Was hat Bernhard Bueb, welcher selbst "aus der Überzeugtheit und Leidenschaft eines Bekehrten" (Thiersch 2007) über Disziplin schreibt, zu sagen? Inwiefern ist seine Darstellung haltbar, was lässt sich eventuell an ihr kritisieren? Um diese Fragen kritisch
durchleuchten zu können, sollen die Aussagen Buebs anhand eigener und der Kritiken Thierschs in der vorliegenden Arbeit analysiert werden.
Der Erziehungsbegriff hat sich im Laufe der Zeit einem nicht zu verleugnenden Wandel unterzogen. Dennoch ist keine Veränderung in Hinblick auf die Tatsache zu erkennen, dass die Frage nach der "richtigen" Erziehung nach wie vor zu öffentlichen Diskussionen führt. Viele Menschen assoziieren diese Thematik mit Disziplin, welche bis heute als "eine erstrebenswerte Haltung des Menschen, die ihm dazu verhilft, seine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche seines Tuns zu bündeln und kontinuierlich in diesem Tun zu bleiben" (Jetter 2002) gilt. Aber wie findet man als Erzieher die richtige Balance zwischen Disziplin und grenzenloser Liebe und Fürsorge? Dies ist eine der grundlegenden Fragen, die die Erziehungswissenschaft seit ihren Anfängen beschäftigt. Gleichzeitig verliert sie trotzdem nicht an Aktualität und Wichtigkeit, denn die Debatte um die Bedeutung von Disziplin in der Erziehung gehört zweifelsfrei zu den zentralen Thematiken der Erziehungswissenschaft - und das auch noch heute.
1.Einleitung
Der Erziehungsbegriff hat sich im Laufe der Zeit einem nicht zu verleugnenden Wandel unterzogen. Dennoch ist keine Veränderung in Hinblick auf die Tatsache zu erkennen, dass die Frage nach der „richtigen“ Erziehung nach wie vor zu öffentlichen Diskussionen führt. Viele Menschen assoziieren diese Thematik mit Disziplin, welche bis heute als „eine erstrebenswerte Haltung des Menschen, die ihm dazu verhilft, seine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche seines Tuns zu bündeln und kontinuierlich in diesem Tun zu ble iben“ (Jetter 2002, S. 30) gilt. Aber wie findet man als Erzieher die richtige Balance zwischen Disziplin und grenzenloser Liebe und Fürsorge? Dies ist eine der grundlegenden Fragen, die die Erziehungswissenschaft seit ihren Anfängen beschäftigt. Gleichzeitig verliert sie trotzdem nicht an Aktualität und Wichtigkeit, denn die Debatte um die Bedeutung von Disziplin in der Erziehung gehört zweifelsfrei zu den zentralen Thematiken der Erziehungswissenschaft - und das auch noch heute. Mit dem Begriff des Zwangs verbinden die Menschen beinahe intuitiv Aspekte wie Autorität und Gehorsam; zwei Worte, die zweifelsfrei auch stark mit der Disziplin zusammenhängen. Disziplin ist dabei beinahe immer stark negativ konnotiert, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Disziplin als „unzeitgemäßer pädagogischer Begriff eingestuft wird, der Leitzielen wie Freiheit und Selbstbestimmung auf den ersten Blick im Weg zu stehen scheint“ (Lockenvitz 1998, S. 174).
Bernhard Bueb hingegen, welcher jahrzehntelang Leiter der Internatsschule Schloss Salem gewesen war, hat sich in seinem Buch „Lob der Disziplin – Eine Streitschrift“ für mehr auferlegte Disziplin, Kontrolle und die damit verbundene Anerkennung von Autoritäten ausgesprochen. Seine Thesen zur Erziehung und besonders die Rolle, die die Disziplin in ihnen einnimmt, sorgten für das Aufkeimen einer weitreichenden Erziehungsdebatte. Durch diese öffentliche Beachtung, die vor allem außerhalb „professioneller Kreise“ viel Lob mit sich brachte, wurden auch Kritiker auf Bueb und das „Lob der Disziplin“ aufmerksam und reagierten – dazu zählt beispielsweise der hier zu thematisierende Autor und Herausgeber Micha Brumlik und sein 2007 veröffentlichtes Sammelband „Vom Missbrauch der Disziplin – Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb“.1 Aber ist Disziplin deshalb viel mehr als ein Hilfsmittel des Erziehers zu verstehen, welches dem Kind eher schadet? Oder braucht es die Disziplin tatsächlich, um zu einem selbstbestimmten, also autonomen Individuum heranwachsen zu können?
Auch über den professionellen Bereich der Pädagogik hinaus ist die Erziehung Teil des menschlichen Lebens, den jeder – wenn auch in unterschiedlichster Form – selbst erfahren hat. Die hier zu behandelnden Aussagen Buebs regen somit automatisch zur Reflexion der persönlich erlebten Erziehung an. Auf der einen Seite ist in der Öffentlichkeit immer wieder die Rede von „überempfindlichen“, ja beinahe verweichlichten und von fehlender Disziplin geprägten Erziehungsmethoden, doch auf der anderen Seite gehört - nicht zuletzt aufgrund der historisch zu verzeichnenden Hintergründe des Landes - ein völlig autoritärer Erziehungsstil in unserer Gesellschaft ebenfalls eindeutig der Vergangenheit an. Dennoch lässt sich in zahlreichen Alltagssituationen und auch im eigenen Verhalten Disziplinlosigkeit erkennen, was beinahe automatisch zu einer der zentralen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit führt: Was hat Bernhard Bueb, welcher selbst „aus der Überzeugtheit und Leidenschaft eines Bekehrten“ (Thiersch 2007, S.12) über Disziplin schreibt, zu sagen? Inwiefern ist seine Darstellung haltbar, was lässt sich eventuell an ihr kritisieren? Um diese Fragen kritisch durchleuchten zu können, sollen die Aussagen Buebs anhand eigener und der Kritiken Thierschs in der vorliegenden Arbeit analysiert werden.
2. Die Rolle der Disziplin in der Erziehung nach Bueb
„Gebildete Eltern wissen, dass Erziehung nicht ohne Konflikte gelingen kann. Sich ihnen zu stellen, nicht gleich nachzugeben und auch die Öffentlichkeit nicht zu scheuen, wenn konsequentes Handeln Ärgernis erregt, braucht Mut zur Erziehung. […] Wer konsequent Unterordnung eines Kindes verlangt, beweist Mut vor Zuschauern, die in Deutschland konsequentes Handeln häufig missbilligen“ (Bueb 2009, S. 16-17).
Bernhard Bueb erklärt mit diesen Worten den Stellenwert der Disziplin in seiner Vorstellung von gelungener Erziehung. Hier wird primär die Disziplin der Eltern angesprochen, welche der Autor als Voraussetzung für erfolgreiches Erziehen ansetzt; gleichzeitig fordert Bueb aber auch allgemein zu mehr Durchhaltevermögen im Gebrauch von Disziplinierungsmaßnahmen auf. Was allerdings unter dem reinen Begriff der Disziplin selbst nach Bueb zu verstehen ist, wird nicht offenbart – eine (wissenschaftliche) Definition ist also an keiner Stelle seines Buches zu finden. Dennoch gibt der Autor an einigen Stellen zumindest Hinweise darauf, wie sein Verständnis von Disziplin zu rahmen ist: als „alles, was Menschen verabscheuen: Zwang, Unterordnung, verordneten Verzicht, Triebunterdrückung (und) Einschränkung des eigenen Willens“ (ebd., S.17-18). Als Grundvoraussetzung um Disziplin in der Erziehung einzusetzen, nennt er die Liebe zu den Zöglingen, doch auch die Liebe wird in seinem Buch nicht genauer charakterisiert oder gar definiert. In diesem Zusammenhang erläutert Bueb außerdem, dass die Notwendigkeit von Disziplin durch die elterliche Liebe zu den Zu-Erziehenden gerechtfertigt werde (vgl. ebd., S. 18). Doch was bedeutet dies nun für den Disziplinbegriff gerade in Hinblick auf die Erziehung? Wie genau sollte nach Bueb eine „gelungene“ Erziehung ablaufen und wozu kann Disziplin in den Augen des Autors konkret verhelfen?
2.1 Freiheit durch Disziplin
Dem Wunsch nach Freiheit ein Stück näher zu kommen – dieses Begehren sei typisch für den Menschen (vgl. Bueb 2006, S. 33). Allerdings behauptet der Autor, dass „sich in diesem rudimentären Streben nach Selbstständigkeit nur eine Komponente der Freiheit, nämlich der Drang nach Unabhängigkeit und Selbsttätigkeit“ (ebd., S. 33) äußere. Darüber hinaus bedeute Freiheit allerdings noch viel mehr als das, Freiheit sei „mehr als Unabhängigkeit, sie bezeichnet den Willen und die Fähigkeit, sich selbst ein Ziel zu setzen, dieses Ziel an moralischen Werten auszurichten, mit dem eigenen Leben in Übereinstimmung bringen und konsequent verfolgen zu können.“
Für Bueb existiert also ein Unterschied zwischen dem Verständnis von Freiheit in den Köpfen von Heranwachsenden, welche Freiheit als Losgelöstheit von ihren Eltern oder anderen Autoritäten sehen, und dem eigentlichen Begriff der Freiheit. Damit definiert der Autor den Freiheitsbegriff negativ, indem er ihn von der Unabhängigkeit abgrenzt und behauptet, Freiheit sei weitaus mehr als eben ‚nur‘ Unabhängigkeit. Diese These stützt er durch die Aussage, dass auch viele in der Pädagogik Tätige, also beispielsweise Erzieher, Lehrer und auch Eltern, diesen Denkfehler weiter unterstützen und festigen, „indem man ihnen frühzeitig Freiheit gewährt, Freiheit als Unabhängigkeit von Führung und Autorität“ (ebd., S. 34). Damit gibt Bueb eine kurze und wenig komplexe Antwort auf eine der ältesten Fragen der Pädagogik: „Wie gelangt ein Mensch zur Freiheit?“ - Doch ist seine Antwort tatsächlich als haltbar oder gar zufriedenstellend zu deklarieren? Für Bueb scheint es eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben. Man kann Freiheit nicht einfach erwerben; Freiheit ist kein Zustand, sondern vielmehr „die späte Frucht einer langen Entwicklung, man erwirbt sie durch unendliche Stadien der Selbstüberwindung, des Wandels von Disziplin zur Selbstdisziplin“ (ebd., S. 34). Die durch den Erzieher vorgegebene Disziplin wird also erst im Laufe eines langen Prozesses zur Selbstdisziplin. Auch, wenn dies zunächst plausibel erscheint, ist dennoch unbedingt zu erwähnen, dass Bernhard Bueb an keiner Stelle seiner Streitschrift empirisch fundierte Theorien anführt, die für seine Argumentationsstruktur unterstützend wirken könnten. Dennoch wird an dieser Stelle die Funktion von Disziplin in dem Freiheitsprozess deutlich: Disziplin ist hier keinesfalls als Selbstzweck zu verstehen, vielmehr wird Disziplin als notwendiges Instrument zur Erlangung von Selbstbestimmung erachtet.2 Erst, wenn der Mensch die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, also nach dem Wozu? beantworten kann, sei er in der Position, sich tatsächlich frei zu nennen (vgl. ebd., S. 34).
2.2 Heilung durch Disziplin
Bernhard Bueb betont im Laufe seines Buches immer wieder, dass „der Mangel an Disziplin ein ganzes Leben aus dem Lot bringen, ja ein Kind psychisch krank machen kann“ (Bueb 2006, S. 64). Doch inwiefern kann Disziplin einem Heranwachsenden dazu verhelfen, ein glückliches Leben zu führen? Um diese Frage entsprechend beantworten zu können, erklärt der Autor, dass Kinder aufgrund von unterschiedlichsten Mängeln verwahrlosen (können):
„Der Mangel an Liebe und Zuwendung, fehlende, gleichgültige, autoritäre, alkohol – oder drogenabhängige Eltern, desolate soziale Verhältnisse sind die „klassischen“ Ursachen, warum Kinder und Jugendliche zu allen Zeiten liebes – und arbeitsunfähig wurden“ (ebd., S. 64).
Der Autor spricht darüber hinaus von einer „unheilvollen Psychologisierung der Pädagogik“ (ebd., S. 71). Hinter diesem Begriff verbirgt sich nach Bueb ein gewisser Trend dahin, dass oftmals sehr früh und schnell ein Psychologe in einen Erziehungsprozess mit einbezogen wird, um auffällige Verhaltensweisen von Kindern durch eine medizinische Diagnose zu legitimieren. Diese Behauptung unterstreicht er damit, dass in seinen Augen in vielen Fällen der bloße Mangel an Disziplin der Auslöser für das Verhalten von Kindern sein kann, da es eventuell „durch zu viel Freiheit, Fürsorge, Ängstlichkeit der Eltern und Verwöhnung orientierungslos geworden ist“ (ebd., S. 72).
Um nun auf die Eingangsfrage dieses Kapitels zurückzukehren, inwiefern Disziplin zur mentalen Gesundheit eines Kindes beitragen kann, lässt sich folglich zusammenfassen: Bernhard Bueb behauptet, dass viele Zu-Erziehenden ausschließlich klarer strukturierte Führung benötigen und damit auch nicht immer gleich ein Psychologe zurate gezogen werden müsse.3 Inwiefern dies als haltbar zu deklarieren ist, soll in Kapitel 3 beleuchtet werden.
2.3 Demokratie durch Disziplin
In Buebs Kapitel „Man muss nicht immer über alles diskutieren“ (2006, S. 78-91) spricht der Autor über Diskussionen zwischen Erziehern und Heranwachsenden im Alltagsleben. Der Ausgangspunkt seiner Argumentation hinsichtlich der Notwendigkeit von Ordnung im Erziehungsprozess ist, dass „Diskussionen um die kleinen Ordnungsfragen des Zusammenlebens […] den pädagogischen Alltag [beherrschen]“ (ebd., 2006, S. 79) und somit für die tatsächlich relevanten, grundlegend wichtigen Dinge weniger zugänglich werden.
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1 Auch Rolf Arnold mit seinen im Jahr 2007 erschienenen „Antworten der Pädagogik auf das ‚Lob der Disziplin‘“ zählt den Kritikern, die für erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich der Disziplinthematik sorgten. Dieser kann aufgrund des vorgegebenen Umfangs an dieser Stelle nicht betrachtet werden und soll demnach nur hier Erwähnung finden.
2 Andere Möglichkeiten zur Erlangung von Selbstdisziplin werden von Bueb nicht thematisiert.
3 Dennoch soll an dieser Stelle betont werden, dass Bueb nicht vollkommen davon abrät, die Psychologie und Varianten dieser in bestimmten Fällen in den Erziehungsprozess mit einzubringen. Tatsächliche psychische Probleme lassen sich laut Bueb nicht durch das Ignorieren dieser lösen, demnach müssen „Erzieher […] in der Lage sein zu erkennen, wann der Psychotherapeut zurate gezogen werden muss“ (Bueb 2006, S. 76).
- Quote paper
- Isabel Pilger (Author), 2018, Bernhard Buebs Lob der Disziplin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505979
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