlich in der frühen Kindheit gelegt, bleibt ein Leben lang bestehen und ist nicht therapierbar. Auf Grund der gesellschaftlichen Tabuisierung gibt es in der Ursachenforschung nur wenige Probanden, was eine eindeutige Diagnostik unmöglich macht (Vogt, 2006).

Der Ersatzobjekt- bzw. Inzesttäter ist zahlenmäßig deutlich größer aufgestellt als die pädophile Minderheit. Diese Täter greifen ersatz-weise auf Kinder aus der Nachbarschaft oder der eigenen Familie zurück, da sexueller Kontakt zu Erwachsenen nicht möglich ist. Der Auslöser für einen sexuellen Übergriff ist meistens ein sexueller oder partnerschaftlicher Konflikt. Typischerweise gehören heterosexuelle Männer diesem Tätertypus an und weisen keine oder eine sekundäre Pädophilie auf, d.h. sie fühlen sich zu Erwachsenen hingezogen, ha-ben aber eine leichte „subdominante Ansprechbarkeit“ auf Kinder. Der Psychoanalytiker und Facharzt für Psychiatrie und psychothera-peutische Medizin Dr. med. Mathias Hirsch kam 1994 zu dem Ergeb-nis, dass 85% der Täter überwiegend passiv, schüchtern und intro-vertiert, sozial sowie emotional abhängig sind. Innerhalb seiner Familie bestehen massive innerfamiliäre Konflikte und in einem Kind finden diese Täter meist ein unterlegenes, wenig beängstigendes Gegenüber, das sie dominieren können. Nach außen bemühen sich diese Täter um Unauffälligkeit. Die restlichen 15% sind die soge-nannten tyrannischen Väter. Für sie befinden sich die Familien-mitglieder in ihrem Besitz, über den sie jederzeit nach Belieben ver-fügen dürfen. Während des Missbrauchs stehen beide Tätertypen regelmäßig unter dem Einfluss von Alkohol, nehmen keine Rücksicht auf Widerstand des Kindes und verhalten sich dabei enorm gewalt-tätig (Knight, Rosenberg & Schneider, 1985). Sie haben „ein fragiles Selbstwertkonzept, ein narzisstisches Defizit und ein Bedürfnis nach Ausgleich der eigenen Mängel gemeinsam; in dem einen Fall durch die „Partnerwahl“ auf einem nicht ängstigenden Niveau, in dem anderen durch kompensatorische Überhöhung der eigenen „Potenz““ (Hirsch, 1994). Weibliche Sexualtäter werden fast ausnahmslos die-sem Tätertypus zugeordnet (Knight, Rosenberg & Schneider, 1985).

Der aggressiv-sadistischen Täter ist eine psychopathologisch auffäl-lige Person, deren Gesamtpersönlichkeit gestört ist. Zahlenmäßig stellen sie die kleinste Gruppe in der Kriminalstatistik dar. Sexuelle Übergriffe auf Kinder sind mit massiver Gewalteinwirkung verbunden und können im Sexualmord gipfeln. Gewalt zählt für diese Sexualtä-ter als Bestandteil des Sexualakts. Die Täter selbst leiden oft unter einer Persönlichkeitsstörung oder Erkrankung. Sie sind hirngeschä-digt, debil, psychisch krank oder sadistisch (Knight, Rosenberg & Schneider, 1985).

3.2 Strategien

In der Regel plant ein Sexualtäter seine Tat bereits im Voraus. Dabei nehmen bestimmte Vorlieben, wie Alter, Geschlecht, Haarfarbe oder der Körperbau, ihren Einfluss auf seine Planung. Einige Täter beo-bachten ihre Opfer noch weitaus intensiver und wählen sich letztlich schüchterne, gar ängstliche und unsichere Kinder mit wenig Freun-den, die sich ungeliebt sowie ungebraucht fühlen. Bei diesen Kindern nutzt der Täter das gesteigerte Bedürfnis nach Anerkennung, Zunei-gung und Liebe aus und tritt als Helfer, Tröster sowie Freund in ihr Leben. Er hilft bei den Hausaufgaben, macht Komplimente, kauft sei-nem Opfer Geschenke, plant Unternehmungen, wie Kino, Freizeit-park oder Schwimmen gehen oder überrascht das Kind mit einem Tier, das es ausführen oder streicheln darf. Teilweise suchen sich Sexualtäter auch Opfer aus, die besonders wehrlos sind, bspw. körperbehinderte, minderbegabte oder sehr junge Kinder (Deegener, 1998). Gelingt es dem Missbraucher ein Vertrauensverhältnis aufzu-bauen, sucht er vermehrt Körperkontakt. Dieser Kontakt wird zuneh-mend sexualisiert. Damit das Kind die Berührungen über sich erge-hen lässt, werden ihm falsche Normen eingeredet. Anhand gezielter Drohungen setzt der Täter sein Opfer so unter Druck, dass es sich nicht traut, sich jemandem anzuvertrauen. Der Wechsel von einem freundschaftlichen hin zu einem eindeutig sexuellen Verhalten erfolgt in der Regel schrittweise. Wiederfährt der Wechsel plötzlich, so ist er meist besonders gewaltförmig (Deegener, 1998).

Der Psychotherapeut Prof. Dr. phil. Günther Deegener (1998) weiß, dass gerade bei besonders jungen Opfern die Fähigkeit fehlt, zwi-schen normalen und sexualisierten Berührungen zu unterscheiden. Missbraucher passen ihr Verhalten dem Alter des Kindes entspre-chend an und nähern sich auf spielerische Weise. Manipuliert der Täter bspw. am Glied des Kleinkindes bis zum Samenerguss, spricht er während dessen von „ganz viel Schaum machen“. Schon ein-fachste Methoden führen zur Gefügigkeit. Missbraucher können ihre Opfer oft dadurch zum Schweigen bringen, dass sie bspw. vorgeben, es bis nach Hause hören zu können und mitzubekommen, wenn es den Eltern etwas von den Geschehnissen mitteilt. Sätze, wie „Ein liebes Mädchen macht …“ oder „Du bist böse und schlecht, wenn du nicht …“ üben einen enormen Druck aus, sodass das Opfer nahezu handlungsunfähig wird und diverse Übergriffe über sich ergehen lässt (Deegener, 1998).

Einige Täter nähern sich einem Kind über einen langen Zeitraum nur in sehr kleinen Schritten sexuell an. Ein solches Vorgehen kann für große Verwirrung sorgen, da das Kind nicht beurteilen kann, ob es im Laufe der Zeit falsche Zeichen gesetzt oder den Misshandlungen gar zugestimmt hat. Durch die Angst eine Mitschuld an den Vorfällen zu bekommen, hüllen sich auch diese Kinder in Schweigen (Deege-ner, 1998).

Die meisten Sexualtäter bedienen sich unterschiedlichster Formen der Bedrohung, um ihre Opfer zum Stillhalten, Mitmachen oder Schweigen zu bringen. Es gibt die Androhung körperlicher Schäden, (z.B. „Ich werde dich töten.“, „Ich werde dir einen Finger abschnei-den.“), die Androhung einer Gefahr für die Familie des Kindes (z.B. „Deine Familie wird auseinanderbrechen.“), die Androhung von Kon-sequenzen für den Täter selbst (z.B. „Du willst doch nicht, dass ich Ärger kriege.“), die Androhung von Zurückweisung und Vereinsa-mung (z.B. „Deine Mutter wird böse auf dich sein.“), die Androhung von Belohnungsentzug (z.B. „Du bekommst dafür fünf Packungen Kaugummi.“) und die Androhung von Schande und Gefahr für das Opfer (z.B. „Jeder denkt, du bist eine kleine Schlampe.“, „Mädchen, die sowas machen, die bringt man um“) (Deegener, 1998).

4. Opfer

4.1 Risikofaktoren

Die Entstehung oder Aufrechterhaltung sexuellen Missbrauchs wird durch bestimmte Bedingungen / Belastungen, unter denen ein Kind aufwachsen sowie leben muss, deutlich erhöht. Hierzu zählen kind-bezogene Faktoren (Volunerabilität), umgebungsbezogene Faktoren sowie gesellschaftliche und kulturelle Faktoren (Trepper & Barrett, 1992; Bretz et al., 1994b; Petermann, Niebank & Scheithauer, 2000).

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Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse als Prävention sexuellen Missbrauchs
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
52
Katalognummer
V504169
ISBN (eBook)
9783346056337
ISBN (Buch)
9783346056344
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selbstbehauptung, Prävention, Sexueller Missbrauch, Schutz von Kindern, Selbstverteidigung, Kindesmisshandlung
Arbeit zitieren
Alicia Peterek (Autor:in), 2018, Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse als Prävention sexuellen Missbrauchs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/504169

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