Stellt der "eiserne Gustav" eine zum Nationalsozialismus bekennende Auftragsarbeit dar?

Hans Fallada. Zwischen Konzession und Innerer Emigration


Hausarbeit, 2017

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung: Kritischer Rückblick

2 Entstehungsgeschichte eines deutschen Schicksals
2.1 Komplikationen
2.2 Konzessionen

3 Komposition
3.1 Gemachtheit des Textes (Erzählanalyse)
3.2 intertextuelle Spielräume

4 Der eiserne Gustav als Entwicklungsroman?
4.1 Der eiserne Vater und die Schuld
4.2 Nachträgliche „Um-Entwicklung“

5 Fahrlässige Auftragsarbeit?
5.1 Merkmalsabgleich mit nationalsozialistischer Dichtung
5.2 Abschluss: Ein Finder jenseits der Zuweisung

6 Literaturangaben

1 Einleitung: Kritischer Rückblick

„Es mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut, in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden“1

Dieses viel zitierte Zitat Thomas Manns befeuert Diskussionen, in denen es um die kontroverse These geht, inwieweit Schriftsteller im Deutschland des Nationalsozialismus Regimetreue an den Tag legen (müssen), um überhaupt publizieren zu können. Diskussionsstoff liefert in diesem Rahmen der Schriftsteller Hans Fallada alias Rudolf Ditzen, der 1893 in Greifswald geboren wird, 1947 in Berlin stirbt und somit zwei Weltkriege in seiner Biografie verzeichnen kann. Während der NS-Diktatur emigriert er zumindest nicht physisch, stellt sich nicht der NS-Ideologie entgegen und hört doch nicht auf zu schreiben. In Frage gestellt wird dabei der Begriff Innere Emigration, der – so auch bei Mann – als nachträgliche Rechtfertigung Falladas eigenen Konzessionen gegenüber dem NS-Regime und des Mittläufertums abgetan wird. Andererseits erhält Fallada eindeutigen Zuspruch von Seiten des ebenfalls in Deutschland ausharrenden Schriftstellerkollegen, unter Pseudonymen aktiven Widerständler und bekennendem Sozialdemokraten Kurt Tucholsky, der noch im Jahre 1931 in der Weltbühne ein größtes Lob auf Bauern, Bonzen, Bomben singt, das gleichzeitig eine Warnung mit beinhaltet. Er spielt auf die Etymologie der Bezeichnung „Fallada“ an, welche auf einen abgeschlagenen, wahrheitssprechenden Pferdekopf in einem Märchen der Gebrüder Grimm referiert. Die Pferdebesitzerin klagt täglich vor ihrem toten Rosskopf: „O Fallada – daß du da hangest!“ Weiter ergänzt Tucholsky: „Wenn sie dich kriegen, Hans Fallada, wenn sie dich kriegen, sieh dich vor, daß du nicht hangest!“2 Eine in diesen Zeiten durchaus berechtigte Warnung, die umso stärker wirkt, wenn man die zwei Jahre später folgenden Bücherverbrennungen (Mai 1933) dazu addiert.3 Allerdings gilt zu beachten, dass wir uns eine Eins-zu-Eins-Wahrnehmung des literarischen Opus in der damaligen Situation gar nicht mehr vorstellen können. Literatur sei als Lektürephänomen per se ambivalenter, im Vergleich mit den anderen Künsten oder den Massenmedien, und daher für die Propaganda weniger geeignet, da sie Spielräume, Zwischenreiche und Gegenwelten ermögliche.4 Außerdem dürfe man Missverständnisse zwischen Gesagtem und Gemeintem durchaus nicht unterschätzen, denn „Nationalsozialisten, Nichtnationalsozialisten und sogar Gegner des Nationalsozialismus“ würden oft Gleiches sprechen und Anderes meinen, da unterschiedliche Interpretation der Begriffe „Freiheit, Vaterland, Volksgemeinschaft“ usw. bestünde. Dies erkläre laut Berglund auch den Erfolg von Werken der Inneren Emigration unter nationalsozialistischen Rezipienten.5 Allen semantischen Missverständnissen zum Trotz steht jedoch fest, dass der eiserne Gustav ein Fallstrick für Fallada hätte sein können, was ihm wohl selbst bewusst war und zur Umarbeitung zwang.6 Der „Nazischwanz“, wie das angehängte letzte Kapitel – nach der Umschreibung – im 1938 veröffentlichten Roman genannt wird, ist in Falladas eigenen Augen ein „furchtbarer Bockmist.“7 Umso verwunderlicher, dass der Roman nach 1945 „in der DDR gepflegt“ wird.8 Diese Ausarbeitung nimmt sich vor, den eisernen Gustav zuerst auf entstehungsgeschichtlicher Ebene auf nationalsozialistische Spuren hin zu untersuchen, um sie auf inhaltlicher Ebene mit Handlungszusammenhängen, Mustern und Motiven zu unterfüttern und deren Relevanz zu beurteilen, damit sie letztlich in den Gesamtzusammenhang und die übergeordnete Fragestellung eingeordnet werden können, ob sich Fallada mit diesem Roman etwas zu Schulden kommen lässt. Kann man den eisernen Gustav sowohl entstehungsgeschichtlich als auch inhaltlich abschließend als NS-Auftragsarbeit bezeichnen? Inwieweit unterwirft sich der moderne Schriftsteller Hans Fallada in diesem Werk der NS-Zensur, oder kann er sich, und wenn ja mit welchen Mitteln, seiner Autonomie bewahren?

2 Entstehungsgeschichte eines deutschen Schicksals

2.1 Komplikationen

Das „historische Gemälde“, wie es Zachau nennt9, verlangt von Fallada nicht nur nach Veröffentlichung oder gar posthum, sondern bereits im Entstehungsprozess hohe Kritikfähigkeiten.10 Propagandaminister Dr. Goebbels persönlich soll auf Falladas Zögern einen Nazischluss anzufügen, geantwortet haben: „Wenn Fallada heute noch nicht weiß, wie er zur Partei steht, so weiß die Partei, wie sie zu Fallada steht.“11 Doch Fallada verbringt – obwohl, oder gerade weil er unter den Argusaugen der Nazis steht (?) – in der Carwitzer Zeit (1933 – 1944), also auch zur Entstehungszeit des eisernen Gustav 1938, seine produktivsten Jahre.12 So postuliert Zachau, dass Fallada nach dem Werk Wolf unter Wölfen „nach 1934 nichts politisch und gesellschaftlich Relevantes mehr“ geschaffen hätte, sondern „mit Unterhaltungsliteratur seine wirtschaftliche Existenz“ hätte sichern müssen. Der eiserne Gustav sei dann letztendlich das letzte „Gesinnungsbuch“.13 Doch sind die Angriffe von Exilanten wie z. B. Hermann Kesten gerechtfertigt, wenn er behauptet, durch das Ablehnen und Lächerlichmachen der Weimarer Republik erkenne Fallada die Methoden des Nationalsozialismus an?14 Der Auslöser zur Einwilligung seitens Falladas das Filmmanuskripts für den Filmtitel ein deutsches Schicksal15 zu liefern kann jedenfalls, neben der hohen Geldsumme von 30 000 RM auch der eigene Stolz gewesen sein, wenn man die Schmeicheleichen des angedachten Hauptdarstellers Emil Jannings bedenkt: „Sie sind der Mann, der das allein kann.“16 Doch wie stark hat sich Fallada auch von den Machthabern beeinflussen lassen? Dies soll nun im folgenden Kapitel untersucht werden.

2.2 Konzessionen

Die Entstehungsgeschichte sei keine Entschuldigung für den Autor, wie Zachau nach Theilig/Tötenberg zitiert.17 Dieses Argument reiht sich in die Kritik eines Thomas Manns ein. Doch erfolgen bei Fallada konkrete politische Bekenntnisse? Die Vorworte einiger Romane sollen von vornherein eine politische Interpretation des Gelesenen vermeiden. Sie beginnen bei Fallada mit dem Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frisst und finden sich auch im eisernen Gustav.18 Dienen diese Worte der Camouflage politischer Intentionen?19 Jedenfalls sollen sie jeglichen politischen Argwohn zerstreuen und den Autor nicht festlegen. Und trotzdem wird inhaltlich v. a. das Fehlen der „Judenszenen“ durch Goebbels kritisiert.20 Ein weiterer zentraler Punkt um Fallada einzuordnen, so Zachau, sei der Wille zum „[…] Retten einer authentisch-humanistischen Botschaft, für die es sich zu überleben lohnte“ [nicht das Überleben als alleiniges Kriterium].21 Inwieweit sich diese humanistische Botschaft im eisernen Gustav, evtl. sogar in dem angehängten Nazischwanz findet, soll in Kapitel drei näher betrachtet werden. Versucht man sich an einer politischen Einordnung Falladas, so findet man erstens nicht ausreichend bekennende Selbstzeugnisse des Autors, und zweitens gereiche die Indiziensammlung dem Schriftsteller tendenziell eher zum Nachteil, wenn man die Konzessionen sowie das unpolitische Handeln hinzurechnet. Zachau postuliert über den literaturwissenschaftlichen Kollegen Lemmer: „In anderen Romanen wird die Untersuchung von Falladas politischem Standort vermieden, denn auch Lemmer mag in seiner unpolitischen Analyse geahnt haben, daß eine solche Kritik Fallada nicht nützen konnte.“22 Sogar der Autor selbst sieht ein, dass der eiserne Gustav das einzige Buch sei, das man ihm zu Lasten legen könne, wie er rückblickend bemerkt: „Der Monat, durch den ich an diesem n. Schwanz schrieb, steht mit schwarzer Tinte umrandet in meinem Kalender, […].“23 Irritierenderweise sieht Fallada später im Nachkriegsdeutschland jedoch keine Stunde Null, sondern spricht von einem bewahrten „Kern von Anstand“, wie er bei einer Kundgebung in Schwerin 1945 verkündet.24 Vielleicht meint er mit dem „Kern Anstand“ seine Versuche, die Judenfrage im literarischen Schaffen auszuklammern, oder gar gänzlich unpolitisch zu bleiben, gleichwie er versucht die „Zukunftsfrage Deutschlands in seinem Beitrag zu umgehen“, was wiederum der Untätigkeit gleichkommt, die – wie bereits in Kapitel 2.1 erwähnt – von Seiten des Exilanten Kesten einer Mittäterschaft entspricht.25 Es erweist sich als schwierig, eine getreue Rekonstruktion der ursprünglichen Fassung des eisernen Gustav Falladas zu vollziehen, da keine Aufzeichnung der authentischen Version vor der Nazifassung vorhanden ist. Die erste „verläßliche“ [sic.] Rekonstruktion bringt Günter Caspar 1963 in die Forschung ein, auf die sich auch weiterhin aktuelle Romanfassungen stützen.26 Mit einem Zitat Bechers indem Fallada „nicht als schlechtestes“ und „nicht als bestes“ Stück Deutschland charakterisiert wird, soll der Übergang zum dritten Kapitel gelingen, in dem es um die konkrete Handlungsebene im eisernen Gustav gehen soll.27 Denn auch von Gustav Hackendahl könnte man sagen, er sei „nicht das beste und nicht das schlechteste“ Stück Deutschland.

3 Komposition

Der auf historischer Grundlage basierende Roman der eiserne Gustav zeigt einen artifiziellen Aufbau.28 Jedem der acht Kapitel, das neunte ist der nachträglich angefügte „Nazischwanz“, welcher die Machtergreifung der Nazis demonstrieren soll29, wird laut Brylla ein historisches Ereignis zugeordnet, das von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers (Handlungsbeginn des ersten Kapitels ist der 29. Juni 1914) bis zur vierzehn Jahre späteren Atlantiküberquerung Lindberghs (Kapitel acht die Fahrt nach Paris, 13 Einzug in Paris – Droschkenrennen) reiche. Dabei ist die Anmerkung zu Lindbergh auch leicht zu übersehen, da sie in einem floskelhaften Freudenruf Gustav Hackendahls verborgen liegt, und man diesen historischen Bezug, den Brylla proklamiert, auch leicht in Frage stellen kann.30 Ebenfalls ist die Darstellung des Sarajevo-Mordes nur indirekt über die hohen „Kutscheinkünfte“ der Mordnacht, sowie später über das Reden von der serbischen Kriegserklärung auszumachen.31 In dieser Hinsicht sollte auch erwähnt werden, dass die Charakterisierung von Personen (z. B. Gustav Hackendahl) oder Geschehnisse (z. B. Kriegsszenen) auf Inhaltsebene zum größten Teil indirekt passiert.32 Und dennoch gelingt es dem Rezipienten über die Handlungen der Nebenfiguren bzw. der Daheimgebliebenen ein detailliertes Bild der Leerstellen zu gewinnen. Dieses Panorama trägt wohl auch dazu bei, dass Fallada unter den Bedingungen des Dritten Reiches eine „Werkstiftung“ vollbringt, für die das Streben nach einem „ästhetischen Commonsense“ zutrifft.33 Denn indem er die vorgenommene Annullierung durch Umschreibung kompensieren muss, entsteht ein breites Bild der Gesellschaft, in der es für den Leser immer Identifikationsfiguren geben wird. Hat man die textinterne Gesamtkomposition im Blick, lässt sich auch auf Details und die Gemachtheit des Textes näher eingehen, was nun im folgenden Unterpunkt anhand der Erzählanalyse vollzogen werden soll, um danach den Bogen zurück zum Allgemeinen, den Merkmalen der Verfahrensweise der literarischen Moderne und den intertextuellen Bezügen zu spannen.

3.1 Gemachtheit des Textes (Erzählanalyse)

Wie ist der Roman auf Textebene „gemacht“? Betrachtet man den eisernen Gustav mittels der Erzählanalyse, steht als erstes die Frage nach faktualem oder fiktionalem Erzählen im Raum. Hinter Gustav Hackendahl verbirgt sich die historische Figur Gustav Hartmann, die mit ihrer Berlin-Paris-Berlin Reise im Jahre 1928 eine eindeutige Orientierung – auch in puncto erzählte Zeit – für Fallada darstellt. Caspar nennt in seiner Rekonstruktion eines Romans sogar einen eisernen Gustav, der zeitgleich mit Fallada sein Unwesen als KZ-Rapportführer getrieben haben soll, auch wenn es keinen Nachweis dafür gebe, dass Fallada diese Person gekannt hätte.34 Betrachtet man das „wie“ der Darstellung unter dem Aspekt Zeit, dann ist zuerst einmal die präzise Zeitangabe „drei Uhr zwanzig, am 29. Juni 1914“ auffallend, mit der die Handlung in medias res beginnt.35 Ebenso findet sich die präzise Zeitspannenangabe der Parisreise, die vom zweiten April 1928 ebenfalls um drei Uhr beginnt und beinahe exakt zwei Monate später – nämlich am vierten Juni – in Paris zu ihrem Höhepunkt kommt.36 Auf Ordnungsebene verlaufen die Handlungen hauptsächlich chronologisch, was wohl durch die Schilderung historischer Gegebenheiten bedingt wird. Teilweise werden zeitlich parallele Handlungen an verschiedenen Orten unter Wechsel der Figurenkonstellation nacheinander erzählt. So wird beispielsweise das Kapitel 3.6. im Granattrichter in einem Wechsel des Schauplatzes von Eva und Gertrud in Berlin zu Otto an der Front vollzogen, wobei zusätzlich eine Spannungssteigerung durch die Akkumulation des Zeitadverbials „während“ erreicht wird.37 Zeitraffend gestalten sich zum Beispiel der Verfall des Fuhrunternehmens, sowie die große Zeitspanne des angefügten Nazischwanzes, der von 1928 bis 1933 reicht, und somit auch leicht als nachträglich aufgesetzt, zu identifizieren ist. Der narrative Erzählmodus sowie der dramatische Modus sind u. a. in der Szene zwei Schmoller des Kapitels 6.13 zu finden. Ersterer gebiert Distanz als Grad der Mittelbarkeit des Erzählten, im Unterschied zur Dramatik, die Unmittelbarkeit bewirkt. Beide Facetten, die Satzfetzen in der dramatischen Konfrontation zwischen Gertrud und Heinz, und der personalen Innensicht Tuttis, die Einblicke in ihr Seelenleben geben, und sie somit zur positiven Identifikationsfigur erheben, schaffen eine Nähe zum Rezipienten. Starke Frauenfiguren sind ein „falladeskes“ Motiv, dass sich u. a. auch in kleiner Mann, was nun? bei Lämmchen oder in Wolf unter Wölfen bei Petra Ledig findet. Die Fokalisierung des kompletten Romans besteht aus einer auktorialen nullfokalisierten Perspektive, wobei die Figuren durch einen personalen Erzähler mehr Tiefe gewinnen. Die Stimme des Erzählens befindet sich in der Vergangenheit und nimmt den Standpunkt eines späteren Erzählens ein, wobei der Erzählort extradiegetisch ist. Analysiert man die Elemente der Handlung, dann stehen unter dem Punkt Ereignis-Geschehen-Geschichte viele dynamische Elemente im Fokus. Erich stiehlt, Eva stiehlt, Eva wird in den Edelsteinraub verwickelt und zur Untergebenen Eugen Basts. Gustav muss seine Pferde verkaufen und nebenbei verfällt sein eigener Schimmel, der als Leitmotiv fungiert. Auch der Ausbruch des ersten Weltkrieges, die Inflation, sowie der Frontgang des ältesten Sohnes Otto und Erichs Börsenspekulationen erbringen dynamische Wirkung. Die statischen Ereignisse, die man auch als Charakterzüge bezeichnen kann, sind nicht festgemeißelt, sondern entwickeln sich durch das Figurendenken und Handeln. Eva ist zu Beginn selbstbewusst, auf Männerjagd, hinterlistig, da sie Einkaufsgeld abzwackt und es in der Lampenfassung versteckt und nimmt sich betrügerisch 200 RM von Gustav. Dabei schiebt sie auf intrigante Weise alles Erich in die Schuhe. Ist es nun von ihrem schlechten Handeln her gerechtfertigt, dass sie durch den Unhold Eugen Bast in Betrüger- sowie Rotlichtkreisen verkommt? Sie wird in bedingungslose Abhängigkeit getrieben, ängstlich, und traumatisiert, was sich auch wieder in Wolf unter Wölfen im Charakter der traumatisierten Violet wiederfinden lässt. Die Gustavfigur soll in Kapitel 3.2 Der Vater näher betrachtet werden. Nimmt man die Figur der Frau Hackendahl in den Blickpunkt, ist auffällig, wie gegensätzlich sie sich zu ihrem „eisernen“ Mann gestaltet. Fallada zeichnet eine sehr schwache Frau, die immer mehr resigniert, jammert, und zum Romanende hin immer kränker wird. Sie beklagt sich über Gustavs Härte, und dass sich die Kinder nie bei ihr melden, so erhält sie z. B. von Sofie nur Briefe anstatt Besuche, was letztlich zu ihrer Verbitterung beiträgt. Zweifelsohne ist Frau Hackendahl eine Nebenfigur, durch die gegensätzliche Figuren wie z. B. ihr Mann Gustav oder Gertrud Gudde mehr Tiefe gewinnen, weil der Rezipient schnell entgegengesetzte Charakterzüge ausfindig machen kann. So sind für Gustavs Charakterlinie, die sich durch seine sture Natur und Ehrlichkeit definiert, die hörigen und folgsamen Familienmitglieder sowie die Durchtriebenheit der Kinder grundlegend. Tochter Sofie behauptet den Ruf Gottes empfangen zu haben, doch handelt sie eigennützig, unmenschlich und legt eine steile Karriere als Oberin hin, während der älteste Sohn Otto der Folgsamste und Hörigste gegenüber dem Vater ist. Doch verheimlicht er sein Verhältnis zu Gertrud Gudde, mit der er ein uneheliches Kind hat und schließlich im Krieg stirbt. Erich, der einstige Lieblingssohn und Gymnasiast, ist gebildet und eingebildet, verfällt Spekulationen mit der Reichsmark und endet ähnlich wie Sofie unehrlich als Schieber. Heinz, dessen Erwachsenwerden durch das Ablegen des Kosenamen Bubi deutlich wird, verfällt der französischen Geliebten Erichs und wird ihr hörig. Erich und Tinette sind sich dessen bewusst und genießen die Macht über ihn. Diese Situation ist die Voraussetzung dafür, dass Bubi Evas Verhältnis zu Eugen mit Einfühlungsvermögen erfassen kann, da er selbst in Bredouille steckte. Wichtig ist die Motivierung mit der Falladas Figuren ausgestattet sind. In kausaler Hinsicht kann Gustav nicht anders als zu befehlen, da er es aus Militärzeit nicht anders kennt. Ob Eva stiehlt, weil Gustav so hart ist, und kein Taschengeld gibt, ist wohl eher fraglich.38 Ästhetische Motivation ist die übergeordnete Leitmotivik. Die Lieblingsschimmelstute Gustavs verfällt parallel zur Familie. Am Ende wird die Stute gegen einen Rappen ausgetauscht. Bei den Kindern zeigt sich der moralische Verfall bei Erich und Sophie proportional zum körperlichen Verfall des „Fettwerdens“. Ausgenommen ist hiervon Heinz, über dessen politischen Verfall sich diskutieren lässt. Die doppelte Zeitperspektive des Erzählens besteht lebensweltlich in der handlungspraktischen Perspektive der Protagonisten zu Beginn des ersten Weltkrieges, währen der potentielle Leser zur Romanerstveröffentlichung in der Welt (zu Beginn) des zweiten Weltkrieges lebt und eine retrospektive Perspektive besetzt. Beides sind Kriegssituationen und vom Autor vielleicht gekonnt parallelisiert, um der allgemeinen Leserschaft eine stärkere Identifikation zu ermöglichen, indem äquivalente Lebensumstände geschildert werden. Geht es in dieser Frage bereits um die Volkstümlichkeit oder Popularität, die Fallada erreichen wollte? Die Darstellung einfacher Leute ermöglicht, wie bereits erwähnt, viele mögliche Perspektiven zur Identifikation, doch werden auch Zwiespälte dargestellt, die die Popularität verringern hätten können, wie z. B. die abgrundtiefe Bosheit des Eugen Basts. Hierbei nimmt Fallada die Zeitumstände als Ursache für seine Figurencharakterisierung. Andererseits sind es alltägliche Konfliktsituationen in der Familie, Autoritätsprobleme der Kinder und Probleme des Erwachsenwerdens, die die Volkstümlichkeit suggerieren. Welchen literarischen Anspruch darf man Fallada hierbei unterstellen? Es werden komplexere Problematiken der Zeit dargestellt, wie die Nachkriegsproblematik, die den vom Krieg geprägten Gustav nur im Militärston agieren lässt. Die Wirtschaftskrise zeigt sich sowohl anhand der Arbeitslosigkeit Heinz als auch anhand den Spekulationen Erichs, und des durch die Zeitumstände begünstigten Abhängigkeitsverhältnisses Evas von Eugen Bast, der sie beinahe zum Selbstmord bringt. Den Passagen der figuralen Innensichten, die durch personales Erzählen sowie Dialoge, in denen sich der auktorialer Erzähler zurücknimmt, auftauchen, tritt die nullfokalisierte, extradiegetischer Erzählweise entgegen. Verwunderlich ist, wie bereits im Eingangskapitel erwähnt, dass Fallada die stete Kriegspräsenz gelingt, obwohl nur eine Szene mitten im Kriegsgeschehen spielt, was Zachau auch für andere Romane Falladas feststellt.39 Die Betrachtung literarischer Vorbilder soll nun zum nächsten Abschnitt überführen, indem es um die intertextuellen Spielräume geht, die Fallada nutzt und die für die literarische Moderne charakteristisch sind.

[...]


1 Zitat Thomas Manns nach Sarkowicz/Mentzer aus der Vorlesung, Literarische Moderne von Prof. Dr. Stefan Scherer WS 2016/17, VL8, Synthetische Moderne IV, Folie 31.

2 Hübner, Anja Susan: Der Fall Fallada oder Sollbruchstellen einer prekären Künstlerbiographie. In: Im Pausenraum des Dritten Reiches. Zur Populärkultur im nationalsozialistischen Deutschland. Hgg. Von Würmann, Carsten; Warner, Ansgar. In: Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge, Bd. 17 (2008), S. 197 – 208.

3 Vgl. Scherer, Stefan: Literarische Moderne, VL 8: Synthetische Moderne, WS 16/17 KIT, Folie 3.

4 Vgl. Scherer, Stefan: Einordnung der Literatur während des Dritten Reichs in die Die literarische Moderne. VL 8, Synthetische Moderne IV, Folie 14.

5 Vgl. Berglund, Gisela: Kampf um den Leser im Dritten Reich. Die Literaturpolitik der Neuen Literatur (Will Vesper) und der Nationalsozialistischen Monatshefte. In: Deutsches Exil 1933-45. Eine Schriftenreihe, hg. von Georg Heintz, Bd. 11, S. 73.

6 Vgl. Zachau spricht auch vom „Spiel mit dem Feuer“ in: Zachau, Reinhard K.: Hans Fallada als politischer Schriftsteller, New York u. a. 1989, S. 200. Dieses Argument lässt sich u.a. mit einem Zitat Rosenbergs bekräftigen in dem es heißt: „Ein Film mit dem Namen Fallada sei untragbar und seine Ausrottung als ‚Kulturbolschewist‘ in höchstem Maße wünschenswert.“ Liersch, Werner: Hans Fallada. Sein großes kleines Leben, Hildesheim 1993. S. 311.

7 Vgl. Caspar, Falladastudien 1988, S. 303.

8 Vgl. Lange, Sabine: Fallada. Fall ad Acta? Sozialistische Erbpflege im Literaturzentrum Neubrandenburg und das Ministerium für Staatssicherheit. In: Die Provinz im Leben und Werk von Hans Fallada. Vorträge und Lesungen, hg. von Thomas Bredohl und Jenny Williams, Berlin 2004, S. 109.

9 Vgl. Zachau: Hans Fallada als politischer Schriftsteller, New York u. a. 1989, S. 159.

10 Hier sei angemerkt, dass z. B. bei Joho der „historische Blick“ auf den Roman nicht sonderlich positiv ausfällt und von der „verzerrenden Darstellung“ und „Mangel an Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge“ gesprochen wird. Vgl. Joho, Wolfgang: Fallada. Größe und Grenzen einer Begabung. In: Neue Deutsche Literatur 11 (1963), H. 7, S. 153. „Dazu sei zu bemerken, dass Fallada auch niemals eine historische Tatsache schildern wollte, sondern nur soweit, wie es sich hätte zutragen können.“ Ebd.

11 Liersch, Werner: Hans Fallada. Sein großes kleines Leben, Düsseldorf/Köln 1981, S. 315.

12 Vgl. Manthey, Jürgen: Hans Fallada in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg 1963, S. 130. Hier wird erwähnt, dass Fallada im „Carwitzer Jahrzehnt“ achtzehn umfangreiche Romane geschrieben habe.

13 Vgl. Zachau, Hans Fallada als politischer Schriftsteller 1989, S. 4. vgl. auch Manthey, Hans Fallada in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten 1963, S. 126. „Denn derjenige Teil des Werkes, auf den nicht nur Falladas Popularität beim Leser, sondern auch seine Einschätzung als sozialkritischer Schriftsteller zurückgeht, ist mit dem Roman Wolf unter Wölfen eigentlich abgeschlossen. Nur noch der eiserne Gustav setzt vorläufig die Reihe der ‚Gesinnungsbücher‘ fort.

14 Vgl. Zachau, Hans Fallada als politischer Schriftsteller, S. 200. Hier wird der „Knastroman“Wer einmal aus dem Blechnapf frißt und die daraus zu erkennende „Abkehr von Weimars Strafvollzugspraktiken“, als indirekte Zustimmung Falladas zu den „Konzentrationslagermethoden“ gesehen.

15 Neben dem Titel ein deutsches Schicksal war u. a. auch der Filmtitel der lange Weg angedacht. Der wiederum in zwei Teile – 1. Inferno und 2. Auferstehung – gegliedert werden sollte. Vgl. Töteberg, Michael/Buck, Sabine: Hans Fallada ewig auf der Rutschbahn. Briefwechsel mit dem Rowohlt Verlag, Hamburg 2008, S. 256.

16 Caspar, Günter: Fallada-Studien, Berlin/Weimar 1988, S. 298.

17 Vgl. Zachau, Hans Fallada als politischer Schriftsteller 1989 S. 202. Zitiert nach Theilig, Ulrike/Töteberg, Michael: Das Dilemma eines deutschen Schriftstellers. Hans Fallada und der Faschismus. In: Sammlung, Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst, Nr. 3, Frankfurt a.M. 1980, S. 80.

18 Vgl. Fallada, Hans: Der eiserne Gustav. Berlin 1938. (Vorwort), S. 5. „Alle Gestalten dieses Buches, einschließlich des eisernen Gustav, sind Geschöpfe der freien Phantasie. Nirgend soll auf reale Personen auch nur angespielt werden. Der Verfasser hat lediglich Geschehnisse, wie sie in jeder Tageszeitung aufgezeichnet stehen, als Grundstoff benutzt. H. F.“

19 Thomas Mann spricht sich zu Vorworten in seinem Tagebuch 1934 folgendermaßen aus: „Um in Deutschland möglich zu sein, muß ein Buch seine menschenfreundliche Gesinnung in einer Einleitung verleugnen und in den Boden treten.“ Vgl. Liersch, Werner: Zwischen Ausharren und Flucht. Hans Fallada und die Emigranten. In: Zeit vergessen, Zeit erinnern. Hans Fallada und das kulturelle Gedächtnis, hg. von Carsten Gansel/Werner Liersch, Göttingen 2008. S. 10.

20 Vgl. Liersch, Werner: Hans Fallada. Sein großes kleines Leben, S. 309.

21 Vgl. Zachau, Hans Fallada als politischer Schriftsteller 1989, S. 203.

22 Zachau, Hans Fallada als politischer Schriftsteller, Berlin 1989, S. 14.

23 Caspar, Falladastudien, S. 301.

24 Vgl. Liersch, Zeit vergessen Zeit erinnern 2008, S. 27. „Dieser ‚Kern von Anstand‘ und das reiche kulturelle Erbe sind für ihn Grund zur Hoffnung. Fallada sieht keinen Bruch, keinen kompletten Neuanfang, keine Stunde Null […]. Hier deutet Fallada nur einen Weg an, eine ausführliche Darstellung zur Frage nach der Zukunft Deutschlands haben wir von ihm nicht.“

25 Vgl. Kapitel 2.1 Komplikationen, S. 3.

26 Vgl. Terwort, Gerhard: Hans Fallada im Dritten Reich. Dargestellt an exemplarisch ausgewählten Romanen, Frankfurt am Main 1992, S. 205ff.

27 Vgl. Wolff, Rudolf: Hans Fallada. Werk und Wirkung. Hg. von dems., Bonn 1983, S. 8. „Wenn wir von Fallada sprechen als von einem ‚Stück Deutschland‘, so ist dieses Stück nicht das beste und nicht das schlechteste. Es ist jene Menschenart, die heute bei gewissen politischen Übertriebenheiten, wieder unberücksichtigt bleibt, und die, guten, aber schwachen Willens, an den unvorhergesehenen Verhältnissen sich mitschuldig machte, um dann angesichts des von ihr mitangerichteten Schadens das Schicksal anklagen: „Wir haben doch nur immer das Beste gewollt!“

28 Historische Grundlage liefert der Berliner Gustav Hartmann, welcher im Jahre 1928 in fünf Monaten mit seiner Droschke die Strecke Berlin-Paris und zurück befuhr. Vgl. Müller-Waldeck, Gunnar: Der eiserne Gustav. Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann, Berlin 2008, S. 7.

29 Inwieweit die direkte Machtergreifung der Nazis überhaupt zur Sprache kommt, soll in Kapitel 3.1. näher beleuchtet werden.

30 Vgl. Gutstav 2010, S. 13 Datumsnennung zu Romanbeginn, sowie S. 739 Lindberghnennung: „Was Lindbergh mit dem Flugzeug hat vollbracht, hat der eiserne Gustav mit der Droschke auch gemacht!“

31 Vgl. Gustav 2010, S. 37.

32 Vgl. „Narratologische Ellipse“ in: Brylla, Das neusachliche Erzählen in Hans Falladas der eiserne Gustav 2009, S. 205.

33 Vgl. Hagestedt, Lutz: Forschungs- und Tagungsbericht. In: Hans Fallada. Autor und Werk im Literatursystem der Moderne, hg von Patricia Fritsch-Lange, Lutz Hagestedt, Berlin/ Boston 2011. S. 216.

34 Vgl. Caspar, Günter: Rekonstruktion eines Romans. In: Neue Texte Bd. 2 (1962), S. 353.

35 Fallada, Hans: Der eiserne Gustav. Basierend auf der Textgrundlage der 8. Auflage 1984, Berlin 2010. S. 13. (Die Ausgabe wird im Folgenden zitiert unter Verwenung der Sigle Gustav 2010 und Seitenangabe)

36 Vgl. Fallada, Gustav 2010, S. 739.

37 Vgl. Fallada, Gustav 2010, S. 209.

38 Vgl. Kapitel 4.1. Der eiserne Vater und die Schuld.

39 Vgl. Zachau, Reinhard K: Hans Fallada. Eine kritische Untersuchung zur Rezeption seines Werks in den Jahren 1930-1997, Stuttgart 2000, S. 38. „Der erste Weltkrieg, für viele Schriftsteller seiner Generation das zentrale Thema, wird in seinen Romanen entweder ganz ausgeklammert („Wir hatten mal ein Kind“) oder in der Heimat und mit nur einer Frontszene abgehandelt („Der eiserne Gustav“).

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Stellt der "eiserne Gustav" eine zum Nationalsozialismus bekennende Auftragsarbeit dar?
Untertitel
Hans Fallada. Zwischen Konzession und Innerer Emigration
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  (Institut für Germanistik: Literatur, Sprache, Medien)
Veranstaltung
Hauptseminar Populäre Romane in der literarischen Moderne: Hans Fallada
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
24
Katalognummer
V511469
ISBN (eBook)
9783346089342
ISBN (Buch)
9783346089359
Sprache
Deutsch
Schlagworte
stellt, innerer, konzession, zwischen, fallada, hans, auftragsarbeit, nationalsozialismus, gustav, emigration
Arbeit zitieren
Annika Haas (Autor:in), 2017, Stellt der "eiserne Gustav" eine zum Nationalsozialismus bekennende Auftragsarbeit dar?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/511469

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