Beeinflussen Gehirnimplantate die Willensfreiheit des Menschen? Antworten aus philosophischer, neurowissenschaftlicher und sozialpsychologischer Sicht


Fachbuch, 2020

62 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die philosophische Debatte um den freien Willen
2.1 Metaphysische Grundannahmen
2.2 Inkompatibilismus und Kompatibilismus

3 Neurowissenschaftliche Perspektiven auf den freien Willen
3.1 Die Rolle des Unterbewusstseins und die Libet-Experimente
3.2 Illusionen der Autorschaft und die Rede vom Epiphänomenalismus

4 Die Sozialpsychologie des freien Willens
4.1 Das Argument der Inhaberschaft
4.2 Die gewandelte Wahrnehmung des Unbewussten
4.3 Die funktionale Rolle des freien Willens
4.4 Empirische Unterschiede

5 Zwischenfazit

6 Gehirnimplantate – der Stand der Forschung
6.1 Geschichte der Gehirnstimulation
6.2 Tiefe Hirnstimulation bei therapieresistenter Depression
6.3 Tiefe Hirnstimulation bei Zwangserkrankungen
6.4 Closed-Loop-Implantate

7 Die Bedeutung von Gehirnimplantaten für die Debatte um die Willensfreiheit
7.1 Implantierte Indeterminiertheit?
7.2 Psychologische Kontinuität bei DBS-Patienten
7.3 Macht Kontrolle frei?
7.4 Der verbesserte Wille?

8 Diskussion und Fazit

Literaturverzeichnis

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Impressum:

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Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

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1 Einleitung

„Der Wille des Menschen ist ein erhabener Begriff, auch dann, wenn man auf seinen moralischen Gebrauch nicht achtet. Schon der bloße Wille erhebt den Menschen über die Tierheit; der moralische erhebt ihn zur Gottheit“

(Schiller 1962 1793: S. 470).

Was sich hier wie eine Warnung vor einer fälschlichen Überhöhung des Menschen liest, ist keinesfalls so gemeint. Schiller war, ähnlich wie Kant, der festen Überzeugung, dass die Naturgesetze am menschlichen Willen abprallen und dieser als metaphysisches Bollwerk gegen die Notwendigkeiten und Triebhaftigkeiten der Natur dient (vgl. ebd. / bzgl. Kant Kapitel 2.2.4.).

Als Erfüllungsgehilfe der Vernunft ist der Wille hier untrennbar mit einer transzendenten Moral verbunden, sozusagen göttlicher Gewissheit. Ein Wille, der gegen die Vernunft handele, sei „unwürdig“, wenngleich Schiller für einen Ausgleich von Natur und Vernunft ist (ebd.). Auch heute verstehen viele Philosophen1 die Willensfreiheit noch als das besondere Merkmal, das den Menschen vom Rest der Schöpfung abhebt.

Nietzsche wiederum glaubt nicht an den freien Willen, er hält ihn für eine Illusion oder schlimmer noch, für eine Erfindung:

„Die Lehre von der Freiheit des Willens ist eine Erfindung herrschender Stände“

(Nietzsche und Colli 2005 1878: S. 545).

Nietzsche kann metaphysischen Begründungen nichts abgewinnen und sieht in Schopenhauers Ableitung der Freiheit aus dem Schuldbewusstsein einen entscheidenden Fehlschluss. Vielmehr könnten wir nur Schuld und Reue empfinden, weil wir uns für frei hielten (vgl. Nietzsche und Colli 2005 1878: S. 64). Nietzsches Verständnis von Freiheit als kulturelles Konstrukt ist seiner Zeit weit voraus und zeichnet den Weg für die heutige sozialpsychologische Behandlung der Willensfreiheit vor.

Neben Schiller und Nietzsche, Kant und Schopenhauer gibt es fast keinen bedeutenden Denker der Geschichte, der sich nicht zumindest in aphoristischer Manier mit der Willensfreiheit auseinandergesetzt hat. Insbesondere in jüngerer Zeit spielt die naturalistische Wissenschaft in Form der Neurowissenschaften eine bedeutende Rolle. Der entzaubernde Charakter eines mechanistischen Weltbilds wird von vielen als bedrohlich für unser Zusammenleben angesehen. Albert Einstein hingegen empfand seinen Nichtglauben an den freien Willen als entlastend:

„Ich glaube nicht an die Freiheit des Willens. Schopenhauers Wort: 'Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will', begleitet mich in allen Lebenslagen und versöhnt mich mit den Handlungen der Menschen, auch wenn sie mir recht schmerzlich sind. Diese Erkenntnis von der Unfreiheit des Willens schützt mich davor, mich selbst und die Mitmenschen als handelnde und urteilende Individuen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren.“

(Einstein 1932)

Wie man sieht, geht das Verständnis vom und die Attitüde zum sogenannten freien Willen weit auseinander. Schon seit Anbeginn der Philosophie ist er bestimmendes Thema unseres Selbstverständnisses als Menschen. Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, die unterschiedlichen Perspektiven auf die Willensfreiheit und ihre metaphysischen Grundlagen zu beleuchten und zu vergleichen.

Schon in der philosophischen Debatte soll immer wieder ein Augenmerk auf den schwierigen Widerspruch zwischen Metaphysik und Empirie gelegt werden. Freiheit scheint auch im alltäglichen Sprachgebrauch einem ambivalenten Verständnis zu unterliegen. Einerseits ist sie absolut, man versteht sich als freier Mensch, dessen Schicksal in den jeweils eigenen Händen liegt. Andererseits zweifelt kaum jemand daran, dass Freiheit sowohl durch äußere als auch innere Zwänge eingeschränkt sein kann.

Schillers Rede vom Begriff der Willensfreiheit liefert hier einen interessanten Hinweis auf deren konstruierte Natur. In verschiedenen Kontexten spielt die Rede vom freien Willen unterschiedliche Rollen. Wir können elementare Institutionen unserer Gesellschaft, wie Identität, Verantwortung und Moral nur vor diesem Hintergrund verstehen. Dabei scheint der metaphysische Charakter der Freiheit unsere Sicht für die Variabilität des Begriffs zu vernebeln.

Zentrales Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist der Spezialfall der Gehirnimplantate und wie diese neue Technologie unter der Schablone der Willensfreiheit verhandelt werden kann. Was bedeutet es für unser Selbstverständnis, wenn etwas so Fremdes solche fundamentalen Kategorien unseres Menschseins berührt? Ähnlich der Entdeckung des Unbewussten, zugespitzt in den Erkenntnissen der Libet-Experimente (vgl. Kapitel 3.1.), scheinen Gehirnimplantate unser Verständnis von Willensfreiheit auf die Probe zu stellen.

Während die gewöhnungsbedürftige These im Fall der Libet-Experimente war, dass auch unbewusste Entscheidungen zu uns gehören und frei sein können, stellt sich nun die Frage, wie körperfremde Mechanismen in der Entscheidungsgenerierung zu bewerten sind.

Können wir für unsere Handlungen verantwortlich sein, wenn sie zumindest teilweise durch ein Implantat bedingt sind? Welche Bedingungen gelten allgemein, damit eine Handlung als uns zugehörig, durch uns zu verantworten gilt?

Antworten auf diese Frage lassen sich nicht nur in der Interpretation der philosophischen Ansätze, sondern auch in den Neurowissenschaften und der Sozialpsychologie finden. Spannend ist dabei auch die Frage, wie sich diese Disziplinen zueinander verhalten. Insbesondere die Philosophie, die sich jahrhundertelang auf einen Körper-Geist-Dualismus zurückgezogen hat, droht in der Debatte an Bedeutung zu verlieren. Welche Rolle kann sie zukünftig spielen und wie ist sie mit dem mechanistischen Weltbild der Naturwissenschaften in Einklang zu bringen?

Welchen Platz hat die Philosophie in der konstruktivistisch-funktionalistischen Weltsicht der Sozialpsychologie? Der Antrieb dieser Arbeit ist, dass diese Fragen am ontologisch interessanten Spezialfall der Gehirnimplantate als konkretes Beispiel anschaulich diskutiert werden können.

Insbesondere epistemische Definitionen der Willensfreiheit, wie beispielsweise die von Wittgenstein - „Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können.“ (Wittgenstein 2016 1918: S. 60) -, die vor dem Aufkommen der Neurowissenschaften als unverrückbar wirken konnten, geraten in ihrer Geltung beispielsweise durch prognostische Gehirnimplantate unter Druck.

Versteht man die Willensfreiheit wie Nietzsche als soziales Konstrukt, kann man umgekehrt fragen, ob die Willensfreiheit nicht insbesondere Graubereiche des Wissenkönnens meint, Wittgensteins Nichtwissenkönnen also um ein Aberahnenkönnen erweitert werden müsste. Wenn dem so ist, und die Zuschreibung des freien Willens als soziale Grenzziehung von kausaler Zurechenbarkeit zu verstehen ist, stellt sich die Frage, wie diese vollzogen wird. Wissenschaftlicher Fortschritt, insbesondere in den Neurowissenschaften könnte dann als Erweiterung des Bereichs der individuellen Zurechenbarkeit interpretiert werden.

Gehirnimplantate könnten dann als Antwort auf den kategorischen Imperativ, den auch Kant direkt aus der Freiheit des Willens ableitete (vgl. Kant (vgl. Kant 2016 1781: S. 78), verstanden werden: Als vorauseilender Gehorsam und somit selbsterfüllende Prophezeiung dessen, was morgen erwartbar sein könnte.

2 Die philosophische Debatte um den freien Willen

Im Folgenden soll die philosophische Diskussion um die Willensfreiheit dargestellt werden. Die Umfänglichkeit der Debatte soll dabei angemessen berücksichtigt werden, sodass neben einem groben Überblick auch einzelne Argumente für eine spätere Bezugnahme zur Verfügung stehen.

2.1 Metaphysische Grundannahmen

Die Art und Weise, in der die Rede vom freien Willen unser Selbst- und Weltverhältnis formt, lässt sich nicht ohne die grundlegende Metaphysik, die dieser zu Grunde gelegt werden, verstehen. Dies ist nicht nur eine Frage der Vollständigkeit, sondern ermöglicht auch die Kontrastierung konkreter Fragestellungen gegen tieferliegende Vorstellungen.

2.1.1 Determinismus

In der aktuellen philosophischen Diskussion wird im Hinblick auf die allgemeinen Bedingungen für eine freie Willensbildung zuallererst zwischen deterministischen und indeterministischen Positionen unterschieden. Deterministische Positionen zeichnen sich durch die Annahme aus, dass die Zukunft zu jeder Zeit vorherbestimmt ist.

Geert Keil, der den Lehrstuhl für philosophische Anthropologie an der HU Berlin innehat und mehrere Monografien zur Willensfreiheit veröffentlicht hat, unterscheidet zunächst zwischen einem logischen und einem metaphysischen Determinismus. Eine logisch-deterministische Aussage ist aufgrund ihrer inneren Logik notwendig auch in der Zukunft wahr. Demnach sei die Zukunft determiniert, weil Aussagen über die Zukunft automatisch Wahrheit oder Unwahrheit anhafte.

Schon Aristoteles argumentiert laut Keil gegen diese Sichtweise, indem er zwischen logisch notwendigen und kontingenten Wahrheiten unterscheide (vgl. Keil 2017: S. 22). Die alleinige Tatsache, dass prinzipiell Aussagen über die Zukunft eindeutig wahr sein können, beweise demnach nicht, dass allen Aussagen eine inhärente Wahrheit oder Unwahrheit beigemessen werden könne. Eine logisch notwendige Wahrheit wäre beispielsweise eine tautologische Aussage wie „Es kommt, wie es kommt.“ Sie ist durch die Logik determiniert, determiniert aber nicht selbst (vgl. Keil 2017: S. 21).

Der Annahme, dass auch kontingenten Wahrheiten wie „Morgen wird es regnen.“ schon heute eine inhärente Wahrheit zukommen könnte, erteile Aristoteles laut Keil eine intuitive Absage (vgl. Keil 2017: S. 22). Keil führt weiter aus, dass die schon von Aristoteles als gegeben erachtete Freiheit des Menschen von der Spätantike bis ins Mittelalter als problematisch im Hinblick auf die angenommene Allwissenheit Gottes betrachtet wurde. Diese scheine augenscheinlich unvereinbar mit der Freiheit des Menschen, weil Vorauswissen nur möglich sei, wenn man auch die Entscheidungen der Menschen schon kenne (vgl. Keil 2017: S. 24).

Der spätantike römische Gelehrte Boethius versuchte diese Aporie laut Walter zu lösen, indem er Gott als überzeitliches Geschöpf konstruierte, dessen Allwissen somit kein Vorauswissen ist und folglich nicht unsere Freiheit gefährde (vgl. Walter 2016: S. 144). Diese Vorstellung, dass nicht nur alles schon determiniert ist, also mit Sicherheit wahr wird, sondern heute schon existiert und somit wahr ist, nennt Keil Eternalismus (vgl. Keil 2017: S.23). Seine moderne Entsprechung findet der Eternalismus in der Vorstellung eines Vierdimensionalismus, in dem Zeit sich nicht vollzieht, sondern als vierte Dimension immer schon existiert. Hier wäre nicht der freie Wille illusionär, sondern das Fließen von Zeit an sich (vgl. Rea 2005: S. 246ff.).

Keil weist jedoch darauf hin, dass die richtige Vorhersage innerhalb eines zeitlichen Universums eindeutig vom tatsächlichen Geschehen abhänge und nicht umgekehrt. Die These des Vorauswissens bedürfe einer zusätzlichen Modalität. Logisch notwendige Aussagen seien eben nur logisch notwendig, andere Aussagen (kontingente Wahrheiten) brauchen eine andere Notwendigkeit, um determiniert zu sein. Im Falle Gottes ist dies naheliegend eine metaphysische göttliche Allmacht.

Diese These werde allgemein als Prädestinationslehre bezeichnet (vgl. Keil 2017: S. 30). Besondere Bedeutung abseits der philosophischen Diskussion kam der Prädestination in der Reformationsbewegung von Calvin und Luther zu. Luther vertrat die Auffassung, dass nur der göttliche Wille frei sei, nur ihm käme die Entscheidung zu, ob ein Mensch in den Himmel oder die Hölle komme (vgl. Steinacker 2009: S. 144). Luther hält es dabei für einen „heilsamen“ Gedanken, dass „Gott nichts zufällig vorherweiß, sondern dass er alles mit unwandelbarem, ewigem und unfehlbarem Willen sowohl vorhersieht, sich vornimmt und ausführt.“ (Luther 2017 1525: S. 27).

Dabei versucht Luther sich noch gegen einen universalen Determinismus abzugrenzen und dem Menschen zumindest eine bedingte Freiheit einzuräumen (vgl. Lohse 1995: S. 186), verfängt sich dabei aber in unauflösbaren Widersprüchen, wie Steinacker ausführt (vgl. Steinacker 2009: S. 147). Auch Keil kommt zu dem Schluss, dass die Prädestinationslehre einen echten Determinismus darstellt, die keinen Spielraum für menschliche Willensfreiheit lässt (vgl. Keil 2017: S. 24).

Während der theologische Determinismus seine Modalitätsquelle in einem allmächtigen Gott findet, gründet sich der naturwissenschaftliche Determinismus in der Annahme, dass man durch Kenntnis der Naturgesetze die Zukunft vorausberechnen könne (vgl. Keil 2017: S. 33). Der bekannteste frühe Vertreter eines solchen Determinismus ist Pierre-Simon Laplace, der 1812 den nach ihm getauften laplaceschen Dämon in die Diskussion einführte:

„Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Elemente kennte, und überdies umfassend genug wäre, um diese gegebenen Größen der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen; nichts würde ihr ungewiss sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen liegen“

(Laplace 1932 1812: S. 1f.)

Karl Popper, ein vehementer Gegner einer solchen Vorstellung, knüpft seine Kritik vor allem an die praktische Unmöglichkeit einer solchen Voraussagbarkeit. Ein endlicher Akteur (und nimmt man keinen metaphysischen Gott an, gibt es nur endliche Akteure) könne nie die Präzision erreichen, noch ihren notwendigen Grad vorhersagen, um eine exakte Vorhersage gewährleisten zu können (vgl. Popper 1991: S. 10ff.).

Wie aber schon im Zusammenhang mit dem theologischen Determinismus gezeigt wurde, hat Vorauswissen nur indirekt etwas mit Determinismus zu tun. Wichtig ist, ob die zugrundeliegende Modalität zutrifft oder nicht. Wenngleich Poppers Kritik also hinkt, weil der laplacesche Dämon nur ein Gedankenexperiment und keine logische Notwendigkeit für einen Determinismus ist (vgl. Hoefer 2016: k.S.), erwähnt er einen anderen wichtigen Punkt. Nicht allgemein die Geltung der Naturgesetze, sondern ein Kausalprinzip, dass eine eindeutige Deduktion aus Ursache, Gesetz und Wirkung zulässt, werde vom Determinismus erfordert (vgl. Popper 1991: S. 10).

2.1.2 Das Kausalprinzip

Die deterministische Position ist allerdings nicht deckungsgleich mit dem Kausalprinzip, das für jede Wirkung eine Ursache fordert. Das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung könnte auch probabilistischer Natur, also kausal aber uneindeutig, sein.

Neben dem weiteren Einwand, dass auch nichtkausale Sukzessionsgesetze einen Determinismus begründen könnten (vgl. Walter 2016: S. 82), bemerkt Keil, dass die fundamentalen Naturgesetze gar keine Sukzessionsgesetze sind und somit untauglich für eine kausale oder deterministische Argumentation (vgl. Keil 2017: S.39). Ganz allgemein seien Naturgesetze keine bewiesenen Wahrheiten, sondern nur approximative Modellierungen, die stets falsifiziert werden könnten und dies auch immer wieder würden (vgl. Keil 2017: S. 37).

Das Kausalprinzip liegt dabei noch etwas tiefer. Es leitet sich laut Kant nicht aus der Erfahrung ab, sondern sei ein sogenanntes synthetisches Gesetz a priori, das Erfahrung erst möglich mache (vgl. Kant und Timmermann 1998 1781: S. 252). Das führt logisch notwendig dazu, dass das Kausalgesetz nicht nur, wie alle Naturgesetze und allgemeiner alle universal gültigen Behauptungen nicht beweisbar, sondern zusätzlich auch unwiderlegbar ist, da die Unsichtbarkeit eines Kausalzusammenhangs, wie bei allen Existenzbehauptungen, unmöglich dessen Nichtexistenz beweisen kann (vgl. Stegmüller 1960: S. 188).

Kant ist in seiner Philosophie über die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori durch Hume inspiriert, der durch das Aufwerfen des sogenannten Induktionsproblems eben solche in Frage gestellt hatte (vgl. De Pierres und Friedman 2018: k.S.). Anders als Kant, der die Naturgesetze und die Kausalität unbedingt vor Humes Kritik retten wollte (vgl. Keil 2017: S. 176), stellt Lewis 200 Jahre später die Diskussion vom Kopf auf die Füße, indem er in Anlehnung an Hume seine Theorie der humeschen Supervenienz postuliert.

In dieser Theorie gibt es nur raumzeitliche Qualitäten von einzelnen Punkten, die unter bestimmten Voraussetzungen beispielsweise als Kausalbeziehung kategorisiert werden können. Daraus abgeleitete Regularitäten bleiben aber fundamental kontingent. Die Gesetze und Regularitäten der Welt hängen demnach also von den Dingen und Ereignissen ab und nicht umgekehrt (vgl. Lewis 1987 z.n. Esfeld 2008: S. 325f.).

Die Annahme eines mechanistischen, also laplaceschen Determinismus, der durch die Geltung des Kausalprinzips und der Naturgesetze wahr wird, ist also mehr als fraglich. Das allein schließt einen Determinismus, der reduziert als die Annahme, dass zwei exakt gleiche Universen sich identisch verhalten, beschrieben werden kann, nicht aus. Nur ist diese Annahme genauso wenig verifizierbar oder widerlegbar, wie ihre modal verstärkten Varianten (vgl. Keil 2017: S. 42).

2.1.3 Indeterminismus

Die gegenteilige Annahme zum Determinismus wird Indeterminismus genannt. Der Indeterminismus geht davon aus, dass verschiedene Zeitverläufe möglich sind. Ähnlich wie beim Determinismus sind dafür verschiedene modale Annahmen möglich. Neben der grundsätzlichen Gesetzesskepsis (vgl. Kapitel 2.1.2.), also der Annahme, dass ein Determinismus gar nicht überzeugend begründet werden kann oder wie Swartz schreibt, ein Ereignis auch immer das erste des daraus resultierenden Gesetzes sein kann (vgl. Swartz 2003: S. 144), gibt es hauptsächlich noch das Argument der Quantenphysik.

Die Quantenphysik ist eine Erweiterung der klassischen Physik, die Anfang des 20. Jahrhundert notwendig wurde, um bestimmte physikalische Phänomene erklären zu können. Ein zentraler Punkt der Quantenphysik ist, dass die Position von einzelnen Teilchen im Raum nur als Wahrscheinlichkeitsfunktion beschrieben werden kann (vgl. Maudlin 2005: S. 464).

Diese von Werner Heisenberg beschriebene Unschärferelation verhindert die gleichzeitige Bestimmung von Ort und Impuls eines Teilchens. Die bekannteste Interpretation der Quantenmechanik ist die Kopenhagener Deutung, die von einem basalen Zufallsprinzip im Universum ausgeht und somit eine indeterministische Weltsicht impliziert (vgl. Walter 2016: S. 27).

Im Normalfall mitteln sich diese Zufälle gemäß dem Gesetz der großen Zahlen aus, sodass zumindest ein approximativer Determinismus vorstellbar bleibt. Ein berühmtes Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger versinnbildlicht, wie diese normalerweise nur auf Ebene der Atome anwendbare Beschreibung durch Wahrscheinlichkeitsfunktionen in die makroskopische Welt transferiert und somit auch dort bedeutsam werden kann. In diesem Gedankenexperiment wird eine Katze in einen Karton gesperrt und ein ebenfalls im Karton befindliches Giftgas wird freigesetzt, sobald ein durch einen atomaren Zerfall gesteuerter Mechanismus aktiviert wird.

Der atomare Zerfall ist ein klassisches Beispiel für einen quantenmechanischen Vorgang, bei dem man sagen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit beispielsweise ein Neutron emittiert wird, aber nie sicher sein kann, wann genau. Die Frage, ob die Katze also bereits tot ist oder nicht, lässt sich ebenfalls nur mit einer Wahrscheinlichkeit beantworten. Schrödinger selbst hielt diese Vorstellung für absurd, dennoch entspricht diese Interpretation der Meinung der Mehrzahl der Wissenschaftler. In der Kopenhagener Deutung entscheidet sich erst im Moment der Messung, welche Möglichkeit realisiert wird (vgl. Maudlin 2005: S. 467).

Die Kopenhagener und damit eine indeterministische Deutung ist aber nicht die einzige Interpretation der Quantenphysik, wenn auch die am meisten verbreitete. Andere Interpretationen, die beispielsweise verborgene Variablen postulieren, wären auch mit einem Determinismus vereinbar (vgl. Maudlin 2005: S. 465).

Ein weiterer Einwand gegen die Bedeutung des quantenphysikalischen Indeterminismus ist das Argument des bereichsspezifischen Makrodeterminismus. Dieses behauptet, dass sich der quantenphysikalische Indeterminismus in den freiheitsrelevanten Bereichen, wie dem Gehirn, nicht auf die Makroebene auswirke (vgl. Walter 2016: S. 28). Abgesehen davon, dass diese Annahme ähnlich wie der allgemeine Determinismus eine weitgehend unbegründete Annahme sei (vgl. Walter 2016: S. 80), sei diese auch logisch inkonsistent, da auch ein in sich deterministisches System nicht kausal abgeschlossen sei und somit durch äußere Quellen indeterministisch werde (vgl. Walter 2016: S. 228).

2.2 Inkompatibilismus und Kompatibilismus

Aus der Diskussion um den Determinismus ergeben sich für die Diskussion um den freien Willen zwei Positionen. Die eine hält einen Determinismus und den freien Willen für unvereinbar und wird Inkompatibilismus genannt, während Kompatibilisten keinen grundlegenden Widerspruch sehen.

Inkompatibilisten, die an einen Determinismus glauben, werden auch harte Deterministen genannt. Sie halten den freien Willen für nichtexistent. Libertarier glauben an den freien Willen, sind aber ebenso Inkompatibilisten und lehnen daher einen Determinismus ab. Die dritte inkompatibilistische Position ist der harte Inkompatibilismus, der auch in einer indeterministischen Welt die Annahme eines freien Willens ablehnt (vgl. Griffith 2013: S. 25).

Kompatibilisten teilen sich in weiche Deterministen, die einen Determinismus für gegeben und unter Umständen sogar für wesentlich halten, und agnostische Kompatibilisten, die die Determinismusfrage für unbeantwortet bzw. teilweise irrelevant befinden (vgl. ebd.). Walter ergänzt seine Kategorisierung um die Variable, dass man, obwohl man Determinismus und Freiheit prinzipiell für vereinbar hält, aus anderen Gründen die Willensfreiheit ablehnen oder ihr skeptisch gegenüberstehen kann (vgl. Walter 2016: S. 70). Im Folgenden sollen einige wichtige Theorien der verschiedenen Standpunkte vorgestellt werden.

2.2.1 Harter Determinismus

Wie bereits erläutert wurde, spricht einiges gegen die Annahme eines absoluten Determinismus. Freiheitsskeptiker würden deshalb mittlerweile eher mit einem Indeterminismus oder einem bereichsspezifischen Determinismus argumentieren, sodass die ursprünglich weit verbreitete Position des harten Determinismus mittlerweile nur noch vereinzelt und oft abgeschwächt vertreten werde (vgl. Walter 2016: S. 54).

Eine dieser Ausnahmen bildet Ted Honderich, emeritierter Professor für Philosophie des Geistes am London University College. Er verteidigt Kants Annahme eines universell gültigen Kausalprinzips. Wenngleich Honderich nicht bestreitet, dass Kausalität und die Determiniertheit dieser schlichtweg nicht beweisbar sind, beharrt er auf seinen Intuitionen. Gegen probabilistische Annahmen der Quantenphysik führt er jedoch ausschließlich makroskopische und simple mechanische Gegenbeispiele, wie das Anzünden eines Streichholzes, an (vgl. Honderich 2011: S. 5f.). Holderich beruft sich also in Bezug auf die Quantenphysik auf einen Makrodeterminismus und führt seine lebensweltliche Erfahrung als Argument für die Richtigkeit deterministischer Interpretationen dieser an.

Die Gültigkeit des Determinismus leitet Honderich vor allem daraus ab, dass er nicht widerlegt werden konnte. Interessanterweise setzt er hier klassischen Determinismus und quantenmechanischen Indeterminismus gleich, indem er sagt, dass beide Theorien seien und Theorien zwar gut funktionierten, aber trotzdem inkorrekt sein könnten. Während er der Indeterminismusthese aber das Fehlen eines Beweises ankreidet, hält er diesen für die Determinismusthese anscheinend für nicht notwendig (vgl. Honderich 2011: S. 7). Wie oben bereits erläutert wurde, können kombinierte All- und Existenzbehauptungen aber weder widerlegt noch bewiesen werden, was Honderichs Argument hinfällig und vor allem einseitig macht. Die teilweise Vorhersagbarkeit eines Systems widerlegt nicht die Möglichkeit einer Unvorhersehbarkeit und eine subjektive Unvorhersehbarkeit beweist nicht, dass beispielsweise verborgene Variablen existieren (vgl. Kapitel 2.1.2.).

Honderichs theoretischer Unterbau basiert also eher auf unbeweisbaren Annahmen und Intuitionen, was in dieser metaphysischen Debatte durchaus legitim ist. Interessanter sind aber seine Beweggründe, mit denen er sein vehementes Eintreten für die Determinismusthese begründet. Seine sozialpyschologisch anmutenden Thesen verbinden den Glauben an einen freien Willen mit tiefsitzenden Lebenshoffnungen, dem Verständnis von personalen Beziehungen und Moral. Die Annahme des Determinismus bringe all diese Vorstellungen ins Wanken, sodass die Menschen mit Entsetzen (orig. dismay) und Ablehnung der gesamten These reagieren oder sich in eine Uneinsichtigkeit (orig. intransigence) über deren Konsequenzen zurückziehen würden (vgl. Honderich 2011: S. 14).

Doyle ordnet diese von Honderich genannten Reaktionen den bekannten Positionen zu, nachdem die entsetzten Ablehner eine libertarische Position und die bezüglich der Konsequenzen Uneinsichtigen eine kompatibilistische Position einnähmen (vgl. Doyle 2011: S. 285f.). Ihre Schwäche sei gleichzeitig die Ignoranz der jeweils anderen Attitüde. Libertarier würden den Untergang der Moral befürchten und dabei ignorieren, dass viele Kompatibilisten beides in Einklang bringen können. Diese würden wiederum fälschlicherweise behaupten, dass sich durch die Annahme des Determinismus nichts verändern würde, wenngleich diese offensichtlich die Hoffnung auf ursprüngliches Handeln (orig. origination) zerstören würde (vgl. ebd.).

Honderich schlägt eine pragmatische Anerkennung des Determinismus vor, die einerseits das Entsetzen über den Wegfall elementarer Lebenshoffnung nicht leugnet und andererseits versucht, verbleibende Quellen von Verantwortungsgefühl auszuschöpfen (vgl. Honderich 2011: S. 13ff.). Freiheit sei als Dualismus aus Freiwilligkeit und Originalität konzipiert, falle Originalität durch den Determinismus weg, müsse man eben neu konzipieren. Libertarier sähen die gesamte Freiheit in Gefahr, weil sie sie einseitig als Schöpferkraft interpretierten, während Kompatibilisten sie einseitig mit Freiwilligkeit verknüpften und so die Probleme der Determinismusannahme übersähen (vgl. Honderich 2002: S. 96f.).

2.2.2 Harter Inkompatibilismus

Schon bei Honderich klingt die Idee an, dass auch die Existenz eines Indeterminismus möglich ist, dieser jedoch irrelevant ist. Harte Inkompatibilisten gehen davon aus, dass es gänzlich egal ist, ob die Welt deterministisch oder indeterministisch ist. Entweder, weil sie glauben, dass quantenphysikalische Prozesse keine relevanten Auswirkungen auf die Makroebene haben oder weil sie glauben, dass auch eine indeterministische Kausalwirkung keinen Raum für Freiheit gebe, da uns schlicht die Kontrolle über sie fehle (vgl. Griffith 2013: S. 72).

Derk Pereboom unterscheidet zwischen Urheberschaftssinkompatibilismus und Spielrauminkompatiblismus (orig. source/leeway i.) (vgl. dazu auch Timpe 2007: S. 143f.), wovon er den ersteren vertritt, wodurch sich erklären lässt, warum Pereboom die Frage nach dem Determinismus für irrelevant hält. Der Spielrauminkompatibilismus geht davon aus, dass die Freiheit davon abhängt, ob man eine Wahl hat und deshalb nur einen Determinismus für freiheitsunverträglich hält. Pereboom glaubt hingegen, dass Urheberschaft das eigentliche Problem ist, weil er Wahlfreiheit in Übereinstimmung mit kompatibilistischen Argumenten für nicht notwendig hält (vgl. Fischer et al. 2007: S. 91 / Kapitel 2.2.3.). Kausale Urheberschaft sei hingegen auch in einem indeterministischen Universum ein Problem. Von den libertarischen Ansätzen (siehe Kapitel 2.2.4.), die dieses Problem erklären wollen, hält er nur den akteurskausalen Ansatz für theoretisch tragfähig. Andere Ansätze seien durch Zufälligkeit bestimmt, in ihnen verschwinde der Akteur (vgl. Fischer et al. 2007: S. 103) oder wie Griffith es fasst: Nur im akteurskausalen Ansatz fielen Vernunft und Ursache zusammen (vgl. Griffith 2013: S. 69f.).

Pereboom ist jedoch der Auffassung, dass es keine Evidenz für unvorhersehbare Akteure gebe. Denn auch in einem probabilistischen Universum müsste man akteurskausal verursachte Abweichungen vom Erwartungswert messen können (vgl. Fischer et al. 2007: S. 112).

2.2.3 Kompatibilismus

Kompatibilisten halten uns trotz oder gerade wegen des Determinismus‘ für frei. Dabei legen sie einen bescheideneren Freiheitsbegriff an, der vor allem durch Argumente unterfüttert wird, die beweisen sollen, dass es uns nicht auffallen würde, wenn wir bewiesenermaßen unfrei wären. Schopenhauers berühmtes Zitat „der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will“2 macht deutlich, dass eine gänzlich unbedingte Freiheit schwer vorstellbar ist, sie scheint in einen infiniten Regress zu führen, da es immer höherstufige Willensbildungsprozesse geben müsste. Bei Schopenhauer ist der Wille daher etwas Metaphysisches, der den Menschen einfach zukommt und mit Motiven versehen wird, der aber selbst motivlos ist. Wir seien ihm ausgeliefert und könnten ihn nicht hintergehen (vgl. Schopenhauer 2014 1856: S. 626).

Obwohl Schopenhauer durch die Einführung eines metaphysischen Weltwillens das Problem der Willensfreiheit nur wenig zufriedenstellend zu lösen scheint, erkennt er das Problem der Mehrstufigkeit des Willens. Allerdings wendet Keil natürlich zu Recht ein, dass es sehr wohl höherstufige Willensebenen gibt (vgl. Keil 2017: S. 3), die Frage nach der genuinen Ursache bleibt jedoch bis heute ein philosophisches Thema.

Anders scheint dies bei David Hume zu sein, der allgemein zu den klassischen Kompatibilisten gezählt wird (vgl. Keil 2017: S. 67). Seine Definition von Freiheit erschöpft sich vollständig in der Freiheit von äußeren Zwängen. Willensfreiheit wird hier synonym mit Handlungsfreiheit gebraucht, wie auch Kulenkampff in seiner Hume-Exegese feststellt (vgl. Kulenkampff 2013: S. 138f.).

Wie in Kapitel 2.1.2. dargestellt, hat Hume die allgemeine Beweisbarkeit des Kausalprinzips in Frage gestellt, wenngleich er von dessen Zuverlässigkeit ausging (vgl. auch Kulenkampff 2013: S. 145).

Dieser auf Regelhaftigkeit basierende Determinismus ist in seiner Konsequenz weicher, da er Abweichungen nicht ausschließt, sondern eher auf dem Prinzip ‚Ausnahmen bestätigen die Regel‘ basiert (vgl. Walter 2016: S. 62).

Für Hume gilt alles als kausal determiniert, das eine „constant conjunction of similar objects, and the consequent inference from one to the other” aufweist (Hume und Beauchamp 1999 1748: S. 150). Dieser empirische Determinismus erfordert dabei immer eine geeignete Beobachtungsquelle, die Hume im alltäglichen Umgang mit uns selbst und unseren Mitmenschen zu finden glaubt. Aus diesen „universal principles of human nature“ (ebd.) folgert er einen psychologischen Determinismus, der postuliert, dass sich menschliches Verhalten regelbasiert beschreiben lässt (vgl. Kulenkampff 2013: S. 150).

Laut Kulenkampff widerspricht sich Hume in diesem Punkt leicht, da er immer wieder auch betone, wie komplex und unvorhersehbar menschliches Verhalten sei. Die benennbaren Faktoren wie Charakter, Neigungen und Motive seien laut Kulenkampff eben nicht als eindeutiger Mechanismus beschreibbar, sondern allenfalls als loser Zusammenhang (vgl. Kulenkampff 2013: S. 151). Laut Kulenkampff schreckt Hume dabei vor der offensichtlichen Schlussfolgerung zurück, die Habermas später (vgl. Kapitel 2.2.5.) explizit macht: Moral und Freiheit sind vor allem von der Perspektive abhängig und somit relativ (vgl. Kulenkampff 2013: S. 143).

Hume ist des Weiteren der Ansicht, dass die Determination aus nachvollziehbaren Motiven und Gründen notwendig für unsere Freiheit sei, da unsere Handlungen ansonsten zufällig und außer Kontrolle wären. Freiheit benötigt demnach einen Determinismus, da unsere Handlungen nur so auch uns zurechenbar seien. Freiheitsgefährdend sei nur äußerer Einfluss und Behinderung (vgl. Hume und Beauchamp 1999: S. 41).

Wie bereits erwähnt, übersieht Hume dabei, dass ein Mensch auch durch innere Konflikte eingeschränkt sein kann. Laut Kulenkampff wäre diese innere Freiheit leicht in Humes Theorie zu integrieren, als Fähigkeit, die eigenen Motive und Neigungen im Hinblick auf langfristige Ideale zu reflektieren (vgl. Kulenkampff 2013: S. 139).

Eine moderne Variante des Kompatibilismus, der auch diese innere Freiheit berücksichtigt, stammt von Harry Frankfurt. Er schlägt den Begriff der höherstufigen Wünsche vor, um den menschlichen Willensbildungsprozess besser abbilden zu können. Wichtig für einen freien Willen sei die Identifikation mit den eigenen Wünschen. Diese Reflektionsfähigkeit sei es, die den Menschen vom triebhaften Tier unterscheide und ihn frei mache (vgl. Frankfurt 1988a: S. 128f.).

In Humes Modell ist ein Raucher frei, wenn ihn niemand am Rauchen hindert oder ihn dazu zwingt. In Frankfurts Modell muss der Wunsch erster Ordnung, „Ich will rauchen“, dessen Gelingensbedingungen sich auf nicht-mentale Umstände beziehen, durch einen Wunsch zweiter Ordnung reflektiert werden. Die Freiheit des Willens sieht Frankfurt (neben der äußeren Freiheit) in sogenannten Volitionen zweiter Ordnung. Dies sind Wünsche zweiter Ordnung, die sich auf die Handlungswirksamkeit von Wünschen erster Ordnung beziehen und auch stark genug sind sich durchzusetzen. Dies kann sich auf die Vermeidung einzelner oder die Rangordnung verschiedener Wünsche erster Ordnung beziehen (vgl. Frankfurt 1988a: S. 132).

Ein, zumindest im Inneren, freier Mensch zeichnet sich laut Frankfurt durch eine Ernsthaftigkeit (orig. wholeheartedness) seiner Willensbildung aus. Mit dem Begriff der Ernsthaftigkeit reagiert Frankfurt auch auf das Problem des Regresses, das Schopenhauer durch den metaphysischen Willen auflösen wollte. Sobald meine Wünsche verschiedenster Ordnung miteinander im Einklang stehen, wird eine höherstufige Reflektion unnötig (vgl. Frankfurt 1999: S. 106).

Kompatibilistisch ist an dieser Position vor allem der Umstand, dass es für Frankfurt egal ist, woher diese höherstufigen Wünsche kommen und ob sie alternativlos sind. Als Beispiel führt Frankfurt das berühmte, Luther zugeschriebene Zitat3 „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ an, welches Luthers empfundene Alternativlosigkeit wiederspiegele, ohne einen gefühlten Freiheitsverlust zu suggerieren. Frankfurt nennt solche Situationen volitional notwendig, weil sie den Betroffenen als einzige Option erschienen, sie aber gerade deshalb als Ausdruck einer Willensstärke interpretiert würden (vgl. Frankfurt 1988b: S. 86f.). Gerade weil in mir kein innerer Konflikt über verschiedene Handlungsoptionen herrscht, bin ich frei.

In den sogenannten Frankfurt-Fällen erläutert Frankfurt, wie diese Freiheit sogar unberührt bleibt, selbst wenn faktisch kein anderes Verhalten möglich ist. Eines dieser Beispiele lautet: Person A hat Person B ohne deren Wissen ein Gehirnimplantat eingesetzt, mit dessen Hilfe sie Person B kontrollieren kann. Person B agiert aber vollständig so, wie von Person A gewollt, sodass diese nie interveniert. Frankfurt argumentiert, dass wir in diesem Fall Person B für moralisch verantwortlich halten, obwohl er de facto keinen Handlungsspielraum besaß (vgl. Frankfurt 1969: S. 835f.). Gegen diese Argumentation wurde mitunter eingewandt, dass Person A erst reagieren könne, wenn Person B bereits eine alternative Handlung angestoßen habe, Frankfurts Argument sei daher nur richtig, wenn Person B sowieso in einem Determinismus gefangen sei, dann aber irrelevant (vgl. Palmer 2011: S. 262).

Pereboom schlägt deshalb eine Variante dieses Gedankenexperiments vor, die seiner Meinung nach unabhängig von der Frage nach dem Determinismus funktioniere. In seinem Beispiel denkt Person A darüber nach, einen Steuerbetrug zu begehen. Außer einer moralischen Volition zweiter Ordnung sich an Recht und Gesetz zu halten, gäbe es weder eine Sorge erwischt zu werden noch andere Motive, den Steuerbetrug nicht zu begehen. Seine moralische Volition zweiter Ordnung ist jedoch nur notwendig, aber nicht hinreichend, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Nehme man einen libertarischen freien Willen an, könnte er sich genauso gut für beide Optionen entscheiden, da zwei gleichstarke Wünsche gegeneinanderstehen. Wie in Frankfurts Beispiel hat Person A jedoch ein Gehirnimplantat, das seine Entscheidung zugunsten des Steuerbetrugs beeinflusst, sobald der höherstufige Wille moralisch zu sein, genügend Aufmerksamkeit bekommt, um potenziell handlungswirksam zu werden. Da dies nicht passiert, bleibt das Gehirnimplantat inaktiv (vgl. Fischer et al. 2007: S. 90f.).

Laut Pereboom ist der entscheidende Unterschied zu Frankfurts Beispiel die Robustheit der alternativen Handlungsoption. Pereboom definiert eine robuste Handlungsoption als solche, die für einen Akteur als moralisch relevante Option erscheint. Nur wenn mein Anderskönnen mir als Möglichkeit erscheint, ändere dies etwas an meiner moralischen Verantwortlichkeit. Dadurch, dass die Option in seinem Beispiel nur notwendig, aber nicht hinreichend sei, sei diese folglich nicht robust und somit irrelevant (vgl. Fischer et al. 2007: S. 89).

Zwar äußert Palmer berechtigte Zweifel daran, ob Perebooms Beispiel strenggenommen wirklich die Irrelevanz von alternativen Handlungsmöglichkeiten für die moralische Verantwortlichkeit beweist, da Person A schon zum Zeitpunkt des Nichtdirektentscheidens einen alternativen Weg beschreite (vgl. Palmer 2011: S.265ff.). Dennoch scheint es eine relevante Frage zu sein, welche robusten Handlungsoptionen uns zu welchem Zeitpunkt bewusst werden. Insbesondere, wie auch Palmer anführt, da sich Entscheidungsfindung höchstwahrscheinlich unbewusst anbahnt, sodass sein Argument, dass die intervenierende Instanz erst einschreiten kann, wenn die alternative Handlungsoption bereits beginnt sich zu realisieren, seine Kraft verliert (vgl. Palmer 2011: S. 271). Es scheint als ginge Pereboom stillschweigend davon aus, dass die Robustheit einer Handlungsoption damit einhergeht, dass sie auch wahrgenommen wird und nicht nur theoretisch als relevant betrachtet würde. Palmer stellt hingegen eher prinzipiell die Möglichkeit einer solchen pseudodeterministischen Entscheidungsfindung in Frage.

Auch unter Kompatibilisten ist die Frage, ob Freiheit ohne alternative Möglichkeiten überhaupt denkbar ist, umstritten. Fischer führt daher für seine Position den Begriff des Semikompatibilismus ein, in dem er die Frage nach einer Freiheit im libertarischen Sinn für ungeklärt hält, diese aber getrennt von der Frage nach einer moralischen Verantwortlichkeit versteht (vgl. Fischer et al. 2007: S. 59). Freiheit und Verantwortlichkeit seien an zwei Arten der Kontrolle gekoppelt, die sich oft überschneiden würden, aber prinzipiell auch isoliert betrachtet werden könnten.

[...]


1 In der folgenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Sie bezieht sich auf Personen beiderlei Geschlechts.

2 Dieses Zitat wird Schopenhauer allgemein zugeschrieben, zitierfähig überliefert ist allerdings nur eine umständlichere Variante in Schopenhauer, Arthur. (1978). Preisschrift über die Freiheit des Willens. Hamburg: Felix Meiner, S. 58-59

3 Malessa (2015) kritisiert eine weitverbreitete Falschzuschreibung dieses Zitats, dass so nicht protokolliert sei.

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Beeinflussen Gehirnimplantate die Willensfreiheit des Menschen? Antworten aus philosophischer, neurowissenschaftlicher und sozialpsychologischer Sicht
Autor
Jahr
2020
Seiten
62
Katalognummer
V510951
ISBN (eBook)
9783964871657
ISBN (Buch)
9783964871664
Sprache
Deutsch
Schlagworte
freier Wille, Autonomie, Gehirnimplantate, Libet, Willensfreiheit, DBS, Parkinson, Depression, Epilepsie, Kompatibilismus, Inkompatibilismus, Determinismus, Kausalprinzip, Libertarismus, Habermas, Konfabulation, Unbewusst*, tiefe Hirnstimulation, Gehirnstimulation, Psychochirurgie, Closed-Loop-Implantate, Kontrolle, Identität, Neuro-Enhancement, Metaphysik
Arbeit zitieren
Jan Schmutzler (Autor:in), 2020, Beeinflussen Gehirnimplantate die Willensfreiheit des Menschen? Antworten aus philosophischer, neurowissenschaftlicher und sozialpsychologischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/510951

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