Dimensionen und Prävention abweichenden Verhaltens im Unterricht


Akademische Arbeit, 2019

25 Seiten, Note: 2.0

Anonym


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Dimensionen abweichendem Verhaltens im Unterricht
2.1 Unterrichtsstörung: eine Definition
2.2 Erscheinungsformen
2.3 Ursachen

3. Kounins Dimensionen des Lehrerverhaltens
3.1 Allgegenwärtigkeit
3.2 Reibungslosigkeit
3.3 Aufrechterhaltung des Gruppenfokus
3.4 Programmierte Überdrussvermeidung

4. Analyse präventiver lehrerzentrierter Strategien
4.1 Prävention durch breite Aktivierung
4.1.1 Motivation
4.1.2 Impulsgebung
4.1.3 Breite Kontrolle
4.1.4. Positive Kommentar-Impulse
4.1.5 Binnendifferenzierung zur Förderung der breiten Aktivierung im Fremdsprachenunterricht
4.2 Prävention durch Unterrichtsfluss
4.3 Prävention durch Präsenz- und Stoppsignale
4.4. Prävention durch Regeln

5. Fazit und Ausblick auf eine möglichst störungsarme Praxis

6. Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Die strategische Bewältigung von Unterrichtsstörungen stellt einen wesentlichen Bestandteil des Lehrerberufs und des Lehreralltags dar. Ohne ein ausreichendes Maß an Disziplin im Klassenzimmer kann weder die Lehrkraft seine Unterrichtsziele erreichen, noch können die Schüler/innen ihre Lernprozesse erfolgreich gestalten. Nicht weniger zu beachten ist der Verlust aktiver Lernzeit, der durch das gehäufte Auftreten von Störungen, die eine Unterbrechung des Unterrichtsflusses zur Folge haben, zustande kommt. In Lehrerbelastungsstudien wurde nachgewiesen, dass nicht nur die Wirksamkeit des Unterrichts, sondern auch die seelische Gesundheit der Lehrperson in erheblichem Maße durch permanente Unterrichtsstörungen beeinträchtigt werden kann (Keller ³2014: 7). So werden Unterrichtsstörungen von Lehrkräften als wesentlicher Belastungsfaktor beim Unterrichten eingeschätzt (Biez 2015: 10).

In Anbetracht dieser Konsequenzen für die Gesundheit der Lehrperson und für die Unterrichtswirksamkeit, ist das Ausbildungsdefizit diesbezüglich Anlass zur Verwunderung, denn der Ausbildungsschwerpunkt angehender Lehrkräfte findet sich im Bereich der Methodik, Didaktik und der Fachkompetenz. Die Gründe für diese Schwerpunktsetzung sind vor dem Hintergrund der vielschichtigen Anforderungen des Lehrerberufs nachvollziehbar, dennoch ist die Signifikanz des „Disziplinmanagements“ (Keller ³2014:8) als wesentlicher Bestandteil der Professionalität des Lehrers nicht zu vernachlässigen. Basierend auf den genannten Tatsachen und auf eigene Erfahrungen mit dem Phänomen im Rahmen des Praxissemesters soll eine lehrerzentrierte und praxisorientierte Auseinandersetzung mit Unterrichtsstörungen Kerngegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Die in der Fachliteratur vorzufindenden Handlungsstrategien sind unterteilt in Interventionsstrategien, die Reaktionen auf bereits eingetretene Störungen darstellen, und präventive Strategien, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Störungen minimieren. Letztere spielen eine signifikantere Rolle, weil diese das Kernanliegen der täglichen Klassenführung sind (Nolting142017: 42).

So ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit nach einer theoretischen Betrachtung des Phänomens, dessen Erscheinungsformen und dessen Ursachen, eine analytische Auseinandersetzung von Verhaltensweisen von Lehrpersonen zu vollziehen, die die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Störungen reduzieren, mit dem Ziel der Frage nachzugehen, warum sich der Unterricht bestimmter Lehrkräfte von Grund auf störungsarmer gestaltet als der Unterricht anderer Lehrpersonen.

2. Dimensionen abweichendem Verhaltens im Unterricht

2.1 Unterrichtsstörung: eine Definition

Grundsätzlich wird in der Fachliteratur von einer Unterrichtsstörung gesprochen bei „[…] unterschiedlichen Formen abweichenden Verhaltens“ (Keller ³2014: 25). Dennoch ist zu unterstreichen, dass eine objektive Definition dessen, was als Unterrichtsstörung empfunden wird, nicht immer gegeben werden kann, da das Wahrnehmen einer Unterrichtsstörung als solche von der Beurteilung und vom situativen Befinden der Lehrkraft abhängt (Wicki/Kappeler 2007:3). In der Tat gibt es in dieser Hinsicht einen sogenannten subjektiven Ermessens- und Toleranzspielraum. Dies geht auch aus Befragungen von Lehrpersonen hervor, die im Rahmen des Lern- und Lehrforschungsprojekts im Praxissemesters zum Thema befragt wurden. In der Fachliteratur werden Handlungen von Schülern/innen als Unterrichtsstörung kategorisiert, wenn „[…] der Unterrichtsprozess eindeutig [gestört wird] und der Lernerfolg der Mitschüler [gefährdet ist]“ (Keller ³2014:25). Nolting (142017: 12) setzt Unterrichtsstörungen mit „[…] alltäglichen Behinderungen des Unterrichts“ gleich. Das heißt, als „störend“ kann ein Schülerverhalten nur konnotiert werden, wenn es mit den Zielsetzungen der im Klassenraum stattfindenden Prozesse in den Zusammenhang gesetzt wird. Deshalb stellt es eine Vereinfachung und eine destruktive Haltung dar, Schüler/innen, die dem momentan erwarteten Arbeits- und Sozialverhalten nicht entsprechen, als „Störer“ zu etikettieren. Vielmehr signalisiert das Schülerverhalten einen Erziehungsbedarf und -auftrag, dem durch zielführende Strategien seitens der Lehrkraft und auf Schulebene nachzukommen ist (Biez 2015: 11).

2.2 Erscheinungsformen

Bei Sichtung der Fachliteratur wird deutlich, dass ein breites Spektrum an Störungsformen vorliegt, die von den Autoren unterschiedlich kategorisiert werden. Keller (³2014:25f.) unterteilt Störungen in die folgenden Kategorien: Akustische Störungen, wie beispielsweise mit dem Nachbarn sprechen, Zwischenrufe, Summen, Singen, Schreien, Grölen, Handy, Uhrenalarm, motorische Störungen, wie zum Beispiel Schaukeln, Zappeln, mit Arbeitsmittel spielen und Herumlaufen. Des Weiteren listet Keller (ebd., 26) Aggressionen, wie etwa den Mitschüler/die Mitschülerin oder die Lehrperson verbal provozieren oder körperlich angreifen, fremde Sachen wegnehmen, Wutausbrüche und die geistige Abwesenheit des Schülers/der Schülerin, die Ausdruck findet als zum Fenster hinausschauen, Tagträumen und Schlafen auf. Weitere Kategorien sind die Verweigerung (fehlende Unterrichtsmaterialien, unerledigte Arbeitsaufträge, fehlende Hausaufgaben, Zuspätkommen) und Verstöße gegen die Hausordnung, wie zum Beispiel Essen, Trinken und Beschmutzen. Nolting (142017:12) hingegen unterscheidet drei unterschiedliche Typen von Störungen: Aktive Störungen, wenn es ein Übermaß an unerwünschtem Verhalten gibt, passive Störungen, wenn es einen Mangel an erwünschtem Verhalten gibt und Schüler-Schüler Interaktionen, die im Falle von Feindseligkeiten unter den Schülern/Schülerinnen bestehen.

2.3 Ursachen

Bei einer näheren Betrachtung der Ursachen für das Auftreten von Störungen lässt sich feststellen, dass diese nicht nur seitens der Schüler/innen zu suchen sind, sondern durchaus auch die Lehrkraft selbst und eine fehlerhafte Unterrichtsplanung für das Auftreten von Unterrichtsstörungen verantwortlich sein können. Auf der Schülerseite können unterschiedliche Ursachen differenziert werden, deren gleichzeitige Einflussnahme Störungen erzeugen kann. Hierbei können Entwicklungsverletzungen eine Rolle spielen, wenn der betreffende Schüler/die betreffende Schülerin Verhaltensstörungen aufweist, die aus einer traumatisch geprägten Kindheit resultieren. Fehlverhaltensweisen dienen in einem solchen Fall der Kompensation einer im Kindesalter durchlebten Ablehnung, Misshandlung oder Verstoßung (Keller ³2014: 33). Die Konsequenzen solcher psychischen Traumata zeigen sich jedoch nicht nur als Fehlverhalten, sondern auch als eine sogenannte „Moralentwicklungsstörung“ (ebd. S. 34), was heißt, dass das betreffende Kind sich nicht mit den Bezugspersonen identifizieren und deren Werte nicht verinnerlichen möchte. Folglich kann die Schüler-Lehrer-Beziehung aufgrund eines Übertragungsprozesses der zugeführten Verletzungen auf die Lehrperson durch Konflikte geprägt sein. Auch können aktuelle Entwicklungskrisen, wie beispielsweise die Pubertät oder neurobiologische Störungen, wie etwa im Falle einer Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung, Ursache für abweichendes Schülerverhalten im Klassengeschehen sein. Auch familiäre Probleme oder Erziehungsfehler können Ursache für Verhaltensprobleme von Schüler/innen sein, wenn die familiären Beziehungsangebote sich verwöhnend-permissiv1, inkonsistent, inkonsequent oder vernachlässigend gestalten (Keller ³2014:36-37).

Wenn wir uns von den inneren Prozessen der Schüler/innen abwenden und die Ursachenbetrachtung auf gesellschaftliche Prozesse ausweiten, wird deutlich, dass auch letztere der Ausgangspunkt für Störungen sein können, denn die Institution Schule kann nicht getrennt von der Gesellschaft betrachtet werden. Vielmehr ist sie der Schauplatz von gesellschaftlichen Vorgängen (Schneider ³2015:5). Ein wesentlicher Aspekt, der verändernden Prozessen unterliegt, ist die Institution Familie. Erziehung und Beziehungskultur (Maaz 2017:224) spielen bei der Entwicklung einer Selbst- und Sozialkompetenz (Konzentrationsfähigkeit, Anstrengungsbereitschaft, Umgangsformen) der Schüler/innen eine essenzielle Rolle. Diese Beziehungskultur kann im Idealfall unter stabilen familiären Strukturen gedeihen, die jedoch in vielen Fällen nicht mehr vorhanden ist, da viele Eltern sich scheiden lassen oder trennen (Bothe 1995:12). Auch sind häufig beide Erziehungsberechtigte bei steigenden Lebensunterhaltskosten zunehmend dem Druck ausgesetzt, trotz neugeborener Kinder einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Folglich kommen Erziehungsberechtigte der Verantwortung nicht mehr hinreichend nach, ihren Kindern auf der Ebene der Persönlichkeitsbildung aktiv Orientierung zu geben. Der Erziehungsauftrag der Jugendlichen und Kinder wird somit zunehmend der Schule überlassen. Die Ursachen hierfür sind je nach gesellschaftlicher Schicht jedoch unterschiedlich und werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter ausgeführt, weil der Schwerpunkt hier ein anderer ist. Eine rein gesellschaftsbezogene Erklärung ist jedoch nicht zu verallgemeinern, denn Schulen in ähnlichen Einzugsgebieten können sich in der Tat in Bezug auf das Auftreten und auf Formen von Störungen unterscheiden und auch sind Lehrkräfte bei der Bewältigung von Störungen unterschiedlich (Nolting 142017: 16).

Ursachen sind weiterhin auf institutioneller Ebene zu lokalisieren. „Die Schule produziert Störungen aufgrund ihrer eigenen Defizite und Zwänge“ (Nolting 142017:16f.). Schließlich ist nicht zu vernachlässigen, dass viele Schüler/innen nicht aufgrund autonomer Entscheidungsprozesse die Schule besuchen. Diese unterliegen automatisch der Schulpflicht und müssen die Tatsache akzeptieren, dass sie das Lernprogramm, das für die meisten aufgrund der breiten Fächerung nicht individuell angepasst ist, als gegeben hinnehmen müssen. So befinden wir uns in der Unterrichtssituation in einer künstlichen Atmosphäre, die durch implizite Verhaltensregeln gesteuert wird und bei dem Interessenkonflikte und unvereinbare Verhaltenstendenzen vorprogrammiert sind (ebd. S. 16). Das Auftreten von Störungen wird außerdem durch die Schule selbst begünstigt, wenn es einen Mangel an Grenzziehung, Normverdeutlichung und systematischer Verhaltenssteuerung gibt (Keller 32014:37). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn es dem Kollegium nicht gelingt, sich zu vernetzen und einen sogenannten pädagogischen Konsens auf schulischer Ebene in Bezug auf Verhaltenserwartungen zu erzeugen. So ist es keine Seltenheit, dass bei einem Lehrer bestimmte Verhaltensweisen sanktioniert und bei einem anderen durchgelassen werden.

Wesentlich zu reflektieren ist, warum einige Lehrkräfte unter denselben Störungsbedingungen ein höheres Bewältigungspotential aufweisen als andere (vgl. Rutter u.a. 1980). Beachtung sollte also im Hinblick auf die Ursachen von Unterrichtsstörungen insbesondere situativen Einflüssen geschenkt werden, wie beispielsweise den Verhaltensdynamiken der Schüler/innen untereinander und zwischen der Lehrperson und den Schülern/innen. So sind Störungen bei einer näheren Betrachtung vorwiegend „[…] ein Problem der Klasse und des Unterrichts“ (Nolting 142017: 15). Hierbei kommt insbesondere die Rolle der Lehrperson zum Tragen. Denn wenn auf dieser Ebene bestimmten Aspekten im Voraus Beachtung geschenkt würde, dann ließen sich einige Unterrichtsstörungen bereits präventiv vermeiden. Dabei spielt das gesamte Auftreten der Lehrkraft im Klassengeschehen eine essenzielle Rolle, beginnend bei der Gestik und der Mimik (Heidemann 102012:74f), über den Stimmton, der Stimmmelodie und Sprechlautstärke der Lehrperson bis hin zum Kleidungsstil. Wenn die Lehrperson beispielsweise monoton oder leise spricht oder insgesamt sich auf der Klassenbühne nicht resolut präsentiert, kommt die Signifikanz des Vermittelten auf Schülerseite nicht an. Unsicheres Auftreten der Lehrperson, ihre fehlende Grenzziehung und das Missachten der Vorgänge im Klassenraum (Krummenacher/Fuchs 2008:4) bieten den Schülern/innen Spielraum, die Grenzen der Lehrperson auszutesten. Bei jüngeren Lehrkräften besteht weiterhin häufig die Gefahr, aufgrund ihres zu geringen Altersunterschiedes zu den Schülern/innen und der wohlmöglich damit im Zusammenhang stehenden fehlenden Berufserfahrung nicht als Autoritätsperson anerkannt zu werden. So ist es in einer solchen Situation von Bedeutung, sich zumindest im Bekleidungsstil von den Schülern/innen zu unterscheiden und darüber Abgrenzung zu erzeugen (Schneider ³2015: 7).

Außerdem können eine fehlerhafte Unterrichtsplanung und Durchführung, zu wenig Form- und Methodenwechsel und ein Mangel an schüleraktivierenden Arbeitsformen zu Unterrichtsstörungen führen (Keller ³2014:37). Auch eine falsche Impulsgebung, Intransparenz der Lernziele durch die Lehrkraft und eine Fehleinschätzung bei der Auswahl von Materialien im Hinblick auf das Niveau der Lerngruppe können Ursache für Unter- oder Überforderung der Schüler/innen sein und somit zu Unterrichtsstörungen führen. Ein Mangel an fachlicher Kompetenz kann des Weiteren zu einem Gesichtsverlust bei den Schülern/innen führen. Fehler sind zwar auch seitens der Lehrkraft legitim, diese sollten jedoch nachträglich korrigiert und zu diesen sollte gestanden werden.2

Auf der Ebene der Reaktionsbildung durch die Lehrkraft spielen insbesondere die Haltung der Lehrperson und der Umgangston eine Rolle. Zwar liegt es nahe, dass Lehrpersonen nicht adäquat auf Störungen reagieren, wenn das persönliche Befinden der Lehrperson durch äußere Umstände, wie beispielsweise beruflicher oder privater Stress, belastet ist, denn auch Lehrpersonen unterliegen wie die Schüler/innen ihren eigenen Emotionen, jedoch ist es wesentlich, Störungen nicht als persönlich gegen sich betrachtet zu sehen sondern abgegrenzt von der eigenen Person zu betrachten und bei einer zu forschen Reaktion das eigene Verhalten zu reflektieren und dem oder der betreffenden Schüler/in in einem solchen Fall über die eigenen Befindlichkeiten aufzuklären. Kommunikation und Beziehungspflege spielen somit eine erhebliche Rolle bei der Entstehung und Prävention von Störungen (Krummenacher/Fuchs 2008:5). Lehrkräfte, die Schülern/Schülerinnen dauerhaft mit drohenden „Killerbotschaften“ kränken und entmutigen schaffen bereits schlechte Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Umgang mit Störungen. In einem solchen Fall muss davon ausgegangen werden, dass die Schüler/innen mit Gegenaggression auf die eigene Reaktion reagieren (Keller 32014: 37). Wenn in bereits belasteten Situationen mit einer Disziplinkonsequenz gedroht wird und keine andere Möglichkeit als dieser Umgang vorhanden ist, dann muss die Konsequenz folgen, da der betreffende Schüler oder die betreffende Schülerin in der fehlenden Konsequenz der Lehrperson erneut Handlungsspielraum erkennt, um das Verhalten zu wiederholen (ebd. S. 37).

Da der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit nicht bei der Ursachenbeschreibung von Unterrichtsstörungen liegt, sondern vielmehr bei einer Auseinandersetzung mit lehrerzentrierten Strategien für die Bewältigung und Vermeidung von Unterrichtsstörungen und weil wesentliche Einflussfaktoren bereits unter 2.3 aufgegriffen worden sind, wenden wir uns nun den wesentlichen Verhaltensaspekten der Lehrperson zu, die vorbeugend Störungen entgegenwirken. Das Augenmerk wird hierbei auf Handlungen und Haltungen der Lehrperson auf Ebene der Klassenführung gerichtet und weniger auf Strategien, die über das Geschehen im Klassenraum hinausgehen. Eine lehrerzentrierte Annährung ist insofern sinnvoll, als die Konzentration auf den Handlungsbereich der Lehrperson sich als realistischer herausstellt, anstatt darüber zu reflektieren, wie Einfluss auf die/den störenden Schüler/in oder deren Eltern genommen werden kann, da dies nicht zielführend wäre. Durch den Fokus auf den Handlungsspielraum der Lehrperson kann außerdem nicht nur ein/e einzelne/r Schüler/in beeinflusst, sondern das Klassengeschehen global positiv im Hinblick auf das Management von Störungen beeinflusst werden.

3. Kounins Dimensionen des Lehrerverhaltens

Die Handlungskonzepte, die im Folgenden erörtert werden, stellen Methoden dar, die Lehrkräfte im Klassengeschehen selbst planen und umsetzen können. Diese wurden auf Grundlage empirischer Forschungen Jacob Kounins (vgl. Kounin 1976) zum Thema erstellt. Kounins Studie wird für die vorliegende Arbeit herangezogen, weil es einen Meilenstein in Bezug auf die Mikroebene des Lehrerverhaltens im Zusammenhang mit der Minderung von Störungen bildete. Bei der zweiten Videostudie, die durch Kounin und Mitforschenden an 49 Grundschulen durchgeführt wurden, gelangten diese zu eindeutigen Ergebnissen bezüglich effektivem Lehrerverhaltens bei der Prävention von und beim Umgang mit Unterrichtsstörungen (Kounin 2006: 65f.). Es stellten sich dabei vier Dimensionen des Lehrerverhaltens heraus, die wegweisend sind: Allgegenwertigkeit des Lehrers und Überlappung, Reibungslosigkeit und Schwung, Aufrechterhaltung des Gruppenfokus und programmierte Überdrussvermeidung.

3.1 Allgegenwärtigkeit

Die Dimension der Allgegenwärtigkeit umfasst die Fähigkeit der Lehrperson, der Lerngruppe zu vermitteln, dass ihr nichts entgeht. In diesem Sinne ist auch der Begriff der Überlappung zu deuten, was bedeutet, dass die Lehrperson befähigt ist, zwei Dinge gleichzeitig zu tun beziehungsweise zwei Ereignissen gleichzeitig Aufmerksamkeit zu schenken, „[…] sei es durch Bemerkungen, Anweisungen oder nonverbalen Signalen“ (ebd. S. 31f.). Hierbei spielt das zeitnahe Reagieren auf abweichendes Verhalten eine wesentliche Rolle, da sich ansonsten Fehlverhalten im Klassenrahmen ausbreitet.

3.2 Reibungslosigkeit

Die Dimension der Reibungslosigkeit umfasst alle Handlungen der Lehrperson, die maßgeblich für die Aufrechterhaltung des Unterrichtsflusses sind, wie zum Beispiel das Integrieren von logischen Übergängen zwischen den einzelnen Phasen und das Vermeiden von Unterbrechungen und Verzögerungen. Unter Letzterem fallen ebenso das Unterbinden langer Ansprachen aufgrund kleinerer Verhaltensabweichungen seitens der Schüler/innen, ein zu abrupter Phasenwechsel so wie Sprunghaftigkeit bei der thematischen Vermittlung von Inhalten. Das Charakteristische an der soeben erläuterten Dimension ist, dass sie kaum bemerkbar sei, so Kounin (vgl. Kounin 1976).

3.3 Aufrechterhaltung des Gruppenfokus

Die dritte von Kounin aufgeführte Dimension ist die der Aufrechterhaltung des Gruppenfokus. Hierbei gehe es darum, basierend auf dem Prinzip der „Gruppenmobilisierung“ und auf dem „Rechenschaftsprinzip“3 so viele Schüler/innen wie möglich zu aktivieren und dabei auch jene, die momentan nicht aktiv beteiligt sind, zu mobilisieren (Nolting 142017: 34). Verhaltensweisen der Lehrperson, die maßgeblich für diese Dimension sind, seien beispielsweise explizit zu signalisieren, dass alle Beteiligten in den folgenden Sekunden oder Minuten des Unterrichts drankommen können. Hierbei kommen bei den Instruktionen Sätze zum Einsatz wie beispielsweise: „Jetzt wollen wir mal schauen wer von euch…“. Auch kann die Lehrperson im Plenum eine Frage formulieren und lässt ihren Blick dabei von Schüler zu Schüler wandern (ebd., S. 35). Das „Rechenschaftsprinzip“ umfasst die Anzahl der Schüler/innen, deren Leistungen überprüft werden. Die Überprüfung der Schülerleistungen kann über das Herumlaufen durch die Klasse während Stillarbeitsphasen vollzogen werden oder indem die Lerngruppe dazu aufgefordert wird, sich mündlich zu äußern und dabei mehrere Schüler/innen drangenommen werden. Signifikant hierbei ist weiterhin, dass im Verlauf der Stunde möglichst viele unterschiedliche Schüler/innen aktiv einbezogen werden und nicht immer ein geringer Anteil der Lerngruppe (ebd., S. 35).

3.4 Programmierte Überdrussvermeidung

Die letzte Dimension, die von Kounin erörtert wird, ist die der programmierten Überdrussvermeidung. Diese steht in direktem Bezug zur Motivation der Schüler/innen. Jedoch liegt der Schwerpunkt hierbei darauf, durch Verhaltensweisen „negative Motivation“, die als Langeweile und Überdruss der Lerngruppe zum Ausdruck kommt, zu verhindern. Empirisch belegt sind hierbei die Korrelation von aktiver Teilnahme am Unterricht und abnehmendem Fehlverhalten mit dem Aspekt der „positiven Valenz und intellektuelle Herausforderung“ (Nolting 142017: 36). Dies beinhaltet beispielsweise stimulierende Anstöße beziehungsweise den Einsatz von Ankündigungen wie: „Jetzt kommt was Lustiges“ oder „Jetzt wird’s vertrackt, da müsst ihr eure Denkermützen aufsetzen“ (ebd. S. 37). Intellektuelle Herausforderung kann sich jedoch auch in anderen Aspekten des Unterrichts niederschlagen, wie beispielsweise auf der Methoden-, Inhalts- und Aktivitätenebene. Aspekte der Motivierung werden jedoch auch in den vorausgegangenen Dimensionen implementiert, wie beispielsweise bei der Aufrechterhaltung des Gruppenfokus.

[...]


1 Das Kind erfährt nicht hinreichend Begrenzung.

2 Resultate des Lehr- und Lernforschungsprojekts

3 Das heißt mit Hilfe einer breiten Leistungskontrolle

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Dimensionen und Prävention abweichenden Verhaltens im Unterricht
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
2.0
Jahr
2019
Seiten
25
Katalognummer
V511919
ISBN (eBook)
9783346099495
ISBN (Buch)
9783346099501
Sprache
Deutsch
Schlagworte
dimensionen, prävention, verhaltens, unterricht
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Dimensionen und Prävention abweichenden Verhaltens im Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/511919

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Im eBook lesen
Titel: Dimensionen und Prävention abweichenden Verhaltens im Unterricht



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden