Rechtliche und ethische Aspekte der Sterbehilfedebatte. Wie sieht die Gesetzeslage zum assistierten Suizid in Deutschland und der Schweiz aus?


Fachbuch, 2020

106 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Sterbehilfearten und Umgang mit dem Sterben
2.1 Passive Sterbehilfe
2.2 Indirekte Sterbehilfe
2.3 Aktive Sterbehilfe
2.4 Assistierter Suizid
2.5 Hospize und Palliativmedizin

3 Sterbehilfe in Deutschland und die Debatte um § 217 StGB
3.1 Historischer Rückblick
3.2 Gesetzesentwürfe
3.3 Folgen des § 217 StGB vor dem
3.4 Neuste Entwicklungen zu § 217 StGB

4 Ethik des Assistierten Suizides
4.1 Kontra
4.2 Pro

5 Umgang mit dem assistierten Suizid insbesondere in der Schweiz
5.1 EXIT
5.2 DIGNITAS
5.3 SterbeHilfeDeutschland e.V.

6 Schluss

Quellennachweise

Anhang: Fallbeispiele

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Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Umgang mit dem Sterben

Abbildung 2: Freitodbegleitungen EXIT 2010 - 2018

Abbildung3: Freitodbegleitungen der fünf stärksten Nutzer in der Schweiz

Tabelle 1: Einschätzung der begrifflichen Unterteilungen anhand von Fallbeispielen

1 Einleitung

Nach dem heutigen Stand der Medizin kann der Sterbeprozess stark hinausgezögert, aber auch verkürzt werden.1 Laut einer Studie mit 900.000 Probanden, die die Bertelsmann-Stiftung im Jahre 2015 durchgeführt hat, stirbt jeder zweite Deutsche nicht mehr zu Hause, sondern in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.2 Der Tod ist somit häufig nicht mehr ein Naturereignis und der Mensch muss sich am Lebensende mit unterschiedlichen Therapieoptionen befassen und diese entweder ablehnen oder annehmen.

Laut einer Gallup International Studie sprechen sich 87 Prozent der Deutschen für ein selbstbestimmtes Sterben aus. 77 Prozent der Umfrageteilnehmer können sich vorstellen, Sterbehilfe anzunehmen, wenn sie unheilbar krank oder invalide sind oder unter unbeherrschbaren Schmerzen leiden.3 In den letzten Jahren stand das Thema Sterbehilfe vor allem wegen des assistierten Suizids besonders im Fokus. Durch die Verabschiedung des Sterbehilfegesetzes § 217 StGB im November 2016 hat sich einiges in Deutschland geändert, sodass sich diese Masterarbeit mit dem Assistierten Suizid in seinen rechtlichen und ethischen Dimensionen in Bezug auf die Gesetzeslage in Deutschland und der Schweiz befasst. Einige Autoren sind der Auffassung, dass die Eröffnung einer Zweigstelle von DIGNITAS in Deutschland der Auslöser war, dass sich die Sterbehilfedebatte in Deutschland verschärft hat, weshalb diese beiden Länder gegenübergestellt werden. Die Masterarbeit lässt sich dadurch insofern in den Bereich angewandte Ethik einordnen und hat Schnittstellen mit der Medizin- und Rechtsethik.

Im ersten Kapitel werden die Sterbehilfearten und der Umgang mit dem Sterben systematisch eingeteilt und abgegrenzt. Zum besseren Verständnis wird im zweiten Kapitel das Thema in den historischen und juristischen Kontext eingebunden, die einzelnen Gesetzesentwürfe kurz vorgestellt und anschließend die Reaktionen und Folgen auf § 217 StGB dargestellt. In der Gesellschaft herrscht ein unterschiedliches Verständnis darüber, was ein würdiges, angenehmes und richtiges Sterben beinhaltet. Die aktive Verkürzung durch den assistierten Suizid verstehen einige Menschen darunter. Deshalb werden im dritten Kapitel unterschiedliche ethische Aspekte und Implikationen durchleuchtet. Im vierten Kapitel wird die Schweiz mit zwei seiner größten Sterbehilfeunternehmen – EXIT und DIGNITAS – dargestellt, also einem Land, in dem unter bestimmten Bedingungen der assistierte Suizid erlaubt ist. Gleichzeitig wird kurz auf Sterbehilfe Deutschland e.V. eingegangen, die durch die Änderung des § 217 StGB ihre Zusagen für die Beihilfe zum Suizid nicht mehr einhalten können.

Im Schlusskapitel wird alles nochmal zusammengefasst und ein Ausblick über mögliche Diskussionsthemen gegeben, die in dieser Masterarbeit nicht genauer thematisiert werden konnten.

Besonders aufschlussreich beim Verfassen dieser Masterarbeit diente für das erste Kapitel das Werk Vom Guten Sterben. Warum es keinen assistierten Suizid geben darf, welches von Robert Spaemann, Gerrit Hohendorf und Fuat Oduncu im Jahre 2015 veröffentlicht wurde. Zur Vervollständigung der Begriffserläuterungen und um exemplarische Beispiele einzubringen wurden weiteren Autoren, wie zum Beispiel Gian Domenico Borasio mit seiner Monografie Selbst bestimmt sterben: Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können aus dem Jahre 2016 hinzugezogen. Für die Sterbehilfedebatte in Kapitel 2 wurden neben der o.g. Literaturquellen von Spaemann et al und Borasio noch zusätzlich die Gesetzesentwürfe 18/5373, 18/5374, 18/5375 und 18/5376 genauer untersucht. Im dritten Kapitel waren Patient mit Verfügung. Das Geschäft mit dem Tod aus dem Jahre 2016 von Matthias Thöns und die Monografie Sterbehilfe im säkularen Staat (1998) von Norbert Hoerster sehr aufschlussreich. Im vierten Kapitel wurden hauptsächlich als Hauptquellen Literatur verwendet, von Persönlichkeiten, die selbst Sterbehilfe angeboten haben, wie zum Beispiel Frank Saligers Werk Selbstbestimmung bis zuletzt. Rechtsgutachten zum Verbot der organisierten Sterbehilfe aus dem Jahre 2015 oder Ludwig A. Minellis Aufsatz zum Thema Deutsche Politik und Sterbehilfe aus demselben Jahr. Eine zusätzliche Stütze war der 2015 veröffentlichte Sammelband Der organisierte Tod. Sterbehilfe und Selbstbestimmung am Lebensende. Pro und Contra von Hans Wehrli, Bernhard Sutter und Peter Kaufmann.

2 Sterbehilfearten und Umgang mit dem Sterben

In der Rechtswissenschaft wird zwischen passiver, aktiver und indirekter Sterbehilfe unterschieden.4 In der Sterbehilfedebatte werden diese Termini oft falsch zugeschrieben – dies geschieht auch regelmäßig durch Betreuungsrichter und Ärzte5 – sodass zum besseren Verständnis in diesem Kapitel die verschiedenen Sterbehilfearten und der Umgang mit dem Sterben wie folgt definiert und abgegrenzt werden: Passive Sterbehilfe (1.1), Indirekte Sterbehilfe (1.2), Aktive Sterbehilfe (1.3), Assistierter Suizid (1.4) und Palliativmedizin und Hospize (1.5). Die vier erstgenannten Sterbehilfearten sind als „Hilfe zum Sterben“ zu verstehen. Die beiden anderen dagegen als „Hilfe im Sterben“, denn dort wird Beistand beim Sterben geleistet bzw. werden sterbende Personen begleitet. Abb. 1 stellt diese Unterscheidungen graphisch dar6:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Umgang mit dem Sterben7

2.1 Passive Sterbehilfe

Der Terminus passive Sterbehilfe wird häufig äquivalent mit dem Begriff Sterbenlassen (Nationaler Ethikrat 2006) oder Behandlungsabbruch (Bundesgerichtshof 2010) verwendet, weil die passive Sterbehilfe sowohl durch aktives Tun, als auch durch Unterlassen umgesetzt werden kann.8 Unter passiver Sterbehilfe ist also das Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer medizinischen Behandlung zu verstehen.9 Gian Domenico Borasio knüpft die passive Sterbehilfe an Art. 2 Abs. 2 GG:

Sie basiert auf dem allgemein anerkannten Rechtsprinzip, dass jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Menschen unzulässig ist, wenn der Betroffene damit nicht einverstanden ist. Das heißt zu Deutsch: Ärztliche Zwangsbehandlung ist verboten.10

Die passive Sterbehilfe soll dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechen. Wenn sie dem Willen des Patienten entspricht, ist sie rechtlich erlaubt.11 Dieser Patientenwille könnte z.B. in einer Patientenverfügung formuliert sein.

Dennoch, die Missachtung des tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillens könnte Art. 2 (2) des Grundgesetzes (GG) verletzen:

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.12

In der Praxis ist es sowohl für Angehörige, als auch Ärzte und deren betreuendes Team oft eine Belastung, die lebensverlängernden Maßnahmen abzustellen:

Denn zum Zulassen des Sterbens ist auch bei passiver Sterbehilfe zuweilen ein aktives Handeln notwendig. Wenn ein Patient an Maschinen angeschlossen ist, die sein Leben künstlich aufrechterhalten, muss das Sterben zugelassen werden, indem die lebenserhaltende Maßnahme aktiv gestoppt wird.

Obwohl es klare standesrechtliche und medizinische Unterscheidungen gibt, ordnen Patienten, Angehörige und Ärzte Maßnahmen der passiven Sterbehilfe häufig auch zu den Maßnahmen der aktiven Sterbehilfe und in einigen Fällen auch zu den Maßnahmen der indirekten Sterbehilfe. 13 Eine Untersuchung des Medizinethikers Simon Steffen aus dem Jahre 2004 hat gezeigt, dass selbst Vormundschaftsrichterinnen und -richter passive Sterbehilfe nicht immer richtig einordnen:14

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Einschätzung der begrifflichen Unterteilungen anhand von Fallbeispielen

Alle in der aufgeführten Tabelle genannten Beispiele sind in den Bereich der passiven Sterbehilfe einzuordnen, dennoch halten über 30 % die Beendigung der Nahrungszufuhr über eine Sonde für aktive Sterbehilfe und über 40 % den Verzicht auf die Gabe von herz- und kreislaufstabilisierenden Medikamenten für indirekte Sterbehilfe. Im folgenden Abschnitt wird genauer auf die indirekte Sterbehilfe eingegangen.

2.2 Indirekte Sterbehilfe

Im juristischen Sinne wird unter dem Terminus indirekt etwas nicht Vorsätzliches verstanden. Das bedeutet in Bezug auf die indirekte Sterbehilfe, dass etwas unbeabsichtigt ist und bloß als Nebenwirkung einer Handlung eintritt.15 Die indirekte Sterbehilfe hat die Minderung des Leidens zum Ziel und nimmt die Gefahr der Lebensverkürzung in Kauf. Die Leidensminderung steht also im Vordergrund und nicht die Lebensverkürzung. In der Theologie und der Philosophie wird hier häufig vom Prinzip der Doppelwirkung gesprochen. Dieses Prinzip wurde im 13. Jahrhundert von Thomas von Aquin entwickelt.16 Es bedeutet, dass die Intention der Handlung für die ethische Beurteilung eine wesentliche Rolle spielt. Dieser zu rechtfertigende Notstand dieser Form der Sterbehilfe wird laut § 34 StGB als gerechtfertigt angesehen:17

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.18

Die Intention der indirekten Sterbehilfe muss genauer erforscht werden. Hierbei sollte die Leidensminderung und nicht die Tötung des Patienten intendiert sein. Das Zweite ist nämlich aktive Sterbehilfe.19 Auch bei der indirekten Sterbehilfe spielen Patientenverfügungen eine wichtige Rolle. Die Patientenverfügung ist auch unter dem Namen Patiententestament bekannt.20 Dort legen Patienten schriftlich oder mündlich fest, welche medizinischen Behandlungen sie wünschen und welche sie ablehnen, wenn sie nicht mehr dazu in der Lage sind, ihren eigenen Willen zu äußern. So ist die Ablehnung einer lebensrettenden Bluttransfusion, z.B. eines Zeugen Jehovas, auch unter dem Terminus passive Sterbehilfe zu fassen, weil durch die Ablehnung dem Sterbeprozess freier Lauf gelassen wird.21 Das Gleiche gilt auch für Wachkomapatienten, wenn sie vorher festgelegt haben, dass sie in einer solchen Situation keine lebenserhaltenden, künstlichen Maßnahmen durchführen lassen wollen.22 Wie oben bereits erwähnt, sind Zwangsbehandlungen seitens Dritter, z.B. eines Arztes, verboten.23 Der Nationale Ethikrat schlug als alternativen Terminus Therapien am Lebensende vor. Auch bei dieser Art von Sterbehilfe wird sich am Willen des Patienten orientiert.24 Ingo Hillebrand, Mitarbeiter am Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE), nennt folgende Gründe, bei denen die ethische Zulässigkeit für die indirekte aktive Sterbehilfe unstrittig ist:

a) Der Patient liegt im Sterben,
b) die Schmerzen des Patienten sind schwerwiegend,
c) die Schmerzen sind nicht mit einem anderen, weniger lebensverkürzenden Mittel zu lindern,
d) der Patient stimmt im Wissen um ihre lebensverkürzende Wirkung dem Einsatz dieser Medikamente zu und
e) die durch das Medikament bewirkte Lebensverkürzung wird lediglich in Kauf genommen, d.h. der Einsatz der Medikamente erfolgt von Seiten des Arztes noch von Seiten des Patienten mit der Absicht, das Leben des Patienten zu verkürzen.25

Einige Autoren, wie zum Beispiel Gian Domenico Borasio, bezweifeln diese Art von Sterbehilfe, denn zahlreiche Studien sollen ergeben haben, dass hohe Dosierungen von Sedativa und Opioiden keine lebensverkürzenden Auswirkungen haben.26

2.3 Aktive Sterbehilfe

Die aktive Sterbehilfe kann in drei Arten unterteilt werden: (1) freiwillige Sterbehilfe, (2) nicht-freiwillige Sterbehilfe und (3) unfreiwillige Sterbehilfe. Bei (1) bittet der Suizidwillige einen Dritten, ihn zu töten, weil er zum Beispiel selbst dazu nicht mehr imstande ist. Bei (2) hat der Patient entweder nicht sein Einverständnis gegeben oder kann es nicht geben, zum Beispiel bei schwerstgeschädigten Neugeborenen oder nach einem Unfall. Bei (3) wurde die Person entweder nicht nach ihrem Einverständnis gefragt oder hat die aktive Sterbehilfe sogar verweigert und dessen Tötung wurde trotzdem umgesetzt.27 Bei den Varianten (2) und (3) besteht die Möglichkeit, dass § 212 StGB Totschlag oder § 211 StGB Mord tangieren.28 In dieser Masterarbeit soll nur von Variante 1 ausgegangen sein. Bei der a ktiven (direkten) Sterbehilfe handelt es sich um die strafbare Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB + Art. 114 chStGB29 ), auch wenn sie ausdrücklich auf Wunsch eines Sterbewilligen vorgenommen wird. Die Tötung auf Verlangen kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Im Unterschied zum deutschen Strafgesetz untersucht der schweizerische Gesetzesartikel 114 noch die achtenswerten Beweggründe beim Strafmaß. Als Beispiel wird Mitleid genannt.30 Bei der Tötung auf Verlangen liegt die Tatherrschaft nicht beim Suizidwilligen, sondern bei jemand anderem, den der Patient um Hilfe bittet, zum Beispiel einen Arzt, indem er dem Patienten ein tödliches Gift mit einer Spritze injiziert. Die Einwilligung seitens des Patienten kann zwar strafmildernd wirken, jedoch befreit es den Täter nicht von der Strafbarkeit. Daher rührt auch die Einteilung in direkte und indirekte (aktive) Sterbehilfe.31 Bei der aktiven Sterbehilfe ist der Patient entweder nicht in der Lage, den letzten Akt der Tötung durchzuführen oder möchte es lieber jemand anderem überlassen. Der Sterbewillige gibt also seine Autonomie ab und überlässt somit die Entscheidungsmacht über sein Leben einem Dritten. Viele Patienten erwarten bei der aktiven Sterbehilfe eine schnelle, schmerzfreie und gezielte Lebensbeendigung. Da es sich hierbei um Fremdtötung handelt, ist es in den meisten Ländern unter strengen Strafandrohungen verboten.32

In der niederländischen, luxemburgischen und belgischen Gesetzgebung wird die ärztliche Tötung auf Verlangen häufig auch als Euthanasie bezeichnet, die seit Beginn des 21. Jahrhundert in den Niederlanden und Belgien erlaubt ist.33 Darunter wird häufig eine heilende Behandlung durch die Tötung des Leidenden zum Zwecke des kollektiven ‚Heiles‘ verstanden.34

Eine Tötung ohne Verlangen ist aber auch in diesen Ländern strafrechtlich verfolgbar.35 Weshalb der Begriff Euthanasie in Deutschland ungern verwendet wird, wird in Kapitel 3.1.4 Missbrauchsgefahren weiter erläutert.

2.4 Assistierter Suizid

Laut eines Mainzer Reports aus dem Jahre 2014 gehen investigative Journalisten von mindestens 155 assistierten Suiziden pro Jahr in Deutschland aus.36 Der assistierte Suizid ist auch unter dem Namen Beihilfe zum Suizid bzw. zur Selbsttötung und Freitod bekannt. Für den assistierten Suizid wird in der Schweiz häufig der Terminus Freitod verwendet. Der Urologe und mittlerweile verstorbene Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold geht davon aus, dass dieser Terminus aus dem Kapitel „Vom freien Tode“ von Friedrich Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“ entlehnt wurde.37 Die Beschaffung eines tödlichen Medikaments ist nicht strafbar, wenn der Suizidwillige seinen Tod selbstbestimmt und frei verantwortlich herbeiführt. Im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe liegt die Tatherrschaft bei dem Suizidwilligen selbst:38

Das bedeutet in der Praxis, dass Suizidhelfer zwar beispielsweise die tödliche Substanz in einem Glas Wasser lösen und diesem dem Kranken reichen dürfen, aber trinken muss er es selbst – gegebenenfalls mit der Hilfe eines Strohhalms […].39

In den meisten Fällen erkennt der Sterbehelfer die Motive des Patienten an und stimmt dessen Entscheidung zu. Das Land, welches für den assistierten Suizid am bekanntesten ist, ist die Schweiz. Die Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord werden in Artikel 115 des Schweizer Strafgesetzbuches geregelt.40

Aus der Sicht der Personen, die beim Suizid assistieren und deren Motivation, wird zwischen folgenden Arten unterschieden: (1) individuelle, (2) ärztliche, (3) organisierte (4) kommerzielle Suizidhilfe. Bei der ersten übernimmt eine persönlich nahestehende Person die Suizidbeihilfe und bei der zweiten ein Arzt. Organisierte Sterbehilfe bedeutet, dass durch eine Vereinigung regelmäßige Sterbehilfe an vorher unbekannten Personen durchgeführt wird. Die kommerzielle Suizidbeihilfe kann sowohl individuell, ärztlich, aber auch organisiert sein.41 Hier zielt sie auf die Gewinnabsicht ab und die anfallenden Kosten sind keine reine Aufwandsentschädigung. Spaemann et al. berichten, dass in der Diskussion häufig vom Geschäft mit dem Tod gesprochen wird. Sie ergänzen, dass Sterbehilfeorganisationen organisierte Suizidbeihilfe meistens durch eine Aufwandsentschädigung anbieten. Als Beispiel für gewerbsmäßige Suizidbeihilfe nennen sie SterbeHilfeDeutschland und DIGNITAS und für organisierte Sterbehilfe EXIT.42

Einige Ärzte, die Sterbehilfe leisten bzw. geleistet haben, sind der Meinung, dass das Dabeisein bei einem Suizid die Garantenpflicht verletze, weil sie nach einem Suizidversuch lebensrettende Maßnahmen durchführen müssten (§ 323 StGB – Unterlassene Hilfeleistung). Aus diesem Grund verlassen viele Ärzte den sterbewilligen Patienten, wenn er die letzten Schritte durchführt, damit sie rechtlich nicht belangt werden können.43 Jedoch ist das Selbstbestimmungsrecht höher anzuordnen als die Garantenpflicht, sodass Ärzte bei einem freiwilligen Suizid von der Garantenpflicht befreit sind und den Suiziden sterbenlassen dürfen.44

Da es sich bei einem Suizid um einen unnatürlichen Tod handelt, werden häufig Überprüfungen im Nachhinein vorgenommen, z.B. durch die Staatsanwaltschaft.45

Der assistierte Suizid hat mit der a ktiven Sterbehilfe gemeinsam: (1) dass beide Formen der Sterbehilfe willentlich das Leben verkürzen, (2) dass sich andere Personen an der Handlung beteiligen bzw. Hilfestellung leisten und (3) dass die Motivation des Sterbewilligen dieselbe ist.46 Der Hauptunterschied ist jedoch, dass beim assistierten Suizid der Sterbewillige den ‚letzten Akt‘, also seine eigene Tötung, indem er zum Beispiel Natrium Pentobarbital schluckt, umsetzt und bei der aktiven aktiven Sterbehilfe diese Tätigkeit an jemand anderen abgegeben wird.

2.5 Hospize und Palliativmedizin

Die Ärztin, Cicely Saunders (1918 – 2005) hat Ende der 60er Jahre die Palliativmedizin und Hospizbewegung ins Leben gerufen. Im Jahre 1967 eröffnete sie das erste Hospiz mit moderner Prägung in London:

Der Begriff Hospiz leitet sich aus dem lateinischen Wort für Gastfreundschaft (hospitium) her. […] Das erste Hospiz, das sich speziell an Kranke wandte, wurde 1900 von den Sisters of Charity in Dublin und London gegründet. Sie pflegten Arme, chronisch Kranke und Sterbende.47

Hospize sind dazu da, die einzelnen Phasen des Sterbens zu erkennen, Schmerzen zu stillen und den Sterbenden ausreichend Zuwendung zu geben.48 Das erste deutsche Hospiz wurde in Aachen in den 1990er Jahren eröffnet. Die erste deutsche Palliativstation gab es schließlich 1983 in Köln und seit 2004 können sich Ärzte zu Palliativmedizinern ausbilden lassen.49 Die Palliativmedizin widmet sich vor allem Patienten, denen eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde. Sie möchte die Selbstbestimmung des Patienten stärken und gleichzeitig dem Patienten sensibel übermitteln, dass sein Leben bald zu Ende geht. Solange noch ein Heilungsanspruch besteht, wird von kurativer Therapie gesprochen.50 Laut Saunders sollte die Lebensqualität einen Vorrang vor der Lebensquantität haben: „Nicht dem Leben mehr Tage hinzufügen, sondern den Tagen mehr Leben geben.“51 Franco Rest weist darauf hin, dass in dem Terminus Palliativmedizin auch der lateinische Begriff pallium (Mantel) steckt. Die Palliativmedizin wirke wie ein Mantel in der Kälte.52 Wenn ein Mantel über eine nicht heilende Wunde gelegt wird, heilt er nicht die Ursache, sorgt dennoch für den Moment für ein Wohlbefinden, indem die Schmerzen etwas nachlassen.53 Um Verwirrungen zu vermeiden, schlug der Nationale Ethikrat für die palliativmedizinische Versorgung den Terminus Sterbebegleitung vor.54

Bei der Palliativmedizin handelt es sich um die medizinische Begleitung am Lebensende, sowohl physischer Art (z.B. durch Schmerzlinderung), als auch durch psychische und geistig-seelische Begleitung (z.B. durch den persönlichen Kontakt von ihnen nahestehenden Personen oder durch einen Seelsorger). Auch den Angehörigen bietet die Palliativmedizin in der Trauerphase Unterstützung an. Grob zusammengefasst hat die Palliativmedizin die Verbesserung der Lebensqualität zum Ziel und akzeptiert den Tod, ohne ihn durch intensivmedizinische Maßnahmen künstlich hinauszuzögern.55

Viele in der Palliativpflege Tätige sehen die Suizidhilfe als starken Kontrast bis hin zur Verletzung ihres Berufsstolzes. Sie argumentieren damit, dass schmerzlindernde Mittel, z.B. Morphin, das Leben nicht mehr verkürzen würden, wie es bereits im Abschnitt zur indirekten Sterbehilfe erwähnt wurde. Der Psychiater Manfred Lütz ist der folgenden Auffassung:

Selbstbestimmtes Sterben findet also in Wahrheit vor allem im Hospiz oder unter ambulanter palliativer Betreuung statt, denn wie kann man sich eigentlich selbst bestimmen, wenn man das Selbst, das da bestimmt, vernichtet?56

Robert Spaemann und seine Kollegen sehen dies ähnlich:

Diese Haltung [in Hospizen und der Palliativmedizin] ist grundsätzlich anders als das aktive Herbeiführen des Todes eines Menschen. Auf der einen Seite wird das natürliche Ende des Lebens akzeptiert und das Sterben erleichtert, auf der der anderen Seite wird der Tod technisch, mit den Mitteln der ärztlichen Kunst hergestellt, quasi als Dienstleistung.57

Hierbei wird jedoch außer Acht gelassen, dass auch in palliativen Einrichtungen teilweise Suizidbegleitungen durchgeführt werden, durch das sogenannte Sterbefasten, indem die Patienten auf Nahrung und Flüssigkeit verzichten und deren Pfleger ihnen Mittel beschaffen, die die Leiden aufgrund der fehlenden Nahrungsmittelzunahme lindern.58

Hans Wehrli, ehemaliger Präsident der Sterbehilfeorganisation EXIT und Allgemeinmediziner, ist dagegen der Auffassung, dass jede gute Palliativpflege den Freitod vermeidet und sieht ihn als sinnvolle Ergänzung an, wenn die Palliativpflege an ihre Grenzen stößt. Außerdem betont er, dass EXIT zum Beispiel auch die Palliativpflege mit der Stiftung pallicura unterstützt.59 Der Mediziner Uwe-Christian Arnold ist ähnlicher Auffassung wie Hans Wehrli:

Denn eben so wenig wie die Suizidbegleitung die Palliativmedizin ersetzen kann, kann die Palliativmedizin die Suizidbegleitung ersetzen.60

Insgesamt wünschen sich Palliativmediziner in der heutigen Medizin, dass die Aus, Fort- und Weiterbildungsangebote vergrößert werden. Unabhängig von seiner spezialisierten Fachrichtung sollte ein Arzt in der Lage sein, palliative Maßnahmen zu praktizieren.61 Der Palliativmediziner Christoph Ostgathe kritisiert, dass „[e]rst 3 % der Ärzte [-] die Zweitausbildung Palliativmedizin [haben].“62

Die Sterbehilfexpertin Myriam Witt schreibt in ihrem Buch Wie mein Vater starb. Sterbehilfe und ärztliche Begleitung aus dem Jahre 2014, dass Krankenkassen „den Aufenthalt von Patienten im Endstadium einer tödlichen Krankheit auf der Palliativstation für höchstens 14 Tage [bezahlen].“63 Das bedeutet, dass die finanziellen Ressourcen in der Palliativmedizin auch aufgestockt werden sollten. Dies fordert unter anderem auch ein Positionspapier der Koalitionsparteien CDU / CSU und SPD von November 2014, in dem sie folgende Maßnahmen zu den bereits bestehenden Maßnahmen einfordern:

1. Die palliativmedizinische Versorgung soll stärker in die hausärztliche Versorgung integriert werden und nach entsprechender Qualifikation auch von den Hausärzten abgerechnet werden können.
2. Patienten sollen einen Beratungsanspruch zu Leistungen der Palliativversorgung erhalten.
3. Die stationären und ambulanten Hospize sollen besser finanziert und die Zuschüsse der Krankenkassen für Hospizleistungen erhöht werden.
4. Palliativpflege und Sterbebegleitung soll zu Regelleistungen in stationären Pflegeeinrichtungen werden.64

Im Großen und Ganzen haben alle diese Sterbehilfearten und die Palliativmedizin im Normalfall dasselbe Ziel: „einen menschenwürdigen und selbstbestimmten Tod.“65

3 Sterbehilfe in Deutschland und die Debatte um § 217 StGB

3.1 Historischer Rückblick

In den 1960er Jahren konnte es in Deutschland vorkommen, dass ein Täter, der die Tötung auf Verlangen durchführte, mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe sanktioniert wurde. In der Schweiz dagegen gab es bereits Befürworter für den assistierten Suizid. Voraussetzung dazu war, dass dies nicht aus Eigeninteresse geschah. Mit der Schaffung des deutschen Strafgesetzbuches 1871 war die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) strafbar, eine Selbsttötung straffrei und es war legal, Suizidhilfe zu leisten. Im Jahre 1979 definierte die deutsche Bundesärztekammer zum ersten Mal Standards, die sich für lebensverlängernde Maßnahmen, aber gegen die Sterbehilfe aussprachen.66

1985 entstand in Deutschland dann ein Arbeitskreis von Strafrechts- und Medizinprofessoren, die einen Alternativentwurf zu § 216 StGB vorschlugen, indem sie dafür plädierten, dass Sterbehilfe nicht bestraft werden sollte, wenn der Betroffene das ernstliche Verlangen danach hatte und einem nicht mehr zu ertragenden Leidenszustand ausgesetzt war.67 Ein Jahr später setzte sich die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) auf dem 56. Juristentag auch nochmal dafür ein, dass Sterbehilfe erlaubt sein sollte, wenn der Betroffene sich in einem schweren und nicht mehr ertragbaren Leidenszustand befand und sein Wille zu sterben dauerhaft war, er nicht mehr in der Lage war eine Selbsttötung vorzunehmen und kein Zwang auf ihn ausgeübt worden ist. Das bedeutet, dass die aktive Sterbehilfe in Ausnahmefällen zugelassen werden sollte.68

Im Jahre 1998 schlug der Jurist und Philosoph Norbert Hoerster vor, den auch heute noch freien Gesetzesparagrafen im Strafgesetzbuch mit der Nummer 214 mit einem Gesetz zur Selbsttötung zu erweitern:

§ 214 Teilnahme an der Selbsttötung:

(1) Wer einen anderen zur Selbsttötung verleitet oder dabei fördert, wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Die Teilnahme eines Arztes an der Selbsttötung ist nicht rechtswidrig, sofern sie die Voraussetzungen für den Ausschluss der Rechtswidrigkeit nach § 216a erfüllt sind.69

Den Paragrafen 216a StGB gibt es nicht, weshalb Norbert Hoerster auch diesen vorschlägt und ausformuliert:

§ 216a Sterbehilfe:

(1) Ein Arzt, der einen schwer und unheilbar leidenden Menschen tötet, handelt nicht rechtswidrig, wenn der Betroffene die Tötungshandlug auf Grund freier und reiflicher Überlegung, die er in einem urteilsfähigen und über seine Situation aufgeklärten Zustand durchgeführt hat, ausdrücklich wünscht oder wenn, sofern der Betroffene zu solcher Überlegung nicht mehr imstande ist, die Annahme berechtigt ist, dass er die Tötungshandlung auf Grund solcher Überlegung für den gegebenen Fall ausdrücklich wünschen würde.
(2) Das Vorliegen der in Abs. 1 genannten Voraussetzungen führt nur dann zum Abschluss der Rechtswidrigkeit, wenn es von dem Arzt, der die Tötungshandlung vornimmt, sowie von einem weiteren Arzt in begründeter Form schriftlich dokumentiert ist.70

Hoersters Vorschlag befürwortet also sowohl den assistierten Suizid als auch die Tötung auf Verlangen bzw. die aktive Sterbehilfe, wenn bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sind. 2001 äußert sich der Ministerpräsident des Saarlandes und Richter, Peter Müller, kritisch gegenüber der aktiven Sterbehilfe mit der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens. Am 66. Juristentag im Jahre 2006 wurde dann darüber diskutiert, ob gewerblich tätige Organisationen, die Sterbehilfe anbieten, strafrechtlich verboten werden sollten.71

So reichte Richter Müller gemeinsam mit den Ländern Saarland, Thüringen und Hessen am 27.03.2006 einen Gesetzesentwurf in den Bundesrat für einen § 217 StGB ein, der sich für ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung einsetzte.72 Der vorgeschlagene § 217 lautete wie folgt:

§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung:

Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit vermittelt oder verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.73

Der Rechtswissenschaftler Frank Saliger sieht diesen Gesetzesantrag BR-Drs. 230/06 (Bundesrat Drucksache) als direkte Reaktion auf die Eröffnung einer Zweigstelle des Schweizer Sterbehilfeunternehmens DIGNITAS in Hannover im Jahre 2005. Gegen die Gründung hatten sich in der Vergangenheit die Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann, die niedersächsische Sozial- und Familienministerin und Ärztin Ursula von der Leyen und die Landesbischöfin Margot Käßmann ausgesprochen.74 Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist der Auffassung, dass der Gesetzesentwurf von Richter Müller das Referenzmodell für die nachfolgenden Gesetzesentwürfe und den aktuell aktiven § 217 war.75 Anfang Juli 2008 folgte ein Plenarantrag ohne die Bundesländer Berlin, NRW und Niedersachen, der verbieten möchte, dass kommerzialisierte Sterbehilfe geboten wird. Die Verfasser haben Sorge, dass Suizidwillige in ihrer verzweifelten Situation eine unumkehrbare Entscheidung treffen und bei alten und schwerkranken Menschen ein Erwartungsdruck ausgelöst werden könnte. Genauso möchten sie nicht, dass das Sterben kommerzialisiert wird und wünschen sich, dass die Palliativmedizin und Hospizarbeit gestärkt werden, weshalb sie es für erforderlich befanden, dass der Bundesrat gesetzgeberisch schnellstmöglich aktiv werde.76 Am 04. Juli 2008 ging dann die nächste Drucksache in den Bundesrat ein, die die gewerbliche und organisierte Suizidhilfe verbieten wollte:

§ 217 Gewerbliche und organisierte Suizidhilfe

(1) Wer ein Gewerbe betreibt oder eine Vereinigung gründet, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren oder zu verschaffen, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer für eine Vereinigung der im Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied oder Außenstehender geistig oder wirtschaftlich eine maßgebende Rolle spielt.77

Am selben Tag verwies der Bundesrat den Entwurf von Richter Müller in die Ausschüsse. Aufgrund der nicht vorhandenen Mehrheit sollte der Entwurf vertagt werden.78 Am 29.10.2009 vereinbarten schließlich CDU, CSU und FDP, dass die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung sanktioniert werden sollte.79 Jedoch gab es auch positive Entwicklungen im Bereich der Patientenautonomie. Im Jahre 2009 ist dafür § 1901a BGB in Form eines Patientenverfügungsgesetzes in Kraft getreten. Zusätzlich hat der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil (BGH 2 StR 454/09) im Juni 2010 das Selbstbestimmungsrecht von Patienten gestärkt, sodass ein Behandlungsabbruch im Namen des Patienten nicht mehr strafbar ist und eine lebensverlängernde Behandlung entgegen dem Willen des Patienten nicht mehr durchgeführt werden darf. Diese Position ist auch in der Musterberufsordnung (MBO) – auf die später noch genauer eingegangen wird – in den §§ 7 und 8 vertreten. In § 11 wird nochmal betont, dass auch unsichere Heilerfolge nicht als gewiss zuzusichern sind.80 Einen ähnlichen Schritt hat die Schweiz 2013 durch Änderungen im Erwachsenenschutzgesetz im Zivilgesetzbuch durchlaufen, indem die Wirksamkeitsvoraussetzungen von Patientenverfügungen geregelt werden:

Art. 370

1. Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Maßnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2. Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Maßnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3. Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.81

Im BR-Drs. 149/10 spricht sich dann Rheinland-Pfalz dafür aus, die organisierte Sterbehilfe unter Strafe zu stellen.82

Die MBO der Bundesärztekammer ist dazu da, dass Ärzte eine Orientierung für ihre Berufspflichten haben, um das Vertrauen zu ihren Patienten zu erhalten und zu fördern, im Interesse der Gesundheit zu handeln, das Ansehen der ärztlichen Tätigkeit zu wahren und würdiges Verhalten im Beruf zu fördern und unwürdiges zu unterbinden.83 Die Richtlinien haben sich immer weiterentwickelt. 1993 wurde der ärztlich assistierte Suizid als „unärztlich“ eingestuft, 1998 und 2004 wurden Richtlinien novelliert, die besagen, dass der assistierte Suizid nicht dem ärztlichen Ethos entspräche und somit strafbar sein könne. Seit 2011 ist die MBO sehr kritisch gegenüber Sterbehilfe und verbietet die Hilfe zur Selbsttötung (§ 16). Dazu wurde die Musterberufsordnung beim 114. Deutschen Ärztetag in Kiel neu formuliert. Auslöser war der Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, der sich für ein Verbot der Suizidbegleitung aussprach.84 Der aktualisierte § 16 lautet wie folgt:

§ 16 Beistand für Sterbende

Ärztinnen und Ärzte haben Sterbende unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen hin zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.85

Sowohl die Tötung auf Verlangen als auch der assistierte Suizid sind damit verboten. Als Reaktion auf die neue Musterberufsordnung haben viele Landesärztekammern ihre Berufsordnung abgeändert. Die Landesärztekammern Baden-Württemberg, Berlin, Sachsen-Anhalt und Bayern übernahmen kein generelles Verbot für den ärztlich assistierten Suizid.86

Am 29.08.2012 setzte das deutsche Bundeskabinett (CDU, CSU und FDP) eine Koalitionsvereinbarung zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung fest. Dieser Entwurf löste eine starke Debatte zwischen Ärzten, Kirchen und Regierungsparteien aus. Kritisiert wurde, dass gewerbliche und organsierte Begleitung des Freitods verboten aber nicht-gewerbsmäßig Handelnde davon ausgenommen werden sollten. Ziel dieser Koalitionsvereinbarung war es laut Roger Kusch, Sterbehilfeunternehmen wie seines – Sterbehilfe Deutschland e.V. – zu bestrafen.87 Das Thema wurde vorerst nicht weiterverfolgt.88 Seit Ende 2013 ist die Debatte um den assistierten Suizid wieder in den Vordergrund gerückt. Auslöser war eine Ankündigung vom Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der Beihilfe zum Suizid unter Strafe stellen wollte.89 Im Sommer 2014 stellten auf der einen Seite Mediziner, Juristen und Ethiker einen Gesetzesentwurf vor, in dem es Ärzten und nahen Angehörigen erlaubt sei, assistierten Suizid vorzunehmen, wenn dies nach dem Willen des Patienten geschehe. Die Missachtung dessen sollte mit einer bis zu dreijähriger Gefängnisstrafe oder Geldstrafe sanktioniert werden. Parallel dazu setzten sich ein paar Verbände zusammen und fuhren mit Plakatfahrzeugen durch Berlin, auf denen berühmte Politiker abgebildet waren und der Slogan „Mein Ende gehört mir“ geschrieben war. Am Tag der Kampagne nahm sich der ehemalige MDR Intendant Udo Reiter das Leben, indem er sich erschoss.90 Auch der Urologe Uwe-Christian Arnold erregte Aufmerksamkeit in den Medien, in dem er kundgibt, dass er seit 2000 mehr als 200 Menschen beim Sterben begleitet hat. Hinzu kommt, dass der Justizminister Roger Kusch über einen Fall berichtet, wo er bei einer 79-jährigen Dame Beihilfe zum Suizid geleistet hat, um das deutsche Gesetz auszuloten und den Gesetzgeber zu einer Handlung herauszufordern.91 Auf der anderen Seite meldeten sich am 8. Oktober 2014 Palliativmediziner zu Wort, dass sie keinen ärztlich assistierten Suizid befürworten, sondern die Palliativmedizin verbessert werden sollte, z.B. durch eine bessere palliativmedizinische Versorgung und öffentliche Aufklärungsarbeit in den Bereichen Sterben, Trauer und Tod. Sie begründen es damit, dass nach Beendung des Leidens der Todeswunsch meistens nicht mehr existent sei.92 Am 13. November 2014 wurden dem Bundestag vier Anträge vorgelegts. Auf diese Gesetzesentwürfe wird im Abschnitt 2.2 genauer eingegangen werden.93 Am 5. November 2015 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Gesetz, welches einen Ausbau der Palliativmedizin fordert.94 Im Anschluss wurde über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Beihilfe zum Suizid abgestimmt, auf die in Kapitel 2.2 genauer eingegangen wird.95 Vor der Debatte um § 217 StGB gab es in Deutschland kein Sterbehilfegesetz. Nur der § 216 Tötung auf Verlangen lässt sich auf die aktive Sterbehilfe direkt beziehen.96

Während der Debatte haben ungefähr 150 Strafrechtswissenschaftler dazu Stellung bezogen, dass sie sich eine Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe wünschen.97 Der Medizinethiker Felix Thiele betont, dass die Sterbehilfedebatte mehr als eine „interessante Forschungsfrage“ sei, sondern vielmehr handle es sich dabei um einen „moralischen Konflikt“, der jeden betreffen könne.98

3.2 Gesetzesentwürfe

Im Deutschen Bundestag wurden am 2. Juli 2015 von vier fraktionsübergreifenden Gruppen Gesetzesentwürfe zum Thema Sterbehilfe eingereicht.99

3.2.1 Drucksache 18/5375

Einer der Gesetzesentwürfe stammt von Petra Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Petra Sitte (Die Linke) und 54 weiteren Autoren. In ihrer Problemdarstellung des Gesetzesentwurfes 18/5375 weisen die Verfasser darauf hin, dass es seit der Schaffung des Strafgesetzbuches im Jahre 1871 nicht verboten ist, Suizidhilfe zu leisten. Jedoch halten sie es für problematisch, wenn sich daraus eine kommerzielle Geschäftsidee entwickelt. Ihr Lösungsvorschlag ist es, ein Gesetz zu schaffen, welches die gewerbsmäßige Suizidassistenz verbietet und für die Suizidassistenz Kriterien für die Beratung und Dokumentation festlegt, wann diese erlaubt sein soll.100 Die Autoren sind für die Legalisierung des assistierten Suizids, wenn der Betroffene seinen Entschluss frei verantwortlich geäußert und gefasst hat. In ihren Augen dürfen sowohl Sterbehilfeorganisationen, wenn dies nicht gewerbsmäßig geschieht, als auch Ärzte Suizidbeihilfe leisten. Jedoch verlangen sie, dass Sterbehilfeorganisationen einen Arzt hinzuziehen müssen. Außerdem fordern sie eine Dokumentationspflicht, da sie gewerbsmäßige Suizidhilfe, als auch die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung, unter Strafe stellen wollen.101

Der Gesetzesvorschlag 18/5375 ist relativ komplex (§ 1 - § 11) und wird deshalb nur in einzelnen Auszügen dargestellt. Der Zweck des Gesetzes ist, Voraussetzungen für Suizidassistenz festzulegen, rechtliche Unsicherheiten für die Beteiligten zu beseitigen, Ärzten die Möglichkeit zu bieten, Hilfe zur Selbsttötung leisten zu dürfen und Regeln für Sterbehilfeorganisationen aufzustellen (§ 1).102 Laut diesem Gesetz bleibt sowohl die Selbsttötung, als auch die Hilfe dazu straflos (§ 2).103 Voraussetzung ist, dass der Sterbewillige den Entschluss freiverantwortlich gefasst und geäußert hat. Er muss sich im Vorfeld ausführlich beraten lassen und nach Aussage der Autoren sollten zwischen dem Beratungsgespräch und der Selbsttötung mindestens 14 Tage liegen (§ 3).104 Gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung wollen die Verfasser mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe sanktionieren (§ 4).105 Bereits die gewerbsmäßige Förderung kann mit bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe sanktioniert werden (§ 5).106 In § 6 machen die Autoren darauf aufmerksam, dass Ärzte zwar um Suizidhilfe gebeten werden können, aber diese nicht zwingend erfüllen müssen. In § 7 wird beschrieben, dass egal, ob Arzt, Sterbehelfer oder Mitarbeiter, z.B. eines Hospizes, alle ein „umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch“107 führen sollten, mögliche Alternativen aufzeigen und auch auf die Folgen beim Scheitern eines Suizidversuches aufmerksam machen. Die Beratung soll schriftlich dokumentiert werden. Handelt es sich bei der um Suizidassistenz gebetenen Person nicht um einen Arzt, muss der Leitung des Krankenhauses oder Hospizes Bescheid gegeben werden. Darauf folgt ein Beratungsgespräch mit einem Arzt, bei dem z.B. der Sterbehelfer nicht anwesend sein darf.108 Sollten für die Beihilfe zur Selbsttötung Ton- oder Bildaufnahmen gemacht werden, muss der Sterbewillige dazu schriftlich einwilligen (§ 8).109 Die folgenden Paragraphen behandeln die Pflichtverletzungen (§ 9), Durchführungsbestimmungen (§ 10) und die Evaluation (§ 11).110

3.2.2 Drucksache 18/5374

Ein Gesetzesentwurf stammt von Dr. Carola Reimann (SPD), Dagmar Wöhrl (CSU), Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), Peter Hintze (CDU) und mehr als 100 weiteren Autoren. Die Autoren des Gesetzesentwurfes 18/5374 sind der Auffassung, dass die Palliativmedizin in der letzten Lebensphase die Schmerzbelastung stark reduzieren oder ganz verhindern kann. Gleichzeitig schreiben sie, dass diese in Einzelfällen an ihre Grenzen stößt. Um in ihren Entwurf einzuleiten, beziehen sie sich auf die Meinung der Bevölkerung, die sich ärztliche Hilfe zur Lebensbeendung bei einer unheilbaren, irreversiblen und mit starken Schmerzen behafteten Krankheit wünscht.

Anschließend erwähnen sie das ärztliche Standesrecht, in dem 10 von 17 Ärztekammern die ärztliche Beihilfe zum Suizid ablehnen.111 Diese Situation finden sie nicht zufriedenstellend: „Schwerstkranke Menschen in auswegloser Lage werden hierdurch zusätzlich belastet.“112

Die Abgeordneten dieses Gesetzesentwurfes plädieren dafür, dass der ärztlich assistierte Suizid unter bestimmten Bedingungen zugelassen und im Bürgerlichen Gesetzesbuch geregelt werden soll, um Ärzten und Patienten ausreichend Rechtssicherheit zu bieten. Das Strafrecht lassen sie in ihrem Gesetzesentwurf unberührt.113 Sie schlagen folgende Änderung im BGB vor:

§ 1921a

Ärztlich begleitete Lebensbeendigung

(1) Ein volljähriger und einwilligungsfähiger Patient, dessen unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tode führt, kann zur Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens die Hilfestellung eines Arztes bei der selbst vollzogenen Beendigung seines Lebens in Anspruch nehmen.
(2) Eine Hilfestellung des Arztes nach Absatz 1 darf nur erfolgen, wenn der Patient dies ernsthaft und endgültig wünscht, eine ärztliche Beratung des Patienten über andere Behandlungsmöglichkeiten und über die Durchführung der Suizidassistenz stattgefunden hat, die Unumkehrbarkeit des Krankheitsverlaufs sowie die Wahrscheinlichkeit des Todes medizinisch festgestellt und ebenso wie der Patientenwunsch und die Einwilligungsfähigkeit des Patienten durch einen zweiten Arzt bestätigt wurde.
(3) Die Hilfestellung des Arztes ist freiwillig.
(4) Die Entscheidung über den Zeitpunkt, die Art und den Vollzug seiner Lebensbeendigung trifft der Patient. Der Vollzug der Lebensbeendigung durch den Patienten erfolgt unter medizinischer Begleitung.114

Die Voraussetzungen sind also, dass der Suizidwillige unter einer unheilbaren Krankheit leidet, einwilligungsfähig ist und über weitere Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt wurde. Der ärztlich assistierte Suizid kann laut der Verfasser nur als allerletzter Ausweg umgesetzt werden. Sie begründen ihren Entschluss mit der Achtung der Autonomie des Individuums und ein Sterben in Würde durch Selbstbestimmung und erhoffen sich dadurch, dass Sterbehilfeunternehmen dadurch machtlos sind.115 Außerdem sind sie der Meinung, dass ärztlich assistierter Suizid eine Gewissensentscheidung bleiben sollte. Dies untermauern sie noch mit dem Verweis auf eine Empfehlung des Deutschen Ethikrates vom 18.12.2014 und einer Stellungnahme vom 15.04.2015 von 140 Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrern.116

Die Autoren des Gesetzesentwurfes 18/5374 vermuten, dass ärztliche Suizidassistenz suizidpräventiv wirken kann, weil ein solcher Prozess eine spezielle Entscheidungsqualität und -tiefe erfordert:

Die Erfahrungen aus der Suizidprävention und der palliativmedizinischen Behandlung zeigen, dass in den meisten Fällen, in denen Patienten zunächst einen Suizidwunsch geäußert haben, nach einer Beratung über Behandlungsalternativen von diesem Wunsch Abstand nehmen.117

Sie fordern, dass nur Ärzte Suizidassistenz leisten dürfen, weil sie dafür das notwendige Fachwissen haben und von einer möglichen Depression unterscheiden können, um ungewollte Selbstmorde zu vermeiden.118

Ziel dieses Gesetzesentwurfes ist es also, die unterschiedlichen ethischen Orientierungen der Ärzteschaft und der Bürgerinnen und Bürger in Einklang zu bringen und vor vorschnellen medizinischen unzureichend durchdachten Entscheidungen zu schützen. Genauso soll die freiwillige ärztliche Suizidassistenz an strenge Voraussetzungen geknüpft sein, um vor Missbräuchen zu schützen.119

3.2.3 Drucksache 18/5376

Der nächste Entwurf stammt von den Abgeordneten Patrick Sensburg (CDU) und Thomas Dörflinger (CDU) und mehr als 30 weiteren Autoren. Die Autoren erwähnen eine nicht veröffentlichte Umfrage von Infratest Dimap (2011), aus der hervorging, dass über 90 % der Befragten der Auffassung waren, dass die Beihilfe zum Suizid in Deutschland strafbar sei.120 Sensburg et al. sprechen sich gegen eine Legalisierung des assistierten Suizids aus und stellen die Behauptung auf, dass eine gesetzliche Befürwortung der Beihilfe zum Suizid gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstoße, weil durch einen Suizid die freie Entfaltung der Persönlichkeit „durchkreuzt“ werde.121 Der Gesetzesentwurf 18/5376 sieht wie folgt aus:

§ 217: Teilnahme an einer Selbsttötung

(1) Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.122

Dieser Gesetzentwurf ähnelt der Rechtslage in Österreich.123 Die Autoren des Gesetzesentwurfes 18/5376 plädieren also dafür, den assistierten Suizid und dessen Anstiftung dazu unter Strafe zu stellen. Die Begründung liegt darin, dass kein Werturteil über das Leben eines Sterbewilligen getroffen werden solle.124 Sensburg et al. legen ausführlich dar, dass sie, wie in Kapitel 1 unterschieden, nur Hilfe beim Sterben aber nicht Hilfe zum Sterben leisten möchten:

Der assistierte Suizid ist daher keine Sterbebegleitung, sondern das Beenden des Lebens in Fällen, in denen der Tod noch nicht von allein kommt. Dies wollen wir nicht.125

Gleichzeitig würde der assistierte Suizid „den Schutz des Lebens von alten, kranken, schwachen und behinderten Menschen [gefährden].“126 Sie sind der Auffassung, dass die Begleitung eines Schwachen in den Tod ihn nicht mehr schütze, sondern eine Bedrohung für alle Schwachen darstelle.127 Hinzu käme, dass die rechtliche Legalisierung einen neuen Erwartungs- und Entscheidungshorizont eröffne, bei dem sich zwischen zwei Alternativen entschieden werden muss. Entweder wird sich für den Tod entschieden oder für eine lebenserhaltende Therapie, die meistens mit hohen Kosten verbundenen sei, sodass der Patient dazu gedrängt werden würde, sich z.B. aus Verantwortung seinen Angehörigen gegenüber für die kostenärmere Variante zu entscheiden, um ihnen nicht zur Last zu fallen.128

Außerdem sind die Verfasser des Gesetzesentwurfes 18/5376 der Meinung, dass die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid die Sicht auf den Ärzteberuf verändern würde, weil dieser doch eigentlich heilen soll und die Gesundheit des Patienten laut Genfer Gelöbnis und Hippokratischen Eid an oberster Stelle steht.129

Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger und weitere fordern, dass für leidende Menschen, die sich den Tod wünschen, eine „umfassende palliativmedizinische Versorgung, Unterstützung und gesellschaftliche Solidarität“130 geboten wird. Sie möchten nicht, dass Deutschland zum Ziel für den „Sterbe-Tourismus“ wird.131 Bei ihrem Lösungsweg schreiben die Autoren: „Grundsätzlich ist Suizidassistenz verboten und nur in extremen Ausnahmefällen ist sie entschuldigt.“132 Um welche Ausnahmefälle es sich tatsächlich handelt, wird in BT-Drs. 18/5376 nicht erläutert.

3.2.4 Drucksache 18/5373

Der verabschiedete Gesetzesentwurf stammt von den Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen), Kathrin Vogler (Die Linke), Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) und über 200 weiteren Autoren.133 Sie möchten die Straflosigkeit des assistierten Suizids beibehalten und nur die geschäftsmäßige Förderung zur Selbsttötung verbieten, zum Beispiel durch Organisationen, die den assistierten Suizid regelmäßig anbieten. Ein vollständiges Verbot wäre laut ihnen ein „überscharfer Eingriff in die Selbstbestimmung von Sterbewilligen.“134 Die Verabschiedung des Gesetzes folgte mit 260 Ja-Stimmen und 233 Nein-Stimmen.135

Nach Auffassung der Autoren soll ein neuer Gesetzesparagraf mit der Nummer 217 geschaffen werden, weil die Strafbarkeit zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung inhaltlich eng an § 216 geknüpft sei.136 Der eingereichte Gesetzesentwurf 18/5373 lautete wie folgt:

§ 217: Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe [sic: von] bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.137

Absatz 1 dieses Gesetzesentwurfes ist fast identisch mit einer Länderinitiative (Saarland, Thüringen, Hessen) aus dem Jahre 2006, die einen Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung vorschlug. Der einzige Unterschied ist, dass dort die Autoren eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren forderten.138

Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung des assistierten Suizids bedeutet für die Verfasser des Gesetzesentwurfes 18/5373, dass Sterbehilfeorganisationen oder einzelne Individuen, die regelmäßig und wiederholt assistierten Suizid anbieten – Angehörige und nahestehende Personen davon ausgenommen – diesen nicht ausführen sollten. Sowohl die Bereitstellung von Räumlichkeiten, die Vermittlung an Sterbehelfer oder Sterbehilfeorganisationen, als auch die Beschaffung von tödlichen Medikamenten, würden die geschäftsmäßige Förderung umfassen. Ihre Begründung liegt darin, dass der assistierte Suizid zur gesellschaftlichen Normalisierung führen könnte, zum Beispiel, in dem dies in einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung eingebunden wäre. Der nicht geschäftsmäßige assistierte Suizid ist nach diesem Gesetzesentwurf eine Gewissensentscheidung, die im Einzelfall gewährleistet werden könnte.139

Die Autoren des Gesetzesentwurfes 18/5373 befürchten, dass durch die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid Betroffene, die zum Beispiel stark krank oder alt sind, sich dazu gedrängt fühlen könnten, dieses Angebot anzunehmen, weil sich dieses Angebot zur Normalität entwickelt hat:

Geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe lassen den Schritt in den selbst gewählten Tod „normal“ erscheinen und können Menschen zur Selbsttötung verleiten, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden.140

Zusätzlich merken die Verfasser an, dass der Suizidhelfer oder die Suizidhelferin die Willens- und Entscheidungsfindung des Suizidwilligen beeinflussen könnte, die bei einem gewerblichen Angebot auch mit spezifischem Eigeninteresse verknüpft sein könnte. Mit ihrem Gesetzesvorschlag möchten sie vor Einfluss einer Fremdbestimmung der Willensbildung des Suizidwilligen schützen.141

[...]


1 Vgl. Arnold 2014, 54.

2 Vgl. Thöns 2016, 18.

3 Vgl. Arnold 2014, 9.

4 Vgl. Borasio 2016, 73.

5 Vgl. Ostgathe 2017, 185f.

6 Vgl. Rose 2010, 1.

7 Eigene Darstellung nach der Einteilung von Rose 2010, 1.

8 Vgl. Arnold 2014, 79 + Saliger 2015, 243f.

9 Vgl. Arnold 2014, 79 + Saliger 2015, 243f.

10 Zit. Borasio 2016, 28.

11 Vgl. Brysch 2017, 13; Bedford-Strohm 2015, 35 + Spaemann et al. 2015, 57.

12 Zit. https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html. (Hervorhebung durch die Verfasserin dieser Masterarbeit)

13 Vgl. Haubenthaler / Kuhn-Flammensfeld 2015, 35.

14 Vgl. Borasio 2016, 74.

15 Vgl. Zimmermann 2015, 83.

16 Vgl. Borasio 2016, 50.

17 Vgl. Hoerster 1998, 48f.; Saliger 2015, 118 + Klein 2002, 6.

18 Zit. Bundesministerium der Justiz für Verbraucherschutz 2019, § 34 StGB.

19 Vgl. Bedford-Strohm 2015, 38f.

20 Vgl. Rethmann 2001, 66.

21 Vgl. Saliger 2015, 58f.

22 Vgl. Ebd., 119.

23 Vgl. Brysch 2017, 13.

24 Vgl. Spaemann et al. 2015, 34.

25 Zit. Hillebrand 2008, 100.

26 Vgl. Borasio 2016, 76 und Bedford-Strohm 2015, 39.

27 Vg. Thiele 2010, 23.

28 Vgl. Saliger 2015, 117.

29 Schweizer Strafgesetzbuch 2019, Art. 114.

30 Vgl. Jacob 2013, 85; Borasio 2016, 63 + Schildmann / Vollmann 2017, 62.

31 Vgl. Brysch 2017, 13; Arnold 2014, 32 + Jacob 2013, 25.

32 Vgl. Zimmermann 2015, 83 + Holderegger 1999, 17.

33 Vgl. Preidel 2016, 4; Bedford-Strohm 2015, 43.; Zimmermann 2015, 80.

34 Vgl. Rest 1997, 126.

35 Vgl. Zimmermann 2015, 81.

36 Vgl. Jox 2017, 53.

37 Vgl. Arnold 2014, 147.

38 Vgl. Giertler 2017, 9f. und Jaspers et al. 2017, 23.

39 Zit. Borasio 2016, 89.

40 Vgl. Preidel 2016, 3 und Zimmermann 2015, 82.

41 Vgl. Hillebrand 2008, 127.

42 Vgl. Spaemann et al. 2015, 50.

43 Vgl. Bedford-Strohm 2015, 42.

44 Vgl. Spaemann et al. 2015, 36.

45 Vgl. Zimmermann 2015, 82.

46 Vgl. Ebd., 89.

47 Zit. Witt 2014, 236f.

48 Vgl. Rose 2010, 5.

49 Vgl. Borasio 2016, 22f.; Thöns 2016, 242 + Witt 2014, 237.

50 Vgl.Ostgathe 2017, 195; Witt 2014, 151 + Beckmann 2017, 38.

51 Zit. Kettler 2010, 164.

52 Vgl. Rest 2015, 47.

53 Vgl. Speamann et al. 2015, 27.

54 Vgl. Arnold 2014, 78f.

55 Vgl. Bedford-Strohm 2015, 34; Spaemann et al. 2015,27; 83 + Kettler 2010, 163.

56 Zit. Spaemann et al. 2015, 8.

57 Zit. Ebd., 147.

58 Vgl. Arnold 2014, 36f.

59 Vgl. Wehrli 2015, 91 + 94.

60 Zit. Arnold 2014, 25.

61 Vgl. Spaemann et al. 2015, 85.

62 Zit. De Ridder / Ostgathe 2017, 101.

63 Vgl. Witt 2014, 178.

64 Zit. Spaemann etl al. 2015, 50.

65 Vgl. Hotz 2015, 256.

66 Vgl. Preidel 2016, 10 + 14; Saliger 2015, 272; Spaemann et al. 2015, 35.

67 Vgl. Hillebrand 2008, 119.

68 Vgl. Heinemann 2017, 66 + 119.

69 Zit. Hoerster 1998, 169.

70 Zit. Hoerster 1998, 169f.

71 Vgl. Heinemann 2017, 66.

72 Vgl. Voßkuhle et al 2018, 2f. + Saliger 2015, 156.

73 Vgl. BR-Drs. 230/06, 1.

74 Vgl. Saliger 2015, 156 + Minelli 2015, 169f.

75 Vgl. Voßkuhle et al 2018, 3.

76 Vgl. Minelli 2015, 172.

77 Zit. BR-Drs. 436/08.

78 Vgl. Voßkuhle 2018, 2f.

79 Vgl. Kusch 2016, 7.

80 Vgl. Saliger 2015, 125; Hübner / Montgomery 2015, 163 + MBO 2018, A3; A4.

81 Zit. Schweizerisches Zivilgesetzbuch 2008, 144.

82 Vgl. Saliger 2015, 173.

83 Vgl. MBO 2018, A2.

84 Vgl. Spaemann 2015, 39; Arnold 2014, 85; Schuster 2015, 123; Brossmann 2015, 12.

85 Zit. MBO 2018, A5.

86 Vgl. Heinemann 2017, 75.

87 Vgl. Kusch 2016, 7 + Preidel 2016, 18.

88 Vgl. Heinemann 2017, 66f.

89 Vgl. Quante 2016, 9.

90 Vgl. Preidel 2016, 18f. + Bedford-Strohm 2015, 58.

91 Vgl. Preidel 2016, 16.

92 Vgl. Spaemann et al 2015, 40.

93 Vgl. Hilpert / Sautermeister 2015, 7 + Spaemann et al. 2015, 51 – 54.

94 Vgl. Knaup 2016, 1.

95 Vgl. Dabrowski 2016, 7.

96 Vgl. Saliger 2015, 117.

97 Vgl. Heinemann 2017, 68.

98 Vgl. Thiele 2010, 11.

99 Vgl. Spaemann et al 2015, 51.

100 Vgl. BT-Drs. 18/5375, 1f.

101 Vgl. Spaemann et al. 2015, 53f.

102 Vgl. BT-Dr. 18/5375, 3.

103 Vgl. Ebd., 3.

104 Vgl. Ebd., 3f.

105 Vgl. Ebd., 4.

106 Vgl. Ebd., 4.

107 Vgl. Ebd., 4.

108 Vgl. Ebd., 4f.

109 Vgl. Ebd., 5.

110 Vgl. BR-Drs. 18/5375, 5f.

111 Vgl. BT-Drs. 18/5374, 8f.

112 Zit. Ebd., 2.

113 Vgl. Spaemann et al 2015, 52 + Heinemann 2017, 67f.

114 Zit. BT-Drs. 18/5374, 5.

115 Vgl. BT-Drs. 18/5374, 2f.; 8 + Spaemann et al 2015, 52f.

116 Vgl. BT-Drs. 18/5374, 9.

117 Zit. Ebd., 12.

118 Vgl. Ebd., 12.

119 Vgl. BT-Drs. 18/5374, 10.

120 Vgl. BT-Drs. 18/5376, 7.

121 Vgl. Ebd., 8.

122 Zit. Ebd., 5.

123 Vgl. Borasio 2016, 117.

124 Vgl. BT-Drs. 18/5376, 6.

125 Zit. Ebd., 2.

126 Zit. Spaemann et al 2015, 51.

127 Vgl. BT-Drs. 18/5376.

128 Vgl. Ebd., 6.

129 Vgl. Ebd., 9.

130 Zit. Spaemann et al 2015, 51.

131 Vgl. BT-Drs. 18/5376.

132 Zit. Ebd., 2.

133 Vgl. BT-Drs. 18/5373, 14; Spaemann et al. 2015, 51 + Borasio 2016, 117.

134 Zit. BT-Drs. 18/5373, 14.

135 Vgl. Heinemann 2017, 12.

136 Vgl. BT-Drs. 18/5373, 16.

137 Zit. Ebd., 5.

138 Vgl. BR-Drs. 230/06.

139 Vgl. Spaemann et al 2015, 52; BT-Drs. 18/5373, 2f. + Taupitz 2017, 126.

140 Zit. BT-Drs. 18/5373, 12.

141 Vgl. Ebd., 11 + 13.

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

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Titel
Rechtliche und ethische Aspekte der Sterbehilfedebatte. Wie sieht die Gesetzeslage zum assistierten Suizid in Deutschland und der Schweiz aus?
Autor
Jahr
2020
Seiten
106
Katalognummer
V505084
ISBN (eBook)
9783960958109
ISBN (Buch)
9783960958116
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophie, Ethik, Praktische Philosophie, §217, Euthanasie, Sterbehilfe, Tod, Sterben, Würde, Legalisierung, Suizidprävention, DIGNITAS, EXIT, Suizidassistenz
Arbeit zitieren
Alexandra Bünck (Autor:in), 2020, Rechtliche und ethische Aspekte der Sterbehilfedebatte. Wie sieht die Gesetzeslage zum assistierten Suizid in Deutschland und der Schweiz aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505084

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