Ikonologie und Ikonographie nach Erwin Panofsky am Beispiel der Höfischen Kunst aus Benin


Seminararbeit, 2017

37 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Themenhinführung & Vorgehensweise

2. Erwin Panofskys Paradigma der Ikonologie und Ikonographie

3. Die Anwendung von Panofskys Paradigma auf Afrikanische Kunst

4. Die Kopfplastiken der Oba
4.1 Vorikonographische Beschreibung
4.2 Ikonographische Analyse
4.3 Ikonologische Interpretation

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen im Anhang

Anhang

1. Themenhinführung & Vorgehensweise

ERWIN PANOFSKY galt als einflussreichster Vertreter und Mitbegründer der Ikonologie, die sich insbesondere um die inhaltliche Deutung von Bildern kümmert.1 Zu seinen frühe­ren methodischen Überlegungen zu stilgeschichtlichen Ansätzen hat er in den 30er Jahren ein Interpretationsmodell zur vorikonographischen Beschreibung, ikonographischen Analyse und ikonologischen Deutung entwickelt und sich dabei auf die Kunst der Re­naissance bezogen.2 Dieser Ansatz entfaltete eine überragende Wirkung und hat auch in Europa die Kunstgeschichte über Jahrzehnte nachhaltig geprägt.3

In der nachfolgenden Arbeit soll untersucht werden, ob Panofskys Paradigma der Ikono- logie und Ikonographie auch auf Kunst angewendet werden kann, die nicht dem europä­ischen Raum entstammt. Demnach liegt der Fokus auf der Afrikanischen Kunst, insbe­sondere aber auf der Höfischen Kunst aus Benin in Südnigeria. Die Kunstwerke aus Bronze und Elfenbein zählen zu den bedeutendsten Schöpfungen des Königreich Benins.4 Aus der Vielzahl der Objektkategorien sollen im Folgenden insbesondere die “Oba- Köpfe“, die Köpfe der Könige aus Gelbguss, die zu den so genannten “Benin-Bronzen“ zählen, untersucht werden. Diese gelten als die bekanntesten Werke der Benin-Kunst.5 In einem ersten Schritt ist es notwendig Panofskys Paradigma darzulegen und anschlie­ßend die Voraussetzungen zur Anwendung des Modells auf Afrikanische Kunst zu klä­ren. Im zweiten Schritt sollen die Bronze Köpfe nach PANOFSKYS Vorgehensweise der vorikonographischen Beschreibung, der ikonographischen Analyse und der ikonologi- schen Interpretation analysiert werden. Diesbezüglich bildeten der Ausstellungskatalog über die Ausstellung „Benin - Könige und Rituale“ des Museums für Völkerkunde in Wien von BARBARA PLANKENSTEINER aus dem Jahre 2007 sowie die Monographie von ARMAND DUCHÂTEAU „Benin - Kunst einer afrikanischen Königskultur“ über die Benin­Sammlung des Museums für Völkerkunde in Wien eine notwendige Grundlage. Beide Werke behandeln intensiv die Geschichte sowie Besonderheiten der Benin-Kunst und stellen die einzelnen Kunstwerke überblicksartig dar.

2. Erwin Panofskys Paradigma der Ikonologie und Ikonographie

Allgemein ist nach Panofsky die Ikonographie „[...] der Zweig der Kunstgeschichte, der sich mit dem Sujet (Bildgegenstand) oder der Bedeutung von Kunstwerken im Ge­gensatz zu ihrer Form beschäftigt.“6 PANOFSKY versucht den Unterschied zwischen Sujet, Bedeutung und Form anhand einer Begrüßungsszene zu vergleichen, indem ein Mann den Hut zieht. Er beschreibt dies folgendermaßen: Das, was man unter einem formalen Blickwinkel sieht, ist nichts als die Veränderung bestimmter Einzelheiten innerhalb einer Konfiguration. Diese macht einen Teil des Farben-, Linien-, und Körpermusters aus, aus dem die eigene visuelle Welt besteht. PANOFSKY unterteilt das Geschehen in ein Objekt (Herr) und die Detailveränderung als ein Ereignis (Hutziehen). Hierbei ist bereits die Grenze der rein formalen Wahrnehmung überschritten. Eine erste Ebene des Sujethaften, oder der Bedeutung wird betreten. Diese Ebene ist nach PANOFSKY elementarer Natur, sie geschieht beinahe automatisch, indem man die bestimmten, sichtbaren Formen mit bekannten Gegenständen identifiziert, die einem aus der praktischen Erfahrung bekannt sind oder aber indem man die Veränderung in ihren Beziehungen mit bestimmten Ereig­nissen oder Handlungen identifiziert. Weiter geht PANOFSKY davon aus, dass die identi­fizierten Gegenstände und Ereignisse eine bestimmte Reaktion in einem hervorrufen. Dementsprechend kann erkannt werden, ob das Gegenüber mit seiner Handlung etwas Gleichgültiges, Freundliches oder Feindseliges ausdrückt, also ein gewisser Ausdruck zu erkennen ist. Von der Tatsachenbedeutung unterscheidet sich diese, dass sie nicht durch einfache Identifikation, sondern durch einen psychologischen Aspekt die Einfühlung in die Situation, erfasst wird. Diese Einschätzung von Situationen resultiert aus der alltägli­chen Vertrautheit mit Ereignissen und Gegenständen. Diese ausdruckshafte und tatsa­chenhafte Bedeutung klassifiziert PANOFSKY in die Klasse primärer und natürlicher Be­deutungen. Er räumt jedoch auch ein, dass das Grüßen einem völlig anderen Interpretati­onsbereich angehört, dem der abendländischen Welt. Das Ziehen des Hutes wird dement­sprechend von einem alten Griechen oder einem australischen Buschmann anders inter­pretiert werden und möglicherweise nicht als Zeichen der Höflichkeit gedeutet. Dement­sprechend ist es notwendig mit den kulturellen Bräuchen eines Landes, Gebietes oder Stammes vertraut zu sein. Werden die Resultate dieser Analyse aus dem Alltagsleben auf ein Kunstwerk übertragen, so können in seinem Sujet oder seiner Bedeutung die gleichen drei Schichten unterscheiden werden: Das primäre oder natürliche, das sekundäre oder konventionale Sujet oder die eigentliche Bedeutung oder der Gehalt.7

In einem ersten Schritt führt er das primäre oder natürliche Sujet an, welches in tatsa­chenhaftes und ausdruckhaftes unterteilt wird.8 Dieses wird erfasst indem man reine For­men identifiziert, im engeren Sinn, gewisse Konfigurationen von Linie und Farbe oder speziell geformte Bronze- oder Steinstücke, die natürliche Gegenstände, wie menschliche Wesen, Tiere, Pflanzen, Häuser, Werkzeuge etc. darstellen. Ihre gegenseitigen Beziehun­gen werden als Ereignisse erfasst und ihre ausdruckshaften Eigenschaften wie den freu­digen Charakter einer Pose wahrgenommen. Da diese Ereignisse als Träger primärer oder natürlicher Bedeutungen erkannt werden, werden diese auch als Welt reiner Formen be­ziehungsweise künstlerischer Motive bezeichnet. Werden diese Motive aufgezählt, so spricht man von einer vorikonographischen Beschreibung.

Als zweites führt PANOFSKY das sekundäre oder konventionale Sujet an.9 Dieses besteht in der Verknüpfung von künstlerischen Motiven und Kombinationen künstlerischer Mo­tive, den Kompositionen, mit Konzepten oder Themen. Motive die dergestalt als Träger einer sekundären oder konventionalen Bedeutung erkannt werden, nennt man Bilder, oder Kombinationen solcher Bilder, die als Anekdoten oder Allegorien bezeichnet werden. So wird beispielsweise eine weibliche Person, die einen Pfirsich in der Hand hält als die Personifikation der Wahrhaftigkeit oder einen Mann, der ein Messer in der Hand hält als Heiligen Bartholomäus gedeutet. Die Identifizierung dieser Bilder ist der Bereich, was gewöhnlich mit Ikonographie bezeichnet wird. Wenn vom Sujet im Gegensatz zur Form gesprochen wird, ist grundsätzlich auch der Bereich des konventionalen oder sekundären Sujets gemeint, also die Welt spezifischer Konzepte oder Themen, die sich in Allegorien oder Bildern manifestiert. Eine korrekte ikonographische Analyse setzt aber immer eine korrekte Identifizierung der Motive voraus.

Als letzte Klassifizierung folgt die eigentliche Bedeutung oder der Gehalt.[10] Dieser wird erfasst, „[...] indem man jene zu Grunde liegenden Prinzipien ermittelt, die die Grund­einstellung einer Nation, einer Epoche, einer Klasse, einer religiösen oder philosophi­schen Überzeugung enthüllen [.].“11 Diese können auch modifiziert oder durch eine Persönlichkeit in einem einzigen Werk verdichtet werden. Diese Prinzipien manifestieren sich dabei durch Kompositionsmethoden und durch ikonographische Bedeutungen. Im Gegensatz zur Ikonographie ist die Ikonologie die Entdeckung und die Interpretation der symbolischen Werte. Die Ikonographie weist hingegen rein beschreibende Merkmale auf. Sie „[...] ist daher ebenso eine Beschreibung und Klassifizierung von Bildern [...], wie die Ethnographie eine Beschreibung und Klassifizierung menschlicher Rassen ist.“12 Die Ikonographie informiert darüber, wann und wo gewisse Themen durch bestimmte Motive sichtbar gemacht wurden.13 Demnach ist diese Disziplin eine unerlässliche Hilfe für die Feststellung von Herkunftsorten und Datierungen. Zusätzlich liefert sie die notwendige Grundlage für weitere Interpretationen, wobei sie diese jedoch nicht selbst erarbeitet. Bei der Ikonographie wird das Material gesammelt und klassifiziert, wobei jedoch nicht die Herkunft oder die Bedeutung dessen erforscht wird. Demnach erörtert diese Disziplin nur einen Teil der Elemente, die in den tatsächlichen Gehalt eines Kunstwerkes bestimmen und die nachgewiesen werden müssen damit die Wahrnehmung dieses Gehalts deutlich wird. Demnach empfiehlt PANOFSKY das Wort Ikonologie überall dort zu verwenden, wo die Grenzen der Ikonographie überschritten werden. Dies geschieht beispielsweise dann, wenn sie mit andren Methoden in Berührung kommt.14

Im Gegensatz zur beschreibenden Ikonographie hat die die Ikonologie einen interpreta­torischen Effekt. Vergleichsweise stellt die Ethnographie, die reine Beschreibung menschlicher Rassen dar, während die Ethnologie als ihre vergleichende Disziplin be­zeichnet wird.15 Damit ist die Ikonologie nach PANOFSKY „[.] eine ins Interpretatorische gewandte Ikonographie, die damit zum integralen Bestandteil der Kunstwissenschaften wird [.].“16 Ikonologie ist allerdings eine Interpretationsmethode, die nicht aus der Ana­lyse, sondern aus der Synthese hervorgeht. Zusammenfassend ist Voraussetzung für eine korrekte ikonographische Analyse die korrekte Feststellung von Motiven. Folglich ist die korrekte Analyse von Anekdoten, Allegorien und Bildern die Voraussetzung für die kor­rekte ikonologische Deutung.17

Letztlich hängen die Identifizierungen und Interpretationen von der jeweiligen subjekti­ven Ausrüstung ab.18 Daher müssen diese durch Einsicht in historische Prozesse ergänzt werden. PANOFSKY hat diese drei Ebenen in einer Tabelle verdeutlicht, wobei er anmerkt, dass sich diese drei Ebenen auf ein Kunstwerk beziehen (Abb. 1).19 Die Ebenen stellen daher einen organischen Prozess dar, verschmelzen miteinander und sind somit unteilbar. PANOFSKYS Modell wurde unter anderem von Seiten der Hermeneutik und Stilgeschichte oft kritisiert, insbesondere da nur die inhaltliche Seite des Kunstwerks zur Geltung käme und dieses so in seinem ursprünglichen Wesensgehalt verfehlt würde. Da er hauptsächlich Beispiele aus der Renaissance verwendete und sein Modell damit eher auf die Abendlän­dische Kunst ausgelegt war.20

3. Die Anwendung von Panofskys Paradigma auf Afrikanische Kunst

Generell wurde in der Vergangenheit viel über geeignete Methoden diskutiert um die Afrikanische Kunst zu erforschen.21 Einige Kunsthistoriker und Ethnologen versuchten bereits Panofskys Paradigma auf Afrikanische Kunst anzuwenden. In den 80ern fertigte ROBERT SOPPELSA eine große Studie über die drei großen Akan Terra-cotta Traditionen in der südlichen Elfenbeinküste, namens mma, ba und assongu an.22 Um den Gegenstand zu analysieren wendete er Panofskys Paradigma an. In seinem Artikel fasst er die Ergeb­nisse seiner Analysen zusammen. Neben SOPPELSA hat sich auch SUZANNE PRESTON BLIER mit der Deutung von Afrikanischer Kunst beschäftigt. Dabei untersuchte sie die Bedeutungen von unterschiedlichen Kunstobjekten verschiedener Afrikanischer Länder, wobei sie sich ebenfalls an PANOFSKYS Modell orientierte.23

Zuvor befasste sich bereits der Ethnologe VINIGI LORENZO GROTTANELLI 1961 mit der Analyse Afrikanischer Kunst.24 GROTTANELLI stellte sich hierbei die Frage, welcher An­satz besser geeignet wäre um die Afrikanische Kunst zu analysieren: der anthropologi­sche oder der kunstgeschichtliche Ansatz. Der Ethnologe folgerte, dass die Anwendung nur eines einzelnen Ansatzes nicht genügt um ein allumfassendes Verständnis für die Kunst Afrikas zu entwickeln. Er begründete dies damit, dass Kunsthistoriker eher eine stilistische Vorgehensweise bevorzugen, wogegen Anthropologen sich ausschließlich auf kulturelle Gegebenheiten konzentrieren. Das führt dazu, dass die Bedeutung der Objekte und ihre stilistischen Besonderheiten vernachlässigt werden. Demnach ist es notwendig, dass Kunsthistoriker und Anthropologen ein umfassenderes Verständnis für Afrikanische Kunst entwickeln müssen, indem sie beide Methoden kombinieren umso zu einem ge­naueren Ergebnis zu kommen. Diesbezüglich schlug GROTTANELLI vor, dass Anthropo­logen insbesondere bei Ikonographischen und Ikonologischen Problemen PANOFSKYS Modell heranziehen sollten. Da sich das Modell eher an abendländischer Kunst orientiert, kann es jedoch nur bedingt auf Außereuropäische Kunst angewendet werden und müsste demnach einigen Änderungen unterworfen werden. Nach GROTTANELLI könnte die erste Stufe der Vorikonographischen Beschreibung zu einer Identifikation von Stilen und Schulen führen. Bereits an dieser Stelle scheiterten die meisten Analysen und wurden abgebrochen. Demnach wäre die zweite und dritte Ebene von PANOFSKYS Modell besser geeignet um genauere Ergebnisse erzielen zu können. Auf der zweiten Ebene, der Ikono- graphischen Analyse, ist es notwendig, dass weitere Quellen, nicht ausschließlich litera­rische, die hauptsächlich von westlichen Kunsthistorikern angeführt wurden, herangezo­gen werden. Als weitere Quellen dienen kulturelle Hintergründe und mündliche Überlie­ferungen in Interviews der verschiedenen afrikanischen Gesellschaften. Die letzte Ebene, der Ikonologischen Interpretation, sollten nach GROTTANELLI mit Hilfe der freien Inter­pretation der Kunst gelöst werden.

4. Die Kopfplastiken der Oba

4.1 Vorikonographische Beschreibung

Gemäß PANOFSKYS Modell müssen die betrachteten Objekte erst der vorikonographi- schen Analyse unterzogen werden. Demnach folgt eine simple Beschreibung der Bild­werke. Der Analyse werden die Oba-Köpfe der Wiener Sammlung, sowie ergänzend diese der Benin-Ausstellung zu Grunde gelegt.25

Die Kopfplastiken aus Bronze sind in der Regel nicht größer als maximal 30 cm (Abb. 2 bis Abb. 5).26 Durch eine ähnliche Tiefe und Breite von etwa 20 bis maximal 30 cm wir­ken sie sehr stämmig und beinahe quaderförmig. Um den Hals tragen sie dicht aneinan­dergereihte Ketten aus Korallenperlen, die den Hals vollständig bedecken und bis zum Mund reichen. Diese wirken wie ein Mauerwerk.27 Auf dem Kopf tragen die Plastiken eine Mütze oder Kappe, welche ebenfalls vollständig aus Korallenperlen besteht. Durch den reichen Schmuck bleibt vom Gesicht nur noch ein viereckiger Ausschnitt zwischen Perlenkragen, Kappe und den seitlichen Perlenschnüren sichtbar. Augen, Nase und Lip­pen bleiben frei. Am Kopf ist darüber hinaus eine breite Vertiefung zu erkennen, die fast die gesamte Breite des Kopfes in Anspruch nimmt.

Die Kappe von manchen Plastiken kann dabei wesentlich enger geflochten sein als die von anderen (Vgl. Abb. 2 mit Abb. 5). Darüber hinaus ist sie häufig mit kleinen Rosetten bestickt, bestehend aus vier oder fünf konischen Korallenperlen. Auffällig ist, dass bei den meisten Plastiken über der Stirne eine doppelkonische Perle herabhängt. Darüber hinaus sind bei manchen Kopfplastiken auf der Stirn zwei oder mehrere rechteckige Ver­tiefungen zu sehen, in welchen sich zum Teil Einlagen aus Eisen erhalten haben, ebenso wie in den Pupillen der Plastiken.28 In einem anderen Kopf fehlen dagegen die eisernen Pupillen und Stirneinlagen.

Daneben können aber auch flügelförmige Elemente angebracht sein (Abb. 8 und Abb. 9). Hinten und an beiden Seiten der Kappe hängen zusätzlich Perlenzöpfe oder Perlenstränge herab.

Die Gesichtszüge der Köpfe wie Augen, Nase und Mund sind eher primitiv. Insbesondere die Augen sind überproportional im Verhältnis zum Gesicht.

Auch findet man bei manchen Köpfen anstatt einer Kappe einen stufigen Haarschnitt vor (Abb. 6).

Zudem unterscheiden sich die Köpfe hinsichtlich des Umfangs des Haar- beziehungs­weise des Halsschmucks. Bei einigen Köpfen aus Metall wird das Kinn und ein Teil des Halses nicht von den Ketten bedeckt (Abb. 7), wogegen bei den restlichen Köpfen das Kinn und der Hals bis zum Mund vollständig verdeckt werden (Abb. 2 bis Abb. 5, Abb. 8 und Abb. 9). Durch die Kappe und die großflächige Halskette wirkt das Gesicht sehr eingeschränkt. Lediglich bei zwei Köpfen kann man von einer naturalistischen Gestaltung des ganzen Kopfes sprechen (Abb. 6 und Abb. 7).29 Diesbezüglich zieht sich der Rand der Kappe am Hinterkopf nach unten und gleicht sich somit der natürlichen Form des Kopfes an. Unterhalb von manchen Köpfen befindet sich eine Plinthe (Abb. 5, Abb. 8 bis Abb. 11). Auf dieser können verschiedene Symbole dargestellt sein, darunter Elefanten­rüssel mit der menschlichen Hand, liegende und stehende Leoparden, Frösche, Welse und Donnerkeile (Abb. 5, Abb. 8 und Abb. 9). Alle Köpfe sind mit einem rotbraunen Belag überzogen.

Bei den vorgenannten Beispielen handelte es sich ausschließlich um männliche Köpfe. Es existieren jedoch Plastiken, die einen weiblichen Kopf darstellen (Abb. 10 und Abb. 11). Hierbei handelt es sich um Plastiken, die den Kopf der Königinmutter repräsentie- ren.30 Diese tragen eine spitzkonische Kopfbedeckung, welche die Frisur halten und sind sehr reichlich geschmückt. Diese Figur enthält ebenso eine Öffnung. Die Kopfbedeckung ist dabei vollständig von stilisierten Perlen überzogen. Daneben hängen Perlenschnüre vom Rand der Kappe bis zum Boden herab. Bei der zweiten Plastik Abb. 39 werden sogar 44 Perlenreihen gezählt.

4.2 Ikonographische Analyse

In PANOFSKYS zweiter Ebene, der ikonografischen Analyse, werden die Formen, gemäß den kulturellen Gegebenheiten analysiert. Für das Studium der westlichen Kunst werden literarische Vorkenntnisse vorausgesetzt.31 Solche Quellen sind für Afrikanische Kunst eher nicht verfügbar.32 Nach GROTANELLIS Ratschlag sollten daher mündliche Überliefe­rungen, Literatur, Geschichte, Archäologie, Ethnographie und Ethnogeschichte mitein­bezogen werden.33 Auch Interviews, die während der Feldforschung aufgenommen wer­den, dienen als Mittel zur Analyse der Objekte.

Da die Köpfe aus europäischer Sicht eher unbekannt sind müssen schon auf der Ebene der ikonographischen Analyse weitere Quellen herangezogen werden um diese und deu­ten zu können.

Bei den Kopfplastiken aus Gelbguss handelt es sich um königliche Gedenkköpfe, die Teile eines Altarschreines darstellten (Abb. 13).34 Die Altäre waren wesentlicher Be­standteil eines Königspalastes. Sie wurden von dem regierenden Oba in einem besonde­ren Teil des Palastes für seinen Vorgänger errichtet. Darüber hinaus dienten sie der Ver­ehrung der Ahnen und der Legitimation des amtierenden Herrschers.

Die Köpfe zeigen die typischen Merkmale eines Oba (Abb. 14): Die Kappe aus gefloch­tenen Perlenketten und aufgesetzten Stachelrosetten, dazu die großen Achatperlen und mehreren Perlenschnüren und den hohen Kragen aus Korallenperlen (Abb. 14 und Abb. 15). Die Korallen waren als Hoheitssymbole von großer Bedeutung.35 Kleidungsstücke, die aus wertvollen Achat- oder Korallenperlen durften nur von dem Oba, der Königin­mutter und hohen Beamten getragen werden und demonstrierten dabei die gehobene Po­sition des Herrschertums. Darüber hinaus hatten sie auch mythische Bedeutung, da sie einst aus dem Palast des Meeresgottes Olokun gestohlen worden sein sollen.36

Die Eiseneinlagerungen in Pupillen und Stirn der Plastiken sind als Zeichen der Macht und Stärke zu verstehen. Gemäß vieler afrikanischer Gesellschaften soll von Eisen eine besondere Kraft ausgehen.37 Die parallelen Eiseneinlagen auf der Stirn mancher Köpfe (Abb. 5 und Abb. 6) stehen darüber hinaus für das Opferblut, welches die Kraft des Kop­fes von Zeit zu Zeit erneuern sollte.38

Bei den bereits erwähnten Symbolen auf der vorspringenden Basis der Köpfe, handelt es darüber hinaus um Symbole, die die übernatürliche Macht und Autorität des Herrschers verbildlichen.39

Die seitlich angebrachten Flügelelemente wurde von OBA OSEMWEDE (1816-1848) ein­geführt und ist bezeichnend für den königlichen Kopfschmuck des 19. Jahrhunderts (Abb. 8 und Abb. 9).40 Diese sind im Vergleich zu den Köpfen, die früher entstanden sind größer dimensioniert. Zudem zeichnen sie sich durch stark stilisierte Gesichter aus und haben Augenbrauen und Lider und aus kreisrunden Ornamenten und Schmucknarben auf der Stirn.41

[...]


1 Siehe hier und im Folgenden Panofsky 2003/1, S. 62 f.

2 Siehe Panofsky 2003/2, S. 65-76.

3 Zu diesem Abschnitt siehe Panofsky 2003/1, S. 62 f.

4 Benin war seit dem 15. Jahrhundert ein bedeutender Handelspartner Europas, weswegen das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr, der sich auch in Kunst und Kultur niederschlug. Siehe Kat. Ausst. Wien 2007, S. 11.

5 Siehe Kat. Ausst. Wien 2007, S. 25.

6 Panofsky 2003/2, S. 65.

7 Zu diesem Abschnitt siehe Panofsky 2003/2, S. 66-68.

8 Zum primären oder natürlichen Sujet siehe im Folgenden Panofsky 2003/2, S. 66 f. bzw. Panofsky 1962, S. 5.

9 Bezüglich des sekundären oder konventionalen Sujets siehe im Folgenden Panofsky 2003/2, S. 67 f. bzw. bzw. Panofsky 1962, S. 6.

10 Zur eigentlichen Bedeutung oder dem Gehalt siehe im Folgenden Panofsky 2003/2, S. 68 f. bzw. Pa- nofsky 1962, S. 7 f.

11 Panofsky 2003/2, S. 68.

12 Siehe Panofsky 2003/2, S. 69.

13 Zum Unterschied der Ikonographie und Ikonologie siehe Panofsky 2003/2, S. 69.

14 Zu diesem Abschnitt siehe auch Panofsky 1962, S. 7 f.

15 Siehe Panofsky 2003/2, S. 69.

16 Panofsky 2003/2, S. 69.

17 Siehe Panofsky 2003/2, S. 70.

18 Vgl. Panofsky 2003/2, S. 76.

19 Zur Tabelle siehe auch Panofsky 2003/2, S. 76.

20 Siehe neben Blier 1988, S. 75 auch Soppelsa 1988, S. 152; In seinem Modell führt Panofsky ausschließ­lich Beispielen aus der Renaissance an. Siehe Panofsky 2003/1, S. 63.

21 Siehe hierzu Soppelsa 1988, S. 147.

22 Zur Studie siehe Soppelsa 1988, S. 147-153.

23 Siehe Blier 1988, S. 75-87.

24 Siehe hierzu und im Folgenden Grottanelli 1975, S. 3-22.

25 Siehe Duchâteau 1995, S. 46-52 sowie Kat. Ausst. Wien 2007, S. 370-375.

26 Zu den Maßen der Köpfe siehe Kat. Ausst. Wien 2007, S. 370-373. Zur allgemeinen Beschreibung der Köpfe siehe Kat. Ausst. Wien 2007, S. 370-375 und Duchâteau 1995, S. 46-52.

27 Siehe Kat. Ausst. Wien 2007, S. 373.

28 Siehe Igbafe 1974, S. 5.

29 Siehe hierzu auch Duchâteau 1995, S. 46-52, S. 31 f. sowie Schaedler 1994, S. 75 f.

30 Zu Plastiken, die die Königinmutter repräsentieren siehe auch Herrmann 1969, S. 34 sowie Kat. Ausst. Wien 2007, S. 395-400.

31 Siehe Panofsky 2003/2, S. 68, sowie Soppelsa 1988, S. 147.

32 Siehe Soppelsa 1988, S. 148 f.

33 Vgl. Grottanelli 1975, S. 3 ff.

34 Zu den Altarschreinen siehe insbesondere Seige 1994, S. 22-24; Zu den Kopfplastiken aus Gelbguss siehe auch Schaedler 1994, S. 76. wie auch Ben-Amos 2007, S. 151-159.

35 Zur Platte siehe Kat. Ausst. Wien 2007, S. 278.

36 Egharevba 1968, S. 1-3.

37 Siehe Kat. Ausst. Wien 2007, S. 373.

38 Vgl. hierzu Kat. Ausst. München 1976, S. 183.

39 Siehe Duchâteau 1995, S. 46-52, S. 27 f.

40 Vgl. Ben-Amos 1980, S. 15.; Kat. Ausst. München 1976, S. 183.

41 Vgl. Kat. Ausst. München 1976, S. 183.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Ikonologie und Ikonographie nach Erwin Panofsky am Beispiel der Höfischen Kunst aus Benin
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Methodenseminar afrikanische Kunstgeschichte
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
37
Katalognummer
V511815
ISBN (eBook)
9783346086303
ISBN (Buch)
9783346086310
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Afrika, Kunst Afrika, afrikanische Kunst, Benin, MAsken, Höfische Kunst, Höfische Kunst Afrika, Ikonologie, Ikonographie, Erwin Panofsky, Kopfplastiken, Oba, Kopfplastiken der Oba, Ikonographische Analyse, Ikonologische Interpretation, Kunstgeschichte, Deutung von Bildern, Südnigeria, Nigeria, nigerianische Kunst, Bronze, Elfenbein, Kunst aus Elfenbein, Kunst Bronze, Oba-Köpfe, Gelbguss, Oba Kopf, Benin-Bronzen, Benin-Kunst, Barbara Plankensteiner, Armand Duchateau, Benin – Könige und Rituale, Rituale, Grottanelli, Oba Osemwende, Osemwende, Oba Ogulola, Oguloa, Ogiso-Dynastie, Ogiso, Holzköpfe, Terrakotta, Terrakotta Köpfe, Ife-Köpfen, Ife, Ahnenkult, Ahnen, Monarchie, Panofskys Paradigma, Paradigma, Ben-Amos, Akinola, Duchâteau, Mechthildis Jungwirth, Benin Könige und Rituale, Akan und Benin, Studies in Iconology, Preston Blier, Schaedler, Soppelsa
Arbeit zitieren
Victoria Landmann (Autor:in), 2017, Ikonologie und Ikonographie nach Erwin Panofsky am Beispiel der Höfischen Kunst aus Benin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/511815

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