Sprache schafft nicht Realität, sondern geht von den universellen Erfahrungen der Menschen aus und formuliert Realität sowohl ideell als auch materiell auf einzelsprachlich eigene Weise. Dass die über Jahrhunderte hinweg entstandenen Begriffe und Strukturen sich dabei von Sprache zu Sprache unterscheiden, führt zu einer einzelsprachlich spezifischen Weltansicht. Die Idee der einzelsprachlichen Weltansicht wird auf Wilhelm von Humboldt zurückgeführt, dessen sprachphilosophisches Denken gerade im Kontext neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wiederentdeckt wird. Man spricht von einer „Humboldt-Renaissance“ in den letzten zehn Jahren, was Anlass dazu gibt, das Prinzip der sprachlichen Relativität neu zu überdenken. In der vorliegenden Arbeit soll eine sprachphilosophische Neubetrachtung angestellt werden, auf das, was vor dem Hintergrund des Chomsky’schen Universalismus für absurd erklärt wurde, nämlich, dass einzelsprachliche Strukturen in direkter Weise auf Denkprozesse des Menschen Einfluss nehmen. Hierzu soll insbesondere die Betrachtung der Zweisprachigkeit unter sprachphilosophischen Gesichtspunkten neue Erkenntnisse beitragen. Wenn es stimmt, dass wir die Welt stets durch die strukturierende Brille einer Muttersprache wahrnehmen, was passiert dann, wenn ein Mensch zwei Muttersprachen hat? Denkt eine bilinguale Person in ihren jeweiligen Sprachen auf unterschiedliche Art und Weise und wechselt mit der Sprache ihre Weltansicht gleich mit? Aktuelle Erkenntnisse aus der Bilingualismusforschung können die Debatte um die sprachliche Relativitätstheorie erneut anregen, jahrhundertealtes Sprachdenken in ein neues Licht rücken und darüber hinaus die Zweisprachigkeit als individuellen und gesellschaftlichen Gewinn herausstellen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Zum Verhältnis von Sprache und Denken
- 2.1 Sapir, Whorf und die Sprachdeterminiertheit
- 2.2 Zurück ins 18. Jahrhundert: Humboldts Blick auf Sprache
- 2.3 Eine Neubewertung der Relativitätstheorie
- 3. Bilinguales Weltbild. Zwei Sprachen – zwei Identitäten
- 3.1 „Double thinking“. Die bilinguale Leistung
- 3.2 Weltansichten als Übersetzungsproblem
- 3.3 Emotion, Verhalten und kulturelle Zugehörigkeit
- 4. Mehrsprachigkeit als individueller und gesellschaftlicher Gewinn
- 4.1 Stolperstein Mehrsprachigkeit
- 4.2 Fremdverstehen: Bilingualität als Vermittlerin
- 5. Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Bachelorarbeit untersucht den Einfluss von Bilingualität auf das Denken und die Weltwahrnehmung. Sie stellt die These auf, dass zwei Muttersprachen nicht nur einen doppelten Reichtum an sprachlichen Möglichkeiten, sondern auch eine doppelte Sicht auf die Welt eröffnen. Dabei wird die historische Entwicklung des Verhältnisses von Sprache und Denken beleuchtet, von der Sapir-Whorf-Hypothese über Humboldts Sprachphilosophie bis hin zu modernen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen.
- Die Rolle von Sprache und Denken im Kontext der Bilingualität
- Die Bedeutung des Konzepts der „sprachlichen Relativität“
- Die Auswirkungen der Bilingualität auf das individuelle Weltbild
- Die Chancen und Herausforderungen der Mehrsprachigkeit
- Die Relevanz des Humboldt'schen Denkens für die aktuelle Sprachphilosophie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die zentrale Frage nach dem Einfluss von Bilingualität auf das Denken und die Weltwahrnehmung und verweist auf die Bedeutung der Muttersprache für die kognitiven Prozesse des Menschen. Sie führt die zentralen Thesen des Textes ein und benennt die relevanten Denker und Ansätze der Sprachphilosophie.
Das zweite Kapitel beleuchtet das Verhältnis von Sprache und Denken im Kontext der Sprachdeterminiertheit. Es analysiert die Sapir-Whorf-Hypothese und ihre Kritik sowie die Rolle von Wilhelm von Humboldts Sprachphilosophie in der modernen Forschung.
Im dritten Kapitel werden die Auswirkungen der Bilingualität auf das individuelle Weltbild untersucht. Es werden die Konzepte des „Double Thinking“ und der „Weltansichten als Übersetzungsproblem“ analysiert.
Das vierte Kapitel widmet sich den Chancen und Herausforderungen der Mehrsprachigkeit. Es diskutiert die Stolpersteine der Mehrsprachigkeit und betont die Bedeutung der Bilingualität für die interkulturelle Kommunikation.
Schlüsselwörter
Bilingualität, Sprache, Denken, Weltwahrnehmung, Sprachdeterminiertheit, Sapir-Whorf-Hypothese, Humboldt, Mehrsprachigkeit, Fremdverstehen, „Double thinking“, Weltansichten, Übersetzungsproblem.
- Arbeit zitieren
- Katharina Ortlieb (Autor:in), 2016, Zwei Sprachen – zwei Ansichten? Wie Bilingualität das Denken beeinflusst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/507161