Fiume/Rijeka 1919-1924


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

14 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. D`Annunzios Marsch auf Fiume/Rijeka und das Abkommen von Rapallo

III. Der Untergang Gabriele D`Annunzios

IV. Auf dem Weg bis zur Annexion durch Italien

V. Zusammenfassung

VI. Abbildungs- und Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Das Ende des Ersten Weltkrieges in Mitteleuropa war durch den Zusammenbruch der multiethnischen Habsburgermonarchie gekennzeichnet. Die ethnischen Spannungen, die in Zeiten des Dualismus als unmittelbare Ursache des Zusammenbruchs der Monarchie immer größer geworden waren, fanden ihren Höhepunkt in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg. Mit der Auflösung der Monarchie brach das österreichisch-ungarische Schlachtfeld in Soči/Sotschi zusammen und ebnete Italien freien Weg, um Gebiete der ehemaligen Monarchie zu besetzen, die dem Land durch den Londoner Vertrag von 1915 zugesagt worden waren. Italien hatte es eilig, seine versprochenen Territorien zu besetzen, insbesondere, nachdem die USA 1917 auf Seiten der Entente in den Krieg eingetreten waren und deren damaliger Präsident Woodrow Wilson für das Recht des österreichisch-ungarischen Volkes auf Selbstbestimmung eintrat und damit die Möglichkeit eröffnete, den Vertrag von London zu revidieren. Die Frage der Italien versprochenen Gebiete war eine der kompliziertesten Angelegenheiten der Pariser Friedenskonferenz, die unter anderem das schwierige Problem der Beziehungen zwischen den neugegründeten Staaten im ehemaligen österreichisch-ungarischen Reich lösen musste – hinsichtlich der Abgrenzungen. In Bezug auf die kroatische Gebiete, die Italien durch den Vertrag von London zugesagt wurden, stießen die Belange der Sieger Serbien und Italien aufeinander, die jeweils eigene Interessen an der östlichen Adriaküste hatten, sowie die der Kroaten, die in dieser Region ein historisches und natürliches Recht besaßen und sich auf das proklamierte Selbstbestimmungsrecht des Volkes beriefen. Dies eröffnete die sogenannte Adria-Frage, die im Grenzvertrag von Rapallo 1920 nur teilweise behandelt wurde. Im Rahmen der Adria-Frage wurde nämlich das Problem der Zugehörigkeit der Stadt Fiume/Rijeka aufgeworfen, welche der Vertrag von London Kroatien überließ, wogegen die Italiener aus Fiume/Rijeka die Annexion der Stadt durch Italien wünschten. Im Laufe der Zeit wurde dieses Problem so kompliziert, dass es nicht mehr nur als Teil der Adria-Frage, sondern als spezielles Fiume/Rijeka-Problem betrachtet wurde. Von Oktober 1918 bis Januar 1924 fand sich Fiume/Rijeka in einer Situation des politischen Chaos und der Instabilität. Die Hoffnung der Kroaten hinsichtlich Fiume/Rijeka, dass sich nach fünfzig Jahren ungarischer Herrschaft endgültig eine Vereinigung mit Kroatien ergeben würde, waren noch im Oktober 1918 realistisch, doch bald verblassten sie unter dem Einfluss verschiedener gesellschaftspolitischer Faktoren innerhalb und außerhalb der Stadt wieder zu einem fernen Traum. Eine Gruppe von Fiume/Rijeka-Italienern versammelte sich mit Unterstützung der italienischen Regierung und Armee im Consiglio Nazionale delli Italiani di Fiume, und die uneingeschränkte Unterstützung irredentistischer und nationalistischer sowie später auch faschistischer Kreise verhinderte jegliche politische Stabilisierung in Fiume/Rijeka, die nicht zur Annexion Fiume/Rijekas durch Italien führte. Die Betreiber des Consiglio Nazionale stürzten den kroatischen Nationalrat in Fiume/Rijeka mit Hilfe der italienischen Armee, später mit der rechtmäßig gewählten autonomen Regierung von Riccardo Zanella und mit Hilfe der italienischen Faschisten und anschließend mit der italienischen faschistischen Regierung. So wurde der Grenzvertrag von Rapallo systematisch destabilisiert und der Boden für die Annexion Fiume/Rijekas durch Italien bereitet.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, in chronologischer Reihenfolge alle Probleme in Fiume/Rijeka von 1919 bis Januar 1924 vorzustellen und die gesellschaftspolitischen Umstände, unter denen diese Regierung an die Macht kamen und unter denen sie operierten, sowie ihr nationales, politisches und ideologisches Profil zu untersuchen.

II. D`Annunzios Marsch auf Fiume/Rijeka und das Abkommen von Rapallo

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten1

Die Besetzung der Gebiete an der östlichen Adria durch die Italiener, die kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und vor den Pariser Friedensverhandlungen, führte zu politischen und diplomatischen Spannungen mit dem neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (kurz SHS).2 Sowohl die italienische Delegation, vertreten durch den Außenminister Sidney Sonnino, als auch die jugoslawische, von Nikola Pašić und Ante Trumbić angeführt, konnten sich am Verhandlungstisch in Paris nicht auf eine gemeinsame Festlegung der neuen Grenze zwischen Italien und der SHS einigen. Alle Angebote der jugoslawischen Delegation für eine neue Grenzziehung wurden von italienischer Seite abgelehnt. An anderer Stelle wurde der Vorschlag von Januar 1919, eine Grenze zu ziehen, die jener der alten österreichisch-italienischen ähnelte, und dabei eine Arbitrage bei Görz/Gorica/Gorizia, Triest/Trieste/Trst/Tergeste und Westistrien/Ovest Istria/Zapadna Istra zu akzeptieren, von den Italienern als Provokation aufgefasst und erforderte Wilsons Intervention in den Verhandlungen. Der US-Präsident versuchte, den Verhandlungsparteien den folgenden Kompromiss zu ermöglichen: Einhaltung des Londoner Abkommens nur für den nördlichen Teil, die Teilung Istriens/Istra/Istria, die Annexion von Lussino/Lošinj/Lötzing durch Italien, der übrigen dalmatinischen Inseln durch das Königreich der SHS und italienischen Kontrolle über die südalbanische Stadt Vlorë/Valona. Fiume/Rijeka hingegen würde eine freie Stadt werden, da sie eine entscheidende Rolle in der kroatischen Wirtschaft spielte. Die italienische Reaktion auf den Vorschlag ließ nicht lange auf sich warten und sie zogen sich vom Verhandlungstisch zurück, was wiederum die jugoslawische Delegation dazu veranlasste, den Italienern im Mai 1919 ein neues Angebot zu unterbreiten. Man bot den Verzicht auf Görz/Gorica/Gorizia, Triest/Trieste/Trst/Tergeste und einen Großteil Istriens/Istra/Istria an, schlug einen Freistaat von Fiume/Rijeka vor und versprach eine weitgehende Selbständigkeit für die Städte Zara/Zadar und Šibenik/Sebenico, in denen relativ viele Italiener lebten.3 Mit diesem Angebot schien die neugewählte Regierung unter der Führung von Francesco Nittis in die Lage versetzt zu sein, den Deal anzunehmen. Ein Indiz dafür war die Anerkennung des neuen Königreichs der SHS durch die italienische Delegation in Versailles am 28. Juni 1919.4 Zu dieser Zeit begann sich in Italien jedoch die faschistische Gesinnung zu verbreiten und eine große Anhängerschaft zu finden. Einer der intellektuellen Vertreter dieser sich schnell ausbreitenden Ideologie im Norden des Landes war der Dichter Gabriele D`Annunzio. Sein Engagement beschränkte sich jedoch nicht nur auf das Verfassen faschistischer Texte und Reden, sondern er war auch der Anführer, der am 12. Oktober 1919 den Marsch auf Fiume/Rijeka leitete.5 Dieses Unternehmen gipfelte darin, dass er mit Unterstützung von Benito Mussolini die Stadt Fiume/Rijeka zusammen mit 2000 desertierten Grenadieren, Arditi und Infanteristen einnahm und eroberte.6 In dem folgenden Brief vom 11. Oktober 1919 an Mussolini kündigte er seinen Plan an:

„Mio caro compagni, il dado e`tratto. Parto ora. Domattina prendero Fiume con le armi e dio d`Italia ci assista. Ma non e`possible efferire – Mein lieber Freund, die Würfel sind gefallen. Ich fahre jetzt los. Morgen früh werde ich Fiume mit den Waffen einnehmen und unser Gott möge uns beistehen. Aber es ist nicht möglich, nichts zu tun.“7

Die Expansionspolitik an der Adria war eines der Schlüsselelemente der faschistischen Politik, weshalb D`Annunzio versuchte, sein Vorgehen in einem Brief an einen französischen Journalisten zu rechtfertigen. So schrieb er:

„Fratelli die Francia, voi sapete quello che abbiamo fatto sotto l`ispirazione e la protezione del nostro Dio. La piu`italiana delle citta`d`Italia, oggi piu`italiana di Verona di Pisa die Perugia ed qualsiasi altro comune insigne, era perduta sotto la minaccia di tutte le profanazioni e di tutte le violazioni. Sono deliberato e tenere e difendere la citta `sino alle fine, con tutte le armi. Noi siamo pronti a morire di fame nelle sue strade, a seppellirci sotto le sue rovine, ad ardere nelle sue case incendiate, a beffarci di tutte le minacce a sfidare ridendo la morte piu`crudele – Meine französischen Brüder, ihr wisst, was wir mit der Unterstützung und der Eingebung unseres Gottes unternommen haben. Die italienische Stadt aller Städte, viel mehr als Verona, Pisa, Perugia oder jeder andere Stadt Italiens, war auf Grund von Unrechtmäßigkeiten verloren. Ich bin berechtigt, die Stadt bis zum bitteren Ende zu halten, mit allen Mitteln. Wir sind bereit, in diesen Straßen an Hunger zu sterben, uns unter ihren Ruinen begraben zu lassen, in den brennenden Häusern den Flammentod zu sterben. Wir werden keine Gefahren scheuen und lachend dem Tod entgegen gehen.“8

In der Zwischenzeit wurden die diplomatischen Bemühungen um eine friedliche Lösung des Grenzstreits zwischen Italien und Jugoslawien fortgesetzt. Der US-Präsident Wilson ermächtigte beide Staaten, ihre Grenzstreitigkeiten beizulegen, und garantierte ihnen, dass das Ergebnis von den Alliierten akzeptiert würde. Unter diesen Umständen kehrten die italienische Delegation unter der Leitung von Ministerpräsident Giolitti und Außenminister Sforza sowie die jugoslawische Partei an den Verhandlungstisch zurück, um das Rapallo-Abkommen am 12. November 1920 der Öffentlichkeit vorzustellen.9 Die großen Verlierer dieses Abkommens waren vor allem Slowenen und Kroaten, da etwa ein Viertel des slowenischen Territoriums mit rund 300.000 Slowenen unter italienische Herrschaft geriet. Kroatien erging es ähnlich, da es dem italienischen Staat Istrien samt einer Bevölkerung von ca. 200.000 Kroaten abtreten musste. Darüber hinaus wurde Fiume/Rijeka zum Freistaat erklärt und Istrien/Istra/Istria, Zara/Zadar und vier kleineren Inseln, die dem Königreich der SHS zuerkannt wurden. In Bezug auf die territorialen Verluste von Slowenen und Kroaten sagte Sforza nach der Unterzeichnung des Abkommens, dass die Zeit alle Wunden heilen und Italien eine angemessene Politik zum Schutz ethnischer Minderheiten umsetzen werde.10

[...]


1 https://en.wikipedia.org/wiki/Treaty_of_Rapallo_(1920)#/media/File:Litorale_1.png , (abgerufen am 07.02.2020).

2 Vgl. Freistaat Fiume, in: https://de.wikipedia.org/wiki/Freistaat_Fiume , (abgerufen am 08.12.2019).

3 Vgl. Jože Pirjevec, Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Von der Einheit bis zur Verfassung des „Veitstages“ 1918-1921, in: Stefan Karner u.a. (Hg.), Als Mitteleuropa zerbrach. Zu den Folgen des Umbruchs in Österreich und Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg, Graz 1990, S. 43-66, hier S. 54f.

4 Vgl. ebda., S. 56.

5 Vgl. Bernhard Siegert, L`Ombra della macchina alata, in: Hans Ulrich Gumbrecht u.a. (Hg.), Der Dichter als Kommandant. D`Annunzio erobert Fiume, München 1996, S. 261-308, hier S. 299f.

6 Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht u.a. (Hg.), Der Dichter als Kommandant. D`Annunzio erobert Fiume, München 1996, S. 40

7 Arrigo Solmi, Gabriele D`Annunzio e la Francia dopo Versaglia, Verona 1941, S. 56.

8 Ebda., S. 59.

9 Vgl. Freistaat Fiume, in: https://de.wikipedia.org/wiki/Freistaat_Fiume , (abgerufen am 08.12.2019).

10 Vgl. Jože Pirjevec, Das Königreich, S. 56f.

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Details

Titel
Fiume/Rijeka 1919-1924
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V511766
ISBN (eBook)
9783346119698
Sprache
Deutsch
Schlagworte
fiume/rijeka, 1919, 1924, rapallo, D'Annunzio
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Fiume/Rijeka 1919-1924, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/511766

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