Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist die Untersuchung der weiblichen Zugangschancen zum Arbeitsmarkt des Kaiserreichs. Knapp, auf die ich mich im Folgenden weitgehend beziehe, spricht von der „Verdrängungsthese“, die besagt, dass im Laufe der Entstehung eines modernen Arbeitssektors die Frauen die Männer aus ihren Berufen verdrängt hätten um selbst am Erwerbsleben teilzuhaben. Doch in welchen Berufsgruppen waren Frauen zu dieser Zeit wirklich zu finden und um welche Frauen handelte es sich? Aufgrund dieser Fragestellungen soll geprüft werden, wie die innere und äußere Struktur des Arbeitsmarktes sich entwickelt hat. Da Berufszählungen aus den Jahren 1882, 1895, 1907 und 1925 vorhanden sind, beziehe ich mich zur besseren Vergleichbarkeit stellenweise auf den Zeitraum bis 1925, da sich so die wesentlichen Veränderungen besonders deutlich nachzeichnen lassen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die wirtschaftliche Entwicklung im Deutschen Kaiserreich
3. Die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der Frau im Deutschen Kaiserreich 1871-1914 und die Auswirkungen auf das weibliche Erwerbsleben
4.Veränderungen der Erwerbsarbeit im Kaiserreich
4.1 Die Aufrechterhaltung der Geschlechterhierarchie auf dem Arbeitsmarkt
4.2 Der Anteil der Frauen an den erwerbsmäßig Beschäftigten im Deutschen Kaiserreich
4.3 Die Entstehung männlich und weiblich dominierter Arbeitsbereiche
4.4 Die Feminisierung der ehemaligen „Männerdomänen
5. Die innere Struktur des Arbeitsmarktes: Die ledige junge Frau als Prototyp der weiblichen Arbeiterin
6. Zur ungleichen Bezahlung bei gleicher Tätigkeit
7. Unterschiede in der Erwerbstätigkeit bürgerlicher und proletarischer Frauen
7.1 Erwerbsbeteilung der bürgerlichen Frau
7.2 Weibliche Erwerbsarbeit im Proletariat
8. Erwerbsbeschäftigung von Frauen im modernen Arbeitssektor
8.1 Dienstmädchen- eine Chance der weiblichen Erwerbsbeteiligung in der Stadt
8.2 Frauenerwerbsarbeit in der Textilindustrie
9. Fazit
Bibliographie
1. Einleitung
„Das Verantwortungsgefühl der Frauen für die Erhaltung der Familie wurde zum Hindernis ihrer eigenen Chancenverwirklichung“[1]
Diese These stellt Ulla Knapp, Professorin für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt „Ökonomik des Geschlechterverhältnisses“[2] in ihrer Publikation „Frauenarbeit in Deutschland“ als zentrale Begründung für die untergeordnete Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt in Geschichte und Gegenwart auf.
Das vorliegende Referat untersucht die Stellung der Frau im Erwerbsleben des Kaiserreichs. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich die Strukturen der Frauenerwerbsarbeit im Zeitraum von 1871-1914 entwickelt und verändert haben und welche Gründe dafür ausschlaggebend waren. Kann wirklich, wie Knapp es formuliert, davon ausgegangen werden, dass die Frau selbst, aufgrund ihrer eigenen Bestimmung auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter, nur geringe Zugangschancen zum Arbeitsmarkt hatte?
Welchen beruflichen Platz fanden Frauen in der aufstrebenden Wirtschaftsnation Deutschland?
Zur Klärung dieser Fragen wird zu Beginn die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung im Deutschen Kaiserreich kurz skizziert, da diese allgemeinen Veränderungen, die sich im Zuge der Industrialisierung ergaben, wesentlich für das Verständnis der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktentwicklung dieser Zeit sind. Um die Position der Frau in dieser Zeit deutlich zu machen, wird anschließend die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der Frauen im Kaiserreich erläutert.
Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist die Untersuchung der weiblichen Zugangschancen zum Arbeitsmarkt des Kaiserreichs. Knapp, auf die ich mich im Folgenden weitgehend beziehe, spricht von der „Verdrängungsthese“, die besagt, dass im Laufe der Entstehung eines modernen Arbeitssektors die Frauen die Männer aus ihren Berufen verdrängt hätten um selbst am Erwerbsleben teilzuhaben. Doch in welchen Berufsgruppen waren Frauen zu dieser Zeit wirklich zu finden und um welche Frauen handelte es sich? Aufgrund dieser Fragestellungen soll geprüft werden, wie die innere und äußere Struktur des Arbeitsmarktes sich entwickelt hat. Da Berufszählungen aus den Jahren 1882, 1895, 1907 und 1925 vorhanden sind, beziehe ich mich zur besseren Vergleichbarkeit stellenweise auf den Zeitraum bis 1925, da sich so die wesentlichen Veränderungen besonders deutlich nachzeichnen lassen.
Alle Statistiken sind Müller/Willms/Handl „Strukturwandel der Frauenerwerbsarbeit 1880-1980“ bzw. Knapp “Frauenarbeit in Deutschland“ entnommen.
2. Die wirtschaftliche Entwicklung im Deutschen Kaiserreich
Im Deutschen Kaiserreich 1871-1914 kam es in wirtschaftlicher Hinsicht zu zahlreichen und einschneidenden Veränderungen und Neuerungen. Es vollzog sich der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft.[3] Bis 1870 war die erste Phase der Industrialisierung fast abgeschlossen.[4] So entwickelte sich das Deutsche Reich in dieser Zeit zu einer der führenden Industrienationen der Welt.[5] Dies hatte eine große Nachfrage nach Arbeitskräften im Zeitraum von 1895 bis 1914 zur Folge.[6] Mit der Industrialisierung entstanden zwei strukturell sehr unterschiedliche, sich aber ergänzende und voneinander abhängige Bereiche der gesellschaftlichen Arbeit: Zum einen die Hausarbeit, zum anderen die Erwerbsarbeit. Wohn- und Arbeitsplatz traten auseinander und folglich war die vorherige Einheit von Leben, Arbeiten und Konsum aufgelöst. An diesem Punkt begann die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, wie sie bis heute weitgehend praktiziert wird, sich herauszubilden und zu festigen. Die Frau wurde auf den Bereich der Hausarbeit, der Mann hingegen auf den der Erwerbsarbeit festgelegt. Wohn- und Arbeitsplatz wurden voneinander abgelöst und folglich auch de Arbeitsbereiche von Mann und Frau, die von da an unterschiedlichen Prinzipien und Bewertungen unterstanden.[7] Die Familie stand nun als „Gegenwelt zur Arbeit“.[8]
Auch die allgemeinen Lebensbedingungen der Menschen des Deutschen Kaiserreichs veränderten sich in dieser Zeit grundlegend. Es kam, wie Wolfgang Köllmann es bezeichnet, zur „größten Massenbewegung der deutschen Geschichte“[9] Lebten im Jahr 1871 noch 64 Prozent der Reichsbevölkerung auf dem Land, so hatte sich dieses Wohnverhältnis 1910 fast umgekehrt, der größte Teil der Menschen lebte nun in der Stadt, insbesondere in den Großstädten des Deutschen Reichs. Die Bevölkerung stieg von 41 Millionen Menschen im Jahr 1871 auf 67 Millionen 1913.[10] Der Prozess der Urbanisierung hatte selbstverständlich immense Auswirkungen und Folgen für die Erwerbstätigkeit der Menschen. So sank der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten während der Zeit des Deutschen Kaiserreichs stetig, von 1882 42,5 Prozent auf nur noch 28,6 Prozent im Jahr 1907.[11] Es kam zur Herausbildung industrieller Ballungsräume. Die vom Land kommenden Menschen versprachen sich vom Leben und Arbeiten in der Stadt bessere Arbeitsbedingungen durch höhere Löhne, Sozialleistungen und geregelte Arbeitszeiten. Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit in den Städten boten sich den Menschen durch die neu entstehende Industrie und die Bürokratisierung. Die Berufsdifferenzierung nahm stark zu. Gab es 1882 etwa 6000 Berufsbezeichnungen, erweiterten sich diese bis zum Jahr 1907 auf etwa 15000.[12] Bezüglich der Arbeitsbedingungen ergaben sich einige Besserungen, 1881 führte Bismarck seine Sozialgesetzgebung ein, 1883 wurde das erste Krankenversicherungsgesetz beschlossen, es folgten gesetzliche Bestimmungen zur Unfallversicherung (1884) und die Einführung einer Alters- bzw. Invalidenversicherung 1889.[13] Außerdem wurden 1910 der 10 Stunden Maximalarbeitstag eingeführt, bzw. die Verkürzung der Arbeitszeit an Samstagen auf 8 Stunden gesetzlich festgelegt.[14]
Auch bezüglich der Lebensbedingungen der Menschen ergaben sich Veränderungen: Die allgemeine Lebenserwartung stieg bis 1910 um fast 10 Jahre, gleichzeitig sank die Säuglingssterblichkeit aufgrund verbesserter Ernährung, medizinisch ausgeweitete bessere Versorgung, städtehygienische Maßnahmen wie Abfallbeseitigung und zentrale Trinkwasserversorgung sowie Kanalisation.[15] Allerdings war die Lebenssituation vieler Arbeiterfamilien bis zum Ende des Kaiserreichs verhältnismäßig schlecht, sie war geprägt durch die Unsicherheit des Einkommens, einen Mangel an Erholung und Freizeit und vor allem Frauen und Kinder litten in vielen Fällen an mangelnder Ernährung.
3. Die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der Frau im Deutschen Kaiserreich 1871-1914 und die Auswirkungen auf das weibliche Erwerbsleben
Frauen wurden von gesellschaftspolitischer Seite in Deutschen Kaiserreich schlichtweg ausgegrenzt- sie hatten nicht einmal den Status von „Bürgerinnen zweiter Klasse“[16], sondern lebten ohne Stimmrecht und es war ihnen bis 1908 verboten, sich politisch zu organisieren oder an politischen Veranstaltungen teilzunehmen. Öffentliche Ämter durften sie nicht bekleiden.[17] Die Frau war nicht frei, vor dem Gesetz dem Mann nicht gleichgestellt und konnte über ihren Besitz nicht frei verfügen.[18] Erst im Laufe der 1865 begründeten Deutschen Frauenbewegung wurden ihnen allmählich Rechte eingestanden, die nach und nach festgeschrieben und umgesetzt wurden. Besondere Bedeutung kam dem Kampf um eine gleichberechtigte Beteiligung auf dem Arbeitsmarkt zu, der sich in konkreten Forderungen nach Bildung und Zugang zu außerhäuslichen Berufszweigen äußerte. Im Jahr 1900 wurde die Anerkennung des Rechts auf eigenen Lohn für Frauen als eine erste Besserung im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben.[19] Zwischen 1900 und 1909 öffneten sich die deutschen Universitäten nach und nach auch für Frauen, an den Universitäten Göttingen und Berlin wurden Frauen bereits ab 1895 als Gasthörerinnen aufgenommen.[20] Ein Habilitationsrecht für Frauen wurde erst 1920 offiziell eingeführt. Erst die sozialdemokratisch bestimmte Verfassung der Weimarer Republik gestand den Frauen ein politisches Wahlrecht zu.[21]
In Hinblick auf Erwerbsarbeit war das Konzept vom Mann als Familienoberhaupt und männlichen Ernährer von zentraler Bedeutung für die Stellung und Möglichkeiten der Frau auf dem Arbeitsmarkt. Dieses Konzept führte zum „männlichen Prioritätsanspruch auf marktwirtschaftlich realisierbare Arbeit“[22] und war somit die grundlegende Voraussetzung für die Entstehung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, wie sie bis heute weitgehend in Deutschland praktiziert wird. Diese Vorstellung vom Mann als Familienernährer entwickelte sich schon seit den 1830er Jahren, und war Ende des 19. Jahrhunderts in den Industrienationen zur vorherrschenden Meinung geworden.[23] Als Folge dieser Anschauung wurde die Wahlmöglichkeit von Frauen alleine aufgrund ihres Geschlechts auf einige wenige Berufs beschränkt. Berufliche Qualifikation wurde als Privileg des männlichen Geschlechts beansprucht, Frauen blieb der Zugang zu anerkannten Ausbildungen im Deutschen Kaiserreich weitgehend versperrt.[24]
Clara Zetkin, eine der bedeutendsten Kämpferinnen der Frauenbewegung dieser Zeit, sah Frauenerwerbsarbeit als Vorbedingung ökonomischer und politischer Freiheit der Frauen.[25] Durch einen eigenen Beruf könne sich die Frau aus der Abhängigkeit vom Mann lösen und ihren eigenen Platz in der Gesellschaft finden. Die Realität sah aber zu Zeiten des Deutschen Kaiserreichs anders aus: Wenn überhaupt arbeiteten Frauen in schlecht bezahlten Stellungen und als „Nebenerwerb“ zum Haupteinkommen ihres Mannes. Zwar wurden die Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen zwischen 1878 und dem ersten Weltkrieg mehrfach verbessert- neue Regelungen verboten zum Beispiel 1891 die Nachtarbeit für Frauen oder legten 11 Stunden als Maximalarbeitstag fest- doch änderte dies nichts an der Tatsache, dass die Erwerbstätigkeit der Frau und damit einhergehend auch ihr Status innerhalb der Gesellschaft, weit unter dem des Mannes angesiedelt war und Frauen in ihren Rechten und Lebensentwürfen im Vergleich zum Mann stark eingeschränkt blieben.
[...]
[1] Knapp, Ulla. Frauenarbeit in Deutschland. Band 2: Hausarbeit und geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt im deutschen Industrialisierungsprozess. Minerva Publikation. München, 1984 S. 136
[2] http://www.hwp-hamburg.de/fach/fg_vwl/DozentInnen/knapp/knapp.htm , Zugriff am 23.11.2005
[3] Wikander, Ulla: Von der Magd zur Angestellten. Macht, Geschlecht und Arbeitsteilung 1789-1950.Frankfurt, 1998. S. 52
[4] Peters, Dietlinde: Mütterlichkeit im Kaiserreich. Die bürgerliche Frauenbewegung und der soziale Beruf der Frau. Bielefeld, 1984. S. 1
[5] Knapp.Ulla. S. 97
[6] Knapp, Ulla. S. 97
[7] Bischoff, Claudia: Frauen in der Krankenpflege. Zur Entwicklung von Frauenrolle und Frauenberufstätigkeit im 19. und 20.Jahrhundert. Frankfurt/New York, 1992. S. 53ff.
[8] Bischoff, Claudia. S. 60
[9] Saul, Klaus/Flemming, Jens (u.a): Arbeiterfamilien im Kaiserreich. Materialien zur Sozialgeschichte in Deutschland 1871-1914. Düsseldorf, 1982. S. 13
[10] Saul/Flemming. S. 13
[11] Saul/Flemming: S. 14
[12] Saul/Flemming .S.17
[13] Peters, Dietlinde. S. 10
[14] Saul/Flemming. S. 172
[15] Saul/Flemming. S. 16
[16] Peters, Dietlinde. S. 14
[17] Knapp, Ulla. S. 98
[18] Bischoff, Claudia. S. 52
[19] Knapp, Ulla. S. 100
[20] Karsch, Margret. Feminismus für Eilige. Berlin, 2004. S. 40
[21] Karsch, Margret, S. 67
[22] Zachmann, Karin. Männer arbeiten, Frauen helfen. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Textilindustrie des 19. Jahrhunderts. In: Hausen, Karin: Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung. Zur Geschichte ungleicher Erwerbschancen von Männern und Frauen. Göttingen, 1993. S. 73
[23] Hausen, Karin. Wirtschaften mit der Geschlechterordnung. Ein Essay .In: Hausen, Karin: Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung. Zur Geschichte ungleicher Erwerbschancen von Männern und Frauen. Göttingen, 1993. S. 55
[24] Hausen, Karin. S. 49
[25] Saul/ Flemming. S. 165
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