Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Auditive Medien im Alltag von Kindern
3. Rechtliche Grundlagen
4. Auditive Wahrnehmung und Verarbeitung
5. Kritische Betrachtung der Hörspielarbeit
5.1 Potentiale der Hörspielarbeit
5.2 Risiken der Hörspielarbeit
6. Medienbildung in der Grundschule
7. Auswertung der Interviews
8. Zusammenfassung und Ausblick
9. Literaturverzeichnis
9.1 Buchquellen
9.2 Internetquellen
11. Anhang
11.1 Interview Fragebogen
11.2 Interview Antworten der Kinder
1. Einleitung
Kinder nehmen die Welt ganzheitlich wahr. Darum wird heute zunehmend ein verknüpfendes Denken und Handeln gefordert. Es gilt daher Lernsituationen zu schaffen, die diesem ganzheitlichen Lernen gerecht werden. Der Bildungsplan 2016 für Baden-Württemberg ist kompetenzorientiert angelegt und die Leitperspektiven stellen die Lehrerinnen und Lehrer[1] vor die Herausforderung, die einzelnen Fächer horizontal und alle Schulstufen vertikal miteinander zu vernetzen. Hörspiele bieten eine gute Möglichkeit, diesen komplexen Anforderungen gerecht zu werden.
Kinder werden ununterbrochen äußeren Sinnesreizen, sowohl akustischer als auch visueller Art, ausgesetzt. Die zunehmende Lautstärke, insbesondere in den Städten, verursacht geradezu einen „akustischen Teppich“ in öffentlichen Räumen (Bergmann 2000, S. 11). Die Sensibilität und die Aufmerksamkeit für die uns unmittelbar umgebenden Geräusche scheint dadurch zurückzugehen. Umso wichtiger ist es, den Kindern Mittel und Wege zum aktiven Zuhören aufzuzeigen. Das aktive Zuhören und die bewusste Wahrnehmung der Umwelt kann durch die Hörspielarbeit gelernt werden und ist eine essentiell wichtige Kompetenz, um an der Gesellschaft aktiv teilnehmen zu können. Schließlich ist das Hören ein wichtiger Prozess der Weltwahrnehmung und beeinflusst einen Großteil unserer Kommunikation (Bergmann 2000, S.11).
Neben der Förderung der auditiven Wahrnehmung ist die Arbeit mit Hörspielen auch mit der Medienarbeit verbunden. Da Medien heutzutage einen wichtigen Teil der Lebenswelt ausmachen, sollten die Grundschulen die Vermittlung der Medienkompetenz in den Unterricht integrieren. Ziel ist es, den Schülern einen selbstsicheren, handlungskompetenten und zugleich bewusst kritischen, als auch dosierten Umgang mit Medien zu vermitteln.
Zu Beginn dieser Arbeit werde ich zunächst erläutern, welche Rolle auditive Medien im Alltag von Kindern einnehmen. Anschließend werde ich die rechtlichen Grundlagen und somit den vom Bildungsplan geschaffenen Rahmen für die Hörspielarbeit im Grundschulunterricht genauer betrachten. Den Kern der Ausarbeitung bilden die vielfältigen Potentiale und Herausforderungen der Hörspielarbeit. Hierbei werde ich ein besonderes Augenmerk auf die Schulung des aktiven Zuhörens und die Medienbildung richten. Mit Blick auf die PISA-Ergebnisse stellt sich die Frage, inwiefern sich die Arbeit mit Hörspielen positiv auf die Lesekompetenz und Lesemotivation der Schüler auswirkt. Schließlich ist das Lesen nach wie vor eine wichtige Schlüsselqualifikation in unserer Gesellschaft, die es zu fördern gilt. Im Rahmen mehrerer Interviews habe ich untersucht, welche Rolle Hörspiele im Alltag von Kindern einnehmen. Drei zu bewertende Hörspielhörproben sollen darüber Aufschluss geben, nach welchen Kriterien die Kinder Hörspiele beurteilen und ob es bevorzugte Genres gibt.
2. Auditive Medien im Alltag von Kindern
In den letzten Jahren hat sich das Medienangebot enorm erweitert. Neben die klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Tonträger treten zunehmend neue Medien wie Tablets, Smartphones und Spielkonsolen. Voraussetzung für die produktive Arbeit mit Hörspielen in der Schule ist daher, sich einen Überblick über die kindliche Ausstattung und Nutzung auditiver Medien zu verschaffen. Erst mit diesem Wissen lässt sich ein an dem Vorwissen der Schüler orientierter Unterricht gestalten. Hörspiele können heutzutage nicht nur über Kassette und Compact Disc, sondern auch über das Internet und Online-Mediatheken konsumiert werden.
Einer Untersuchung von Wolfgang Tietze zufolge besitzen 93,8 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder einen Kassettenrecorder. Dieser hohe Prozentsatz zeigt, dass die meisten Kinder bereits bevor sie schulpflichtig werden, einen Kassettenrecorder besitzen. Im Vergleich dazu besitzen nur 13,9 Prozent der Kinder einen Computer (vgl. Tietze/ Peek/ Link in Pöttinger 1997, S. 23). Mögliche Gründe hierfür sind der geringe Schwierigkeitsgrad der Bedienung, die raumsparende und leicht zu transportierende Beschaffenheit sowie der geringe Preis der Kassettenrecorder. Betrachtet man die Zahlen von Klingler von Anfang der neunziger Jahre, so lässt sich feststellen, dass die Hörmedien damals von Kindern zwischen sechs und dreizehn Jahren häufiger genutzt wurden als heute. Dennoch nehmen Hörspiele auch heute noch eine große Rolle im Alltag der Kinder ein. Deutschland ist das Land, in dem die meisten Hörspiele produziert und gehört werden. Die erfolgreichste Hörspielreihe ist mit über 45 Millionen verkauften Tonträgern die Serie Die drei ??? (Allgemeine Zeitung, 2015). Laut Rogge haben Hörspiele insbesondere für Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren einen subjektiv hohen Stellenwert (Rogge in Oestreich 2006, S. 38). Eine Untersuchung der ARD/ ZDF-Medienkommission zeigt, dass der Hörspielkonsum mit zunehmendem Alter abnimmt. Während 39 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen mindestens einmal pro Woche Hörspiele hören, sind es bei den Zehn- bis Elfjährigen 30 Prozent und bei den Zwölf- bis Dreizehnjährigen nur noch 22 Prozent (vgl. ARD/ ZDF-Medienkommission 2004, S.9). Mögliche Gründe für das schwindende Interesse könnten die Attraktivität anderer neuer elektronischer Medien wie Spielkonsolen und Smartphones sowie die Zuwendung zur Musik sein. Insgesamt betrachtet hören Mädchen mehr Hörspiele als Jungen (Pöttinger 1997, S. 26). Laut Hansen und Manzke hören ältere Kinder häufiger alleine als Jüngere (Vierjährige: 53,6 Prozent, Zehnjährige: 71,8 Prozent) (Hansen/ Manzke in Pöttinger 1997, S. 50).
Die KIM-Studie 2003 zeigt, dass nur eine Minderheit der Kinder schon einmal selbst ein Hörspiel (5 Prozent), einen Videofilm (6 Prozent), eine Homepage (4 Prozent) oder eine Radiosendung (3 Prozent) gestalten konnte. Scheinbar finden Medienprojekte bisher nur vereinzelt in den Grundschulen statt (Oestreich 2006, S. 65). Möglicherweise hängt dies zum einen mit der medialen Ausstattung der Schulen und zum anderen mit der Medienkompetenz der Lehrkräfte zusammen. 2003 verfügten 82 Prozent der Schulen über einen Computerraum und 22 Prozent über einen Computer im Klassenraum (vgl. Feierabend/ Klingler 2003, S. 37 f.). Im häuslichen Umfeld können 97 Prozent der Schüler auf einen Computer zurückgreifen (Eickelmann 2014, S. 102 f.). Somit besteht zwar, was die mediale Ausstattung des Unterrichts betrifft, durchaus Entwicklungsbedarf, aber die Grundbedingungen für die Durchführung eines Hörspielprojektes sind überwiegend gegeben. Es gilt daher Möglichkeiten zu finden, die Medien sinnvoll in den Unterricht zu integrieren.
3. Rechtliche Grundlagen
Die Grundschule ist die Grundstufe des Bildungswesens, die alle Kinder in der Bundesrepublik durchlaufen. Die allgemeinen Aufgaben der Grundschule basieren auf dem in der Landesverfassung und dem Schulgesetz vorgegebenen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Alle Schüler sollen ihren individuellen Voraussetzungen entsprechend gefördert werden. Der Unterricht muss sich daher an den Erfahrungen der Schüler orientieren. Zudem sollen die Grundlagen für die weiterführende Schullaufbahn gelegt werden. Das Schulgesetz schreibt vor, dass die wertvollen Anlagen der Kinder zur vollen Entfaltung gebracht und Urteilskraft, Wissen und Können vermittelt werden sollen, um kritisch denkende, verantwortungsvolle und friedfertige Persönlichkeiten auszubilden (Schulgesetzt, Abschnitt I, §1).
Der Bildungsplan 2016 für Baden-Württemberg unterscheidet zwischen prozessbezogenen und inhaltsbezogenen Kompetenzen. Kompetenzen sind beim Individuum verfügbare Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in unterschiedlichen Situationen variabel eingesetzt werden können, sowie die damit verbundenen motivationalen, sozialen und volitionalen Voraussetzungen. Die erste prozessbezogene Kompetenz für das Fach Deutsch bildet das Themengebiet „Sprechen und Zuhören“. Die Arbeit mit Hörspielen wird diesen beiden eng miteinander verknüpften Fähigkeiten, dem Sprechen und dem Zuhören, vollkommen gerecht. Die Schüler lernen „sich an Gesprächen [zu] beteiligen“ und „situationsangemessen [zu] sprechen“. Sie „entwickeln und nutzen Gesprächsregeln und setzen Konfliktlösungsstrategien ein“. Im Austausch mit anderen lernen sie „verstehend zuzuhören“ und „unterschiedliche Ausdrucksformen zu nutzen [und] reflektieren“. Außerdem erproben sie das „ausdrucksvolle Sprechen“ und lernen „Medien bewusst für die Kommunikation einzusetzen“ (Bildungsplan 2016, Deutsch, 2.1). Auch die zweite prozessbezogene Kompetenz „Texte verfassen“ kann wunderbar in der Hörspielarbeit integriert werden. Die Schüler können die zu vertonenden Texte und Dialoge selbst schreiben. Dadurch lernen sie „sich schriftlich auszudrücken“ und ihre Texte „gemeinsam und individuell [zu] überarbeiten“. Neben der „orthografischen Richtigkeit“ lernen die Schüler „verständlich, strukturiert, adressaten- und funktionsgerecht [zu] schreiben“. Auch „elektronische Medien [können] als Schreibwerkzeug benutzt“ werden (Bildungsplan 2016, Deutsch, 2.2). In Bezug auf die dritte prozessbezogene Kompetenz „Lesen - mit Texten und Medien umgehen“ lernen die Schüler bei der Arbeit mit Hörspielen sich „kreativ mit Texten auseinanderzusetzen und diese zu präsentieren“. Des Weiteren entwickeln sie die „Fähigkeit, mit verschiedenen Medien bewusst umzugehen“. Im Falle der Hörspielarbeit sind dies insbesondere das Aufnahmegerät, der Computer und der Kassettenrecorder. Die Schüler erweitern durch das regelmäßige Hören von Hörspielen ihre „Leseerfahrungen und die Fähigkeit, diese zu reflektieren“ (Bildungsplan 2016, Deutsch 2.3).
In Bezug auf die inhaltsbezogenen Kompetenzen lernen die Schüler ihre eigene Lesefähigkeit wahrzunehmen und sie entwickeln ein Lese-, beziehungsweise Hörverstehen. Die Kinder können einen Einblick in die aktuelle und klassische Kinderliteratur erhalten und werden zu einem kreativen und produktiven Umgang mit Texten angeregt. Auch die ästhetische Gestaltung von Texten, sowie die Bedeutung von Intonation, Klangfarbe und Tonhöhe können erprobt und wahrgenommen werden. Die Schüler können sich in verschiedene Rollen hineinversetzen, Vorstellungswelten entwickeln und lernen, mit der Sprache experimentell und spielerisch umzugehen. Auch das Präsentieren kann geübt werden (vgl. Bildungsplan 2016, Deutsch, 3.1).
Insgesamt betrachtet wird deutlich, dass ein Hörspielprojekt die im Bildungsplan genannten Kompetenzen großflächig abdecken kann und somit viel Potential in sich trägt. Wichtig ist, dass die Schüler die Sprache als Zugang zur Welt erleben.
4. Auditive Wahrnehmung und Verarbeitung
Frei nach dem Motto „Die Welt mit den Ohren gesehen“, in Anlehnung an das Gedicht von Federico García Lorca („Paysage visto por el nariz“), nimmt der Mensch die Welt noch bevor er sie sehen kann, über das Gehör wahr. Die Sinne erschließen uns die Welt, durch sie begreifen wir unsere Umgebung. Bis zum Schuleintritt ist die Sprache der Kinder ausschließlich mündlich. 70 bis 80 Prozent des Unterrichts in der Schule basieren auf dem Sprechen und Zuhören (Wellmann 2006, S. 319), wobei dem Zuhören meist noch eine größere Rolle zukommt als dem Sprechen (Bergmann 2000, S. 73). Es gilt also, den Kindern ein größeres Spektrum des Wahrnehmens und Zuhörens zu eröffnen (Bergmann 2000, S. 14).
Die Schulung des Zuhörens ist in einer zunehmend vom Auge dominierten Welt besonders wichtig (Oestreich 2006, S. 38). Die Fähigkeit zur bewussten, zielgerichteten akustischen Wahrnehmung kann von den Grundschullehrern nicht vorausgesetzt werden (vgl. Pöttinger 1997, S. 119). Wahrnehmung bedeutet, das Innere für das Äußere zu öffnen und sich so ganzheitlich ein Bild der Umgebung zu erschließen. „Nicht das Auge sieht, sondern der Mensch sieht, [und] nicht das Ohr hört, [sondern] der Mensch hört.“ (vgl. Kükelhaus 1978, S. 7,9). Die Wahrnehmung ist ein lebenslanger Entwicklungsprozess zunehmender Differenzierung (Bergmann 2000, S. 100). Die Schüler müssen zuerst für akustische Reize sensibilisiert werden und lernen, ihren Sinnen und ihrer eigenen Wahrnehmung vertrauen zu können. Die Zuhörkompetenz bedarf daher einer bewussten Pflege, die sich nicht auf ein bestimmtes Schuljahr begrenzen lässt, sondern kontinuierlich Berücksichtigung finden sollte (vgl. Neubauer 1989, S. 65). Es gilt, die Schüler Schritt für Schritt an eine wachere, aufmerksamere und bewusstere Wahrnehmung heranzuführen. Ohne gekonntes Zuhören ist eine aktive Teilnahme am kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Diskurs nicht möglich.
Je mehr Botschaften, Informationen und Geräusche um das Ohr „kämpfen“, umso wichtiger ist das selektive Zuhören. Während die Menschen früher weitaus mehr auf das exakte Zuhören ihrer Umgebung angewiesen waren, und dies auch durchaus über Leben und Tod entscheiden konnte, so müssen die Menschen heute lernen, wichtige von unwichtigen Geräuschen zu trennen. In einer 1969 veröffentlichen Statistik zeigt der Klangforscher Murray Schafer, wie Naturlaute, ausgehend von der Frühkultur bis in die Gegenwart, stetig abgenommen (von 69 Prozent auf 6 Prozent) und die menschlichen Laute und Werkzeug- und Maschinengeräusche in umgekehrtem Maße (von 5 Prozent auf 68 Prozent) zugenommen haben (vgl. Bergmann 2000, S. 160 f.). Insgesamt betrachtet hat die zunehmende Technisierung also auch den Wahrnehmungsprozess verändert. Die Schüler müssen als junge Rezipienten lernen, wichtige Informationen herauszufiltern. Dieser Selektionsprozess bedarf viel Übung. Gerade zu Beginn der Schullaufbahn stellt dies die Kinder vor eine große Herausforderung. Sie müssen lernen, die Nebengeräusche im Klassenraum oder auf dem Pausenhof auszublenden, um produktiv arbeiten zu können und gleichzeitig wichtige Informationen nicht zu verpassen. Damit zusammen hängt die auditive Figur-Grund-Wahrnehmung, also die Fähigkeit, Reize aus ihrem Hintergrund, den Nebengeräuschen, herauszulösen (Oestreich 2006, S. 4). So ist beispielsweise die Stimme des Lehrers im Klassenraum stets hörbar. Dieses Selektionsraster entwickeln und verfeinern die Schüler mit zunehmenden Hörerfahrungen. Während das Sichtbare in der Zeit verharrt, vergeht das Hörbare im Laufe der Zeit. Es ist flüchtig und vergänglich. Genau das macht die auditive Wahrnehmung so komplex. Manfred Lucas geht sogar so weit, dass er sagt, die Selektion sei im Trubel der Welt der „grundlegende Baustein für das Zuhören“ (Lucas 1995, S. 58). Da alle Geräusche praktisch ungehindert in das Ohr eindringen, sind wir akustisch betrachtet schutzbedürftig. „Wir haben zwar Augenlider, aber keine Ohrlider. Hörend sind wir ungeschützt“ (Wellmann 2006, S. 39). Das selektive Zuhören ist somit eine Art Schutzmechanismus, der es uns ermöglicht, dem akustischen Andrang weitestgehend zu entfliehen und nur den interessanten und wichtigen Geräuschen aktiv zuzuwenden.
Das Hören ist, obwohl es im Deutschunterricht kaum geschult wird, eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Sprechen und ist eng mit dem Lese- und Schriftspracherwerb verknüpft. Ein Kind lernt die Sprache zuerst über das Gehör. Wird also der Gehörsinn gefördert, so wird folglich auch der Sprachsinn gefördert (Oestreich 2006, S. 5). In der Vergangenheit wurde oft nur die Produktion der Sprache geübt, nicht jedoch die Rezeption (vgl. Bergmann 2000, S. 57). In Zukunft sollte das Hören daher einen ebenso wichtigen Platz wie das Lesen, Schreiben und Sprechen einnehmen. In der Primarstufe beginnt das Umsetzen von Phonemen in Grapheme. Dies erfordert eine differenzierte auditive Sprachwahrnehmung. Die Schüler müssen die einzelnen Wörter und Wortsegmente identifizieren können (vgl. Bergmann 2000, S. 78). Das Hören gilt daher als Voraussetzung für das Erlernen der Muttersprache und später auch von Fremdsprachen. Hörstörungen ziehen immer auch Sprachstörungen nach sich (Bergmann 2000, S. 52 f.).
Um dem Gegenüber offen und interessiert zuhören zu können, ist eine innere Zuhörbereitschaft erforderlich. Diese Bereitschaft ist je nach Anlass mehr oder minder groß ausgeprägt (Wellmann 2006, S. 225). Oft wird dann nicht richtig zugehört, wenn kein persönlicher Bezug zu dem Thema hergestellt werden kann. Das sollte auch bei der Unterrichtsgestaltung berücksichtigt werden. Der Komponist und Kommunikations-wissenschaftler Barry Truax untergliedert die Höraufmerksamkeit in drei Stufen. Er unterscheidet in „listening-in-search“, „listening-in-readiness“ und „background-listening“, wobei eine Überführung einer Höraufmerksamkeitsstufe in eine andere jederzeit möglich ist (vgl. Truax 1984 in Bergmann 2000, S. 36).
Das Zuhören wird im Sinne der Hörerziehung als eine zu erwerbende Kulturtechnik verstanden, die es genauso zu schulen gilt wie das Lesen oder Schreiben (Bergmann 2000, S. 13). Inzwischen gibt es zahlreiche Hörübungen, anhand derer die Schüler lernen können, ihre Sinne für ihre Umwelt zu öffnen und das Zuhören als eine bewusste und aktive Handlung zu begreifen. Bei einem Hörspaziergang, Hörmemory oder Hörtagebuch wird das Zuhören zum Erlebnis. Die Kinder können auch Lautsouvenirs mitbringen, zur Musik malen oder Geräuschkarten ihrer Schule oder Wohngegend erstellen (vgl. Bergmann 2000, S. 92 f., 181). Die Kinder wenden sich dabei bewusst Geräuschen, Klängen und Wörtern zu und sammeln vielfältige Hörerfahrungen an verschiedenen Orten. Der Sehsinn kann auch einmal bewusst durch das Schließen der Augen reduziert werden. John Cage bringt es auf den Punkt, indem er sagt, „alle Geräusche sind interessant, wenn man ihnen richtig zuhört“ (vgl. Cage in Wellmann 2006, S. 142).
Das richtige Zuhören hat auch Einfluss auf das Klassenklima. Hören sich die Schüler aktiv zu, so entsteht ein besseres Klima und die Unterrichtsgespräche werden intensiviert. Das aktive Zuhören geht ursprünglich auf Carl Rogers und seine klientenzentrierte Gesprächstherapie zurück. Die Grundeinstellung des aktiven Zuhörens lautet, sich dem anderen uneingeschränkt zuzuwenden und das Gesagte vorurteilslos zu akzeptieren (vgl. Wellmann 2006, S. 219, 259; Oestreich 2006, S. 6). „Das Ohr ist das Tor, durch das [die] Sprache von Mensch zu Mensch gelangt“ (Hellbrück 1993 in Bergmann 2000, S. 53) und somit der „Schlüssel zur Kommunikation“ (Lucas 1995, S. 7). Erst die verbalisierte Sprache ermöglicht die komplexen zwischenmenschlichen Interaktionen. Mit Menschen zu sprechen ist „keine Einbahnstraße“, sondern ein vielschichtiger Prozess (Lucas 1995, S. 93). Viele Ratgeber mit Titeln wie „Das habe ich so nicht gemeint“ oder „Du verstehst mich überhaupt nicht richtig“, die seit Jahren auf der Bestsellerliste ihre Stellung halten, zeigen, dass das aktive Zuhören keine leichte Aufgabe ist. In den USA hat das Fach „Zuhören“ schon seit einiger Zeit in Schulen und Hochschulen seinen Platz gefunden (Lucas 1995, S. 29). Wichtig ist, dass das Ohr ins Bewusstsein der Schüler gerückt wird. Sie sollen das bewusste Zuhören lernen und zunehmend in der Lage sein, das Gehörte verbal zu beschreiben und sich selbst zu artikulieren.
Insgesamt betrachtet zeigt sich, dass die Schulung des Zuhörens eine eigenständige Daseinsberechtigung hat und als fächerübergreifende Aufgabe betrachtet werden sollte (Bergmann 2000, S. 90, 118). Das Zuhören ist ein aktives, erlernbares Handeln (Lucas 1995, S. 9). Wichtig ist es, stets zu berücksichtigen, dass das Hören meist integrativ, also mit den anderen Sinnen eng vernetzt, geschieht (Bergmann 2000, S. 94). Daher sollte das finale Ziel die ganzheitliche, bewusste Wahrnehmung sein.
5. Kritische Betrachtung der Hörspielarbeit
5.1 Potentiale der Hörspielarbeit
Im Rahmen der Hörspielarbeit können sich die Schüler verschiedene Wahrnehmungs-, Handlungs- und Nutzungskompetenzen aneignen. Im Folgenden werden diese genauer betrachtet und erläutert.
Bei der Arbeit mit Hörspielen steht die Handlungsorientierung im Vordergrund. Die Schüler begreifen sich als selbsttätig Handelnde. Sie müssen nicht nur alles sitzend aufmerksam aufnehmen, Hand- und Kopfarbeit stehen in einer dynamischen Wechselwirkung (vgl. Bergmann 2000, S. 200; Pöttinger 1997, S. 114). Der Unterricht soll dem Bewegungsdrang, der Spiel- und Entdeckerlust sowie der Neugier der Kinder entgegenkommen. Es geht in erster Linie nicht um das Endergebnis, sondern um den Schaffungsprozess (Berndt 1994, S. 146). Ausgangspunkt sind die Interessen und Erfahrungen der Schüler. Sie werden bei der Planung, Durchführung und Reflexion des Unterrichts miteinbezogen. Durch den eher offenen Unterrichtscharakter wird die Eigenständigkeit und Eigenaktivität der Schüler gefördert. Das selbstständige Erarbeiten stärkt die Autonomie der Kinder und ist für das spätere Handeln sehr bedeutsam (vgl. Bergmann 2000, S. 138; Oestreich 2006, S. 76). Als fächerübergreifendes Projekt angelegt, ist ein intensives, ganzheitliches und vernetzendes Lernen möglich, ohne den Drang, rasch zum nächsten Thema voranzuschreiten.
Neben der Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten wird auch die von Arbeitgebern immer häufiger vorausgesetzte Teamfähigkeit und das arbeitsteilige Verhalten geübt. Der Wechsel zwischen Klassenunterricht, Gruppen-, Partner- und Einzelarbeit führt neben der Abwechslung zur Ausbildung sozialer Kompetenzen. Die Schüler lernen, ihre Mitschüler zu Wort kommen zu lassen, verständlich zu kommunizieren und Absprachen zu vereinbaren und auch einzuhalten. Auch die Kritikfähigkeit, also das Feedback geben und annehmen, werden praktiziert. Das Besondere an der Hörspielarbeit ist, dass sich alle Schüler einbringen können. Jeder kann sich durch den Einsatz seiner Stärken beteiligen und so zum Gelingen beitragen. Durch die Interaktion zwischen den Schülern entwickelt sich eine angenehme Arbeitsatmosphäre, in der nicht der Konkurrenzkampf, sondern die Kooperation im Vordergrund steht.
[...]
[1] Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlechter.