Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich die Hälfte der Weltbevölkerung unter kolonialer Fremdherrschaft. Das Zeitalter des Imperialismus hatte seinen Höhepunkt erreicht und europäische Staaten bestanden zunehmend darauf sich überseeische Gebiete anzueignen. Doch im Vordergrund des Kolonialismus stand zumeist die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung und die Bereicherung der Kolonialmacht auf Kosten der eroberten Gebiete. Ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wuchs das Interesse der europäischen Mächte an der Eroberung von afrikanischen Gebieten. Dies hatte zur Folge, dass Afrika bis Ende des 19. Jahrhunderts fast vollständig unter europäischer Besetzung stand und 1885 auf der Berliner West-Afrika Konferenz ("Kongokonferenz") schließlich zwischen den einzelnen Großmächten aufgeteilt wurde. Dem Deutschen Reich wurde dabei das Festland des heutigen Tansania mit Ruanda, Burundi, Kamerun und Togo sowie Südwestafrika, heutiges Namibia, zugesprochen.
Fast alle afrikanischen Völker verloren bis dahin ihre Freiheit und standen unter der Gewalt ausländischer Regierungen. So auch die in Südwestafrika ansässigen Stämme der Herero und Nama. Rassismus, Unterdrückung und fehlende Selbstbestimmung bekam die einheimische Bevölkerung täglich zu spüren. Dies führte in den deutschen Kolonie zu katastrophalen Zuständen. Daraufhin riefen die Stammesoberhäupter 1904 zum Widerstand gegen die deutsche Besetzungsmacht auf, welcher letztlich in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reich endete. In diesem Krieg begann das ehemalige Deutsche Reich eines seiner größten und verheerendsten Kolonialverbrechen, indem es die fast vollständige Vernichtung eines afrikanischen Stammes herbeiführte.
Dieser Krieg gilt aufgrund seiner menschenverachtenden Kriegsführung als erster Genozid des 20. Jahrhunderts. Ungeachtet der mehrheitlichen Einstimmigkeit von Historikern zu dieser Thematik, meiden deutsche Politiker dennoch das Wort "Genozid" in diesem Zusammenhang zu verwenden und geben über Jahrzehnte hinweg weder eine offizielle Erklärung noch eine Entschuldigung diesbezüglich ab.
Lehrveranstaltung: Seminar "Europas koloniales Erbe in Afrika"
Semester: Sommersemester 2016
Autor: Vanessa Laura Beyer
Abgabedatum: 30.09.2016
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich die Hälfte der Weltbevölkerung unter kolonialer Fremdherrschaft. Das Zeitalter des Imperialismus hatte seinen Höhepunkt erreicht und europäische Staaten bestanden zunehmend darauf sich überseeische Gebiete anzueignen. Doch im Vordergrund des Kolonialismus stand zumeist die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung und die Bereicherung der Kolonialmacht auf Kosten der eroberten Gebiete. (vgl. Schubert, Klaus). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs das Interesse der europäischen Mächte an der Eroberung von afrikanischen Gebieten. Dies hatte zur Folge, dass Afrika bis Ende des 19. Jahrhunderts fast vollständig unter europäischer Besetzung stand und 1885 auf der Berliner West-Afrika Konferenz ("Kongokonferenz") schließlich zwischen den einzelnen Großmächten aufgeteilt wurde. Dem Deutschen Reich wurde dabei das Festland des heutigen Tansania mit Ruanda, Burundi, Kamerun und Togo sowie Südwestafrika, heutiges Namibia, zugesprochen. (vgl. Mair, Stefan).
Fast alle afrikanischen Völker verloren bis dahin ihre Freiheit und standen unter der Gewalt ausländischer Regierungen. So auch die in Südwestafrika ansässigen Stämme der Herero und Nama. Rassismus, Unterdrückung und fehlende Selbstbestimmung bekam die einheimische Bevölkerung täglich zu spüren. Dies führte in den deutschen Kolonie zu katastrophalen Zuständen. Daraufhin riefen die Stammesoberhäupter 1904 zum Widerstand gegen die deutsche Besetzungsmacht auf, welcher letztlich in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reich endete. In diesem Krieg begann das ehemalige Deutsche Reich eines seiner größten und verheerendsten Kolonialverbrechen, indem es die fast vollständige Vernichtung eines afrikanischen Stammes herbeiführte. (vgl. Zimmerer, Jürgen, 2014). Dieser Krieg gilt aufgrund seiner menschenverachtenden Kriegsführung als erster Genozid des 20. Jahrhunderts. Ungeachtet der mehrheitlichen Einstimmigkeit von Historikern zu dieser Thematik, meiden deutsche Politiker dennoch das Wort "Genozid" in diesem Zusammenhang zu verwenden und geben über Jahrzehnte hinweg weder eine offizielle Erklärung noch eine Entschuldigung diesbezüglich ab. (vgl. Titz, Christoph).
Obwohl die Phase der Kolonialhistoriographie des deutschen Reiches von kurzer Dauer war, war sie ebenso intensiv in ihrer Ausprägung. Dennoch gerät sie in heutiger Zeit oftmals in Vergessenheit, wird nur geringfügig reflektiert und findet sich kaum im Geschichtsunterricht wieder. Genau hierdurch ist es möglich die aktuelle Problematik der Anerkennung des Genozids an den Herero und Nama weitestgehend der Öffentlichkeit vorzuenthalten. In meinen Augen ist die koloniale Vergangenheit Deutschlands ebenso ein Teil deutscher Geschichte wie der Erste und Zweite Weltkrieg, und damit einhergehende Kriegsverbrechen. Folglich gehört es zu den entscheidenden Aufgaben der Bundesregierung sich mit der Aufarbeitung kolonialer Thematiken auseinanderzusetzen. Die Fragestellung, welche sich hieraus vorrangig ergibt ist, warum die Bundesrepublik Deutschland die Einstufung als Völkermord der historischen Ereignisse in Südwestafrika erst 100 Jahre danach vornahm. Weiterhin ist die heutige Position Deutschlands gegenüber den Geschehnissen und auch die aktuelle Beziehung zur Regierung von Namibia zu betrachten. Daher werde ich zunächst den Ablauf der Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Reich und dem Stamm der Herero (1904 - 1908) beleuchten, bevor die aktuellen Debatten aufgegriffen und diskutiert werden können.
Die Etablierung des deutschen kolonialen Herrschaftssystems in der Kolonie Südwestafrika hatte von Beginn an ein Ziel: die Errichtung eines "Rassenstaates" (Zimmerer, Jürgen; 2014). Diese rassisch definierte Privilegiengesellschaft besaß in den Vorstellungen der deutschen Kolonialmacht eine klare Struktur, mit einer Führungsschicht und einer afrikanischen "schwarzen" Unterschicht. Dies führte zu enormer Benachteiligung und Missständen innerhalb der Bevölkerung (vgl. Zimmerer, Jürgen; 2014).
Als sich die Herero 1904, in all ihrer Not und Verzweiflung, gegen die deutsche Kolonialmacht stellten, waren sie strategisch wie militärisch unterlegen. Daher nutzen sie zu Beginn des Widerstands den Moment der Überraschung und töteten in ihrem ersten und einzigen Angriff insgesamt 123 Männer, verschonten jedoch Frauen und Kinder (vgl. Bührer, Stachelbeck, Walter; 2011). Ein wichtiges Merkmal des tribalen Kriegsethos der Herero. Dieser steht in starken Kontrast zur deutschen Kriegsführung (vgl. Bührer, Stachelbeck, Walter; 2011).
Überwältigt vom Angriff der Herero, schlug das Deutsche Reich den Aufstand brutal nieder und schickte als neuen Oberbefehlshaber der Schutztruppen, den für seine Grausamkeit bekannten, Generalleutnant Lothar von Trotha. (vgl. Zimmerer, Jürgen; 2014). Von Trotha ließ im Oktober 1904 verlauten: "Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen.[...] Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen [...]. Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr [...] erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen." (von Trotha, Lothar, 04.10.1904). Hier wird seine Absicht "[...]"die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut" zu vernichten [...]." (Lothar von Trotha zitiert nach Zimmerer, Jürgen, S. 35, 2014) konkretisiert. Er hatte ein ausgeprägtes rassisches und soziales Überlegenheitsbewusstsein, welches sich in seinen Zitaten widerspiegelt und fester Bestandteil seiner Kriegsführung war. Die Entgrenzung der Gewalt stellt sich durch die barbarische Kriegsführung der Schutztruppen dar, da in einer überseeischen Kolonie kein internationales Kriegsrecht gilt, wodurch Gewaltausübungen keine Grenzen gesetzt sind (vgl. Bührer, Stachelbeck, Walter; S. 197). Die rassische Hierarchisierung machte es möglich Menschenrechte vollends zu missachten. Konfrontiert mit dieser unmenschlichen Kriegsführung, zogen sich die Herero zurück Richtung Waterberg. Lothar von Trotha befahl sie dort einzukreisen, um dort einen letzten vernichtenden Feldzug gegen die Herero auszuführen. Diejenigen, welche aus der Umzingelung fliehen konnten, wurden weiter bis in die Halbwüste Omaheke getrieben, wo sie letztlich an Dehydrierung und Hungertod starben. Die letzten Überlebenden wurden in ein Konzentrationslager auf den Haifischinseln deportiert und erlagen hier ihren Verletzungen oder starben an den katastrophalen Zuständen in den Arbeitslagern. (vgl. Muschalek, Marie; 2013)
Die kurze Schilderung der damaligen Ereignisse soll an dieser Stelle verdeutlichen, wie das Vorgehen der deutschen Schutztruppen, die Vernichtung eines afrikanischen Stammes zu verantworten hat. Meinen Ausführungen zu Folge erschließt sich für mich schon hier die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland, das Massaker an den Herero als Genozid einzustufen. Dennoch wurde eine entsprechende Einstufung als Völkermord durch Frank-Walter Steinmeier und das Auswärtige Amt erst im Jahr 2015 vorgenommen.
Jahrzehntelang vermied Deutschland das Wort „Genozid“ im Zusammenhang mit dem Herero-Massaker der Kolonialzeit und zögert eine entsprechende Einstufung stetig hinaus. Die Regierung umging die unangenehme Debatte, indem sie zunächst auf die UN-Völkermordkonvention 1951 verwies, wodurch erst seit diesem Zeitpunkt eine Einstufung als Genozid möglich gewesen wäre (vgl. Geyer, Stefan; 2016). Jedoch geschah das Ereignis, als noch keine gesetzliche Grundlage für eine Anerkennung geschaffen war und mit der Argumentation der Bundesregierung somit auch rückwirkend nicht möglich gewesen wäre. Dieses Argument ist in meinen Augen schnell entkräftet, wenn es in Kontext mit dem zweiten Weltkrieg und dem damit einhergehenden Holocaust gebracht wird, wodurch eine rückwirkende Anerkennung auch hier nicht möglich wäre.
In der UN-Völkermordkonvention von 1948, welcher Deutschland 1954 im Bundesgesetzblatt zustimmt, finden sich explizite Punkte, welche Handlungen charakterisieren, die in ihrer Konsequenz einen Völkermord nach sich ziehen. Die drei wichtigsten Aspekte sind hierbei die Tötung von Mitgliedern " [...] eine[r] rassischen, ethnischen, nationalen oder religiösen Gruppe als solche ganz oder teilweise [...]" (BGBl Art. 2) und die damit einhergehende "[...] Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden [...]" (BGBl Art. 2a) sowie das Aufzwingen von Lebensbedingungen, welche eine zerstörerische Wirkung auf die Mitglieder einer Gruppe besitzen (vgl. BGBl Art. 2). Alle genannten Aspekte sind auf die Praktiken und Geschehnisse in der Kolonie Südwestafrika zutreffend und lassen sich anhand der Handlungen der deutschen Schutztruppen während ihres Feldzuges nachweisen. Somit wird meines Erachtens eine systematische und vorsätzliche Tötung der Herero sowie eine nachhaltige Schädigung des Stammes in körperlichen, seelischen wie politischen Sinne bewiesen. Vor allem der politische Aspekt spielt für die Nachfahren der Herero bis heute eine einschneidende und wichtige Rolle in ihrem Leben. Durch Enteignungen und politische Verbote wurden der Bevölkerung unzumutbare Lebensverhältnisse aufgezwungen, welche sie letztlich in die Armut trieben.
Weiterhin hätte eine Anerkennung eines Völkermordes in der Kolonialzeit entsprechende Entschädigungsleistungen nach sich gezogen, welche hier bewusst umgangen wurden.
Das geschickte Vorgehen Deutschlands, im Fall der Herero, zeigt sich weiterhin in der verstärkten Entwicklungshilfe für das heutige Namibia, seit der Erlangung der Unabhängigkeit 1990. Obwohl eine systematische Tötung durch deutsche Truppen immer geschickt diskreditiert wurden, trug die Bundesregierung zur Unterstützung Namibias bei, in dem sie beispielsweise eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung fördert (vgl. Auswärtiges Amt). Offenkundig um die eigene moralische Schuld zu verschleiern und gleichzeitig gewissen zusätzlichen Entschädigungsleistungen an die namibische Regierung zu entgehen.
Eine erste öffentliche Entschuldigung seitens einer deutschen Politikerin und damit ein erster Schritt zu einer verantwortungsvollen sowie realistischen Aufarbeitung des Kolonialverbrechens erfolgte 2004, genau 100 Jahre nach dem Massaker in der Kolonie Südwestafrika. Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul entschuldigte sich offiziell in einer Rede zur Erinnerungsveranstaltung der Schlacht von Waterberg bei den Nachkommen von den Herero und Nama. "[…] Vor hundert Jahren wurden die Unterdrücker – verblendet von kolonialem Wahn – in deutschem Namen zu Sendboten von Gewalt, Diskriminierung, Rassismus und Vernichtung. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht [...] verurteilt würde. Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen "Vater unser" um Vergebung unserer Schuld. […]" (Wieczorek-Zeul, Heide; 2004).
Die heutige Position Deutschlands zu den Ereignissen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika hat sich in den vergangenen Jahren sehr gewandelt. Der langwierige Prozess der Einstufung des Massakers als Völkermord wurde einerseits durch den Druck seitens der namibischen Regierung und den heutigen Vertretern der Herero geprägt, aber andererseits auch durch die nicht zuletzt geübte Kritik Recep Tayyip Erdoğans (vgl. Spiegel). Im Zuge der Armenien-Resolution zum Armenien-Massaker 1915 und 1916 sprach der türkische Präsident der deutschen Regierung jegliche Art Kritik zu üben ab, da diese selbst keine Verantwortlichkeit im Fall der Herero übernahm (vgl. Spiegel). Seither laufen zwischen den Vertretern der namibischen und deutschen Regierung Verhandlungen zu einer Regierungserklärung. Weitere Schritte wie zum Beispiel eine deutsch-namibische "Zukunftsstiftung" und infrastrukturelle Projekte sollen eingeleitet werden. (vgl. Spiegel). Auch wenn Deutschland in gewissen Punkten in den Verhandlungen mit Namibia auf die Vertreter der Herero eingeht, beinhaltet die Position der Bundesrepublik immer noch, dass der Staat Namibia keine Entschädigung für das erfahrene Leid durch deutsche Besetzung erhält. Vor allem sind hier die Forderungen von Entschädigungsleistungen hervorzuheben, welche eine große Rolle spielen. Meiner Meinung nach handeln die Verantwortlichen zu fahrlässig, in dem sie dem Verfahren scheinbar eine zu geringe Bedeutung beimessen.
Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass die bloße Anerkennung dieses Kolonialverbrechens nicht als direkte Aufarbeitung des zu verantwortenden Genozids betrachtet werden kann. Zur Anerkennung historischer Schuld bedarf es mehr als politische Verhandlungen abseits der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft. Es ist wichtig politisch historische Thematiken wie diese einer breiten Öffentlichkeit zugängig zu machen, um die Bevölkerung in Bezug auf humanitäre Verbrechen zu sensibilisieren und ein politisches Bewusstsein zu fördern. Deutsche Geschichte und der Umgang mit dieser ist die Aufgabe jedes in Deutschland lebenden Menschen.
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- Arbeit zitieren
- Vanessa Beyer (Autor:in), 2016, Der Völkermord am Stamm der Herero und Nama (1904-1908), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/511522
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