Wirkt Anfechtung eines Mietvertrages ex tunc oder ex nunc?


Hausarbeit, 2018

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Der Mietvertrag
1.2 Die Anfechtung
1.3 Die Anfechtung im Mietrecht

2. Streitstand
2.1 Für Wirkung ex nunc
2.2 Für Wirkung ex tunc

3. Zusammenfassung und Streitentscheid

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Der Mietvertrag

Im Mittelpunkt des Mietvertrags steht, anders als beim Kaufvertrag, nicht die Übereignung einer Sache, sondern deren zeitweilige Überlas- sung.1 Der Vermieter hat dem Mieter den Gebrauch der Mietsache wäh- rend der Mietzeit zu gewähren, § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB. Hierin zeigt sich die besondere Problematik des Mietvertrags, nämlich die Ge- brauchsüberlassung.2 Der Abschluss eines Mietvertrags zielt somit nicht auf einen einmaligen Austausch zwischen Vermieter und Mieter ab. Vielmehr soll ein Verhältnis geschaffen werden, das den Mieter be- rechtigt, dauerhaft eine Sache in seinem Besitz zu nehmen. Im Gegen- zug verpflichtet sich der Mieter zur Zahlung der Miete, § 535 Abs. 2 BGB. Der Mietvertrag stellt somit ein Dauerschuldverhältnis dar und zählt aufgrund der Konstellation der am Rechtsgeschäft Beteiligten zu den gegenseitigen Verträgen im Sinne der §§ 320ff. BGB.3

Die Bedeutung der Wohnraummiete in der Lebenswirklichkeit ist her- vorzuheben.4 Grund hierfür ist nicht nur die wirtschaftliche Rolle – allein im Jahr 2016 wurde mit der Vermietung und Verpachtung von Grund- stücken, Gebäuden und Wohnungen ein Umsatz in Höhe von fast 92,1 Mrd. Euro erzielt (ohne private Vermietung) 5 –, sondern auch die sozia- le Komponente der Wohnraummiete. Hierbei wird der Mieter als schutzbedürftig empfunden.6 Schließlich ist die Wohnung Grundlage der Existenz.7 Folglich ist eine personale Leistungsbeziehung imma- nenter Bestandteil der Wohnraummiete.8 Das BGB soll dieser Situation Rechnung tragen.9 Besonders deutlich wird dies anhand der explizit auf die Wohnraummiete anwendbaren Normen der §§ 549–577a BGB. Der Grundsatz der Privatautonomie wird hier zugunsten des Mieters einge- schränkt.10 Abzugrenzen ist der Mietvertrag insbesondere vom eben- falls wirtschaftlich bedeutenden Leasing.11

1.2 Die Anfechtung

Die Anfechtung ist in den §§ 119 bis 124, sowie in den §§ 142 bis 144 des BGB geregelt und gehört somit zu dem Allgemeinen Teil des BGB. Die Systematik des BGB sieht es vor, dass die Normen des Allgemei- nen Teils grundsätzlich uneingeschränkte Anwendung auf die Regelun- gen des Besonderen Teils des BGB finden.12

Voraussetzung für eine wirksame Anfechtung ist ein beachtlicher An- fechtungsgrund. Der erklärte Wille muss also rechtserheblich von dem tatsächlichen Willen abweichen oder eine Partei bei ihrer Willensbildung arglistig getäuscht oder bedroht worden sein.13

Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungs- gegner, § 143 Abs. 1 BGB. Zu beachten sind die jeweiligen Anfech- tungsfristen. Bei der arglistigen Täuschung beginnt die Frist mit Entde- ckung der Täuschung und läuft ein Jahr, §§ 124 Abs. 1, § 124 Abs. 2 BGB. Wer aus anderen Gründen anfechten will, muss dies nach Kennt- nis den Anfechtungsgrundes unverzüglich erklären, § 121 Abs. 1 BGB. Die Rechtsfolge der Anfechtung ist in § 142 BGB festgelegt. Eine An- fechtung führt dazu, dass das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Die Anfechtung wirkt somit grundsätz- lich ex-tunc. Man spricht insoweit von einer gesetzlichen Rückwirkungs- funktion. Wird mit Gründen der §§ 119, 120 BGB angefochten, so ist dem Anfechtungsgegner ein entstandener Vertrauensschaden zu er- setzen, § 122 BGB. Der Anfechtungsgegner ist so zu stellen, als sei es nie zum Geschäft gekommen.14 Dem Anfechtungsgegner wird also sein negatives Interesse ersetzt, mithin die auf die Gültigkeit vertrauenden Aufwendungen, aber nicht ein etwaiger Gewinn.15

Die Nichtigkeit des Vertrags zieht eine bereicherungsrechtliche Rück- abwicklung nach sich. Die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 BGB können nur erfüllt sein, da ja gerade Leistungen stattgefunden haben, ohne dass ein Rechtsgrund hierzu (immer noch) besteht. Ziel der Rückabwicklung muss es dabei sein, einen Vermögensausgleich durch Herausgabe des jeweils Erlangten herbeizuführen.16

1.3 Die Anfechtung im Mietrecht

Grundsätzlich sind auch im Mietrecht alle im BGB normierten Anfech- tungsgründe denkbar. Das ist für den Fall der arglistigen Täuschung, § 123 BGB, unschwer vorzustellen. Hierunter fallen nämlich die unrich- tige Beantwortung zulässiger Fragen und die unterlassene Aufklärung über etwaige Mängel der Mietsache.17 Ähnlich praxisrelevante Beispiele lassen sich auch für den Eigenschaftsirrtum (z.B.: Kinderfreundlichkeit der Wohnung18 ; ein aufgrund begangener Vermögensdelikte verurteilter Vermieter19 ) finden. Auch Inhalts- und Erklärungsirrtum sind Ausgangs- punkt für Anfechtungen bei Mietverträgen.20

Zu fragen ist, ob aufgrund des aufgezeigten Charakters des Mietver- trags als Dauerschuldverhältnis ausnahmsweise die Anfechtung nicht ex-tunc, sondern nur ex-nunc wirkt. Dabei besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass die Anfechtung bei einem noch nicht in Gang gesetzten Mietverhältnis ex-tunc wirken soll.21

Voranzustellen ist, dass die im § 142 BGB festgelegte Anfechtungswir- kung nicht dogmatischer Natur, sondern als gesetzgeberische Ent- scheidung zu verstehen ist.22 Zudem wird bezweifelt, ob § 142 BGB überhaupt die Gattung der Dauerschuldverhältnisse abdeckt.23 Einzelne Regelungen zur Anfechtung im Mietrecht lassen sich nicht finden.24 Es lässt sich also mit voller Berechtigung darüber streiten, welche Wirkung die Anfechtung im Mietrecht entfalten soll.

2. Streitstand

2.1 Für Wirkung ex nunc

Wie oben beschrieben, wird der Mieter als schützenswert empfunden. Der Mieter müsse auf den Bestand des Mietvertrags vertrauen kön- nen.25 Betrachte man die Regelungen über die Wohnraummiete, so zeige sich der gesetzgeberische Wille, dem Mieter Rechte an die Hand zu geben, die ein langfristiges Mietverhältnis sichern sollen.26 So ist eine ordentliche Kündigung des Vermieters gemäß § 573 BGB bei schuldlosen Verhalten des Mieters regelmäßig nur beim sogenannten Eigenbedarf möglich. Selbst bei einem geplanten Verkauf der Wohnung wird der Mieter durch sein Vorkaufsrecht nach § 577 BGB in seinem Ziel, weiterhin die Wohnung zu nutzen, geschützt.27 Diese Regelung sei somit eine des Bestandschutzes. 28 Ist der Vertrag aber von Anfang an nichtig, so gelten die §§ 535ff. BGB nicht mehr. Zudem laufe der Mieter Gefahr, durch eine jederzeit mögliche und dann rückwirkende Anfech- tung bereicherungsrechtliche Ansprüche über in der Vergangenheit lie- gende Zeiträume gegen sich gelten lassen zu müssen. Auch der Ver- mieter erfahre dann Nachteile. Ein Anspruch auf das Vermieterpfand- recht aus § 562 BGB besteht nach erfolgter Anfechtung nicht mehr.29 Die Anfechtung stehe also in einem gegensätzlichen Verhältnis zum Bestandsschutz. Vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Motivati- on zum Mietrecht müsse daher der Bestandsschutz höher gewertet werden als die Rückwirkung der Anfechtung.

Weiterhin ist zu fragen, ob eine Rückabwicklung gemäß §§ 812ff. BGB dem Mietvertrag gerecht wird. Anders als beim Kaufvertrag ist die tat- sächliche, physische Rückabwicklung im Sinne eines Ungeschehen- Machens nicht denkbar. Die Gebrauchsüberlassung der Mietsache ist unmöglich herauszugeben. Hier helfe zwar § 818 Abs. 2 BGB, der an- ordnet, auf den Geldeswert der empfangenen Leistung (also die ortsüb- liche Miete30 ) abzustellen. Angesichts der zahlreichen wechselseitigen Ansprüche aus dem Mietvertrag erscheine die Rückabwicklung trotz- dem nicht passend. So bestehe zum Beispiel in der Praxis für den Ver- mieter das Problem verbrauchsabhängigen Mietnebenkosten an den Mieter zurückzahlen zu müssen, soweit keine Nebenkostenabrechnun- gen erstellt werden.31

Letztlich seien also die Lehren des fehlerhaften Arbeitsvertrags auf den Mietvertrag teleologisch anzuwenden. Mit der Folge, dass die Anfech- tung eben gerade nicht mehr zurückwirkt.

Zudem sei Ausblick in ein anderes Dauerschuldverhältnis zu nehmen. Im Gesellschaftsrecht führt eine Anfechtung einer fehlerhaften Gesell- schaft regelmäßig nicht zur Nichtigkeit von Anfang an.32 Dort wird die rechtliche Anerkennung der Gesellschaft bis zur Erklärung der Anfech- tung letztlich deshalb nicht verweigert, weil sich sonst unvertretbare Konsequenzen (= Untergang des Haftungssubjekts33 ) ergeben wür- den.34 Hintergrund dieser Einschränkung soll also der Schutz von Drit- ten sein. Dieser Gedanke sei auch im Mietrecht gegenüber der Anfech- tungswirkung ex tunc zu bevorzugen.

Letztlich bleibt noch die Meinung, dass die Anfechtung regelmäßig aus- geschlossen sei, da sie von den speziellen mietrechtlichen Instituten verdrängt werde.35 Folglich sollen Gründe einer möglichen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung hauptsächlich über die Normen der au- ßerordentlichen Kündigung, §§ 543, 569 BGB und die einer Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums über die Gewährleistungsrechte, §§ 536ff. BGB, reguliert werden.36

Die Kündigung kennt keine Rückwirkung, sie wirkt ex-nunc. Bleibt ei- nem Vertragspartner allerdings auch das Recht, den Vertrag (wirksam) anzufechten, so bestehe die Möglichkeit, sich den Vorschriften über die Kündigung zu entziehen.37 Dies müsse verhindert werden.

Gravierende Auswirkungen der Konkurrenz zwischen den speziellen Regeln des Mietrechts und den allgemeinen Anfechtungsvorschriften seien auch bei der Frage der Mängelbeseitigung zu beobachten. Das BGB sieht bei Auftreten von Sachmängeln das Recht zur Mietminde- rung gemäß § 536 BGB vor. Ein Recht, sich vom Vertrag zu lösen, wird aber gerade nicht eingeräumt. Zum Vergleich biete sich ein Blick in das Kaufrecht an. Dort soll dem Verkäufer die Chance eingeräumt werden, den Mangel zu beheben. Der Anspruch auf Nacherfüllung ist vorran- gig.38 Der Verkäufer soll sein Geschäft auch bei Auftreten eines Man- gels abwickeln können. Eine Vernichtung des gesamten Vertrags durch Anfechtung wird als unbillig empfunden.39 Dieser Gedanke sei so ins Mietrecht zu übernehmen. Auch hier müsse durch den Vorrang der mietrechtlichen Regelungen verhindert werden, dass sich ein Mieter bei Auftreten eines Mangels nur allzu leicht vom Vertrag lösen könne.40

[...]


1 Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, § 92, Rn. 411.

2 B r ox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 2. Kapitel, Rn. 1.

3 W eidenkaff, in: Palandt BGB, Einf. v. § 535 Rn.2.

4 Häublein, in: MüKo BGB MietR, Einl. MietR/PachtR Rn.4.

5 Statistisches Bundesamt, Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich, Art.- Nr.:2090430167004, S. 5.

6 BT-Dr. 7/2011, S.7.

7 Looschelders, Schuldrecht BT, § 21, Rn. 392.

8 W eller, JZ, 2012, 881, 883.

9 Zerres, Bürgerliches Recht, S. 212.

10 Häublein, in: MüKo BGB MietR, v. § 535, Rn. 42.

11 Zur Abgrenzung sehr ausführlich: Sternel, Mietrecht aktuell, I Rn. 4ff.

12 B r ox, Walker, Allgemeiner Teil des BGB § 2 Rn. 37.

13 S tadler, Allgemeiner Teil des BGB, § 25, Rn. 19.

14 S tadler, Allgemeiner Teil des BGB, § 25, Rn. 66.

15 G ergen, in: jurisPK-BGB, § 122, Rn. 10.

16 Zerres, Bürgerliches Recht, S. 282.

17 E mmerich, NZM, 1998, 692, 696.

18 LG Essen, Urteil v. 20.07.2004, NZM, 2006, 294.

19 AG Donaueschingen, Urteil v. 16.01.2014, WuM, 2014, 595–599.

20 Für Beispiele: Fischer, NZM 2005, 567, 571.

21 Illmer in: jurisPK-BGB, § 142 Rn.18, W i ederhold in: BeckOK BGB § 536 Rn. 32, LG Köln, Urteil v. 01.12.1984, WuM,1984, 297, Rn. 8, Eisenschmid, in: Schmidt- Futterer Mietrecht, § 536, Rn. 595.

22 B usche, in: MüKo BGB, § 142, Rn. 15.

23 P awlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S.311.

24 Hille, WuM, 1984, 292.

25 LG Wuppertal, Urteil v. 17.11.1998, WuM, 1999, 39–41 Rn. 28.

26 Häublein, in: MüKo BGB MietR, v. § 535, Rn. 43.

27 BT-Drs. 12/3254 S. 40.

28 Häublein, in: MüKo BGB, § 577a, Rn. 1 .

29 Fischer, NZM 2005, 567, 570.

30 OLG Nürnberg, Urteil v. 03.02.1998, NZM, 1998, 375, 376, Rn. 25.

31 G eldmacher, Mietrecht kompakt, 2009, S. 3.

32 B usche, in: MüKo BGB § 142, Rn. 19.

33 Hille, WuM, 1984, 292, 293.

34 BGH v. 24.10.1951, BHGZ 3, 285–292 Rn. 10.

35 LG Wuppertal, Urteil v. 17.11.1998, WuM 1999, 39–41 Rn. 27, Teichmann, in: Jauernig BGB, § 536 Rn. 2, Häublein, in: MüKo BGB MietR v. § 536 Rn. 24, Stadler, All gemeiner Teil des BGB, § 25, Rn. 71, Weller, JZ, 881, 888.

36 Fischer , NZM 2005, 567, 570.

37 Dötsch, NZM 2011, 457, 458.

38 Looschelders, Schuldrecht BT, §4, Rn. 82.

39 Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, § 77, Rn. 123

40 S c hüller, in: BeckOK Mietrecht, § 536, Rn.1.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Wirkt Anfechtung eines Mietvertrages ex tunc oder ex nunc?
Hochschule
Hochschule RheinMain
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
16
Katalognummer
V507913
ISBN (eBook)
9783346066572
ISBN (Buch)
9783346066589
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mietrecht, Anfechtung, ex tunc, ex nunc, § 142 BGB, § 535 BGB
Arbeit zitieren
Kilian Chaberny (Autor:in), 2018, Wirkt Anfechtung eines Mietvertrages ex tunc oder ex nunc?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/507913

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