Wie hängt die Tierkunde mit der Brotgelehrsamkeit zusammen?


Essay, 2019

18 Seiten


Leseprobe


Beantwortung der Frage: Wie hängt die Tierkunde mit der Brotgelehrsamkeit zusammen?

„Die Existenz des Staats und die Existenz der Sklaverei sind unzertrennlich.“ 1.

Die Gesellschaftswissenschaften haben ihren Grund und ihre Bedingung in der geschichtlichen Abfolge des Aufbaus und der Destruktion von Herrschaften und Knechtschaften. Anarchistische Tendenzen tragen den Todeskeim dieser Wissenschaften in sich.

Dagegen war das Bornieren in Herr-Knecht-Mechanismen eines der eilfertigsten Anliegen der abendländischen Geisteswissenschaft von Platons Politeia über Hegels Staatsphilosophie bis Hitlers ‚Mein Kampf‘. Plato hielt Ungebundenheit bei Menschen wie bei Tieren für schädlich, Kant sah im Menschen noch „…ein Thier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nöthig hat.“ 2. In einem Aphorismus äußert Hegel, daß russische Frauen und die Völker der Weltgeschichte die Hundepeitsche verlangen. 3.

Heute kann ich ihnen zurufen: Sie haben sich alle gründlich geirrt, meine Herren! Denn wie es bei einer starken Eiche mit markigen Wuchs auch einige kleine, verdorrte Verästelungen geben kann, so in der langen Emanzipationsgeschichte des Affen zum Menschen, der wahrscheinlich erst von den Bäumen heruntergestiegen, auch einen Bruchteil, in dem er wieder künstlicher Affe wurde: Staatsbürger. Mit der Zeit fegt der Sturm die dürren Zweige ab, mit der Zeit wachsen Generationen heran, die in Revolutionsstürmen den ganzen Staatsplunder 4. von sich abwerfen.

Es waren nicht die Philosophen Kant und St. Pierre, die zuerst die Vision des Ewigen Friedens in der Menschheit aufzeigten, sondern dieser Friede war bereits ein Begehren des Bundschuhs 5., vor allem aber verlangten die Bauern die Abschaffung des Zehnten, also die Beseitigung aller Obrigkeiten, nach Engels “…die Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie…“ 6.

Und diese Idee des Kommunismus, sie taucht wieder auf im Frankreich von 1789. In den Revolutionsjahren erhoben sich dort zeitweise die blutarm gesaugten Klassen, die die konservativen Historiker so gerne als Pöbel rubrizieren, und hegemonisierten für kurze Perioden die ganze Erhebung. Diese Klassen gingen aber bereits über den Horizont der bürgerlichen Gesellschaft hinaus, die für ihre antagonistischen Konflikte immer nur die Lösung: Staat – Armee – Affe in Uniform findet. Im Revolutionskapitel der Phänomenologie des Geistes, das die Dialektik der absoluten Freiheit und des Schreckens aufwirft, arbeitet Hegel diese die bürgerliche Gesellschaft bereits transzendierende Tendenz heraus: er charakterisiert 1789 als „…die die Anarchie zu constituieren strebende Anarchie…“ 7. Was dies nun aber besagen will, geht wiederum über den Horizont der großen Mehrzahl der sogenannten Gesellschaftswissenschaftler hinaus, die Anarchie kann sich natürlich nur universell ausführen, auf der Erdkugel müssen alle staatlichen und sonstigen Unterdrückungsstrukturen völlig aufgehoben werden. Die französische Revolution und ebenso ihr tiefsinniger Analytiker Hegel scheiterten noch an dieser Aufgabe.

Es dauerte aber nach dem Sturz Robespierres gar nicht lange, da veröffentlichte Saint-Simon seine Genfer Briefe mit der Perspektive eines gesellschaftlichen Zustandes, in dem Produktionsprozesse statt Menschen geleitet und Sachen statt Strafgefangene verwaltet werden. War dies nur die Utopie eines originellen Kopfes? 1802 war es Träumerei: es fehlten, theoretisch gesehen, noch die Männer, die an die Stelle der Zukunftsphantasterei, der schnurrpfeifigen Auskonstruktion kommender Geschichte, die Wissenschaft setzten. Diese Männer waren Marx und Engels, aber warum? Weil sich zu ihrer Zeit der fundamentale Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat und dessen innerer Kampf sich soweit vereinfacht hatten, dass die wissenschaftliche Erkenntnis und Lösung der gesellschaftlichen Grundfrage der Herrschaftsfreiheit möglich wurde. Ihr Kommunistisches Manifest legt deshalb auch dar, dass gerade und nur das Proletariat die Klasse der modernen Gesellschaft ist, die als einzige ihre Diktatur nicht nur selbst negieren kann, sondern negieren muss. „Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf.“ 8. Diese weltgeschichtlich genialen Überlegungen wurden 1847 im Kommunistischen Manifest aufgeschrieben, kurz vor der Februarrevolution. Als diese ausbrach, waren diese Einsichten in den kommenden Gang der Geschichte allerdings weit vorausgeeilt. Die Pariser Arbeiter forderten noch ein Ministerium der Arbeit, führten also im Grunde nur erst eine bürgerliche Revolution durch. Auf das Manifest antworteten nur wenige Stimmen.

Aber 23 Jahre später wurde die Pariser Kommune proklamiert: das war die Diktatur des Proletariats, schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr. Das Jahr 1905 brachte eine machtvolle Erhebung in Russland. Streikten in der Zeit von 1895 bis 1905 nur 43 000 Arbeiter pro Jahr, so überstieg die Zahl der Streikenden allein im Januar 1905 die Grenze von 400 000. In dieser Revolution von 1905 schufen die Arbeiter eine eigentümliche Organisationsform, die Sowjets, die 12 Jahre später erneut auf den Plan traten und deren Wesen so hartnäckig verkannt und verleugnet wurde. Die Sowjets sind aber hauptsächlich die „…Vorboten des Absterbens jeden Staates…“ 9. In diesen Zusammenhang gehört auch der wichtige Gedanke Stalins, den er in seinen Vorlesungen an der Swerdlow-Universität darlegte: „Das Proletariat braucht die Partei dazu, um die Diktatur zu erobern und zu behaupten. Die Partei ist ein Instrument der Diktatur des Proletariats. Daraus folgt aber, daß mit dem Verschwinden der Klassen, mit dem Absterben der Diktatur des Proletariats auch die Partei absterben muß.“ 10. Die Partei Lenins stirbt also ebenfalls ab, wird zu einem bestimmten Zeitpunkt selbst ein Hindernis der Produktivkraftentfaltung. Welche bürgerliche Partei, welche Bande politischer Spekulanten hat es bis zu dieser Höhe der Selbstnegation gebracht, welche hat sich selbst als historisch vorübergehende begriffen? Im Gegenteil, sie alle wollen ihr korruptes Schmarotzerdasein bis in alle Ewigkeit verankert wissen. „Wir bekennen uns zur repräsentativen Demokratie, die politische Führung und demokratische Verantwortlichkeit miteinander verbindet. In den Wahlen gibt sie die regelmäßige Möglichkeit zum Regierungswechsel.“ 11. Dass der Bauer fortgesetzt einen Herrn über sich braucht, an dieser Argumentation versuchte sich bereits, aber nun müssen wir uns um einige Jahrhunderte zurückfallen lassen, Thomas von Aquin in seiner Schrift: „Über die Herrschaft der Fürsten“, derselbe Thomas, der 300 Jahre vor dem deutschen Bauernkrieg das Licht der Welt erblickte. Insofern steht noch heute die deutsche Geschichte vor der Wegwahl: Thomas von Aquin oder Thomas Müntzer. Der letzte Weg aber führt eines Tages zum Wegfall von Wahlen.

Hier ist auch der Punkt erreicht, an dem ich in den Streit der philosophischen mit der politologischen Fakultät eintreten muss. Reduzieren wir die Wissenschaft von der Politik auf ihr dürres Gerippe, so zeigt sich: sie untersucht vor allem Herrschaftsverhältnisse unter Menschen bzw. unter Klassen. Und nun wird es für einen Fortschritt ausgegeben, es soll eine Erkenntnis der neueren Zeit sein, dass diese Herrschaftsverhältnisse sich ändern können, wechselhafte sind. Dieses Fortwälzen in die schlechte Unendlichkeit wird durch meine These unterbrochen:

„Herrschaft über Menschen und politische Gesellschaftswissenschaften verhalten sich ebenso reziprok wie Anarchie und nur noch benötigter Naturwissenschaften. Erst hier wirklicher Freiraum und disponible time für Kunst und Musik.“

Hand in Hand mit der Emanzipation der Völker geht der Niedergang der Geisteswissenschaften, der Abbau des Überbaus einher. Verfolgen wir kurz die Hauptzüge des Zerfalls. 12.: Die einst mächtigste geisteswissenschaftliche Disziplin, die Gebieterin der Philosophie war, hat sich zu einer immer rascher verschwindenden Spur verflogen. Der seit der Renaissance einsetzende Ablösungsprozess von mittelalterlichen Weltbildern und die Dominanzverschiebung zu einer neuen Herrin, zur Politik 13., mit einer neuen Selbstbestimmung der ganzen menschlichen Daseinsweise wird von Rousseau während seines Venedigaufenthaltes 1743 prägnant erfasst. Er erkannte plötzlich, dass in Zukunft das Schicksal der Menschheit von der Politik bestimmt sein wird, wie bisher von Religion und Metaphysik. 14. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Marat, der sich in jungen Jahren viel mit philosophischen Problemen auseinandergesetzt hatte, die Wissenschaft von der Politik für die wichtigste hielt, für Napoleon war die Politik auf St. Helena eine unentrinnbare Schicksalsmacht. Aber Napoleon stand natürlich nicht mehr in der Tradition Rousseaus. Mit seiner Aussage, dass ein Erwachsener, der anderen Erwachsenen Befehle geben will, krank sein muss, hatte er der französichen Revolution einen anarchistischen Impuls gegeben, die dafür noch nicht geeicht war, wie es die Kaiserkrönung Napoleons 1804 in Anwesenheit von Papst Pius VII. in der Kirche Notre Dame verdeutlichte, ähnlich wie Diderots Impuls, der vor Politikern warnte, die Ordnung schaffen wollen. 15. Soweit die bürgerliche Aufklärung. Die marxistische betont, dass eine Revolution den Völkern weit billiger kommt, als Kriege, Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit durch eine Minderheit. 16.

Und in der Tat, hätte es im Mittelalter schon Zeitungen gegeben, um welche, wenn nicht religiöse, Thematik hätten sich ihre Leitartikel konzentriert? Aber während die Politik in ihrer bürgerlichen Sattheit noch schwelgt, siehe die Füße derer, die dich nach draußen tragen, exerzieren schon vor der Tür: die seit dem Aufkommen der Großen Industrie einsetzende Arbeiterbewegung intendiert die völlige Selbsterschöpfung der Politik durch die völlige Durchpolitisierung aller auf der ökonomischen Struktur beruhenden gesellschaftlichen Lebensbereiche. Die Dominanzverschiebung zur letzthin ohne politisch-juristischen Überbau am effektivsten sich steigernde materielle gesellschaftliche Produktion wird von Friedrich Engels durch seinen ersten Manchesteraufenthalt (1842 – 1844) mit großem Weitblick erahnt. Wurde durch Engels Politik endlich als etwas Ableitbares begriffen, so blieb ihr im proletarischen Emanzipationsprozess nur noch eine Sekundanzfunktion: „Die Revolution überhaupt, der Umsturz der bestehenden Gewalt und die Auflösung der alten Verhältnisse ist ein politischer Akt. Ohne Revolution kann sich aber der Sozialismus nicht ausführen. Er bedarf dieses politischen Aktes, soweit er der Zerstörung und der Auflösung bedarf. Wo aber seine organisierende Tätigkeit beginnt, wo sein Selbstzweck, seine Seele hervortritt, da schleudert des Sozialismus die politische Hülle weg.“ 17. Auf dieses Fortschleudern der Politik kommt alles an.

[...]

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Details

Titel
Wie hängt die Tierkunde mit der Brotgelehrsamkeit zusammen?
Autor
Jahr
2019
Seiten
18
Katalognummer
V508543
ISBN (eBook)
9783346074867
ISBN (Buch)
9783346074874
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tierkunde, brotgelehrsamkeit
Arbeit zitieren
Magister artium Heinz Ahlreip (Autor:in), 2019, Wie hängt die Tierkunde mit der Brotgelehrsamkeit zusammen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/508543

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