Die Darstellung des Fremden in Georg Forsters "Reise um die Welt". Die Figur des Südseeinsulaners Maheine


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

20 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Blick in die Fremde in der Reiseliteratur
2.1. Das Fremde in Bezug auf das Eigene
2.2. Die Darstellung von Fremdheit aus eurozentrischer Perspektive
2.3. Der „edle Wilde“

3. Die Darstellung Georg Forsters des „Fremden“ Maheine in Reise um die Welt
3.1. Charakterisierung
3.2. Wissenschaftssystem und Forschung
3.3. Begegnung-Kommunikation-Umgangsform

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Besonderheit der Weltreisen in der Zeit der Aufklärung lag insbesondere in der Entdeckung der Südseeinseln und den damit verbundenen Berichten. Dabei begleitete die fast ausschließlich europäischen Weltumsegler zugleich untrennbar das Gefühl der Überlegenheit und Vormachtstellung, die sich im zivilisatorischen, militärischen und wissenschaftlichen Fortschritt begründet sah (vgl Harbsmeier 1991:150f). Trotzdem unterscheidet sich der Umgang und die Perspektive mit und auf die Fremde von früheren Weltumseglungen. Besonders die Verfasser der Reisberichte reflektierten und diskutierte ihre Erfahrungen und deren Entdeckungen erstmals kritisch in Bezug auf eben jene genannten Entwicklungen, die die europäische Aufklärung mit sich brachte. Aus den Reiseberichten dieser Zeit lässt sich deswegen auch besonders eine Auseinandersetzung der bisherigen Weltanschauung ablesen:

die Geschichte nämlich der sich verändernden Formen der Überlegenheit der eigenen gegenüber anderen Welten und damit Weltbilder und Weltanschauungen der Reisenden selbst und ihres Publikums. (Harbsmeier 1991:151)

Die Figur des Südseeinsulaner Maheines in Georg Forsters Reise um die Welt ist Repräsentant eben jener fremden Welt mit ihren Weltbildern und - anschauungen, die Georg Forster und den Lesern seine Welt ent-deckt. Der von Forster kritisierte Zeitmangel fremde Kulturen zu erforschen (Forster 2014:535), ist hier nur bedingt gegeben, da der Südseeinsulaner Maheine eine Zeit auf engstem Raum mit den Seeleuten verbrachte. Aus diesem Grund erscheint unter anderem eine nähere Betrachtung dieser Figur interessant. Trotzdem ist der Rolle des Maheines bisher eher wenig Beachtung zuteil geworden. Zwar hat beispielsweise Harbsmeier (1991) Kadu1 und Maheine in unterschiedlichen Aspekten verglichen, Gröbere (2014) Maheine als Alter Ego Forsters skizziert, oder Mori (2011) diesen als Forsters „edlen Wilden“ portraitiert2, eine eingehende Auseinandersetzung der Figur und deren Funktion blieb aber bis auf kurze Überrisse aus. In dieser Arbeit soll deswegen der Blick auf jenen Einwohner Bora-Boras gelenkt werden, der zumindest für eine Weile die Cook’sche Entdeckungsreise 1772-1775 begleitete. Dabei eröffnet Maheine Forster und den Rezipienten seines Reiseberichts die Möglichkeit ein fremdes Denken in Bezug auf Wissenschaft, sozialem Verhalten sowie Begegnungen und den Umgang mit Unbekanntem zu erfahren, welches in dieser Arbeit soll dieses herausgearbeitet werden soll. Zuerst soll die Frage, wie Fremdheit wahrgenommen und wie diese zugleich in Bezug auf das Eigene gesetzt wird, betrachtet werden. Wie gerade fremde Kulturen und deren Angehörige speziell in der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts, der Zeit der Aufklärung, der Wissenschaft und der Kolonialisierung, beschrieben wurden soll dabei Berücksichtigung finden. Wie hat vor diesem Hintergrund der junge Wissenschaftler Georg Forster, der sich der Objektivität verpflichtet hat, in seinem Reisebericht einen der europäischen weit entfernten Kultur angehörigen Menschen portraitiert? Zieht Forster Schlüsse oder Reflexionen auf seine eigene Weltanschauung und macht er für sich selbst Entdeckungen aufgrund dieser Begegnung, und wenn ja welche? Diesem soll im Folgenden nachgegangen werden.

2. Der Blick in die Fremde in der Reiseliteratur

2.1. Das Fremde in Bezug auf das Eigene

Die Vorantreibung der Globalisierung hängt untrennbar mit der Erweiterung des Denkens in politisch, ökonomisch sowie kulturellen Bereichen zusammen. Gleichzeitig verlangt sie aber nach Differenzierung zwischen Eigenem und Fremden, möglicher Diskrepanzen bezogen auf Grade von Zivilisation sowie die allgemeine Rückbesinnung und -beziehung auf das Partikulare (z.B. vgl. Guthke 2000:1).

Guthke (2000:2) metaphorisiert die Erfahrung der Fremde mit einem Blick in den Spiegel, als „Akt der Selbsterfahrung in dem Sinne, dass das Ich und das Andere, das Vertraute und das Fremde, identisch werden“. Fremdheit bestimmt und formt dementsprechend immer die Definition des Eigenen, wie auch umgekehrt. Das Gefühl von Fremdheit kann nur im ständigen Beisein und Vergleich des Eigenen als solche definiert werden.

Das Fremde bleibt deshalb nach Auffassung Reuters (2002:145f) immer nur vermittelt, da das Unbekannte ausschließlich durch die eigenen Implikationen und Wahrnehmungen reflektiert wird. Auf Grund dessen wird das Fremde von Fall zu Fall stetig neugeneriert, -erschaffen oder -interpretiert. Laut Reuter (2002:145) fungiert vor allem in der praktischen Ordnung des Fremden „die Ethnie gewissermaßen als kulturelles Vergleichs- und Differenzkriterium, das das Eigene und das Fremde als getrennt-kulturelle Wirklichkeiten denkt“. Daraus folgt, dass die Verortung und Portraitierung des Fremden eine explizite „Konstruktion des ethnologischen Beobachters“ und eben keine „primordiale Loyalität gegenüber kultureller Traditionen“ ist (Reuter 2002:145).

Die von Guthke (2000:2) aufgeworfene Frage, ob das „Fremde entworfen als Gegenbild des jeweiligen Ich, etwa ein nicht erkannter oder nicht anerkannter Aspekt des Eigenen ist“ kann diesbezüglich bejaht werden.

Die Voraussetzung eine konstruierte Fremde auszuschließen liegt nach Dietsche (1984) im Erstaunen über das Fremde statt der bloßen Erfahrung. Laut Dietsche (1984:5) wird eine fremde Kultur durch den Mangel an Erstaunen auf eben jenes beschriebene Gegenbild zum Selbstbild beschränkt. Demnach gilt das Unbekannte als dichotomisch und nicht als unvergleichbar akzeptiert. Dies bewirkt automatisch und ausschließlich eine Abgrenzung, die Selbsterfahrung und -kritik oftmals ausschließt.

Eine Reise in fremde Kulturen als Prozess einer Identitätserfahrung und Selbstmodifikation kann laut Dietsche (1984:7) demnach nur passieren, wenn die Grundvoraussetzung des Erstaunens über die Fremdheit gegebenen ist, was eine Unvergleichlichkeit mit der eigenen Kultur implizieren muss. Es sollte folglich, anstatt Diskrepanzen zwischen dem Anderen und dem Eigenen herauszufinden, eher um die Dynamik der intersubjektiven Einsichten gehen.

Reiseliteratur dient unter anderen genau diesem Ziel einschließlich der Besonderheit, die Erfahrung der Fremde auch für den Leser, der sich in der Umgebung des Vertrauten befindet, erfahrbar zu machen, beziehungsweise in jenes genannte Staunen zu versetzen. Dietsche (1984) behandelt die besondere Stellung des Reiseberichterstatters im Hinblick auf die Darstellung des Fremden. In diesem Sinn nimmt der Produzent des Berichts, wie etwa Georg Forster in Reise um die Welt eine entsprechende Doppelrolle ein, indem er Reisender und Berichterstatter zugleich ist. Er erfährt in der Rolle des Reisenden den Fremden / das Fremde als Mitglied einer fremden Gesellschaft. In der Rolle des Berichterstatters und Vermittlers jedoch ist der Fremde für Forster der Rezipient der Reiseliteratur (vgl. Dietsche 1984: 112). Dietsche (ebd.) folgert daraus, dass das Fremde dem Reisenden vertraut sein und er zudem die Logik der fremden Kultur begreifen muss, um dem Leser in der Heimat das Erlebte und Gesehene zu präsentieren. So agiert er nicht ausschließlich in der Rolle des reinen Beobachters sondern schreitet in die Rolle des Teilnehmers an der fremden Kultur über (ebd.). Dass somit sowohl der Annäherung an das Fremde, als auch der Auseinandersetzung eine besondere Bedeutung zukommen muss, betont auch Forster, der der Betrachtung mit „philosophischen Auge“ fremder Kulturen einen wichtigen Stellenwert einräumt (Forster 2014:535).

Besonders bei der Verschriftigung bewirkt nach Weller (2015:16f) jene Konfrontation mit der Fremde sowie die Tatsache, dass der Protagonist der Reisebeschreibung mit dem Standort des Autors zusammenfällt und zudem die Reise an sich das Handlungsmoment dastellt, einen Identitätsentwurf des Autors.

Dieses Dilemma der unvermeidlichen Verbindung der subjektiven Fremdheitserfahrung im Gegenüber einer objektiven Beobachtung und deren hervorgehenden Beschreibung erkennt auch Forster, indem er auf die Verschiedenheit der Reiseberichte Cooks und seines eigenen hinweist. Er erklärt, dass die Differenzen in Wissenschaft, Denkweise und Emotionalität unweigerlich Einfluss in deren Reiseberichten nehmen würden (vgl. Forster 2014:15).

Aber nicht nur das eigene Ich-Verständnis suggeriert das Darzustellende sondern besonders „die Perspektive einer ideologischen Suprematie“ -hier die des Abendlandes- auf das Fremde (Reuter 2002:143). Aufgrund dessen soll im Anschluss näher beleuchtet werden, wie besonders die Angehörigen der Südseeinseln aus der europäischen Sichtweise dargestellt wurden.

2.2. Die Darstellung von Fremdheit aus eurozentrischer Perspektive

Wie schon im vorherigen Kapitel ausgeführt, wird das Fremde meist unweigerlich in Beziehung zum Eigenen gesetzt. Der europäische Umgang mit kultureller Fremde zeichnet sich zum einen durch die Reduktion von Komplexität mithilfe bestimmter Kategorisierungen, um der unbekannten Umwelt Struktur zu verleihen, aus, was sich namentlich in Stereotypen wiederfindet. Zum anderen kontrollieren intersubjektive, wandelbare Ansichten die soziale Interaktion mit der Fremde (vgl. Hall 2008:31). Der Diskurs über und mit einer fremden Gruppe festigt darüberhinaus vor allem das Selbstverständnis der eigenen kulturellen Identität (vgl. ebd.). Die Benennung jener Kulturen, die dem europäischen Verständnis von Zivilisation fremd waren, wurden besonders vor der Zeit der Aufklärung mit Begriffen wie „wild“, „primitiv“, „naturnah“,v „kindlich“, „faul“, „träge“ oder ähnlichen Charakterzügen geprägt (vgl. Reuter 2002:144; sowie Hall 2008:31). Diese Kategorisierungen dienten dem europäischen Selbstverständnis entweder als bestätigend oder aber idealisierend, was wiederum eine relativierende Selbstkritik implizierte (vgl. Guthke 2000:2).

Der dichotomische Effekt wird bei der Stilisierung der Ureinwohner bislang unentdeckter Inseln besonders deutlich (s. Kap. 2.3). Das Fremde wird somit meist als defizient zur europäischen Gemeinschaft marginalisiert und als untergeordnet eingestuft. So entsteht ein einseitiger, oftmals nicht hinterfragter Blick auf Verhaltensweisen der fremden Völker, wie dies vor allem auf den Südsee-Explorationen des 18. Jahrhunderts der Fall gewesen ist (z.B. vgl. May 2011:61f). Dieses Gefühl der Überlegenheit wird vorrangig durch den Besitz von Waffen für sich beansprucht. Der militärische Fortschritt der Europäer versetzte die Insulaner in Erstaunen, was zum einen zur Folge hatte, dass die Entdecker ihre Überlegenheit bestätigt sahen, zum anderen jedoch, dass ein Staunen vonseiten der Europäer über die Insulaner meist ausblieb (z.B. Dietsche 118f). Resultierend daraus, konnte von einer Erfahrung der Fremdheit per Definition nur in geringem Maß die Rede sein.

Dadurch, dass auch bei Georg Forster die Insulaner so gut wie nicht zu Wort kommen, geschehen Beobachtungen rein aus der Außenperspektive. So können lediglich Vermutungen und Rückschlüsse insbesondere in Bezug auf nicht offensichtliche kulturelle Normen und Werte gezogen werden. Ein Beispiel, welches auch Guthke (2000:3) aufführt, sind die Übergriffe der Insulaner auf die Seeleute, währenddessen sie Gegenstände der Europäer an sich nehmen, was aus deren Perspektive eindeutig als Diebstahl definiert ist. Die Sicht bzw. das tatsächliche Motiv der Insulaner bezüglich dieses Vorgangs wird indessen nicht hinterfragt. Forster beispielsweise entschuldigt diese - aus europäischer Sicht - Untugend mit dem unwiderstehlichen verführerischen Reiz, den die Dinge auf die Insulaner ausgeübt haben müssen (vgl. Forster 2014:313). Ob allerdings die Insulaner dies als Diebstahl bezeichnen würden, bleibt ungeklärt, zumal diese ihre „Häuser, ohne Thür und Riegel“ (ebd.) verlassen, was eine gewisse kollektive Besitzlosigkeit impliziert und eine Aneignung fremden Eigentums sozusagen unmöglich ist, da es nicht als solches definiert ist.

Forster ist sich jedoch seiner Subjektivität und der damit einhergehenden Sichtweise bewusst, wenn er von jenem „gefärbten Glas“ (Forster 2014:18) spricht. Die kulturelle Verschiedenheit, die sowohl kognitiv, als auch normativ fremd ist, kann nicht objektiv dargestellt werden, sondern entwickelt sich immer aus der Perspektive des Beobachtenden (vgl. Weller 2015:21). So ist diese Verschiedenheit sowohl der kulturellen Perspektive geschuldet als auch der unterschiedlichen individuellen Empfindungen, sodass „Beobachtungen oft nicht das mindeste miteinander gemein haben“ (Forster 2014:15).

[...]


1 Kadu begleitete die Romanzoffsche Entdeckungsreise unter der Leitung von Otto von Kotzebue 1871. Die Entdeckerfreundschaft mit Kadu erfuhr von Kotzebue wie auch Adalbert Chamisso eine ausgiebige Schilderung in ihren Berichten (vgl. Harbsmeier 1991).

2 Laut Mori (2014:88) ist das Bild Maheines, welches Forster zeichnet, abzugrenzen von dem Diderots entworfenen ungetrübten Idealbild des „edlen Wilden“, indem Forsters Porträt demgegenüber weitaus realistischer, da er die „Südseebewohner nicht als ausnahmslos glückliche Naturmenschen“ schildert, und somit überzeugender erscheint.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung des Fremden in Georg Forsters "Reise um die Welt". Die Figur des Südseeinsulaners Maheine
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsch als Fremdsprache)
Veranstaltung
Georg Forster
Note
1.3
Autor
Jahr
2019
Seiten
20
Katalognummer
V509954
ISBN (eBook)
9783346074775
ISBN (Buch)
9783346074782
Sprache
Deutsch
Schlagworte
das Eigene und das Fremde, Maheine, Georg Forster, Kolonialisierung, Reise um die Welt, Südsee, Entdeckungsreisen, Reiseliteratur, Fremderfahrung, edle Wilde, Weltumseglung
Arbeit zitieren
Johanna Schmitt (Autor:in), 2019, Die Darstellung des Fremden in Georg Forsters "Reise um die Welt". Die Figur des Südseeinsulaners Maheine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/509954

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