Erschließung von Roland Barthes' "Der Tod des Autors" mit Hilfe der Intertextualitätstheorie von Julia Kristeva


Ausarbeitung, 2019

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhalt

I. Ausarbeitung
1. Hinführung
2. Poststrukturalistische Literaturtheorien
3. Barthes‘ Argumentationsstruktur
4. Kristevas Intertextualitätstheorie
5. Zusammenschau
6. Resümee
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur

II. Reflexion
1. Referat
2. Ausarbeitung

I. Ausarbeitung

1. Hinführung

Vorliegende Ausarbeitung behandelt das programmatische Werk Roland Barthes „Der Tod des Autors“1. Dieser polarisierende Text mit beinahe polemischer Wirkung wurde erstmals in dem experimentellen, nordamerikanischen Magazin „Aspen“ im Jahre 1967 veröffentlicht. 1968 folgte die Veröffentlichung in dem französischen Magazin „Manteia“.2 Bemerkenswert an der Rezeption von Barthes essayistischer Dekonstruktion der Autorperson ist, dass es eine beeindruckende Sprengkraft besaß, welche bis heute akademische Diskurse beschäftigt.

Die Sprengkraft von Barthes‘ Arbeit erklärt sich vor allem aufgrund des zeitlichen Kontextes. So war das schulische wie akademische Umfeld stark von der literaturwissenschaftlichen Tradition der explication du texte geprägt.3 Diese Tradition konstituierte, dass es das höchste Ziel literaturwissenschaftlicher Tätigkeit sei, Korrespondenzen zwischen der semantischen sowie formalen Gestalt literarischer Werke und der Autorbiographie zu konstruieren.4 Somit würde sowohl die komplette Gestalt, Inhalt, Semantik allein auf den Autor zurückgehen, er besäße sogar die alleinige Deutungshoheit über das literarische Werk. Dieser Umstand wird in dem auf Barthes‘ Essay folgenden Diskurs oftmals als tyranny of he author bezeichnet.5

Barthes hingegen fasste diese Herangehensweise als höchst einschränkend für die literaturwissenschaftliche Tätigkeit auf und proklamierte eine immense Bedeutung des Rezipienten für die Semantik eines literarischen Werkes. Am Ende des Essays postuliert er: „Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.“6 Hiermit reiht sich Barthes in die Tradition der poststrukturalistischen Literaturwissenschaft ein. Wie Barthes argumentativ zu dieser Konklusion gelangt, soll in der nun folgenden Diskussion erläutert werden. Jedoch gestaltet sich dieses Unterfangen aufgrund von Barthes‘ stark essayistischem Vorgehen als komplex. So bemerkt auch Carlos Spoerhase, dass „[…] sich Barthes in La mort de l’auteur mit dem von ihm propagierten Tod des Autors kaum argumentativ befasst.“7 Spoerhase begegnet dieser Problematik mithilfe einer Kontextualisierung von „Der Tod des Autors“ mit Focaults Literaturtheorie. Ein ähnliches Vorgehen wird in vorliegender Arbeit umgesetzt, jedoch wird als Vergleichsmaterial die poststrukturalistische Intertextualitätstheorie herangezogen. Allen voran wird dabei auf Manfred Pfisters Auseinandersetzung mit Julia Kristeva zurückgegriffen.8 Somit gestaltet sich die These vorliegender Ausarbeitung wie folgt: Roland Barthes‘ „Der Tod des Autors“ lässt sich anhand einer Kontextualisierung mit Kristevas Intertextualitätstheorie tiefergehend erschließen. Um diese These angemessen diskutieren zu können, werden im nächsten Abschnitt sowohl „Der Tod des Autors“ als auch Kristevas Arbeit als Exemplare der poststrukturalistischen Literaturtheorien herausgestellt. Dieser Schritt gestaltet sich als notwendig, um die Synopse beider Konzepte legitimieren zu können. Daraufhin wird Barthes‘ Argumentation aufgeschlüsselt, gefolgt von einer Betrachtung der Intertextualitätstheorie. Nachdem so ein solider Ausgangspunkt geschaffen wurde, wird die Zusammenschau beider Konzepte vorgenommen und betrachtet, inwiefern Barthes‘ Argumentation ergänzt werden kann. Abschließend wird noch eine schematische Darstellung aufgestellt, welche das erarbeitete Verständnis poststrukturalistischer Theorie von der explication du texte differenzieren soll.

2. Poststrukturalistische Literaturtheorien

Für die nun folgende Zuordnung zum Poststrukturalismus wird primär die Arbeit von Peter Václav Zima herangezogen.9 Dieser konstatiert: „[…] nachstrukturalistische Literaturtheoretiker wie Roland Barthes, Jacques Derrida oder Paul de Man [erklären] die strukturalistische Suche nach Bedeutungen für illusorisch und schädlich“.10 Wenn Barthes‘ Essay zum Abgleich herangezogen wird, fällt besonders folgende Passage ins Auge: „Sobald ein Text einen Autor zugewiesen bekommt, wird er eingedämmt, mit einer endgültigen Bedeutung versehen, wird die Schrift angehalten.“11

In Bezug auf Zima wird also ersichtlich, dass Barthes das literaturtheoretische Konzept des Autors eben als ein solches „illusorisch[es] und schädlich[es]“, strukturalistisches Werkzeug zu bewerten scheint. So erscheint es nachvollziehbar, dass eine Fokussierung auf die Autorperson der Schrift resp. Literatur, das ambivalente Bedeutungspotential einschränkt. Diese Beobachtung lässt sich anhand Barthes‘ Textverständnisses weiter untermauern: „Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur.“12 Diese Betrachtungsweise entspricht dem poststrukturalistischen Gedankengut, welches von einer pluralistischen und partikularisierten Natur der Literatur ausgeht.13 Diese Vermutung leitet direkt zu Kristevas Intertextualitätstheorie über, denn das Phänomen der Intertextualität stellt eine direkte Ausprägung des Pluralismus und der Partikularisierung dar.14 So zeichnet sich besonders die radikale Theorie der weiten Intertextualität nach Pfister durch eine Dezentrierung des Subjekts und eine Entgrenzung des Textbegriffs aus.15 Eben diese Aspekte entsprechen dem für Poststrukturalismus und Postmoderne zentralen, freien Spiel der Zeichen.16

3. Barthes‘ Argumentationsstruktur

Bevor auf Barthes Essay detaillierter eingegangen werden kann, ist es von Bedeutung zwei Voranmerkungen zu formulieren. So wird zunächst die von Barthes vorgenommene Historie des Autorbegriffes in dieser Ausarbeitung außen vorgelassen. Eine entsprechende Diskussion dieses Aspekts von Barthes‘ Essay würde nicht genug Mehrwert für vorliegende Ausarbeitung enthalten, da sich der hier behandelte Gegenstand primär auf Barthes literaturtheoretische Arbeit bezieht. Die zweite nötige Voranmerkung stellt der Umstand dar, dass Barthes keineswegs die Existenz bzw. Arbeit der Autorperson abstreitet, sondern die Bedeutung des „literaturtheoretischen Autorbegriff[s]“17 für Inhalt, Form und Semantik seiner Werke relativiert bzw. dekonstruiert.18

Den Ausgangspunkt nimmt Barthes‘ Konzept an der Beobachtung, dass Sprache sobald sie schriftlich fixiert wurde, und somit zur ecriture wurde, nicht mehr per se bis zu ihrem Urheber zurückverfolgt werden kann. Barthes elaboriert diese Beobachtung anhand eines Beispiels für das er auf eine Textstelle in der Novelle „Sarrasine“ von Balzac verweist, welche einen als Frau verkleideten Kastraten thematisiert und dem vom Erzähler typisch weibliche Attribute zugesprochen werden.19 Barthes formuliert in Bezug auf diese Textstelle die rhetorische Frage: „Wer spricht hier? Ist es der Held der Novelle, um den Kastraten zu ignorieren, der sich hinter der Frau verbirgt? Ist es das Individuum Balzac mit seiner persönlichen Philosophie über die Frau? […] Ist es die Weisheit schlechthin? Die romantische Psychologie? Wir werden es nie erfahren können […].“20

Aufgrund dieser Beobachtung plädiert Barthes dafür, den Begriff des Autors durch den Begriff des scripteur abzulösen, ein Begriff, der sich mit ‚Schreiber‘ übersetzen lässt.21 Im Gegensatz zum Konzept des Autors, das diesem alleinige Deutungs- und Schöpfungshoheit über sein Werk zuspricht, impliziert das Konzept des scripteur eine lediglich reproduzierende Funktion. Barthes beschreibt die Tätigkeit des scripteur wie folgt:

„[…] ein Performativ […], eine seltene Verbalform, die auf die erste Person und das Präsens beschränkt ist und der die Äußerung keinen anderen Inhalt (keinen anderen Äußerungsgehalt) hat als eben den Akt, durch den sie sich hervorbringt […].“22

Der scripteur hegt also keine eigenen Intentionen, Vorstellungen und Emotionen, welche er dem literarischen Werk verleihen könnte.23 Dem scripteur ist also jegliche künstlerische Autonomie fremd. Dieser Zustand wird noch weiter verstärkt, da er lediglich bereits vorhandenes reproduzieren und vermischen kann, ohne dabei ein originelles Ergebnis zu erzielen.24 Bereits an dieser Stelle eröffnet sich die erste Problematik, denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich Literatur im weitesten Sinne eben durch eine hohe Dichte an Bedeutungen, Topoi und Inhalten auszeichnet. So ist bspw. mit Jan Urbich zu konstatieren:

„Literarische Werke bedeuten etwas […]. Sie bedeuten sogar scheinbar besonders viel und besonders Bedeutendes: jedenfalls so viel, dass eine ganze Wissenschaft notwendig ist, um mit ihrer Bedeutsamkeit fertig zu werden.“25

Doch wenn diese Polysemie nicht durch Barthes‘ Konzept des scripteur generiert wird, stellt sich die Frage, wodurch Literatur mit Bedeutung aufgeladen wird bzw. aus welcher Quelle diese literarischen Qualitäten herrühren. Barthes setzt zu einer intertextuellen Argumentation an, wenn er Text als „ein Gewebe von Zitaten“26 bezeichnet und betont erneut, dass es dem scripteur nicht möglich sei, Originelles zu kreieren. Jedoch führt er den Gedanken nicht konsequent zu Ende, da er nicht explizit erläutert, inwiefern der universelle Intertext unabhängig von der Intention des Autors selbst Sinn konstruieren könnte. Diese Leerstelle ist der erste zentrale Aspekt zu deren Erläuterung Kristeva in der Zusammenschau herangezogen wird. Barthes beginnt die Fäden am Ende seines Essays wieder zusammenzuführen, indem er auf die Bedeutung des Rezipienten verweist: „Der Leser ist der Raum, in dem sich alle Zitate, aus denen sich eine Schrift zusammensetzt, einschreiben, ohne dass ein einziges verloren ginge.“27 Auch an dieser Stelle formuliert Barthes seine Konklusion, ohne das Phänomen argumentativ beweiszuführen. Stattdessen wird eine Aussage zur Dezentrierung des Lesersubjekts angehängt: „Der Leser ist ein Mensch ohne Geschichte, ohne Biographie, ohne Psychologie.“28 Doch dieser Aspekt allein reicht nicht aus, um die von ihm postulierte Funktion des Rezipienten ausreichend zu erläutern. An dieser Stelle ist die zweite Leerstelle der Argumentation auszumachen, da die Frage gestellt werden muss, wie es dem Rezipienten gelingt Semantik ohne Zutun des Autors zu generieren. Erneut wird an dieser Stelle Kristevas Intertextualitätstheorie hinzugezogen, um den Versuch zu wagen, diese argumentative Lücke zu füllen.

[...]


1 Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. von Fotis Jannidis u.a. Stuttgart: Reclam 2000. S. 185-193.

2 Vgl. Spoerhase, Carlos: Autorschaft und Interpretation. Methodische Grundlagen einer philologischen Hermeneutik. In: Historia Hermeneutica. Series Studia 5. Hrsg. von Lutz Danneberg. Berlin: De Gruyter 2007. S. 21.

3 Vgl. Jannidis Fotis: Einleitung. Roland Barthes: Der Tod des Autors. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrsg. von Fotis Jannidis u.a. Stuttgart: Reclam 2000. S. 181-183. S. 181.

4 Vgl. ebd.

5 Vgl. Bennett, Andrew: The Author. Abington: Routledge 2005. S. 16f.

6 Barthes, R.: Der Tod des Autors. S. 193.

7 Spoerhase, C.: Autorschaft und Interpretation. S. 22.

8 Pfister, Manfred: Konzepte der Intertextualität. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. von Ulrich Broich / Manfred Pfister. Tübingen: Max Niemeyer 1985. S. 1-30.

9 Zima, Peter V.: Moderne / Postmoderne. Gesellschaft, Philosophie, Literatur. Tübingen: A. Francke 1997.

10 Ebd. S. 272.

11 Barthes, R.: Der Tod des Autors. S. 191.

12 Ebd. S. 190.

13 Vgl. Zima, P. V.: Moderne / Postmoderne. S. 273.

14 Pfister, M.: Konzepte der Intertextualität. S. 9.

15 Vgl. ebd.

16 Vgl. Münker, Stefan / Roesler, Alexander: Poststrukturalismus. Weimar: Metzler 2000. S. 29.

17 Spoerhase, C.: Autorschaft und Interpretation. S. 23.

18 Vgl. ebd.

19 Vgl. Barthes, R.: Der Tod des Autors. S. 185.

20 Ebd.

21 Vgl. ebd. S. 189.

22 Ebd.

23 Vgl. ebd. S. 190f.

24 Vgl. ebd. S. 190.

25 Urbich, Jan: Literarische Ästhetik. Köln: Böhlau 2011. S. 95.

27 Ebd. S. 192.

26 Barthes, R.: Der Tod des Autors. S. 190.

28 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Erschließung von Roland Barthes' "Der Tod des Autors" mit Hilfe der Intertextualitätstheorie von Julia Kristeva
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V508894
ISBN (eBook)
9783346069726
ISBN (Buch)
9783346069733
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erschließung, roland, barthes, autors, hilfe, intertextualitätstheorie, julia, kristeva
Arbeit zitieren
Peter Meenken (Autor:in), 2019, Erschließung von Roland Barthes' "Der Tod des Autors" mit Hilfe der Intertextualitätstheorie von Julia Kristeva, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/508894

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