Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Deutschland im Wandel
2.1 Das Streben nach Einigkeit, Recht und Freiheit
3. Robert Eduard Prutz
3.1 Zur Geschichte einer politischen Poesie in Deutschland.
3.1.1 Der Import von Politik in die Literatur
4. Wilhelm Heinrich Riehl
4.1 Sondergeist und Einigungstrieb im deutschen Volksleben
4.1.1 Zu der Bedeutung von Literatur für die Politik
5. Sondergeist und Einigungstrieb im deutschen Volke versus Zur Geschichte einer politischen Poesie in Deutschland – Ein Textvergleich
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
7.1 Internetquellen
1. Einleitung
Deutschlands realistische Literaturgattung entstand zu einer Zeit des Umbruchs, des Änderungswillens und der Neugier im Volk. Sie löste sich von alten Kunstidealen und beschäftigte sich mit ihrer Umwelt, indem sie die menschliche Verfassung thematisierte, historisch-politisch konkretisierte, regional differenzierte und an repräsentativen Einzelfällen problematisierte (Kohl, 1977, S. 81-82 und Aust 2006, S. 20). Eine Literaturerscheinung, deren Erfolg in engem Zusammenhang mit den sozialen und politischen Geschehnissen ihrer Zeit steht. Diese Beziehung zweier differenter Systeme und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit stellt das Thema dieser Hausarbeit dar.
Hat sich die Politik durch die realistische Literaturgattung verändert?
Wurde die realistische Literatur durch die politischen Geschehnisse beeinflusst?
Kann man von einer Wechselwirkung beider Systeme sprechen?
Diese Fragen bilden den Kern dieser Arbeit. Anhand der Analyse zweier nahezu zeitgleich veröffentlichter Texte der Literaturforscher Robert Prutz und Wilhelm Riehl wird der Versuch ihrer Beantwortung unternommen.
Da beide Autoren sich in den betreffenden Werken mit den Ereignissen um 1848 auseinandersetzen und die Schriften auch nur wenig später 1854 veröffentlicht wurden, wird zu Beginn der Bearbeitung ein Überblick zum politischen und gesellschaftlichen Geschehen, das sich mit der Märzrevolution abspielte, vorangestellt. Folgend werden die Texte, durch wichtige biografische Aspekte der Autoren eingeleitet, analysiert, um sie abschließend zu vergleichen und signifikante Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede herauszustellen.
Im Anschluss an die Fragmentierung der beiden Schriften und dem konkludierenden Vergleich wird die Leitthematik der Arbeit im abschließenden Fazit wieder aufgenommen und der Versuch unternommen, die anfangs formulierten Orientierungsfragen zur Interferenz von realistischer Literatur und Politik zu beantworten.
2. Deutschland im Wandel
2.1 Das Streben nach Einigkeit, Recht und Freiheit
Die Märzrevolution 1848 kann aus heutiger Sicht als das Ende einer langen Zündschnur betrachtet werden. Ein revolutionärer Ausbruch lag bereits in der Luft und wurde vom Volk erwartet (Osterhammel, 2009, S. 778). Soziale Ungerechtigkeit und das Nichtumsetzen erhoffter Reformen wie den Freiheitsrechten hatten das deutsche Staatssystem ins Wanken gebracht (Rehm, 2002, S. 1). Durch die Hungersnot und wirtschaftliche Turbulenzen 1847 wurde das deutsche Volk seiner Perspektivlosigkeit immer mehr gewahr und der Ruf nach Veränderung, nach einer freiheitlich-volkstümlichen Neuordnung wurde lauter. Die unterschiedlichen Stände rückten in ihren Bestrebungen enger zusammen, Bauern und städtische Unterschichten wollten soziale Gerechtigkeit, das Bürgertum strebte eine neue Verfassung an und immer häufiger wurde die Frage gestellt, ob sich all ihre Probleme nicht besser in einem geeinten Deutschland lösen ließen (Rehm, 2002, S. 2).
Die Nachricht der Februaraufstände in Frankreich war letztendlich der Funke, der die explosive Stimmung im deutschen Vielvölkerstaat zur Detonation brachte.
Handwerk, Proletariat, Bürgertum und Bauern fanden sich in zahlreichen Versammlungen, Vereinen und anderen Organisationen zusammen, um ihren Unmut gegen die herrschenden Verhältnisse kundzutun und eigene Forderungen nach Einigkeit und Freiheit zu vertreten (Riehl, 1854, S. 18-19). In zahlreichen Staaten Deutschlands kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen von Aufständischen und Regierungstruppen. Nach den blutigen Straßenkämpfen am 18. und 19. März in Berlin zogen sich viele der alten Mächte nahezu kampflos zurück und schufen Platz für die schnell gebildeten Märzministerien, in denen nun langjährige Oppositionsführer Politik gestalteten (Rehm, 2002, S. 2).
Die Ziele zur Schaffung eines Nationalparlaments, zur Einführung einer demokratischen Verfassung, der Garantie eines Rechtsstaates und der Gewährung einer Pressefreiheit waren schnell formuliert. Ihre Umsetzung drohte jedoch schon bald an der Uneinigkeit einzelner deutscher Staaten, an gespaltenen Politiker-Egos und abschweifenden Revolutionsinteressen zu scheitern (Aust, 2006, S. 13). Auch der Einfluss der omnipräsenten konservativen Mächte, insbesondere ihre Befehlsgewalt über das Militär, wurden aufgrund der raschen Erfolge der Märzrevolution unterschätzt. Zwar kam es auf Grundlage eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer noch zur Wahl einer gesamtdeutschen Nationalversammlung, die auch in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat, ihre ausgearbeitete Verfassung trat jedoch nie in Kraft. Die alten Obrigkeiten übergingen in außenpolitischen Fragen die Autorität des Nationalparlaments, das sich schlussendlich aufgrund mangelnder militärischer Befehlsgewalt den feudalen Staatsgewalten beugen musste. Die Folge waren wütende Aufstände der revolutionären Kräfte, die das Nachgeben der Politiker nicht akzeptieren wollten. Es kam zu erneuten Aufständen, die jedoch durch das Einschreiten des Militärs niedergeschlagen wurden. Der Niedergang des ersten gesamtdeutschen Parlaments[1] konnte nicht mehr aufgehalten werden und die vormaligen politischen Verhältnisse wurden wieder hergestellt (Hils-Brockhoff und Hock, 2004, S. 23-24, 53-54, 61-62).
Obwohl die Revolution letztendlich scheiterte, blieben doch einige Errungenschaften wie das Ende des Absolutismus, die Relativierung der feudalen Gesellschaft und die Gründung einer nationalen Öffentlichkeit bestehen. Sie sollten als Erbschaften des nationalen Aufstandes von 1848 auch die weiteren Jahre überdauern (Aust, 2006, S. 14).
3. Robert Eduard Prutz
Robert Eduard Prutz wurde 1816 in Stettin geboren. Schon zu Schulzeiten zeigte der Sohn eines Kaufmanns, durch Uhland und Heine motiviert, großes Interesse an Literatur. Während seines Philologiestudiums 1834-38 veröffentlichte er erstmals eigene Gedichte und schloss sich dem Kreis der Junghegelianer um Arnold Ruge[2] an. Seine folgenden Veröffentlichungen, in denen er Freiheit und Konstitution forderte, spiegelten sein politisches Engagement wieder. Dabei orientierte er sich vor allem an Arbeiten von Georg Gottfried Gervinus[3], der den Zusammenhang politischer und literarischer Geschichte unterstrich.
Prutz zog selbst nie praktische Konsequenzen aus seinen Erkenntnissen, sondern zog es vor, als informierende Instanz für eine breite Leserschaft aktiv zu sein. Diese Aktivität machte sich in seinen weiteren Veröffentlichungen, historischen Dramen und einer satirischen Komödie, bemerkbar (1843-46). Letztere führte sogar zu einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung. In der Konsequenz musste er sich in seinem weiteren Wirken mit Bespitzelungen, Zensur und Aufführungsverboten auseinandersetzen.
An den Ereignissen von 1848 nahm er nur zurückhaltend teil, da er weniger durch Umsturz als durch Bewusstseinswandel für Freiheit zu kämpfen versuchte. Als Redakteur des konstitutionellen Klubs Berlin vertrat er die Auffassung einer schriftlichen Lösung politisch-gesellschaftlicher Probleme. 1849 nahm Prutz eine Professur für Literaturgeschichte in Halle an, musste diese jedoch zehn Jahre später aus gesundheitlichen Gründen niederlegen. In dieser Zeit (1851) begann er die Zeitschrift Deutsches Museum herauszugeben, aus der auch der im nächsten Kapitel behandelte Text stammt. Dieser gehört zu seinen letzten Veröffentlichungen, in denen seine sozialkritischen Ambitionen deutlich wurden. Prutz starb 1872 in Stettin (Bergmann, 2001, S. 748-749)
3.1 Zur Geschichte einer politischen Poesie in Deutschland
3.1.1 Der Import von Politik in die Literatur
In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Deutsches Museum veröffentlichte der damalige Literaturgeschichtsprofessor Robert Prutz 1854 den auf den folgenden Seiten behandelten Text, in welchem er den Erfolg einer neuen Literaturgattung sowie ihre Verbindung zu Volk und Politik beschreibt. Eben dieser Verbindung wird in der anschließenden Analyse des Textes besondere Aufmerksam zuteil.
Prutz sah den Erfolg von Literatur dort begründet, wo sie in der Lage ist, dem Volk „einen Spiegel des eigenen Daseins vorzuhalten“ (Prutz, 1854, S. 101). Hierauf führt er unter anderem den Aufschwung der politischen Poesie zurück. Die Poeten schafften es seiner Meinung nach, sich in dem Moment, wo es dem Volk nach Neuem, nach Veränderung verlangte, von alten Normen und Idealen der Poesie zu lösen und die Neugier des Publikums durch die Darstellung der politischen Wirklichkeit zu befriedigen. Prutz schrieb in seinem Artikel hierzu:
[…] das Publikum war es ebenfalls überdrüssig, nur immer von Wein und Liebe zu hören; die Poesie lüftete neugierig den Vorhang, der das Allerheiligste des Staates bis dahin verdeckt hatte, und das Publikum war ebenfalls seit lange von Neugier geplagt, wie es im Inneren dieser Maschine, deren Tätigkeit so viel Lärm machte und deren Erhaltung so große Opfer brachte, wohl eigentlich aussehe […] (Prutz, 1884, S.101).
Für den in seinen Veröffentlichungen immer schon politisch ambitionierten Literaturhistoriker war die neue Literaturgattung also nichts anderes als eine Offenbarung der deutschen Politik und ihres Staatssystems. Für den einfachen Bürger leicht zu verstehen, repräsentierte sie den Änderungstrieb des Volkes und wurde damit zur Gefahr für die konservative Regierung (Prutz, 1884, S. 101-102). Diese Gefahr für die konservativen Mächte betonte Prutz in seinem Text gleich mehrmals und will damit die Macht, welche die politische Lyrik damals in seinen Augen entwickelt hatte, verdeutlichen (Prutz, 1884, S. 102-103).
Mitte der vierziger Jahre nahm das Interesse des Publikums an der jungen Zeitdichtung dann zwar ab, wohl aber nur, weil sich die Menschen in der reaktionären Dorfgeschichte noch besser repräsentiert sahen. Der Umschwung von politischer Poesie zur Dorfgeschichte hatte laut Prutz also nichts mit der mangelndem politischen Anteilnahme des Volkes zu tun, sondern ereignete sich vielmehr an einem Punkt, „[an dem] das politische Interesse des Publikums […] noch im entschiedensten Wachstum war und wo jene allgemeine Umwälzung, welche die Poeten wenige Jahre früher so stürmisch verlangt, so dringend angeraten und empfohlen hatten, allen Ernstes auf dem besten Weg war sich zu verwirklichen (Prutz, 184, S. 104).
[...]
[1] Dezember 1848
[2] Schriftsteller und Vertreter der demokratischen Linken in der Frankfurter Nationalversammlung (Reinalter, 20005).
[3] Historiker und nationalliberaler Politiker (Angerman, 1964).