Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Irrationale Personalauswahl
1. Rationalität bei Entscheidungen
1.1 Entscheidungsmodelle
1.2 Normative Entscheidungsmodelle
1.3 Psychologische Sichtweise
1.3.1 Begrenzte Rationalität
1.3.2 Urteilsheuristiken
1.4 Urteils- und Entscheidungsverzerrungen
1.4.1 Verfügbarkeitsheuristik
1.4.2 Repräsentativitätsheuristik
1.4.3 Verankerung
1.4.4 Motivationale Ursachen
1.4.4.1 Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
1.4.4.2 Kontrollbedürfnis
1.4.4.3 Stimmungen
2. Soziale Wahrnehmung
2.1 Grundlegende Prozesse
2.2 Wahrnehmungstäuschungen
2.2.1 Eindrucksbildung
2.2.2 Halo-Effekt
2.3 Stereotype und Vorurteile
3. Vermeidungsansätze
C. Schlussbetrachtung
Quellenverzeichnis
A. Einleitung
Vorbemerkung: Wenn bei bestimmten Begriffen, die sich auf Personengruppen beziehen, nur die männliche Form gewählt wurde, so ist dies nicht geschlechtsspezifisch gemeint, sondern geschah ausschließlich aus Gründen der besseren
Lesbarkeit.
Sine ira et studio
Sine ira et studio, so lautet die Maxime, die mir immer noch aus dem Modul der Empirischen Sozialforschung aus dem zweiten Semester im Kopf herumschwirrt. Aus dem lateinischen übersetzt, bedeutet sie „ohne Zorn und Eifer“. Gemeint ist damit, wie ein römischer Historiograph damals in seinem Werk vorgehen wollte: Es sollte bei seiner wissenschaftlichen Arbeit weder zur Parteilichkeit, noch zur Wertung kommen.
Dies ist auch die Maxime, nach der ich meine Bachelorthesis verfassen möchte. Ich möchte möglichst unvoreingenommen und wertfrei arbeiten. Rational eben.
Doch was ist überhaupt rational? Kann man überhaupt rational handeln? Oder rationale Entscheidungen treffen?
Genau darum soll es in dieser Arbeit gehen. Genauer gesagt um die Frage nach der Rationalität bei behördlichen Personalentscheidungen.
Problematiken wie der demographische Wandel, die Flüchtlingskrise oder auch die jüngst wachsende Aufmerksamkeit auf Umweltprobleme stellen Behörden vor immer neue Herausforderungen, die auch mit dem Bedarf nach neuen Mitarbeitern einhergehen. Behörden benötigen neue Leute um alte Mitarbeiter zu ersetzen oder um neu geschaffene Stellen zu besetzen, genauso wie die stetige Weiterbildung dieser Mitarbeiter wichtig ist. Hierfür müssen stets neue Entscheidungen für oder gegen Bewerber getroffen werden. Natürlich ist es hierbei wichtig, möglichst langfristig gute Entscheidungen zu fällen. Schlechte Entscheidungen bezüglich der Einstellung neuer Mitarbeiter oder der Beförderung von bereits angestellten Mitarbeitern könnten nachträglich zu Ineffizienz, Ärger, Probleme und Mehraufwand führen. Im Kontext der behördlichen Arbeit geht dies natürlich auch immer zur Lasten der Gesellschaft.
Die Rationalität solcher Personalentscheidungen soll also innerhalb dieser Bachelorarbeit thematisiert werden. Zum einen, ob rationale Personalentscheidungen überhaupt möglich sind und falls nicht, wie es zu Irrationalität kommen könnte oder ob diese vermeidbar ist.
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen sollen zunächst die verschiedenen Entscheidungsmodelle beleuchtet werden. Folgend wird eine Auswahl an Ursachen für Entscheidungsverzerrungen vorgestellt, die selbstverständlich nicht abschließend ist, da dies den Rahmen der Bachelorthesis sprengen würde.
Weitergehend werden motivationale Einflüsse auf die Entscheidungsfindung aufgezeigt, bevor die menschliche Wahrnehmung thematisiert wird. Aufgrund dessen was wir wahrnehmen oder wahrnehmen zu glauben, treffen wir unsere Entscheidungen. Deshalb soll auch an dieser Stelle eine nicht abschließende Auswahl an Fehlern innerhalb des Wahrnehmungsprozesses thematisiert werden. Um an dieser Stelle inhaltlich nicht zu sehr abzuschweifen, wird auf einer Darstellung der Physiologie der Sinnesorgane verzichtet.
Zuletzt wird eine persönliche Einschätzung über Strategien der Vermeidung von Entscheidungsfehlern abgegeben.
Die verschiedenen Möglichkeiten und Formen der behördlichen Personalauswahl werden ebenfalls ausgeklammert, um im vorgegebenen Zeit- und Inhaltsrahmen bleiben zu können.
B. Irrationale Personalauswahl
1. Rationalität bei Entscheidungen
1.1 Entscheidungsmodelle
Stellt man die Frage, ob der Mensch seine Entscheidungen auf einer rationalen Ebene trifft oder nicht, würde man mit großer Wahrscheinlichkeit von Wirtschaftswissenschaftlern und Psychologen völlig verschiedene Antworten erhalten. Dies liegt daran, dass gängige ökonomische und psychologische Theorien menschliches Entscheidungsverhalten völlig andersartig bewerten.
Das ökonomisch-normative Entscheidungsmodell stellt den Menschen als einen stets rationalen Entscheider dar: Er stolziert durch das Leben und sobald er vor Handlungsalternativen steht, entscheidet er sich für diejenige, die den größten zukünftigen Nutzen verspricht.
Die psychologische Entscheidungsforschung sieht dies jedoch anders. Es zeigte sich, dass menschliches Entscheidungsverhalten nicht nur von Kosten-Nutzen-Erwägungen geleitet werden könnte, sondern häufig auch durch kognitive und motivationale Ursachen systematischen Verzerrungen unterliegen könnte.1
1.2 Normative Entscheidungsmodelle
Das Normative Entscheidungsmodell liegt ökonomisch-statistischen Überlegungen zu Grunde und ordnet Entscheidungen als einen rationalen Prozess ein. Wie oben beschrieben, wird der Entscheider als ein rationaler, intuitiver Statistiker verstanden. Die verschiedenen Entscheidungsalternativen werden sorgsam in Bezugnahme auf das ganze verfügbare Vorwissen und nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitstheorie sowie Logik abgewogen, um dann auf das zu entscheidende Problem angewandt zu werden.2 Das wichtigste Erklärungsmodell bildet hier die SEU-Theorie (Subjective Expected Utility). Diese erklärt Entscheidungsverhalten auf Basis des subjektiv zu erwarteten Nutzens der verschiedenen Entscheidungsalternativen. Personen sollen demnach bei der Bewertung verschiedener Entscheidungsalternativen intuitiv den Nutzen einzelner Alternativen mit der Auftretenswahrscheinlichkeit bestimmter Konsequenzen multiplizieren und dann diejenige wählen, welche die positivste Bewertung erreicht.3
Betrachtet man allerdings eigene und die von anderen getroffene Entscheidungen, fallen sicherlich jedem schnell Gegenbeispiele zu der SEU-Theorie ein. Viele dieser Entscheidungen, sogar oftmals sehr Wichtige, scheinen ohne intensive und rationale Kosten-NutzenAbwägungen getroffen worden zu sein.
Solche verzerrten Urteile und Entscheidungen scheinen lediglich auf Basis von kognitiven und motivationalen Faktoren erklärt werden zu können, die in keinem Verhältnis zu rationalem Abwägen stehen.4
1.3 Psychologische Sichtweise
1.3.1 Begrenzte Rationalität
Die Annahme vom SEU-Modell, Personen würden bei der Bewertung von Entscheidungsalternativen wie intuitive Statistiker vorgehen, scheint schon aus Gründen der begrenzten kognitiven Kapazitäten von Menschen als nicht tragbar. Die fehlende Fähigkeit, alle einflussnehmenden Informationen gleichzeitig kennen oder bedenken zu können, führt gleichzeitig zu fehlenden Fähigkeit, Entscheidungen mit Berücksichtigung aller wichtigen Informationen fällen zu können.5
Folgend führt die beschränkte menschliche Aufnahmefähigkeit zu begrenzter Rationalität im Entscheidungsverhalten. Faktoren wie Zeitdruck oder besonders komplizierte Sachverhalte führen dazu, dass das objektiv beste Ergebnis nicht zu erreichen ist. Stattdessen wird vielmehr ein zufrieden stellendes Ergebnis angestrebt (bounded rationality).6
Als Verdeutlichung kann hierbei an eine Ausschusssitzung im Stadtrat gedacht werden: Vorlagen, wie zum Beispiel besonders komplizierte Gebührenkalkulationen, werden von den Mitglieder nicht gelesen oder nur „überflogen“. Dies führt dazu, dass keine Rückfragen gestellt werden und Gegenargumente nicht angebracht werden, da ansonsten das eigene Unwissen/Nichtbeschäftigen auffallen könnte. So entstehen Diskussionen nur in Themengebieten, in denen mehrere Ausschussmitglieder sich gut auskennen oder die gerade besonders Prestigeträchtig sind.
1.3.2 Urteilsheuristiken
Wie es auch schon im letzten Punkt kurz thematisiert wurde, müssen Entscheidungen in sozialen Situationen häufig unter suboptimalen Bedingungen, wie zum Beispiel Zeitdruck, getroffen werden. Die Beachtung, Bewertung und Integration aller möglicherweise relevanten Informationen in eine Entscheidungsfindung ist häufig schlichtweg nicht möglich. Vor diesem Hintergrund können Urteilsheuristiken als ein Verfahren innerhalb der Entscheidungsfindung beschrieben werden, welche dazu dienen, eine unaufwändige Urteilsbildung zu ermöglichen, die die kognitiven Kapazitäten nicht überlasten.7 Die Bedeutung von Heuristiken begründen viele Autoren evolutionspsychologisch: Der menschliche Verstand fällt viele Entscheidungen, indem er Heuristiken als kognitive Werkzeuge verwendet, weil diese nun mal aufgrund von Effizienz und Einfachheit innerhalb der Informationsverarbeitung dafür sorgen, sich den Anforderungen der komplexen Umwelt am besten anpassen zu können.8 Es wird unterstellt, dass der Mensch grundsätzlich nicht nach vollständigen Informationen sucht, sondern vielmehr die weitere Informationssuche einstellt, wenn die Kosten einer weiteren Suche den potenziellen Nutzen übersteigen. Die Suche nach weiteren Alternativen wird also gestoppt, wenn eine befriedigende Lösung gefunden ist.9 Neben dem Aspekt der Zufriedenstellung werden Heuristiken vor allem dann herangezogen, wenn naheliegende Ziele in alltäglichen Situationen schnell erreicht werden sollen: Güter austauschen, Nahrung finden, die Partnerwahl etc. Ein Mensch sieht zu vielen Zeitpunkten viele Ziele gleichzeitig als wichtig an, die untereinander kaum vergleichbar sind. Da diese nicht gleichzeitig intensiv bearbeitet werden können, brauch es hier als Vereinfachung die Heuristiken. Die Heuristiken sind allgemeine, einfach anwendbare, uns jedoch meistens nicht bewusste Entscheidungsregeln, die es uns gestatten, Urteile auch unter ungünstigen Informationskonstellationen schnell und für die meisten Situationen auch hinreichend treffsicher zu fäl- len.10
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1 Vgl. Fischer, P. / Greitemeyer, T. / Frey, D.: Rationalität bei Entscheidungen. In: Frey, D. (Hrsg.) / Bierhoff, H.-W. (2006): Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie (Band 3). Göttingen u.a.: Hogrefe Verlag. S. 273. (künftig zitiert: Fischer et al., 2006)
2 Vgl. Fischer et al., 2006, S. 273.
3 Vgl. ebd., S. 273.
4 Vgl. ebd., S. 273.
5 Vgl. ebd., S. 274.
6 Vgl. Fischer et al., 2006, S. 274.
7 Vgl. Bless, H. / Keller, J.: Urteilsheuristiken. In: Frey, D. (Hrsg.) / Bierhoff, H.-W. (2006): Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie (Band 3). Göttingen u.a.: Hogrefe Verlag. S. 294. (künftig zitiert: Bless / Keller, 2006)
8 Vgl. Fischer, L. / Wiswede, G. (2009): Grundlagen der Sozialpsychologie (3. Völlig neu bearbeitete Auflage). München: Oldenbourg Verlag. S. 227. (künftig zitiert: Fischer / Wiswede, 2009)
9 Vgl. ebd., S.227.
10 Vgl. ebd., S.227f.
- Arbeit zitieren
- Valentin Löpp (Autor:in), 2019, Irrationalität bei der behördlichen Personalauswahl. Wie trifft man rationale Personalentscheidungen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505747
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