Die Assyrische Kirche des Ostens in Indien

Auf den Spuren des Apostels Thomas


Seminararbeit, 2019

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Vorbemerkungen (Forschungsfragen, Methodik und Quellen)

2 Die Kirche des Ostens: ein kurzer Überblick

3 Zwei Querschnittkapitel
3.1 Überlegungen zu den mannigfaltigen Bezeichnungen der Kirche des Ostens
3.2 Sprache, Literatur und Liturgie der Kirche des Ostens

4 Die Kirche des Ostens von den Anfängen bis in die Gegenwart
4.1 Die Anfänge des Christentums in Persien
4.2 Theologie und Mönchtum
4.3 Muslimische Herrschaft und arabische Kultur
4.4 Die Kirche des Ostens als Missionskirche Asiens
4.5 Das Christentum unter den Mongolen
4.6 Die Beziehungen zu den Thomas-Christen Südindiens
4.7 Die Entwicklungen der neuesten Zeit

Literaturverzeichnis

1 Vorbemerkungen (Forschungsfragen, Methodik und Quellen)

„Wer ist diese ‚nestorianische‘ Kirche des Ostens, deren Namensgeber Nestorius ihr nie angehörte, die eine eigenständige Mystik großer poetischer Kraft hervorbrachte und die sich vor knapp einem Jahrtausend über einen größeren Teil des Globus erstreckte als die Römische Kirche?“[1] Diese kompakte Frage, mit welcher Christoph Baumer, einer der führenden Erforscher Zentralasiens, Tibets und Chinas, seinen reichhaltig bebilderten Band Frühes Christentum zwischen Euphrat und Jangtse einleitet, enthält bereits die wesentlichen Elemente, welche die Beschäftigung mit dieser Kirche zu einem lohnenden und spannenden Unternehmen geraten lassen, und umschreibt gleichzeitig die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit.

Doch stehen die Elemente des obigen Einleitungssatzes nicht in einem eklatanten Missverhältnis zu dem der Kirche des Ostens in der westlichen Welt im Allgemeinen entgegengebrachten Grad an Aufmerksamkeit? Oder anders formuliert: Wer kennt - außerhalb akademisch interessierter oder kirchlich engagierter Fachkreise - die Kirche des Ostens überhaupt? Wir können berechtigterweise behaupten, dass diese Kirche, eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt mit schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Gläubigen, weitestgehend in Vergessenheit gesunken ist, während sie im Iran, im Irak, in Syrien, in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten von Amerika um ihr Überleben kämpft.

Diese Nichtbeachtung ist durchaus nicht ihrer geringen Größe zuzuschreiben, sondern beruht in weit größerem Maße auf dem heute noch tief verwurzelten eurozentrischen Geschichtsverständnis, das eine bemerkenswert lange Tradition aufzuweisen hat. Schon der „Vater der Kirchengeschichtsschreibung“ Eusebius von Caesarea (260/264-339/340) hat das asiatische Christentum Mesopotamiens, welches sich ab dem 2. Jahrhundert mit beachtlicher Geschwindigkeit entwickelte, in seinem Hauptwerk, der Kirchengeschichte (Ἐκκλησιαστικὴ ἱστορία oder Historia ecclesiastica), kaum eines Wortes gewürdigt.[2]

Der Hauptgrund dieser Nichtbeachtung der Kirche des Ostens war den geopolitischen Voraussetzungen der damaligen Zeit geschuldet, und in diesem Kontext ist vorzüglich die vom Euphrat gebildete stabile Staatsgrenze zwischen dem Römischen und dem Großiranischen Reich zu erwähnen, deren politische Undurchlässigkeit einzig von Handelskarawanen durchbrochen wurde, die auf der antiken Seidenstraße verkehrten.[3]

2 Die Kirche des Ostens: ein kurzer Überblick

Die Kirche der Nestorianer, die sich Heilige Apostolische und Katholische Assyrische Kirche des Ostens nennt, hatte wegen ihrer Ansässigkeit im Sasanidenreich[4] (Persien) schon früh den Kontakt mit der byzantinischen Reichskirche verloren. Bereits 410 schloss sich diese „ostsyrisch“ geprägt Christenheit zu einer selbständigen Kirche unter einem eigenen Oberhaupt (Katholikos) zusammen.[5]

In diesem Zusammenhang ist eine Sonderentwicklung zu sehen, in deren Verlauf der politische Faktor der antiken Kirchenspaltungen hervortritt. Es ging zunächst eigentlich nicht um Theologie, sondern um die Profilierung als Kirche des Persischen Reichs. Enge Beziehungen zu den Christen des Römischen Reichs galten wegen der Feindschaft zwischen den beiden Machtblöcken als verdächtig oder waren gar nicht möglich. Aus derartigen Gründen waren die ostsyrischen Christen an den Konzilsentscheidungen des 5. Jahrhunderts nicht beteiligt.[6]

424 wurde auf der Synode von Markabta unter dem Katholikos Dādīdšō՚ das Appellationsrecht an den Bischof von Antiocheia abgeschafft. De facto entsprach dieser Vorgang einer Erklärung der Autokephalie der Kirche des Ostens. Ersthierarch war ab diesem Zeitpunkt der zunächst in Seleukia-Ktesiphon residierende, als Katholikos bezeichnete Bischof.[7]

Die Entfremdung wuchs dadurch noch weiter, dass auf dem Konzil von Ephesos 431 kein persischer Theologe anwesend war, und dieses Konzil von der Kirche des Ostens auch sekundär nicht rezipiert wurde. Definitiv wurde der Bruch durch die Verurteilung von (längst verstorbenen) antiochenischen Theologen seitens der Reichskirche auf der Synode von Konstantinopel 553 (dem 5. Ökumenischen Konzil).[8]

Zu den Spezifika der Kirche des Ostens zählt ihre stark biblisch-semitische Prägung. Dabei gab es in manchen Fragen, etwa im Eherecht, eine erstaunlich offene Entwicklung; so dürfen etwa Priester auch nach der Weihe heiraten. Dank ihrer Minderheitensituation hat sie gelernt, mit Menschen anderer Konfessionen und Religionen symbiotisch zusammenzuleben. Bis ins 13. Jahrhundert war sie missionarisch aktiv und breitete sich bis nach Indien und China aus.[9]

Unter persischer, islamischer und mongolischer Herrschaft entstand so die größte Missionskirche des Mittelalters, deren Blüte mit dem Verfall des Mongolenreiches und dem Übertritt der persischen Mongolen zum Islam in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein jähes Ende fand.[10] Von den grausamen Verfolgungen unter Timur Lenk konnten sich die meisten Gemeinden nicht mehr erholen.[11]

Christen, welche die blutige Ausrottung überlebt hatten, fanden Anschluss an die römisch-katholische Kirche. Die Thomas-Christen in Südindien reagierten mit Verselbständigung und wurden zu einer eigenen Kirche. Während des I. Weltkriegs verloren die Nestorianer auf ihrer Flucht aus dem Osmanischen Reich abermals die Hälfte ihrer Mitglieder. Die Reste der Assyrischen Kirche des Ostens sind über weite Teile der Welt verstreut und wurden 1968 durch ein Schisma gespalten.[12]

Seither steht einem Patriarchen in Chicago der Katholikos von Bagdad gegenüber. Seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003 und aufgrund des Erstarkens radikalislamischer Kräfte hat sich die Lage der Christen im Vorderen Orient dramatisch verschlechtert. Schätzungen gehen von einer Gesamtmitgliederzahl der Apostolischen Kirche des Ostens von 150.000 bis 200.000 aus.[13]

In ihrer Liturgie folgt die Apostolische Kirche des Ostens dem ostsyrischen Ritus.[14] Seit 1950 gehört sie dem Ökumenischen Rat der Kirchen an.[15]

3 Zwei Querschnittkapitel

3.1 Überlegungen zu den mannigfaltigen Bezeichnungen der Kirche des Ostens

In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte entstanden auch östlich der Grenzen des Römischen Reiches christliche Gemeinden. Aus diesen sollte eine eigene Kirche hervorgehen. Die „Heilige und Apostolische Katholische Kirche des Ostens der Assyrer“ steht in historischer Kontinuität zu diesen Anfängen. Für den vollständigen Wortlaut der Eigenbezeichnung findet man verschiedene Abkürzungen: „Assyrische Kirche“, „Apostolische Kirche des Ostens“ oder „Ostsyrische Kirche“.[16]

Wenn die Quellen von der „Kirche des Ostens“ oder der „Apostolischen Kirche des Ostens“ sprechen, ist in Betracht zu ziehen, dass die Patriarchate des Römischen Reiches - Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien, Jerusalem - aus der Sicht der Kirche des Ostens „westlich“ sind. Die - gleichermaßen korrekte - Bezeichnung „Ostsyrische Kirche“ bezieht sich auf die liturgische Tradition und die syrisch-aramäische Sprache, die bis heute in der Apostolischen Kirche des Ostens gepflegt wird. Der Terminus „assyrisch“ ist ein Rückgriff auf eine Ethnie des Alten Orients, der unter dem Einfluss anglikanischer Missionare in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gemacht wurde.[17]

Die mitunter anzutreffende Bezeichnung „Persische Kirche“ ist nur bedingt richtig. Da das persische Reich der Sasaniden im 7. Jahrhundert von den Arabern verdrängt wurde und die Kirche des Ostens in ihrer Mission bis nach Zentralasien, China und Indien ausgriff, erscheint dieser Begriff sowohl zeitlich als auch geographisch zu eng.[18]

Die Bezeichnung als „Nestorianer“ hat mit der theologischen Prägung zu tun und widerspricht dem Selbstverständnis dieser Kirche. Auch ist sie irreführend, da sie sich auf Ursprünge in apostolischer Zeit und nicht auf Nestorius von Konstantinopel zurückführt. Dogmengeschichtliche Forschungen haben erwiesen, dass das ostsyrische Christentum mit der gemeinhin als „Nestorianismus“ bezeichneten Lehre nichts zu tun hat.[19]

Entgegen dieser Beobachtung ist „Nestorianische Kirche“ bis in die Gegenwart die in der theologischen und kirchenhistorischen Literatur geläufigste Bezeichnung. Damit wird die Kirche des Ostens von der übrigen Christenheit mit einer Irrlehre aus dem 5. Jahrhunder belastet, an der die damalige Kirche zerbrach. Es ging in dieser Auseinandersetzung um die schwierige Frage, wie Jesus Christus sowohl wahrer Gott als auch wahrer Mensch sein kann und dennoch als ein einziges Subjekt zu denken ist.[20]

Mit dem Begriff „Nestorianismus“ bezeichnet man eine Lehre, wonach Jesus Christus in zwei Subjekten aufgefasst wird. Wir wissen heute, dass Nestorius diese Lehre nicht vertreten hat, dass er selbst also gar kein „Nestorianer“ war. Der Kirche des Ostens wurde vorgeworfen, diese Irrlehre übernommen zu haben, was falsch ist, wenngleich der Theologe Nestorius als Lehrer und Heiliger in der Kirche des Ostens in Ehren gehalten wird.[21]

Gegen die Auffassung, die Bezeichnung „Nestorianer“ sei irreführend oder wenig adäquat, wurden auch Gegenstimmen erhoben, die ein differenzierteres Licht auf diese Frage werden. Donald Attwater vertrat die Meinung, dass die Auffassung, Nestorianer sei keine schmeichelhafte Bezeichnung, den Nestorianern von ihren anglikanischen Wohltätern vermittelt wurde. Darüber hinaus geht aus Attwaters Beschreibung hervor, wie die Nestorianer zur Bezeichnung „Assyrer“ gekommen sind:

“Here it may conveniently be noted that the Nestorians generally call themselves simply Surayeh, Syrians; formerly they had no objection to being called Nestorians, but have now learned from their Anglican benefactors that this is not a complimentary name. However, ‘Syrians’ was ambiguous, and was, moreover, already in use for the Jacobites and their Catholic counterpart, and ‘East Syrians’ was not much better, so the Anglican Mission adopted the name ‘Assyrian Church’ for them. The usage is difficult to justify since, as Fortescue points out, the Nestorians ‘are Assyrians in no possible sense. They live in one corner of what was once the Assyrian Empire’; but it has stuck, and plenty of people since 1917 have heard of the Assyrians without ever suspecting that they had anything to do with the fifth-century heresy of Nestorius. I shall continue to call them Nestorians, for the name is not without honour in history even though deplorable in theology.”[22]

Eine weitere Bezeichnung, die der Kirche des Ostens zugedacht wurde, lautet „vorephesinische Kirche“, da die Auseinandersetzungen um Nestorius auf dem Konzil von Ephesus (431) einen ersten Höhepunkt fanden. Wenngleich die Kirche des Ostens nur die beiden ersten ökumenischen Konzilien rezipiert hat, ist eine Benennung nach der Nicht-Annahme einer Synode des Römischen Reiches wenig zutreffend, da sich die Kirche des Ostens außerhalb der Grenzen des Imperiums entfaltete.[23]

3.2 Sprache, Literatur und Liturgie der Kirche des Ostens

Von ihrem Umfang und ihrer Vielfalt her stellt die syrische Literatur, sowohl die geleistete Übersetzungsarbeit als auch die vielfältigen Eigenkreationen betreffend, die bedeutendste christlich-orientalische Literatur.[24]

Das Syrische gehört als semitische Sprache dem Aramäischen an, es ist, genauer gesagt, der ostaramäische Dialekt von Edessa. Als Schriftsprache des aramäischen Christentums setzte sie sich vor allem aufgrund der Bibelübersetzung im 2. Jahrhundert durch. Über die Liturgie und die reichhaltige Literatur breitete sich das Syrische ab dem 4. Jahrhundert im persischen und oströmischen Reich aus. Mit der Mission der Kirche des Ostens drang es nach Indien sowie Zentral- und Ostasien vor.[25]

Die Dialektspaltung aufgrund der politisch-geographischen und kirchlichen Trennung vollzog sich ab dem 5. Jahrhundert. Wenngleich die Unterschiede zwischen klassischem Ost- und Westsyrisch nicht gravierend sind, stellt das Ostsyrische eine ältere Sprachstufe dar, da sich das Westsyrische unter dem Einfluss des Griechischen stärker veränderte. Durch die arabische Eroberung wurde das Syrische ab dem 7. Jahrhundert allmählich als Umgangssprache verdrängt, behielt aber bis ins 14. Jahrhundert als Liturgie- und Literatursprache Bedeutung. Das klassische Syrisch ist bis heute in der ost- und westsyrischen Tradition in Gebrauch.[26]

Weiterentwicklungen des klassischen Syrisch als eine gesprochene Sprache finden wir heute in verschiedenen Sprachinseln: Ost- und Zentralneusyrisch wird von Assyrern und Chaldäern im Iran, in Syrien (Khabur), im Irak (Mossul) und im Iran (Urmia), Westneusyrisch v.a. von den syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin (Südosttürkei) gesprochen. Durch die Auswanderung der Christen aus den Ländern des Nahen Ostens ist die Sprache in ihrem Bestand bedroht.[27]

Die syrische Schrift besteht aus 22 Konsonanten und ist in drei Arten in Gebrauch: die ältere edessenische Schrift, das Estrangelo, wurde bis in das 13. Jahrhundert verwendet. Nach dem 5. Jahrhundert entwickelte sich in der Kirche des Ostens die ostsyrische Schrift, die von westlichen Wissenschaftern nestorianisch oder chaldäisch genannt wird. Bei den Westsyrern verwendet man das Serto.[28]

[...]


[1] Baumer, Christentum, 11.

[2] Ebda.

[3] Baumer, Christentum, 11 f.

[4] In der jüngeren Forschung hat sich die etymologisch korrektere Schreibweise „Sasaniden“ gegenüber der lange Zeit gebräuchlichen Schreibweise „Sassaniden“ weitgehend durchgesetzt.

[5] Körtner, Kirchenkunde, 80.

[6] Potz / Synek, Kirchenrecht, 44.

[7] Ebda. Siehe dazu auch: Attwater, Churches II, 185.

[8] Potz / Synek, Kirchenrecht, 45.

[9] Potz / Synek, Kirchenrecht, 46.

[10] Körtner, Kirchenkunde, 81.

[11] Potz / Synek, Kirchenrecht, 46.

[12] Körtner, Kirchenkunde, 81.

[13] Ebda.

[14] Ebda.

[15] Körtner, Kirchenkunde, 82.

[16] Pinggéra, Kirche, 21.

[17] Winkler, Kirche, 11.

[18] Ebda.

[19] Pinggéra, Kirche, 21.

[20] Winkler, Kirche, 11.

[21] Winkler, Kirche, 12.

[22] Attwater, Churches II, 189.

[23] Winkler, Kirche, 12.

[24] Winkler, Literatur, 137.

[25] Ebda.

[26] Ebda.

[27] Winkler, Literatur, 137 f.

[28] Winkler, Literatur, 138.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Assyrische Kirche des Ostens in Indien
Untertitel
Auf den Spuren des Apostels Thomas
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Historische Theologie)
Veranstaltung
Seminar: Christentum in Indien
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
21
Katalognummer
V510103
ISBN (eBook)
9783346080141
ISBN (Buch)
9783346080158
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Assyrische Kirche des Ostens, Nestorianer, Indien
Arbeit zitieren
Siegfried Höfinger (Autor:in), 2019, Die Assyrische Kirche des Ostens in Indien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/510103

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